Die Zukunft von Familie und Kindheit - die Zukunft der Kinder- und Jugendhilfe
Martin R. Textor
In diesem Artikel werden Entwicklungen, die Familien und Kinder betreffen und die in den letzten Jahren beobachtet werden konnten, für die nächsten 10 bis 15 Jahre fortgeschrieben. Dann wird diskutiert, was die sich abzeichnenden Trends für die Kinder- und Jugendhilfe bedeuten.
Eltern unter Druck
In den kommenden Jahren werden die an Erwerbstätige gestellten Leistungserwartungen weiter zunehmen. Dies wird zum einen durch die Wissensexplosion und den sich rasant beschleunigenden technologischen Wandel bedingt - Berufstätige müssen lebenslang lernen und immer mehr können. Zum anderen wirkt sich hier die Globalisierung aus, die zu einem schärfer werdenden Wettbewerb zwischen den Unternehmen in Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern führt - den Arbeitnehmer/innen wird immer mehr Produktivität abverlangt werden.
Parallel dazu wird sich die Spaltung des Arbeitsmarktes fortsetzen: Auf der einen Seite wird es hoch qualifizierte Beschäftigte geben, die den Ansprüchen der Wirtschaft 4.0 genügen und gut verdienen. Auf der anderen Seite werden die ungenügend oder falsch qualifizierten Arbeitnehmer/innen stehen. Ihre Stellen werden zunehmend von Automatisierung und Outsourcing bedroht - sowohl in der Industrie als auch im Dienstleistungssektor. Fallen immer mehr dieser Arbeitsplätze weg, wird die Konkurrenz um die verbleibenden Stellen größer werden, und die Löhne können seitens der Arbeitgeber gesenkt werden. Insbesondere wenn es sich um keine Vollzeitstellen handelt, werden die Beschäftigten einen Nebenverdienst benötigen, um finanziell über die Runden kommen zu können - im Jahr 2014 hatten laut Statistischem Bundesamt (2015a) bereits 2 Mio. Menschen einen Zweitjob. Obwohl die Zahl der Erwerbspersonen in den kommenden Jahren aufgrund der demographischen Entwicklung zurückgehen wird, wird es auch in Zukunft viele Langzeitarbeitslose geben, die mangels schulischer, beruflicher oder persönlicher Qualifikationen kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.
"Klassische" Stellen mit einer Arbeitszeit zwischen 8 und 17 Uhr werden immer seltener werden. Einerseits wird ein großer Teil der Arbeitnehmer/innen flexible Arbeitszeiten haben. Dies wird auch bei den meisten hochqualifizierten Fachkräften der Fall sein - die aber in der Regel mit der "üblichen" Wochenarbeitszeit von 40 Stunden nicht auskommen werden. Andererseits werden mehr Beschäftigte im Schichtdienst, an Abenden, in der Nacht und an Wochenenden tätig sein. So mussten laut Statistischem Bundesamt (2015b) im Jahr 2014 schon 26% aller Erwerbstätigen samstags und 14% sonntags arbeiten. Außerdem werden Erwerbstätige häufiger den Wohnort wechseln - entweder weil sie eine andere Stelle antreten oder weil sie von ihrem Arbeitgeber versetzt werden. Diese Mobilität wird zu mehr Vereinzelung und zu mehr Wochenend-Ehen führen.
Diese Trends betreffen natürlich auch Väter - und zunehmend Mütter: Zum einen müssen immer mehr Frauen arbeiten, weil ein Einkommen für die Familie nicht ausreichen wird. So sind vor allem in den Ballungsräumen die Kosten für Wohneigentum bzw. die Mieten stark angestiegen - und werden vermutlich trotz der in manchen Großstädten eingeführten Mietpreisgrenzen weiter zunehmen. Von der Tendenz her dürften auch die Energiepreise (höhere Wohnnebenkosten und Ausgaben für PKW bzw. den öffentlichen Nahverkehr), die Lebenshaltungskosten, die Steuern und die Sozialversicherungsbeiträge steigen - beispielsweise wird der Staat immer mehr Geld für den Schuldendienst und die aufgrund der Bevölkerungsentwicklung zunehmenden Zahl von Rentner/innen und Pflegebedürftigen benötigen. Aber auch immer mehr Mütter wollen erwerbstätig bleiben, weil sie gute Schul-, Berufs- und Hochschulabschlüsse erworben haben und bessere Aufstiegschancen als früher haben - sofern sie nur eine kurze Elternzeit nehmen und dann ihre Kinder ganztags betreuen lassen.
So werden in Zukunft nahezu alle Mütter arbeiten - und dies unter den weiter oben skizzierten Bedingungen. Im Jahr 2013 waren laut Statistischem Bundesamt (2015c) bereits 61% aller Mütter erwerbstätig - 6% mehr als 1996. Bei älteren Kindern waren es mehr Frauen, bei jüngeren Kindern weniger; aber bereits 31% der Mütter mit Kindern unter drei Jahren waren berufstätig.
Bedingt durch die langen Arbeitszeiten und die beruflichen Belastungen werden erwerbstätige Eltern weniger Zeit als früher für die Pflege der Partnerschaft, die Familienerziehung und gemeinsame Freizeitaktivitäten haben. Entfremdung, Stress und Konflikte werden die Familienbeziehungen labiler machen, und so wird es häufig zu Trennung, Scheidung, Alleinerzieherschaft und Erziehungsschwierigkeiten kommen.
Schrumpfende Familienzeit
Wenn beide Elternteile vollerwerbstätig sind, insbesondere wenn sie auch an Abenden bzw. Wochenenden arbeiten müssen, werden sie weniger Zeit als heute für ihre Kinder und deren Erziehung haben. Während in den 1960er Jahren ein Ehemann - der damals in der Regel Alleinverdiener war - 48 Stunden in der Woche arbeitete, werden in Zukunft Eltern mehr als 80 Stunden im Beruf verbringen, wozu noch Überstunden und Wegezeiten kommen. Damit wird die Familienzeit gegenüber den 1960er Jahren um rund 40 Stunden schrumpfen.
Noch stärker wird sich die Familienzeit der Kinder verringern. Während in den 1960er Jahren nur ein Teil der Drei- bis Sechsjährigen einen Halbtagskindergarten besuchten, werden in Zukunft nahezu alle Ein- bis Sechsjährigen einen Ganztagsplatz beanspruchen. Im Jahr 2015 wurden nahezu alle Drei- bis Sechsjährigen und mit 694.500 Kindern ein Drittel aller unter Dreijährigen betreut (Statistisches Bundesamt 2015d). Da die weitaus meisten Babys zu Hause versorgt werden, ergeben sich höhere Betreuungsquoten für die beiden älteren Jahrgänge, und zwar im Jahr 2014 von 34,7% bei den Einjährigen und sogar von 59,8% bei den Zweijährigen (Statistisches Bundesamt 2014a). Die durchschnittliche Betreuungszeit von unter dreijährigen Kindern lag bei fast 38 Wochenstunden. Für 16% der Kleinstkinder waren seitens der Eltern Betreuungszeiten bis zu 25 Stunden, für 28% von 25 bis 35 Stunden und für 56% von mehr als 35 Stunden pro Woche vertraglich vereinbart worden (Statistisches Bundesamt 2014b). Bei Ganztagsbetreuung umfasst die Familienzeit an Werktagen je nach Alter des Kleinkindes nur noch zwischen zwei und vier Stunden (ohne Schlaf) - und in diese Zeit fallen das mehrmalige Waschen und An- bzw. Ausziehen, zwei Mahlzeiten sowie der Transport zur Kindertageseinrichtung und von ihr zurück nach Hause.
