Bevölkerungsrückgang und Generationenkonflikt
Martin R. Textor
Wir sehen nicht gerne in die Zukunft: In unserer eigenen Biographie liegen körperliche und geistige Leistungsabnahme, Alter, Krankheit und Tod vor uns. In unserer Welt erwarten uns zunehmende Umweltverschmutzung, weiteres Wachstum der Weltbevölkerung und ein starker Bevölkerungsrückgang in Deutschland. Um die letztgenannte Entwicklung ist es jedoch still geworden: Zum einen stehen die Wiedervereinigung und die wirtschaftlichen Probleme in den neuen Bundesländern im Mittelpunkt der politischen Diskussion, zum anderen lassen steigende Geburtenzahlen in den letzten Jahren ein vorübergehendes, durch die Familiengründung geburtenstarker Jahrgänge bedingtes Phänomen diese Thematik an Brisanz verlieren. Politiker denken in kurzfristigen Zeiträumen; die mittel- und langfristigen Konsequenzen des Geburtenrückgangs sind für sie von geringem Interesse. So wird der Berg öffentlicher Schulden weiter erhöht - bis Ende 1991 um rund 230 Mrd. DM auf 1,3 Billionen DM (Süddeutsche Zeitung, 20.08.1990); einen Betrag, den man besser nicht in Pro-Kopf-Zahlen umrechnet, der sich aber vor den Erwerbstätigen der Zukunft (den Kindern von heute) als kaum rückzahlbare Hypothek auftun wird. Die Rentenversicherungen legen ihre derzeitigen Überschüsse nicht für die kommenden Zeiten an; eine breite private Altersvorsorge wird viel zu wenig proklamiert.
Geburtenrückgang
Die Familien erfüllen heute ihre Reproduktionsfunktion nicht mehr in ausreichendem Maße. So ergab die Volkszählung '87, dass die Zahl der Deutschen in der Bundesrepublik gegenüber 1970 um fast 1,3 Mio. Personen abgenommen hat. Ein genereller Bevölkerungsrückgang wurde aber durch sehr starke Zuströme von Ausländern, Aussiedlern und Umsiedlern aufgehalten. In der DDR nahm die Gesamtbevölkerung von 18,4 Mio. im Jahr 1950 auf 16,4 Mio. im Jahr 1990 ab. Generell ist in der Bundesrepublik seit 1972 ein Überschuss der Verstorbenen festzustellen. Das Geburtendefizit ist sogar noch größer, wenn man nur die Geburten von Deutschen berücksichtigt. Ausländer, die in Westdeutschland leben, erzielen nämlich einen Geburtenüberschuss von mehr als 60.000 Lebendgeborenen im Jahr, der natürlich das allgemeine Geburtendefizit um diese Zahl schrumpfen lässt. Somit liegt derzeit das Fruchtbarkeitsniveau unter der für die Bestandserhaltung notwendigen Zahl. Im Durchschnitt müsste es pro Ehepaar 2,6 Kinder geben statt 1,5 Kinder wie zur Zeit, müssten doppelt so viele Ehepaare wie heute zwei, etwa dreimal so viele drei und ungefähr viermal so viele vier Kinder bekommen, wenn die deutsche Bevölkerung von ihrer Zahl her gleichbleiben soll (Schwarz und Höhn 1985; Höhn, Mammey und Wendt 1990).
In den letzten fünf Jahren war wohl wieder ein leichter Geburtenanstieg festzustellen, der jedoch weit unter dem liegt, was anhand der Altersgliederung der deutschen Bevölkerung zu erwarten ist - derzeit befinden sich geburtenstarke Jahrgänge im Alter der Familiengründung. Zudem tragen wahrscheinlich die anhaltenden Zuwanderungen jüngerer Altersgruppen von Aussiedlern zu dem Geburtenanstieg bei. Im Jahr 1990 kam es in den alten Bundesländern sogar zum ersten Mal seit 1971 wieder zu einem Geburtenüberschuss von fast 14.000 Kindern: Die Zahl der Geburten lag mit 724.000 über der Zahl der Sterbefälle mit 710.000. In den neuen Bundesländern kam es jedoch zu einem Geburtenrückgang. Er nahm in den ersten sieben Monaten von 1991 sogar noch um fast 40 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres zu. Dies bedeutet für die gesamte Bundesrepublik einen Geburtenrückgang um 6 Prozent. Dementsprechend starben in den ersten sieben Monaten des vergangenen Jahres 40.000 Menschen mehr als Kinder geboren wurden.