In den kommenden Jahren wird auch die Aufenthaltsdauer von Kindern in Grund- und weiterführenden Schulen ausgeweitet werden, sodass ihre Eltern (Vollzeit) erwerbstätig sein können. Im Jahr 2013 gingen bereits 35,8% aller Schüler an allgemeinbildenden Schulen ganztags zur Schule - wobei es große Unterschiede zwischen den Bundesländern gab: Die Extreme waren 86,9% in Hamburg und 14,2% in Bayern (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland 2015, S. 30). Die Ganztagsbetreuung wird aufgrund des Drucks seitens der Wirtschaft und der Elternschaft mit Sicherheit noch ausgeweitet werden. Beispielsweise gaben 70% der Eltern bei der 3. JAKO-O Bildungsstudie von 2014 an, dass sie ihre Kinder am liebsten auf eine Ganztagsschule senden würden (TNS Emnid 2014).
Diese Vergleiche - und auch viele der zuvor beschriebenen Trends - gelten natürlich nur für die alten Bundesländer. In der DDR hatten hingegen in der Regel beide Elternteile Vollzeit gearbeitet; der Erziehungsurlaub war auf ein Jahr begrenzt ("Babyjahr"). Kinderkrippen, Kindergärten und Schulen waren Ganztagseinrichtungen, die Eltern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichten. Seit der Wende haben sich aber die Arbeitsverhältnisse in den neuen Bundesländern stark verändert, haben auch hier die Leistungsanforderungen rasant zugenommen.
Wechselseitige Entfremdung
In den kommenden Jahren werden somit immer mehr Eltern beruflich gestresst sein, Arbeit mit nach Hause nehmen müssen und dann oft für ihre Kinder nicht ansprechbar sein. Aufgrund flexibler Arbeitszeiten, von Überstunden, Abend-, Nacht- und Wochenendarbeit werden sie immer häufiger nicht zu Hause sein, wenn ihre Kinder nach dem Besuch der Kindertageseinrichtung oder der (Ganztags-) Schule heimkommen. In einigen Fällen werden sie ihre Kinder nur an Wochenenden sehen, wenn sie während der Woche an einem weit entfernten Ort arbeiten oder sich ihr Schichtdienst über den Nachmittag und Abend erstreckt. An manchen Tagen wird die Kommunikation mit den Kindern nur über das Telefon bzw. Handy oder per Skype erfolgen.
Die Familienzeit der einzelnen Familienmitglieder wird sich somit nur teilweise überschneiden. Neben den unterschiedlichen Arbeitszeiten und den verschiedenen Aufenthaltszeiten in Kita und Schule tragen dazu auch Aktivitäten bei, die alleine außerhalb der Wohnung erfolgen. Dazu gehören auf Seiten der Eltern z.B. Einkäufe, sportliche Betätigungen, Besuche eines Fitnessstudios oder Treffen mit Arbeitskollegen und auf Seiten älterer Kinder Aktivitäten mit Freunden nach der Schule, am Abend bzw. am Wochenende, die Mitgliedschaft in einem (Sport-) Verein oder die Nutzung zusätzlicher Bildungsangebote (Musikschule, Nachhilfe usw.).
Wenn Eltern und Kinder immer weniger Zeit gemeinsam in der Wohnung verbringen - und dann oft noch in verschiedenen Zimmern - werden die Familienbeziehungen lockerer werden. Da die Familienmitglieder zu unterschiedlichen Zeiten nach Hause kommen, werden sie nur selten gemeinsam speisen, sondern sich zumeist selbst versorgen (z.B. mit Convenience-Lebensmitteln oder Junkfood) - sofern sie ihren Hunger nicht schon an ihrem Arbeitsort, in der Kita bzw. Schule oder auf dem Heimweg gestillt haben. So wird es auch immer seltener zu Tischgesprächen kommen. Die Familienkommunikation wird generell sporadischer und weniger intensiv werden.
Das bedeutet aber nicht, dass sich Kinder vernachlässigt fühlen (werden), wenn beide Elternteile arbeiten. So gaben bei der im Jahr 2013 veröffentlichten 3. World Vision Kinderstudie 84% der befragten Sechs- bis Elfjährigen mit zwei vollerwerbstätigen Eltern an, dass ihre Eltern hinreichend Zeit für sie hätten - bei einem Vollzeit und einem Teilzeit arbeitenden Elternteil waren es sogar 92%. Überraschenderweise meinten hingegen nur 71% der Kinder mit arbeitslosen Eltern, dass diese genügend Zeit für sie hätten...
Selbständigkeitserziehung und Delegation
Wenn Eltern immer weniger Zeit für ihre Kinder haben, ist es nicht verwunderlich, dass deren Selbständigkeit und Unabhängigkeit zu zentralen Erziehungszielen geworden sind. Dazu gehört auch, dass Kinder so früh wie möglich lernen sollen, Beziehungen zu Betreuungspersonen und mit ihnen nicht verwandten Kindern aufzubauen. Dem kommen Verfahren eines gleitenden Übergangs von der Familie in die Kindergruppe entgegen, wie sie in den letzten Jahren von Kinderkrippen und Kitas eingeführt wurden.
Auch die Erzieher/innen sind sehr daran interessiert, dass die ihnen anvertrauten Kinder möglichst schnell selbständig werden, also z.B. nicht mehr gefüttert oder gewickelt werden müssen. In ihrer Obhut und mit ihrer Unterstützung vollziehen Kleinkinder inzwischen die meisten Entwicklungsschritte: das erste Krabbeln, der erste Schritt, das erste Wort, der erste Tag ohne Windel usw. Hier lernen sie, wie man sich an- bzw. auszieht und wie man ordentlich isst, wie man mit anderen Menschen kommuniziert, wie man sich in eine Gruppe einordnet, wie man sich Wissen aneignet usw. usf.
Bei Ganztagsbetreuung werden die Sozialisation, Erziehung und Bildung der Kleinkinder also weitgehend von Erzieher/innen (oder Tagespflegepersonen) übernommen; die Familienerziehung verliert an Bedeutung. Wenn Eltern aber immer weniger Zeit mit ihrem Baby bzw. Kleinkind verbringen, werden sie weniger Erfahrungen im Umgang mit ihm sammeln. Insbesondere bei Kleinstkindern, die ihre Bedürfnisse und Wünsche noch nicht verbal äußern können, werden sich viele Eltern unsicher fühlen und Angst haben, Fehler zu machen. Beobachten sie dann, wie professionell Erzieher/innen (oder Tagespflegepersonen) mit ihrem Kind umgehen und wie viel Zuneigung und Liebe dieses seinen Betreuer/innen entgegenbringt, werden sie zunehmend die Erziehungsverantwortung delegieren.
Auch bei Kindern im Schulalter treten derartige Delegationsprozesse auf - eher unbeabsichtigt bei tendenziell vernachlässigenden Eltern, eher bewusst bei überbehütenden Eltern, die selbst wenig Zeit für ihre Kinder haben und deshalb andere für sich "einspannen". So übertragen viele Eltern den Lehrkräften nicht mehr nur die Bildung ihrer Kinder, sondern auch deren Erziehung.
Lehrer/innen werden auch immer häufiger erzieherisch tätig werden müssen, weil ihre Schüler seltener von daheim Verhaltensweisen, Werte und Motivationen mitbringen werden, die zu einer hohen Lernbereitschaft und zu einem angemessenen Verhalten in der Klasse führen. Bei einer 2012 veröffentlichten Befragung der Vodafone Stiftung Deutschland beklagten schon 31% der Lehrkräfte, dass sie immer häufiger Aufgaben übernehmen müssten, die eigentlich Sache des Elternhauses seien.
Gleichzeitig steigen die Erwartungen vieler Eltern an die Schulleistungen ihrer Kinder. Diese sollen die besten Bildungschancen bekommen, damit sie später den immer größer werdenden Leistungserwartungen der globalen Wissensgesellschaft entsprechen und ein gutes Einkommen erzielen können. Jedoch werden immer mehr Eltern mangels Zeit und Energie nicht mehr die Hausaufgaben überwachen und das Lernen für Prüfungen anleiten. So werden in den kommenden Jahren immer mehr Kinder eine Hausaufgabenbetreuung in der (Ganztags-) Schule erfahren oder ein Nachhilfeinstitut besuchen. Laut den Bildungsberichten 2012 und 2014 gaben wohl nur 13% der Fünftklässler an, dass sie Nachhilfe erhalten (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2014), aber bereits 21% der 13- bis 17-jährigen Schüler (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2012). Da immer mehr Kinder noch nachmittags in der Schule sind, wird der Nachhilfeunterricht zunehmend am Abend und am Wochenende erfolgen.
Auch in den kommenden Jahren ist weiterhin mit einer großen Erziehungsunsicherheit bei Eltern zu rechnen, da junge Erwachsene vor der Geburt eigener Kinder seltener als früher Erfahrungen mit Babys und (Klein-) Kindern sammeln (wegen deren zurückgehenden Zahl), weil sie ihre eigenen Kinder, deren Bedürfnisse, Persönlichkeit und Verhalten weniger gut kennen und da sie auch in Zukunft seitens der Medien mit widersprüchlichen Erziehungskonzepten und -ratschlägen konfrontiert werden. Die Gefahr, dass Eltern Erziehungsschwierigkeiten erleben oder problematische Erziehungsstile entwickeln, wird groß bleiben.
Dennoch ist auch in Zukunft von weitgehend positiven Eltern-Kind-Beziehungen auszugehen. Bei der 3. World Vision Kinderstudie von 2013 waren 54% der befragten 6- bis 11-Jährigen sehr zufrieden mit der elterlichen Fürsorge und weitere 34% zufrieden; nur 12% antworteten neutral oder negativ. Laut der 16. Shell Jugendstudie von 2010 hatten mehr als 90% der Jugendlichen und Heranwachsenden im Alter von 12 bis 25 Jahren ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern. Auch waren sie weitgehend mit deren Erziehung zufrieden: Fast drei Viertel der jungen Menschen würden ihre eigenen Kinder so erziehen, wie sie selber erzogen wurden. Mit ähnlichen Befragungsergebnissen wird man auch in den kommenden Jahren rechnen können.
Schulkindheit
Wie bereits erwähnt, müssen sich Lehrer/innen aufgrund des "Unerzogenseins" einer zunehmenden Zahl von Schüler/innen bzw. wegen der Delegation von Erziehungsverantwortung seitens vieler Eltern immer mehr als Erziehende verstehen - und weniger als Unterrichtende. Sie werden somit mehr Verantwortung für die Leistungen, das Verhalten und die Persönlichkeitsentwicklung ihrer Schüler/innen übernehmen. Dies gilt insbesondere bei einer Tätigkeit in einer gebundenen Ganztagsschule, da sie dann auch nachmittags unterrichten bzw. mit Schüler/innen pädagogisch arbeiten müssen. Die reine Hausaufgabenbetreuung durch wenig qualifizierte Personen wird hingegen wegen der zumeist schlechten Qualität an Bedeutung verlieren.
Da die Zahl der Kinder zurückgeht, die Unternehmen aber mehr gut qualifizierte Schul- und Hochschulabgänger benötigen, werden Wirtschaft und Politik den Druck auf Schulen erhöhen, einerseits alle Jugendlichen zu einem Abschluss zu führen, auf dem die Berufsausbildung aufbauen kann, und andererseits mehr Abiturient/innen zu "produzieren". So wird der auf Lehrer/innen lastende Leistungsdruck wachsen, zumal Vergleichsarbeiten und zentrale Abschlussprüfungen Rückschlüsse auf die Qualität ihrer Arbeit zulassen. Die Schüler/innen werden mehr lernen müssen, und ihre Leistungen werden häufiger bewertet werden.
In den kommenden Jahren wird ein immer größer werdender Anteil eines Geburtsjahrganges das Abitur erwerben. Unter ihnen werden Frauen überrepräsentiert sein: Schülerinnen sind kommunikativer und verbal geschickter, wodurch sie im Unterricht eher "glänzen" als Schüler. Zudem wenden sie mehr Zeit für Hausaufgaben auf, sitzen sie weniger vor dem Fernseher, dem Computer oder der Spielkonsole. Bereits seit dem Geburtsjahr 1972 erzielen Frauen häufiger die Hochschulreife als Männer (Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung 2015).
Der Anteil der Schüler/innen mit Migrationshintergrund wird weiter zunehmen. Insbesondere Kinder von Flüchtlingen und Asylant/innen, die erst vor kurzem nach Deutschland gekommen sind, werden mangels Sprachkenntnissen und aufgrund traumatischer Erfahrungen besonders viel Zeit und Energie der Lehrkräfte beanspruchen - die für den Umgang mit ihnen bisher nicht qualifiziert wurden. Zudem beinhaltet die größere Heterogenität der Schülerschaft die Gefahr von mehr ethnischen Konflikten. Lehrer/innen werden aber auch vermehrt mit Verhaltensauffälligkeiten, psychischen Problemen, (Cyber-) Mobbing, Drogenmissbrauch, Schulverweigerung und Ähnlichem konfrontiert werden, was das Gefühl der beruflichen Überlastung verstärken wird. So waren schon 50% der Lehrkräfte bei einer 2012 veröffentlichten Befragung der Vodafone Stiftung Deutschland der Meinung, dass das Unterrichten im Verlauf der letzten fünf bis zehn Jahre deutlich schwieriger geworden sei.
Lehrer/innen werden auch mehr präventiv handeln müssen, z.B. durch die Durchführung von Programmen zur Sucht- und Gewaltprävention oder durch den Abschluss von Verhaltensvereinbarungen mit ihren Schüler/innen. Ferner werden sie mehr mit Schulsozialarbeiter/innen und Schulpsycholog/innen, mit Erziehungsberater/innen und Jugendamtsmitarbeiter/innen kooperieren müssen, wenn bei einzelnen Kindern bzw. bei ihren Eltern ein größerer Unterstützungsbedarf besteht.
Auch die Umsetzung der in der "UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen" geforderten Inklusion wird Lehrer/innen mehr erzieherische und heilpädagogische Kompetenzen abverlangen. Die Lehrkräfte werden mehr behinderte und verhaltensgestörte Schüler/innen unterrichten und mit den sie zusätzlich betreuenden ehemaligen Förderschullehrer/innen kooperieren. Schließlich werden sie sich intensiver Schüler/innen mit Lernschwierigkeiten widmen (z.B. durch individuelle Lernbegleitung, Vertiefung oder Förderunterricht), da sie diese nicht mehr an Förderschulen überweisen können und zu einem Schulabschluss führen müssen.