Generell scheint sich der Trend zu immer weniger Kindern bei jungen Familien fortzusetzen: Während auf 100 Ehen der Eheschließungsjahre 1900-1909 rund 364 Kinder kamen, sank diese Zahl z.B. bei Ehen der Eheschließungsjahre 1931-1940 auf 212 und der Eheschließungsjahre 1963-1972 auf 173 Kinder (Statistisches Bundesamt 1987, S. 44). Hier wird deutlich, dass der Geburtenrückgang zu einem großen Teil auf der Abnahme von Mehrkinderfamilien beruht. So handelt es sich bei dem leichten Geburtenanstieg bis 1990 wohl nur um ein kurzzeitiges Phänomen; eine weitere Abnahme ist vorprogrammiert: So kommen, z.B. um das Jahr 2000, Personen aus geburtenschwachen Jahrgängen in das Alter der Familiengründung. Zudem werden in den Jahrzehnten danach die Mitglieder geburtenstarker Jahrgänge sterben, so dass die Differenz zwischen der Zahl der Lebendgeborenen und der Gestorbenen automatisch größer werden wird. Auf jeden Fall ist also in den kommenden Jahren mit einem Rückgang der Bevölkerungszahl in Deutschland zu rechnen. Die Prognosen sind jedoch recht unterschiedlich und sollten generell mit Vorsicht betrachtet werden, da das generative Verhalten der Bevölkerung nicht voraussagbar ist. Beispielsweise rechnen die Vereinten Nationen (United Nations 1991, "medium variant") mit einem Bevölkerungsrückgang von 77,6 Mio. (1990) auf 77,0 Mio. im Jahr 2000 und 70,9 Mio. im Jahr 2025.
Steigender Kinderwunsch nicht realisiert
Bevor Gründe für den Geburtenrückgang genannt werden, soll noch kurz darauf verwiesen werden, dass in unserer Gesellschaft der Kinderwunsch in einem ungewöhnlich hohen Maße nicht realisiert wird. So stellte das Institut für Demoskopie Allensbach (1985) in einer für Baden-Württemberg repräsentativen Umfrage folgendes fest: "Im Durchschnitt wünschen sich Unter-40-Jährige in Baden-Württemberg 2,2 Kinder, diejenigen, die schon eine Familie gegründet haben, 2,7 Kinder. Die gewünschte Kinderzahl liegt bei Frauen höher als bei Männern, bei nichtberufstätigen Frauen (im Durchschnitt: 2,6) höher als bei berufstätigen (2,2)" (S. 160). Jedoch werden weniger Kinder gezeugt, als Befragte sich wünschen: "Von den 40-Jährigen und älteren ohne Kinder hätten 53 Prozent gern zwei oder mehr Kinder. weitere 13 Prozent zumindest ein Kind; von den 40-Jährigen und älteren mit einem Kind hätten 56 Prozent gerne zwei, 28 Prozent drei und mehr Kinder" (a.a.O., S. 161). Anzumerken ist noch, dass der Kinderwunsch ab Mitte der 1960-er Jahre zurückgegangen ist, seit Mitte der 1980-er Jahre aber wieder ansteigt. Die Kinderzahlen bleiben in der Bundesrepublik jedoch weiterhin hinter dem Kinderwunsch zurück: So gab es 1988 rund 3,8 Mio. Familien (einschließlich Teilfamilien) mit einem Kind und 2,4 Mio. Familien mit zwei Kindern unter 18 Jahren, aber nur 595.000 mit drei und 152.000 mit vier und mehr Kindern (Statistisches Bundesamt 1989). Generell haben Familien mit erwerbstätigen oder arbeitssuchenden Frauen oder mit Frauen, die einen höheren Ausbildungsabschluss erreicht oder erst nach dem 26. Lebensjahr geheiratet haben, weniger Kinder. Dasselbe gilt für Stadt- gegenüber Landfamilien.