Selbst wenn der Anteil der Schüler/innen mit Verhaltensauffälligkeiten, psychischen Störungen, Lernschwierigkeiten oder anderen Problemen in den letzten Jahren zugenommen hat und in der nahen Zukunft weiter steigen könnte, bedeutet dies keinesfalls, dass ein Großteil der Kinder und Jugendlichen unglücklich ist. Beispielsweise waren laut der 2013 veröffentlichten 3. World Vision Kinderstudie 59% der Kinder sehr zufrieden mit ihrem Leben, 32% zufrieden, 8% weder/noch und nur 1% unzufrieden. Im gleichen Jahr berichtete das UNICEF-Forschungsinstitut "Innocenti", dass sich fast 85% der befragten Kinder und Jugendlichen als glücklich erlebten (Adamson 2013). Wenn die meisten Kinder und Jugendliche unter den heutigen Lebensbedingungen glücklich sind, dürfte dies auch in den kommenden 10 bis 15 Jahren der Fall sein...
Medien in Familie und Kindheit
Das Freizeitverhalten der Familienmitglieder wird zunehmend multimedial geprägt. Schon heute ist der Medienkonsum von Erwachsenen und Jugendlichen sehr hoch, aber auch von Kindern: Beispielsweise sahen Sechs- bis 13-Jährige im Jahr 2014 am Tag durchschnittlich 93 Minuten fern, spielten 51 Minuten an Computer, Konsole, Smartphone oder Tablet, befanden sich für 36 Minuten im Internet, hörten 29 Minuten lang Radio und lasen 23 Minuten lang (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2015a). Kinder im Alter von zwei bis fünf Jahren sahen an einem durchschnittlichen Tag 43 Minuten fern, schauten sich 26 Minuten lang Bücher an bzw. bekamen sie vorgelesen, hörten 18 Minuten Radio, beschäftigten sich 7 Minuten lang mit Computer-, Konsolen- und Handyspielen sowie befanden sich 2 Minuten lang im Internet (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2015b). Zu beachten ist, dass alle diese Zeitangaben von dem "Haupterzieher" des jeweiligen Kindes gemacht wurden...
Das soziale Leben nicht nur von Kindern und Jugendlichen, sondern auch von Erwachsenen wird immer mehr durch das Internet bestimmt: Zum einen wird mit Verwandten, Freunden und Bekannten zunehmend via Smartphone, SMS, Email, Chats, Twitter, WhatsApp usw. kommuniziert. Zum anderen sind nahezu alle älteren Kinder und Jugendliche, aber auch ein Großteil ihrer Eltern in sozialen Netzwerken präsent. Sie nutzen diese neuen Kommunikationsmöglichkeiten, um Gedanken und Meinungen mit anderen Menschen auszutauschen und um sich selbst darzustellen - oft anders, als sie in Wirklichkeit sind ("E-Persönlichkeit"). Die mit einer falschen Identität verbundene "Freiheit" wird manche Menschen auch grausamer werden lassen: Beispielsweise hatten im Jahr 2014 bereits 38% des 12- bis 19-Jährigen erlebt, dass jemand in ihrem Bekanntenkreis mittels "Cyber-Mobbing" fertig gemacht wurde und 14% hatten ungefragt brutale Gewaltdarstellungen oder Pornos zugeschickt bekommen (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2014). Weitere 27% berichteten, dass im Bekanntenkreis Personen erotische Fotos von sich selbst oder ihrem Partner verschickt hatten ("Sexting") - Letzteres geschieht oft nach einer Trennung, um den ehemaligen Partner bloßzustellen.
Kleinkinder und jüngere Schulkinder werden immer häufiger die Erfahrung machen, dass für ihre Eltern Telefon, Smartphone und Tablet Vorrang haben: Diese unterbrechen Spiele oder Gespräche mit ihren Kindern, sobald ein Handy klingelt, eine SMS oder eine Textnachricht eingeht - und oft wird aus der Unterbrechung ein Abbruch der gemeinsamen Beschäftigung. Aber auch bei bestimmten Sendungen im Fernseher oder Aktivitäten an Tablet bzw. Laptop sind Eltern nicht ansprechbar. So erleben sich die Kinder als weniger wichtig, kommunizieren sie immer seltener (länger) mit ihren Eltern.
Da die Familienmitglieder jederzeit und an jedem Ort telefonisch bzw. per Internet erreichbar sind, werden sie oft bei ihren Beschäftigungen unterbrochen. Dies gilt auch für Schüler/innen beim Erledigen der Hausaufgaben bzw. beim Lernen für die Schule. Da sie immer wieder aus ihrer Tätigkeit herausgerissen werden, lernen sie nicht mehr, sich für längere Zeit zu konzentrieren und über eine Fragestellung intensiv nachzudenken. So wird es immer mehr "erworbene Aufmerksamkeitsstörungen" geben.
Kinder, Jugendliche und Heranwachsende, aber auch viele Eltern verbringen immer mehr Zeit mit Konsolen- und Computerspielen. Hier können sie strategische und taktische Fähigkeiten entwickeln, feinmotorische und technische Kompetenzen schulen, neue Welten entdecken und Fantasien ausleben. Bei Online-Rollenspielen sind sie Mitglied in einem Team (Gilde, Sippe, Clan, Kampfgruppe usw.), kommunizieren mit den (zumeist nicht persönlich bekannten) Mitspielern und erfahren von ihnen (positives) Feedback. Das Gefühl, im Team gebraucht zu werden, und die Angst, etwas zu versäumen, da die Handlung weiterläuft, wenn ein Spieler offline ist, führen oft dazu, dass Jugendliche und Erwachsene jeden Tag viele Stunden vor dem Computer verbringen. Manche von ihnen identifizieren sich immer mehr mit der von ihnen übernommenen Rolle, entwickeln somit "multiple Persönlichkeiten" und können immer weniger zwischen realer und virtueller Welt unterscheiden. Zumeist vernachlässigen sie ihre Pflichten (Schule, Beruf, Familie, Freundeskreis usw.). Eine solche Spielsucht kann auch bei Online-Glücksspielen auftreten. Während Kinder und Jugendliche in Spielhallen keinen Zutritt haben, können sie sich denselben bei entsprechenden Websites leicht verschaffen.
Die Pornografisierung der Sexualität
Ferner prägt das Internet zunehmend die Erwartungen an sexuelle Beziehungen: Laut der "Dr.-Sommer Studie Liebe! Körper! Sexualität!" aus dem Jahr 2009 hatten damals schon 69% aller Jungen und 57% aller Mädchen pornografische Bilder oder Filme gesehen (Bravo 2010). Der Konsum von Pornos nahm ab dem 13. Lebensjahr deutlich zu - bei den 17-Jährigen hatten bereits 93% der Jungen und 80% der Mädchen solche Videos genutzt. Eine aktuellere Befragung von 12- bis 21-Jährigen ergab, dass Pornografie für sie zu einer Alltagserscheinung geworden ist, wobei das durchschnittliche Einstiegsalter bei 14 Jahren lag (Rihl 2013).
Da das Durchschnittsalter beim ersten Geschlechtsverkehr 16 bis 17 Jahre beträgt, haben Jugendliche bis dahin schon zwei bis drei Jahre lang Erfahrungen mit Pornos gemacht - alleine, im Freundeskreis, mit einem Partner oder auf dem Schulhof. So ist davon auszugehen, dass solche Filme zunehmend ihre sexuellen Vorstellungen und Erwartungen prägen. Beispielsweise kann Pornografiekonsum dazu führen, dass Jugendliche (und Erwachsene) die reale Häufigkeit von oralem und analem Sex überschätzen. So befürchten Mädchen häufig, dass sie entsprechende Praktiken ausüben müssen, oder fühlen sich durch ihre Partner unter Druck gesetzt, die pornografische Skripte ("Drehbücher") umsetzen wollen. Manche Jungen (und Männer) machen sich Sorgen, weil ihre Penisse nicht so groß wie die von Porno-Darstellern sind oder sie nicht dieselbe Ausdauer zeigen (Kuhle/ Neutze/ Beier 2012). Die meisten Jugendlichen und (jungen) Erwachsenen sehen aber Porno-Szenen kritisch und sind sich bewusst, dass diese nicht der Realität entsprechen.