Ursachen - Ablehnung der Ehe
Eine Ursache für den Geburtenrückgang und die mangelnde Realisierung des eigenen Kinderwunsches liegt in der negativen Haltung gegenüber der Ehe. So stimmten bei einer repräsentativen Befragung von 15- bis 30-Jährigen (SINUS-Institut 1983) 15 Prozent der Aussage "vom Heiraten halte ich nicht viel" voll und weitere 22 Prozent mit Einschränkung zu, fühlten sich 33 Prozent in einer festen Beziehung auf Dauer (eher) zu sehr eingeengt. Dementsprechend sinkt die Heiratsneigung, gewinnen Alternativen wie nichteheliche Lebensgemeinschaften (zu denen nur selten Kinder gehören) an Attraktivität. Auch steigt in den ersten Ehejahren die Zahl von Scheidungen, haben viele Ehepaare zu wenig Vertrauen in die Zukunft ihrer Beziehung.
Kinder kosten Geld
Weitere Gründe für den Geburtenrückgang sind mehr materieller Art. So sind viele Erwachsene der Meinung, dass ein Kind hohe Kosten verursache - insbesondere wenn sie mit einer längeren Ausbildung, wie z.B. ein Studium, rechnen. Dies wird von Statistikern bestätigt, welche die Kosten für ein Kind bis zu dessen 18. Lebensjahr auf 100.000 bis 150.000 DM veranschlagen (Zentralstelle für rationelles Haushalten 1990). Gerade sozial schwächere Paare können sich oft derartige Ausgaben nicht leisten. Dementsprechend besteht ein Zusammenhang zwischen Kinderzahl und Familieneinkommen. So kamen 1987 1,55 Kinder auf Familien mit einem Nettoeinkommen von 1.800 bis 2.500 DM; 1,7 Kinder auf Familien mit Einkünften von 2.500 bis 4.000 DM und 1,8 Kinder auf Familien mit einem Nettoeinkommen von mehr als 4.000 DM (Kennerknecht 1991). Hier wirkt sich wenig aus, dass die meisten Arbeitnehmer heute ein höheres Einkommen als früher erzielen: Zum einen wird bei steigendem Lebensniveau mehr Geld für (kostspielige) Kleidung, Spielsachen, Freizeitgestaltung... von Kindern veranschlagt. Zum anderen bewerten viele die eigene finanzielle Situation schlecht und fühlen sich im Übermaß durch Steuern und Sozialabgaben belastet.
Konsumansprüche contra Kinderwunsch
Hinzu kommt, dass die materielle Situation die Verwirklichung von früher nicht vorhandenen oder nicht realisierbaren Wünschen (z. B. nach Fernreisen, Sportwagen oder Heimcomputern) ermöglicht. Der Kinderwunsch steht somit in Konkurrenz zu den immer größer werdenden Konsumansprüchen. Viele entscheiden sich aufgrund dieser Situation gegen Kinder oder wollen erst welche haben, nachdem sie große Reisen unternommen, ein Haus oder eine Wohnung erworben, einen teuren PKW gekauft und abwechslungsreiche Freizeitaktivitäten genossen haben. Verschärfend kommt hinzu, dass die eigenen Ansprüche immer mehr an der Lebenssituation eines "Doppelverdiener"-Ehepaares ohne Kinder orientiert werden. So glauben viele, dass sie im Vergleich zu diesen schlechter gestellt wären, falls sie ihren Kinderwunsch realisieren würden. Zudem bewerten sie staatliche Leistungen für Familien nur selten als eine nennenswerte Entlastung.