Der mehr oder minder kontinuierliche Pornografiekonsum wird dazu führen, dass der Geschlechtsverkehr variantenreicher wird. Auch wird sich bei jüngeren Menschen immer mehr die Intimrasur durchsetzen (Matthiesen/ Mainka 2011). Da Pornos den Sexualakt fokussieren, könnten aber Aktivitäten wie Schmusen, Kuscheln, Küssen oder Petting an Bedeutung verlieren. Mehr Menschen werden auch Erfahrungen mit gleichgeschlechtlichen Partnern sammeln - angeregt durch entsprechende Videos.
Vor allem Erwachsene nutzen neben Chatrooms und sozialen Netzwerken zunehmend Kontaktbörsen oder Partnervermittlungen im Internet, um entweder (kurzfristige) Sexualkontakte herbeizuführen oder längerfristige partnerschaftliche Beziehungen anzubahnen. Inzwischen beginnt etwa jede dritte Partnerschaft im Internet (DER SPIEGEL 2012). Bedenkt man, dass in den nächsten Jahren die Jobs eher noch stressiger werden, mehr Menschen an Abenden oder an Wochenenden arbeiten müssen und die berufliche Mobilität weiter zunehmen wird, so werden Single-Börsen und Online-Partnervermittlungen wahrscheinlich noch an Bedeutung gewinnen: Sie erleichtern es Menschen, trotz dieser Lebensbedingungen potenzielle Partner zu finden. Zugleich erweitern sie den Partnermarkt über den (kleinen) Kreis von Freunden, Bekannten und Kollegen hinaus.
Ausdifferenzierung weiterer Familienmilieus
Wie bereits erwähnt, werden sich Familien immer mehr hinsichtlich der Einkommensverhältnisse unterscheiden - je nachdem, ob die schulischen, beruflichen und persönlichen Qualifikationen der Eltern auf dem Arbeitsmarkt stark, schwach oder überhaupt nicht nachgefragt werden. So wird es auch in Zukunft viele armutsgefährdete Familien geben, insbesondere wenn aufgrund der Staatsverschuldung und der hohen Kosten für Senioren die finanzielle Unterstützung von Arbeitslosen und Geringverdienern zurückgehen sollte. Zum Jahreswechsel 2013/14 erhielten laut dem Statistischen Bundesamt (2014c) bereits 7,4 Mio. Menschen und damit 9,1% der Bevölkerung in Deutschland soziale Mindestsicherungsleistungen. Und dabei boomt die Wirtschaft...
Je nach ihrer finanziellen Lage werden Familien in verschiedenen Orts- bzw. Stadtteilen wohnen und unterschiedliche Lebensstile haben. Aber nicht nur entsprechend der Einkommenssituationen werden sich andersartige Familienmilieus herausbilden. Eine noch größere Rolle werden kulturelle Unterschiede spielen. Menschen, deren Vorfahren vor zwei oder drei Generationen zugewandert sind, werden mehr oder weniger ihrer Herkunftskultur verhaftet sein. Personen, die erst nach der Jahrhundertwende gekommen sind, stammen größtenteils aus anderen Ländern und damit aus anderen Kulturkreisen. Und seit 2014 strömen viele Flüchtlinge und Asylbewerber/innen nach Deutschland, die überwiegend aus den Balkanstaaten, dem Nahen Osten und aus Afrika kommen, also wiederum aus anderen Kulturkreisen. Während in dem genannten Jahr 202.815 Personen registriert wurden, wird für 2015 mit bis zu 750.000 Asylbewerber/innen gerechnet (ZEIT ONLINE 2015). Ferner sollen in den kommenden Jahren aufgrund des Fachkräftemangels hoch qualifizierte Ausländer/innen angeworben werden und sofort eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Viele von ihnen werden vermutlich aus Süd(ost)asien und vielleicht auch aus Lateinamerika kommen und sich nicht nur hinsichtlich ihrer Kultur, sondern auch wegen ihrer (guten) Einkommensverhältnisse von anderen Menschen mit Migrationshintergrund unterscheiden.
Alle diese Menschen werden ihre Kultur leben wollen. So werden sich immer mehr Soziotope und Milieus herausbilden, in denen die Menschen besondere Lebensstile, Werte, Verhaltensnormen, religiöse Praktiken usw. praktizieren, die zunehmend die ganze Bandbreite der Kulturen dieser Welt widerspiegeln werden. In Zukunft werden die Mitglieder eines Milieus immer weniger über die anderen Milieus wissen, da sich insbesondere in Großstädten immer mehr Mitglieder einer Bevölkerungsgruppe in einem bestimmten Quartier ballen.
In den kommenden Jahren wird die Fremdenfeindlichkeit mancher Deutschen weiterhin ein großes gesellschaftliches Problem sein, insbesondere wenn sie zu Straftaten gegenüber Asylbewerber/innen und Migrant/innen führt. Diese Situation könnte sich verschärfen, wenn immer mehr Menschen nach Deutschland strömen - und falls insbesondere junge Deutsche den Eindruck gewinnen sollten, dass sie gegenüber den (angeworbenen) ausländischen Fachkräften auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt sind. Aber auch innerhalb einzelner Migrantengruppen und zwischen verschiedenen Gruppen könnte es zu Auseinandersetzungen kommen, wenn aus den Heimatländern mitgebrachte nationale, religiöse oder kulturelle Konflikte wieder aufbrechen sollten. Schließlich könnte sich die Gewalt auch gegen Deutsche richten, insbesondere wenn sich Extremisten (z.B. von Al-Qaida oder vom Islamischen Staat) unter den Zuwanderern befinden.
Konsequenzen für Kindertageseinrichtungen
Die Kindertagesbetreuung bildet den größten Bereich der Kinder- und Jugendhilfe. Hier sind rund drei Viertel aller Mitarbeiter/innen tätig. Im Jahr 2013 entfielen mit rund 23,0 Mrd. Euro 65% der Bruttoausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden für Kinder- und Jugendhilfe auf die Kindertagesbetreuung (Statistisches Bundesamt 2015e).
In den kommenden Jahren werden die Öffnungszeiten von Kindertageseinrichtungen aufgrund des Drucks seitens der Eltern, der Wirtschaft und der Politik noch länger und flexibler werden, damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf besser gewährleistet werden kann. Immer mehr Kitas werden auch am Abend, am Wochenende oder an 24 Stunden pro Tag geöffnet sein. Die meisten Kleinkinder werden täglich länger als acht Stunden betreut werden.
Je länger sich Kleinkinder in Kindertageseinrichtungen aufhalten, umso mehr werden sie versuchen, dort ihre Bindungsbedürfnisse zu befriedigen. Die Erzieher/innen werden für sie immer wichtigere (potenzielle) Bezugspersonen werden. Jedoch werden diese ihnen nur für einen kleiner werdenden Teil der gesamten Betreuungszeit zur Verfügung stehen. Das hängt zum einen mit der weit verbreiteten Teilzeitbeschäftigung zusammen - nur rund ein Drittel der Erzieher/innen ist Vollzeit erwerbstätig. Zum anderen werden die Fachkräfte aufgrund der immer länger werdenden Öffnungszeiten zunehmend Schicht arbeiten müssen. In den Randzeiten - wenn nur wenige Kinder anwesend sind - ist häufig eine Fachkraft alleine in ihrer Gruppe. Vielerorts werden dann auch zwei Gruppen zusammengelegt.