Wertewandel
Weitere Gründe für den Geburtenrückgang liegen im Wertewandel. So hat z.B. der Einfluss der (katholischen) Kirche abgenommen, insbesondere in Hinblick auf ihr Gebot der Fruchtbarkeit. Auch sind Kinder für viele Menschen nicht mehr der zentrale Sinn ihres Lebens - sie wählen andere Möglichkeiten der Persönlichkeitsentfaltung, streben nach Reichtum und Genuss. Andere wollen nicht wegen Kindern auf die eigene Selbstverwirklichung, auf Unabhängigkeit und Selbstbestimmung, auf Freizeit und Urlaubsreisen verzichten. Für manche Frauen sind Kinder auch ein Hemmschuh für die eigene berufliche Karriere, erschweren finanzielle Selbstständigkeit, Gleichberechtigung und Emanzipation, führen zu vermehrter Abhängigkeit vom Partner. Je höher das von ihnen erzielte Einkommen ist, je besser ihre Ausbildung ist, je mehr soziale Anerkennung sie erfahren und je mehr Freude ihnen die Arbeit bereitet, um so schwerer fällt ihnen zumeist der Verzicht auf die eigene Berufstätigkeit oder deren Einschränkung - vor allem auch, weil der Wiedereintritt in das Berufsleben nach einer längeren Unterbrechung sehr schwierig und vielfach mit der Annahme schlechter bezahlter Stellen verbunden ist. Zudem müssen diese Frauen auf mehr verzichten, da z.B. das hohe zweite Einkommen den Genuss von kostspieligen Konsum- und Freizeitangeboten ermöglicht. Bleiben sie berufstätig, so beschränken sie in der Regel die Zahl der Kinder auf ein oder höchstens zwei, um die Doppelbelastung noch erträglich zu halten. Viele Frauen heiraten aufgrund der langwierigen Ausbildung und der anschließenden Bewährung im Beruf auch recht spät, so dass die Zahl der Schwangerschaften wegen den größeren physischen und psychischen Belastungen klein gehalten werden muß (Höhler 1984; Schmidtchen 1984; Pohl 1985).
Keine Zukunft für Kinder
Andere Ursachen für den Geburtenrückgang liegen in der von Medien verstärkten Meinung, dass die Erziehung von Kindern außerordentlich hohe Anforderungen an Eltern stellt sowie mit großen Belastungen und Schwierigkeiten verbunden sei. So haben viele Personen Angst vor der erzieherischen Verantwortung oder vor der Überforderung durch Kinder. Knapp jeder dritte Unter-40-Jährige, der verheiratet ist oder mit einem Partner zusammenlebt, sieht in der Geburt eines (weiteren) Kindes eine große Belastung (Institut für Demoskopie Allensbach 1985). Viele bewerten aber auch die Umweltbedingungen als für Kinder nicht positiv. So waren 35 Prozent der Befragten bei einer repräsentativen Umfrage (EMNID-Institut 1986) der Meinung, dass die Bundesrepublik Deutschland ein kinderfeindliches Land sei, wobei dieser Prozentsatz bei jüngeren Personen und solchen mit besserer Schulbildung noch höher lag. Laut einer anderen Umfrage (Erler, Jaeckel, Pettinger und Sass 1988) hatten 25 Prozent der Befragten Angst, dass ein Kind in dieser Welt keine lebenswerte Zukunft hat.
Soziale Aspekte
Natürlich gibt es noch eine Vielzahl weitere Gründe wie Arbeitslosigkeit, der Mangel an Plätzen in Kinderbetreuungseinrichtungen, die schlechte Versorgung mit preiswerten oder großen Wohnungen (in vielen Regionen), eigene negative Kindheitserinnerungen, der sozioökonomische Strukturwandel, fehlende gesellschaftliche Erwartungen hinsichtlich der Kinderzahl und die hohen Zeitkosten von Kindern, die für den Rückgang der Geburtenzahl verantwortlich sind. Selbstverständlich spielen aber auch die perfekten Verfahren der Empfängnisverhütung und die Abtreibung eine große Rolle. So werden jedes Jahr circa 150.000 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt. Rund die Hälfte der Frauen ist übrigens verheiratet, etwa neun von zehn sind zwischen 13 und 40 Jahren alt, fast die Hälfte hat noch kein Kind zur Welt gebracht (BiB-Mitteilungen 1985, Heft 2).