Kleinkinder werden somit während ihrer flexibel gestalteten Betreuungszeit in der Regel von mehreren Personen betreut werden. Dies trifft erst recht auf Kindertageseinrichtungen zu, in denen die Gruppen ganz oder teilweise aufgelöst wurden ("offenes" oder "halboffenes" Konzept). Kleinkindern dürfte es in Zukunft also immer schwerer fallen, ihre Bindungsbedürfnisse in der Tagesstätte zu befriedigen bzw. eine enge Beziehung zu einer (Bezugs-) Erzieherin aufzubauen, was insbesondere für unter Dreijährige psychisch belastend sein könnte. Zugleich wird diese Situation zunehmend das Erfassen, Beurteilen und Fördern der kindlichen Entwicklung seitens der Fachkräfte erschweren. So müssten sich die Erzieher/innen, die im Verlauf einer Woche das jeweilige Kind betreuen, regelmäßig austauschen - erst recht, wenn es einen besonderen Erziehungsbedarf geben sollte oder ein Elterngespräch bevorsteht. Dafür dürfte aber auch in Zukunft die Zeit fehlen.
Sicherlich hat dieser "Kontaktverlust" zum einzelnen Kind dazu beigetragen, dass Beobachtungsbögen und Entwicklungsskalen eine größer werdende Rolle in Kindertageseinrichtungen spielen. Hinzu kommt, dass der kompensatorischen Erziehung immer mehr Bedeutung insbesondere von der Wirtschaft und der Politik beigemessen wird - nicht nur hinsichtlich der Sprachförderung von Kindern mit Migrationshintergrund, sondern auch mit Blick auf Kinder aus bildungsfernen Schichten. So haben PISA-, IGLU- und andere Studien immer wieder gezeigt, dass solche Kinder bei weitem schlechtere Bildungschancen haben als Kinder aus der Mittelschicht. Deshalb müssen nun in allen Kindertageseinrichtungen Sprachtests durchgeführt und Kinder mit Sprachdefiziten besonders gefördert werden. In vielen Bundesländern werden hierzu bestimmte Testverfahren und Förderprogramme vorgeschrieben.
Da der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund an allen betreuten Kindern in den kommenden Jahren weiter zunehmen wird, wird der Sprachförderung in Zukunft eine noch größere Bedeutung zukommen. Jedoch werden Fördermaßnahmen derzeit dadurch erschwert, dass sich diese Kinder in einzelnen Kindertageseinrichtungen ballen. Beispielsweise besuchte in Westdeutschland im Jahr 2013 ein Drittel der Kinder mit Migrationshintergrund eine Tagesstätte, in der mehr als die Hälfte der Kinder eine andere Muttersprache als Deutsch sprach (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2014). In Zukunft müssten diese Kinder gleichmäßiger auf alle Kindertageseinrichtungen einer Region verteilt werden.
Neue Herausforderungen bringt auch die zunehmende Zahl von Kindern aus Flüchtlings-, Asylbewerber- und Asylantenfamilien mit sich. Sie (und natürlich auch ihre Eltern) sprechen zum Teil Sprachen, für die sich vor Ort keine Dolmetscher/innen finden. Für viele zugewanderte Kleinkinder ist diese "Sprachlosigkeit" (die Erfahrung, sich plötzlich nicht mehr mit anderen Menschen verständigen zu können) verstörend - und dazu kommen noch traumatische Erfahrungen aus dem Heimatland (Krieg, Verfolgung, Diskriminierung, Hunger...), von der Flucht und von der Zeit in Aufnahmelagern und Notunterkünften.
Derzeit sind Erzieher/innen noch nicht einmal ansatzweise für den Umgang mit traumatisierten Kindern qualifiziert worden - hier ergibt sich ein großer Fortbildungsbedarf. Bei psychischen Problemen oder Verhaltensstörungen, die aus den Vorerfahrungen der Kinder oder aus ihrer Isolation in der Kindergruppe resultieren (wenn sie mangels Sprachbeherrschung mit niemandem kommunizieren können), werden sie den Kindern und ihren Eltern auch entsprechende Therapiemaßnahmen erschließen müssen - falls es solche vor Ort überhaupt gibt und falls sich die Therapeut/innen mit dem Kind irgendwie verständigen können...
Sprachförderung, die Unterstützung traumatisierter Kinder, die Zusammenarbeit mit psychosozialen Diensten und die Kontaktaufnahme mit Eltern, die erst vor kurzem aus ganz verschiedenen Ländern zugewandert sind, werden immer mehr Arbeitszeit und Arbeitskraft der Erzieher/innen binden. Allerdings sind die hier zur Verfügung stehenden Kapazitäten sehr begrenzt, denn den Fachkräften wurden in den letzten Jahren bereits viele neue Aufgaben aufgebürdet: Beobachtung und Dokumentation, Integration behinderter Kinder, Erfassen von Kindeswohlgefährdung, Inklusion, Elternberatung, Familienbildung, Kooperation mit der Grundschule usw.
Hinzu kommt, dass Kindertagesstätten in den letzten Jahren zu Bildungseinrichtungen weiterentwickelt wurden. So sollen sie laut den von den zuständigen Länderministerien verabschiedeten Bildungsplänen mathematische, naturwissenschaftliche, technische, sprachliche, ästhetische, musikalische, religiöse, interkulturelle, Umwelt- und Medienbildung leisten, aber auch soziale und emotionale Erziehung, Gender Mainstreaming, Gesundheits-, Bewegungs- und Ernährungserziehung. Wirtschaft und Bildungspolitik forcieren die frühkindliche Bildung, was vielerorts zu besonderen Förderprogrammen und Projekten, aber auch zu einer Verschulung von Kindertageseinrichtungen geführt hat. Hinzu kommt, dass die meisten Eltern hohe Erwartungen an das Bildungsangebot und die individuelle Förderung ihrer Kinder haben. Sie kennen die durch Medien weit verbreiteten Erkenntnisse der Hirnforschung, der Lern- und der Entwicklungspsychologie über die Bedeutung der frühen Kindheit für den späteren Schulerfolg.
Die Zusammenarbeit mit den Eltern wird aber nicht nur aufgrund der hohen Erwartungen und der weiter oben genannten Delegation von Erziehungsverantwortung schwierig sein. Aufgrund der langen und unterschiedlichen Arbeitszeiten der Eltern und der flexiblen Öffnungszeiten der Kindertageseinrichtungen wird auch die Beziehung zwischen Erzieher/innen und Eltern schwächer werden: Schon jetzt ergeben sich kaum noch Gelegenheiten für Tür- und Angelgespräche, denen vor allem eine beziehungsaufbauende Funktion zukommt. In den nächsten Jahren werden Eltern auch immer seltener zu Elternveranstaltungen kommen, da sie dann noch arbeiten, auf dem Heimweg sind oder sich aufgrund des Leistungsdrucks so ausgepowert fühlen, dass sie nur noch zu Hause ausspannen wollen. Entweder müssen dann Angebote für Eltern - einschließlich von Termingesprächen - auf das Wochenende verlegt werden oder Erzieher/innen müssen mehr Gebrauch von Telefon, Smartphone, Emails, Newslettern, Websites und Blogs machen, um zum einen Eltern allgemein über ihre pädagogische Arbeit zu informieren und um zum anderen sich mit ihnen über ihr Kind und seine Entwicklung auszutauschen.
Schon jetzt ist der auf Erzieher/innen lastende Leistungsdruck sehr groß - und wird in den kommenden Jahren noch größer werden. Aufgrund der vielen (neuen) Aufgaben bleibt tendenziell immer weniger Zeit für das einzelne Kind. Schon seit langem entsprechen die Qualifikation der Fachkräfte, Rahmenbedingungen wie Gruppengröße oder Erzieherin-Kind-Relation sowie die Zeitkontingente für die Vorbereitung von Bildungsangeboten, Teambesprechungen, Gesprächen mit Eltern oder die Kooperation mit Schulen und psychosozialen Diensten nicht mehr den gestiegenen Anforderungen. So ist es nicht verwunderlich, dass die pädagogische Qualität der weitaus meisten Kindertageseinrichtungen mittelmäßig ist, wie zuletzt bei der "Nationalen Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit" (NUBBEK) herausgefunden wurde (Tietze et al. 2012). Weniger als 10% der Betreuungsangebote waren von guter und deutlich mehr als 10% von unzureichender Qualität - und wir wissen schon seit Mitte der 1990er Jahre, dass bei der Einschulung Kinder aus "guten" Kindergärten in ihrer Entwicklung Kindern aus "schlechten" Kindergärten um ein ganzes Jahr voraus sein können (Tietze 1998).
Derzeit gibt es viele Unterschiede zwischen Kindertagesstätten in (Groß-) Städten und auf dem Land sowie zwischen kommunalen, freigemeinnützigen, betrieblichen und privaten Tageseinrichtungen. Oft ist die pädagogische Qualität in kommerziellen und Betriebskitas größer, da dank der höheren Elternbeiträge und der Zuschüsse des jeweiligen Unternehmens bessere Rahmenbedingungen gewährleistet werden können. Hier sind besonders viele Kinder aus Familien der (oberen) Mittelschicht zu finden. Kinder aus armen Familien, mit seit langem arbeitslosen Eltern oder aus sozialen Brennpunkten ballen sich hingegen in einzelnen (kommunalen) Einrichtungen.
Für die kommenden Jahre wird von großer Bedeutung sein, ob es gelingt, die hier angedeuteten Probleme den Verantwortlichen in Politik und Verwaltung bewusst zu machen. Es muss ihnen verdeutlicht werden, dass Kindertageseinrichtungen inzwischen die wichtigsten Sozialisationsinstanzen im Kleinkindalter geworden sind - hier findet der größere Teil der frühkindlichen Entwicklung, Erziehung und Bildung statt. Nur wenn der mit der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz ab dem ersten Lebensjahr verbundene quantitative Ausbau des Kita-Bereiches durch Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung und -sicherung ergänzt wird und hierfür die entsprechenden Mittel zur Verfügung gestellt werden, können Erzieher/innen den zuvor skizzierten Anforderungen gerecht werden.
Konsequenzen für die "klassische" Kinder- und Jugendhilfe
In den kommenden Jahren wird die Kinder- und Jugendhilfe (ab hier ohne Berücksichtigung von Kindertageseinrichtungen) wahrscheinlich mit noch mehr überforderten und gestressten Eltern konfrontiert werden - und das zu einer früheren Zeitpunkt als heute: So tritt Erziehungsunsicherheit immer häufiger schon bei Eltern mit Kleinkindern auf, für die oft schon ihr Baby ein "unbekanntes Wesen" bleibt, das sie nicht verstehen. In Zukunft wird der Elternbildung und den Frühen Hilfen eine eher noch größere Bedeutung als heute zukommen; entsprechende Netzwerke werden weiter ausgebaut werden (müssen). Familien mit etwas älteren Kindern werden häufig(er) einer Beratung, eventuell auch einer intensiveren Unterstützung bedürfen, wenn die Beziehungen zwischen den Mitgliedern nur schwach ausgeprägt sind und kaum miteinander kommuniziert wird, wenn Erziehungsschwierigkeiten auftreten und es oft zu Konflikten kommt.
Die Kinder- und Jugendhilfe wird auch weiterhin viel mit Kindern und Jugendlichen aus Scheidungsfamilien zu tun haben. Sie wird nicht nur Beratung und Unterstützung in der Trennungssituation anbieten müssen, sondern zunehmend auch in den Jahren danach - da geschiedene Eltern seit der Kindschaftsrechtsreform in der Regel die gemeinsame Sorge behalten, können fortwährende Konflikte zwischen ihnen die Entwicklung ihrer Kinder über einen langen Zeitraum hinweg beeinträchtigen.
Die Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe werden vermehrt Kleinkinder behandeln, da diese aufgrund der weiter oben skizzierten Familien- und Betreuungssituation häufiger Verhaltensauffälligkeiten entwickeln werden - aber auch dank der in Kindertageseinrichtungen verwendeten Screeningverfahren frühzeitig identifiziert werden. Da mehr Probleme älterer Kinder in den Schulen dank neuer Unterstützungssysteme aufgefangen werden dürften (z.B. durch Beratungslehrer/innen, Schulsozialarbeiter/innen, Schulpsycholog/innen oder den Einsatz von Förderschullehrer/innen, insbesondere in inklusiven Klassen), wird es die Kinder- und Jugendhilfe vor allem mit "schweren" Fällen zu tun bekommen (z.B. Drogenmissbrauch, Komasaufen, Verwahrlosung, Gewalttätigkeit, Kriminalität). Damit werden die Anforderungen an die therapeutischen Kompetenzen der Fachkräfte steigen.
Eine eher noch wachsende Klientengruppe werden ältere Kinder und Jugendliche bilden, die unter Leistungsdruck und Schulstress oder unter Überforderung aufgrund zu früher Selbständigkeitserwartungen leiden. Hier werden die Fachkräfte mit Schulangst und -verweigerung, psychosomatischen Störungen, mangelnder Konzentrationsfähigkeit und der Abhängigkeit von Psychopharmaka und Mitteln für Hirndoping (die teilweise noch in Entwicklung sind) konfrontiert werden.
Die Mitarbeiter/innen der Kinder- und Jugendhilfe werden sich auch vermehrt mit dem Medienkonsum von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden befassen müssen: Sie werden bei Computer- und Glücksspielsucht konsultiert werden und mit "erworbenen Aufmerksamkeitsstörungen", "E-Persönlichkeiten" und "multiplen Persönlichkeiten" zu tun bekommen. Auch werden sie Kindern und Jugendlichen helfen müssen, die Opfer von "Cyber-Mobbing", "Sexting" oder gar "Happy Slapping" geworden sind oder die im Internet gezielt von Erwachsenen angesprochen wurden, die sich dann mit ihnen getroffen und sie sexuell missbraucht haben.
Jugendliche und Heranwachsende werden vermehrt der Sexualaufklärung und -beratung bedürfen, wenn sie aufgrund des häufigen Pornografiekonsums (durch die eigene Person und/oder den Partner) hinsichtlich ihrer sexuellen Fähigkeiten verunsichert sind, falls von ihnen abgelehnte Praktiken ausgeübt werden sollen oder wenn ihre emotionalen Bedürfnisse nicht befriedigt werden, weil der Partner immer gleich zum Geschlechtsakt übergeht.