Folgen für die Gesellschaft
Der Geburtenrückgang hat selbstverständlich Konsequenzen für alle Bereiche der Gesellschaft. So führt er zu Verzerrungen in der Altersschichtung: Prozentual nimmt die Zahl junger Menschen an der Gesamtbevölkerung ab und die Zahl alter Menschen zu. Waren 1970 mehr als 23 Prozent aller Einwohner der Bundesrepublik jünger als 15 Jahre, so ging dieser Anteil auf knapp 15 Prozent im Jahr 1987 zurück. Die Altersgruppe der Personen über 63 Jahre nahm im gleichen Zeitraum um fast ein Fünftel zu. Für das Jahr 2000 wird für das vereinigte Deutschland ein Anteil von über 60-Jährigen von 23,4 Prozent erwartet. Im Jahr 2010 werden es 26,2 Prozent und im Jahr 2020 30,2 Prozent sein (Höhn, Mammey und Wendt 1990).
Bildungssektor
Dementsprechend dürfte es bald einen starken Rückgang an Kindergartenbesuchern und Schülern geben, der später auf die Zahl der Auszubildenden und Studenten übergreifen wird. Für den Kindergarten bedeutet diese Entwicklung zunächst eine Entlastung; Wartezeiten werden seltener und kürzer werden. Der Rückgang der Schülerzahl wird dazu führen, dass immer mehr Schulen schließen müssen, die Schulwege länger werden, das Bildungsangebot auf dem Land und in bevölkerungsarmen Regionen reduziert werden muss und das Angebot von Spezialisierungsmöglichkeiten sinken wird. So wird es z.B. notwendig werden, Auszubildende in verschiedenen Berufen zu einer Schulklasse zusammenzufassen. Die Bildungskosten werden jedoch wahrscheinlich nur wenig sinken, da zum einen die Kosten für die beamteten Lehrkräfte und die Gebäude bleiben und zum anderen die Qualität des Bildungswesens und der Hochschulforschung immer weiter verbessert werden muss, wenn Deutschland mit dem rasanten wissenschaftlich-technischen Fortschritt mithalten will. Aufgrund der steigenden Kosten im Sozialbereich werden sich jedoch u.U. Einsparungen im Bildungsbereich nicht vermeiden lassen.
Arbeitsmarkt
Das Arbeitskräfteangebot wird aufgrund des Nachrückens der letzten geburtenstarken Jahrgänge und der zunehmenden Frauenerwerbstätigkeit bis 1990 noch wachsen, im Jahr 2000 wieder den gleichen Stand wie Anfang der 1980-er Jahre erreichen und dann sehr stark abnehmen - so dürfte die Zahl der erwerbsfähigen Personen im Jahr 2030 nur noch 60 Prozent des heutigen Bestands betragen (Schwarz und Höhn 1985). Aufgrund dieser Entwicklung ist bis zur Jahrtausendwende mit keiner Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt (mit Ausnahme des Angebotes an Ausbildungsplätzen) zu rechnen. Zudem dürften sich die Karrierechancen junger Arbeitnehmer weiter verschlechtern, da die meisten Führungspositionen von älteren Personen auf lange Sicht blockiert sind. Dies gilt vor allem dann, wenn das Rentenalter wieder heraufgesetzt wird - wie zu erwarten ist. Zudem ist von einer zunehmenden Überalterung des Arbeitskräfteangebots auszugehen, die sich aber nicht negativ auf die Produktivität auswirken muss, da die Leistungsfähigkeit in den meisten Berufen mit dem Älterwerden nicht wesentlich abnimmt. Jedoch mag es zu einer Verringerung der unternehmerischen Initiative und der Bereitschaft zum Risiko kommen. Schließlich wird sich auch die Zusammensetzung des Arbeitskräfteangebotes hinsichtlich der Nationalität ändern. Während Mitte der 1980-er Jahre 8 Prozent der Berufstätigen Ausländer waren, werden es im Jahr 2000 schon 14 Prozent sein (Schwarz und Höhn 1985). Dieser Prozentsatz wird in den darauffolgenden Jahrzehnten noch steigen und voraussichtlich in der ersten Hälfte des nächsten Jahrhunderts die 25 Prozent-Marke überschreiten. Diese Entwicklung mag durch die Zuwanderung von Ausländern - z.B. nach der beantragten Aufnahme der Türkei in die EG oder aufgrund wachsender Asylantenzahlen - noch beschleunigt werden.
Anzahl der Haushalte
Bis zum Jahre 1990 wird wahrscheinlich die Zahl der Haushalte noch zunehmen. Nach der Jahrtausendwende wird sie immer stärker abnehmen, aber nicht so schnell wie die Bevölkerung. Somit ist nur noch mit einem kurzfristigen Bedarf auf dem Wohnungsmarkt und dann mit einem Rückgang zu rechnen. Die Nachfrage nach Konsumgütern wird voraussichtlich ebenfalls in den nächsten Jahrzehnten stark zurückgehen. So sinkt die Zahl der Konsumenten, insbesondere von Kindern mit ihrem hohen Bedarf an Kleidung, Spielsachen... Diese Entwicklung wird nur zum Teil durch die steigende Zahl alter Menschen aufgefangen, da diese relativ wenig konsumieren, Hinzu kommt, dass der Zahl von Nur-Konsumenten eine noch wachsende Zahl von Produzenten (z. B. aufgrund der zunehmenden Erwerbstätigkeit von Frauen) gegenübersteht. Auch wird die Zahl der Haushaltsgründungen abnehmen. So ist mit einer Sättigung der privaten Konsumnachfrage und mit Dauerarbeitslosigkeit zu rechnen. Generell wird sich die Nachfrage zu Gütern und Dienstleistungen hin verlagern, die für ältere Menschen von Bedeutung sind (Hatzold 1985).
Der somit zu erwartende Nachfragerückgang mag zu einer mangelnden Auslastung des volkswirtschaftlichen Produktionspotentials und langfristigen Wachstumsschwächen führen. Auch wird wahrscheinlich der Anteil von Erweiterungsinvestitionen zugunsten von Ersatz- und Rationalisierungsinvestitionen abnehmen. Mit einem Rückgang der Gesamtinvestitionen oder dem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt ist aber mittelfristig nicht zu rechnen, da für die nächsten zwanzig Jahre genügend hervorragend ausgebildete Arbeitskräfte vorhanden sind und die den Unternehmen über Abschreibungen zur Verfügung stehenden Finanzmittel nicht zurückgehen werden. Auch dürfte in den nächsten Jahren eine Fremdfinanzierung unternehmerischer Vorhaben noch leichter werden, da die Sparquote weiter steigt. So sparen kleine gegenüber großen Haushalten mehr, gewinnt das Motiv der privaten Altersvorsorge aufgrund der unsicheren Zukunft der gesetzlichen Rentenversicherung an Gewicht, bleibt der private Verbrauch immer mehr hinter dem verfügbaren Einkommen (z.B. bei kinderlosen Ehepaaren mit berufstätiger Frau) zurück.
Mehr Rentner - weniger Rente?