Die Kinder- und Jugendhilfe wird es mit immer mehr Klient/innen aus Familien mit Migrationshintergrund zu tun bekommen, deren Sprache von den zuständigen Fachkräften nicht verstanden wird und deren Heimatland, Kultur, Religion, Rollenleitbilder, Erziehungsvorstellungen usw. unbekannt sind - und selbst eine Internetrecherche nur wenige relevante Informationen erbringt. Die Schwierigkeiten werden bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen noch größer sein, weil diese ganz alleine und oft stark traumatisiert sind. So werden regionale und landesweite Dolmetscherdienste aufgebaut werden (müssen), die auch "exotische" Sprachen abdecken können. Ihr Einsatz wird oft über das Internet erfolgen (z.B. via Skype), da die Dolmetscher/innen für (kurze) Gespräche nicht anreisen können. Sinnvoll dürfte es auch sein, für größere Migrantengruppen besondere Websites aufzubauen, wo sie relevante Informationen in ihrer Heimatsprache vorfinden - und möglichst auch von einer Fachkraft online beraten werden können, die ihre Sprache spricht.
Aber auch sozial schwache Familien werden weiterhin eine große Klientengruppe bilden. Wie Familien mit Migrationshintergrund nutzen sie von sich aus kaum präventive und ambulante Hilfen. So werden für beide Zielgruppen verstärkt zugehende Angebote der Elternbildung und Beratung geschaffen werden (müssen). Seit vielen Jahren gibt es z.B. positive Erfahrungen mit Hausbesuchsprogrammen wie "HIPPY", "Opstapje", "Rucksack" und "Griffbereit", die bisher aber nur in einigen wenigen Jugendamtsbezirken zu finden sind. Sie werden teilweise von Ehrenamtlichen durchgeführt, die natürlich entsprechend geschult und begleitet werden müssen. Daneben gibt es aufsuchende Angebote wie z.B. Erziehungsbeistandschaft und Sozialpädagogische Familienhilfe, die vermutlich an Bedeutung gewinnen werden - zumal die erstgenannte Maßnahme sogar relativ wenig Kosten verursacht.
In den kommenden Jahren werden präventive und ambulante Angebote wahrscheinlich zunehmend dort gemacht werden, wo alle Kinder und Eltern - egal ob hilfebedürftig oder nicht - anzutreffen sind und wo insbesondere sozial schwache Familien und solche mit Migrationshintergrund erreicht werden können. Hier ist vor allem an Kindertagesstätten und Schulen zu denken. Dort können erstens sucht- und gewaltpräventive Programme angeboten werden, die bereits vor vielen Jahren entwickelt und hinsichtlich ihrer Wirkungen wissenschaftlich evaluiert wurden. Zweitens könnten hier Kinder und Jugendliche durch Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe unterstützt werden, die von ihren Eltern nie in einer Frühförder- bzw. Beratungsstelle oder gar im Jugendamt vorgestellt werden würden. Positive Erfahrungen mit mobilen Diensten liegen seit langem vor - allerdings gibt es derzeit diese Angebote nur sporadisch. Drittens können in Kindertagesstätten und Schulen auch Eltern von Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe erreicht werden, entweder im Einzelfall dank der Vermittlung durch Erzieher/innen, Lehrer/innen und Schulpsycholog/innen oder als Gruppe durch eigene Angebote wie z.B. die Mitwirkung an Elternabenden, die Leitung eines Gesprächskreises zu Erziehungsfragen oder eine offene Beratungsgruppe. Eine Fachkraft könnte auch regelmäßig in der Bildungseinrichtung präsent sein (wie z.B. in den nordrhein-westfälischen Kindertagesstätten, die zu Familienzentren ausgebaut wurden) und dann von hilfebedürftigen Eltern konsultiert werden. Viertens wird sicherlich die Schulsozialarbeit ausgebaut werden.
Aber auch mit den Erzieher/innen und Lehrer/innen selbst werden die Mitarbeiter/innen der Kinder- und Jugendhilfe wahrscheinlich in Zukunft enger zusammenarbeiten. Zum einen werden sie diese fortbilden, z.B. über den Umgang mit traumatisierten Flüchtlingskindern oder mit verhaltensauffälligen, behinderten und psychisch kranken Kindern (zwecks Umsetzung der politischen Vorgabe "Inklusion"), über das richtige Verhalten bei ethnischen Konflikten oder (Cyber-) Mobbing sowie zur Vermittlung von Kompetenzen in Bereichen wie Gesprächsführung, Elternberatung und Familienbildung. Zum anderen werden sie die Pädagog/innen vermutlich häufiger hinsichtlich eines Einzelfalls beraten oder ihnen sogar eine Supervision ermöglichen. Aber auch bei Kindern und Jugendlichen, die in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe beraten oder behandelt werden, macht es Sinn, mit deren Erzieher/innen bzw. Lehrer/innen zusammenzuarbeiten - wenn alle "an einem Strang ziehen", ist die Erfolgswahrscheinlichkeit einer Jugendhilfemaßnahme größer...
In den kommenden Jahren werden Jugendämter, Beratungsstellen, Kindertageseinrichtungen, Schulen, Gesundheitswesen, niedergelassene Therapeut/innen, Frühförderung, Familienhebammen und andere für Familien relevante Dienste wahrscheinlich noch besser miteinander vernetzt werden. Dann könnten auch bisher auf ein bestimmtes Alter begrenzte Hilfen leichter miteinander verzahnt werden, also z.B. eine Maßnahme der Frühförderung nach der Einschulung an der Grundschule von mobilen Förderlehrer/innen fortgeführt werden.
Für die Mitarbeiter/innen der Kinder- und Jugendhilfe wird es immer schwieriger werden, während der üblichen Öffnungszeiten ihrer Einrichtungen Eltern, Kinder und Jugendliche zu erreichen, da diese vollerwerbstätig sind bzw. den ganzen Tag lang eine Kindertagesstätte bzw. Schule besuchen. So werden sich eine längerfristige Beratung oder ambulante Behandlung von Kindern und Jugendlichen nur unter großen Schwierigkeiten planen lassen. Deshalb werden die Fachkräfte vermehrt am frühen Abend arbeiten und häufiger von Telefon, Smartphone und Emails Gebrauch machen müssen. Auch wird Websites, Foren, Chats und sozialen Netzwerken eine immer größere Bedeutung zukommen - entweder um hier online zu beraten (auch anonym) oder um für Eltern und Jugendliche relevante Informationen anzubieten (über die kindliche Entwicklung, zu Erziehungsfragen, über Sexualität usw.).
Schlusswort
In der nahen Zukunft kommen auf Kindertagesstätten und Einrichtungen der "klassischen" Kinder- und Jugendhilfe viele neue Herausforderungen zu. Sie werden nur gemeistert werden können, wenn zusätzliche Mittel in diesen Bereich fließen. Überall fehlt Personal, müssten die Rahmenbedingungen verbessert und die Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität der Leistungen erhöht werden.
Alle im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe tätigen Fachkräfte und ihre "natürlichen Verbündeten" (die Familien) sollten gemeinsam den Druck auf Kommunal-, Landes- und Bundespolitiker/innen erhöhen, die benötigten Gelder zur Verfügung zu stellen. Die Zeit, in der dies noch erreicht werden könnte, wird immer knapper: In wenigen Jahren wird die öffentliche Hand die noch verfügbaren Mittel aufgrund der Bevölkerungsalterung vor allem für Senior/innen und Pflegebedürftige benötigen. Hinzu kommt, dass auch Deutschland in absehbarer Zeit die öffentlichen Schulden nicht weiter erhöhen kann - zumal aufgrund des Bevölkerungsrückgangs immer weniger Erwerbstätige diese Last tragen werden...
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