Aufgrund der abnehmenden Geburtenrate ist von einem wachsenden Prozentsatz älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung auszugehen. Deshalb muss ab 1990 mit einem immer steiler werdenden Anstieg der Alterslastquote gerechnet werden. Schwarz und Höhn (1985) haben berechnet, dass 39 Rentner im Jahr 2000 auf 100 20- bis 60-Jährige kommen werden; 2010 werden es 42, 2020 49 und 2030 sogar 67 sein. Soll das gegenwärtige Rentenniveau gehalten werden, müssten die Beitragssätze zur Rentenversicherung von 18,5% (1982) über 20,0% (2000), 21,5% (2010) und 25,5% (2020) auf 34,4% (2030) steigen. Deutlich wird, dass Arbeitnehmern kaum zugemutet werden kann, im Jahr 2030 mehr als ein Drittel ihres Einkommens alleine für die Rentenversicherung abzugeben. Würde man aber umgekehrt die Beitragslast konstant halten, müssten die Rentenansprüche um rund zwei Fünftel gekürzt werden, was wiederum für die Rentner nicht akzeptabel ist. Auch kann das aufgrund des Rückgangs der Zahl von Kindern und Jugendlichen eingesparte Geld kaum zur Finanzierung der Altenlast herangezogen werden, da es zum größeren Teil von Familien und nur zum kleineren Teil von der Gesamtheit der Erwerbstätigen aufgebracht wird - also dem Staat in der Form des Steueraufkommens zur Verfügung steht. Zudem wird ja auch ein prozentual höherer Anteil der Steuermittel für Beamtenpensionen benötigt. So zeigt sich, dass bei der Konzeption des Rentenversicherungssystems vergessen wurde, dass man zu dessen Finanzierung eine nachwachsende Generation gebraucht (Borchert und von Nell-Breuning 1986). Letztlich sichert nur derjenige sein Alter wirtschaftlich, der durch die Zeugung von Kindern dafür sorgt, dass ein zumindest gleich hohes Volkseinkommen (pro Kopf) in der Zukunft aufgebracht werden kann (Drei-Generationen- statt Zwei-Generationen-Solidarität).
Natürlich führt die zunehmende Überalterung der Gesellschaft auch zu Problemen bei der Krankenversicherung. So dürften die Kosten in den kommenden Jahren stark steigen, da ältere Menschen häufiger und länger krank sind. Schwarz und Höhn (1935) haben hochgerechnet, dass der Beitragssatz für die Krankenversicherung von 11 Prozent im Jahr 1985 auf 13 Prozent im Jahr 2010 und 17 Prozent im Jahr 2030 erhöht werden muss. Andere Folgen der Überalterung dürften ein zunehmender Konservatismus in Gesellschaft und Politik sowie eine abnehmende geistige und räumliche Mobilität sein. Die älteren Menschen werden als Wähler, Verbraucher und Manager politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen bestimmen. Ab dem Jahr 2020 wird jeder zweite Wahlberechtigte im Seniorenalter sein...
Dramatischer Generationenkonflikt in Sicht
Werden die Erwerbstätigen der Zukunft bereit sein, diese hohe Altenlast zu tragen und die von den Senioren angehäuften öffentlichen Schulden (1991 immerhin 1,3 Billionen DM) zurückzuzahlen? Werden Erwachsene noch arbeiten wollen, wenn sie allein knapp die Hälfte ihres Einkommens für Rentner zur Verfügung stellen müssen? Werden Senioren, die Wohlstand, Auslandsreisen, eine perfekte medizinische Versorgung gewöhnt sind, bereit sein, große Abstriche hinsichtlich ihres Lebensstandards in Kauf zu nehmen? Gronemeyer (1990) meint, dass sich bei Jugendlichen und Erwerbstätigen eine enorme Wut auf die älteren Generationen entwickeln wird, da diese zum einen aufgrund ihres hohen Anspruchsniveaus einen großen Teil des Volkseinkommens benötigen werden und zum anderen aufgrund ihres hemmungslosen Konsums eine vergiftete und kranke Umwelt vererben. Er schreibt (a.a.O., S. 21): "Damit ist das Szenario eines dramatischen Generationskonflikts beschrieben. Man stelle sich die verkehrten Welten vor: Die Kinder haften für ihre Eltern, finanziell und ökologisch. Diese alten Eltern haben aber zugleich die parlamentarische Mehrheit, sie entscheiden Wahlen, haben auf die Gesetzgebung bestimmenden Einfluss. Ein Pulverfass..."
Quelle
Aus: caritas 1992, 93, S. 350-356
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