§ 16 Allgemeine Förderung der Erziehung in der Familie

Martin R. Textor

 

In einer Zeit des schnellen soziokulturellen Wandels, der Pluralisierung der Lebensformen, der zunehmenden Zahl von Beziehungsmustern und der Individualisierung bieten tradierte Leitbilder, Normen und Werte kaum noch Orientierung für die Gestaltung der Paarbeziehung und der Familienerziehung. Das Zusammenleben mit einem Partner und mit Kindern muss deshalb gelernt sowie eigenverantwortlich und individuell gestaltet werden. Auch die für die Haushaltsführung und die Bewältigung des Familienalltags notwendigen Fertigkeiten müssen erst erworben werden. Jedoch handelt es sich bei Partnerschaft und Familienleben um zwei der wenigen Lebensbereiche, für die eine Vorbereitung oder gar Qualifikation weder als notwendig noch als erforderlich angesehen wird. Dies verwundert umso mehr, wenn man bedenkt, dass ein großer Teil der Ehen scheitert, dass viele Eltern mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert sind und dass viele Kinder in ihren Familien Verhaltensauffälligkeiten und andere Störungen entwickeln. Familienerziehung gelingt besonders häufig dann nicht, wenn starke bzw. lang andauernde Belastungen hinzukommen.

Aufgrund dieser Situation kommt der allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie eine immer wichtiger werdende Funktion zu. Zentrale Rechtsgrundlage ist § 16 SGB VIII mit folgendem Wortlaut:

§ 16 Allgemeine Förderung der Erziehung in der Familie

(1) Müttern, Vätern, anderen Erziehungsberechtigten und jungen Menschen sollen Leistungen der allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie angeboten werden. Sie sollen dazu beitragen, dass Mütter, Väter und andere Erziehungsberechtigte ihre Erziehungsverantwortung besser wahrnehmen können. Sie sollen auch Wege aufzeigen, wie Konfliktsituationen in der Familie gewaltfrei gelöst werden können.

(2) Leistungen zur Förderung der Erziehung in der Familie sind insbesondere

1. Angebote der Familienbildung, die auf Bedürfnisse und Interessen sowie auf Erfahrungen von Familien in unterschiedlichen Lebenslagen und Erziehungssituationen eingehen, die Familie zur Mitarbeit in Erziehungseinrichtungen und in Formen der Selbst- und Nachbarschaftshilfe besser befähigen sowie junge Menschen auf Ehe, Partnerschaft und das Zusammenleben mit Kindern vorbereiten,

2. Angebote der Beratung in allgemeinen Fragen der Erziehung und Entwicklung junger Menschen,

3. Angebote der Familienfreizeit und der Familienerholung, insbesondere in belastenden Familiensituationen, die bei Bedarf die erzieherische Betreuung der Kinder einschließen.

(3) Müttern und Vätern sowie schwangeren Frauen und werdenden Vätern sollen Beratung und Hilfe in Fragen der Partnerschaft und des Aufbaus elterlicher Erziehungs- und Beziehungskompetenzen angeboten werden.

(4) Das Nähere über Inhalt und Umfang der Aufgaben regelt das Landesrecht.

Die ersten Worte von § 16 Abs. 1 SGB VIII verdeutlichen die anzusprechende Zielgruppe. Hierbei handelt es sich erstens um Mütter und Väter, wobei Väter nichtehelich geborener Kinder, aber auch Adoptivmütter und -väter eingeschlossen sind. Zweitens geht es um andere Erziehungsberechtigte, wobei mit diesem Begriff laut § 7 Abs. 1 Nr. 6 SGB VIII neben den Personensorgeberechtigten jede sonstige Person über 18 Jahren gemeint ist, "soweit sie auf Grund einer Vereinbarung mit dem Personensorgeberechtigten nicht nur vorübergehend und nicht nur für einzelne Verrichtungen Aufgaben der Personensorge wahrnimmt". Unter diesen Begriff fallen z.B. in der Regel nichteheliche Lebenspartner oder Stiefeltern. Damit wird der Lebenswirklichkeit mit der Vielzahl von Familienformen entsprochen. Drittens werden junge Menschen angesprochen, also Personen, die noch nicht 27 Jahre alt sind (§ 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII). Hiermit sind Kinder, Jugendliche und Heranwachsende sowohl in ihren Rollen als Familienmitglieder gemeint als auch beispielsweise als eine separate Zielgruppe der Familienbildung, die auf Partnerschaft, Ehe und Familie vorbereitet werden sollen (vgl. § 16 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII).

Dieser alle Eltern, alle anderen Erziehungsberechtigten und alle jungen Menschen umfassenden Zielgruppe "sollen Leistungen der allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie angeboten werden". Dieses Angebot wird an keinerlei Voraussetzungen und Bedingungen geknüpft (also nicht z.B. an einen erzieherischen Bedarf oder bestimmte Notsituationen) - eine in der Jugendhilfegesetzgebung neuartige Entwicklung. Hier wird deutlich, dass Familien generell in ihrer Funktion als Erziehungsinstanz gestärkt werden sollen - also unabhängig von der Familienform, der Schichtzugehörigkeit, dem Vorhandensein einer Problemlage usw. Laut § 16 Abs. 1 Satz 2, 3 SGB VIII sollen die Leistungen der allgemeinen Förderung der Familienerziehung dazu beitragen, dass Eltern und andere Erziehungsberechtigte "ihre Erziehungsverantwortung besser wahrnehmen" und "Konfliktsituationen in der Familie gewaltfrei" lösen können.

§ 16 Abs. 1 SGB VIII macht also deutlich, wie wichtig die Prävention in der Kinder- und Jugendhilfe genommen wird. Damit wird der veränderten Situation von Familien und den gestiegenen inner- und außerfamilialen Erwartungen an die Erziehung durch die Eltern Rechnung getragen. Zugleich wird die der Familie als Sozialisationsinstanz und zentraler Teil der kindlichen Lebenswelt zugesprochene Bedeutung offensichtlich: Das Kindeswohl steht im systematischen Zusammenhang zum Wohl der Familie.

Aus § 16 Abs. 1 SGB VIII geht hervor, dass es sich bei den Maßnahmen der allgemeinen Förderung der Familienerziehung um Soll-Leistungen handelt. Diese sind im Regelfall zu erbringen; im Fall der Ausnahme muss eine zwingende Begründung vorliegen. Der geringere Verpflichtungsgrad von Soll-Vorschriften im Vergleich zu Muss-Bestimmungen wirkt sich aber gerade im Bereich präventiver Maßnahmen oftmals negativ aus.

In § 16 Abs. 2 SGB VIII werden dann Leistungen zur allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie aufgelistet. Durch das Wort "insbesondere" wird verdeutlicht, dass die Aufzählung der in Nrn. 1 bis 3 genannten Maßnahmen nicht erschöpfend ist und durch andere Angebote erweitert werden kann.

Mit § 16 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII wurde erstmals die Familienbildung bundeseinheitlich als Teil des Leistungskatalogs der Jugendhilfe rechtlich verankert. Sie soll "auf Bedürfnisse und Interessen sowie auf Erfahrungen von Familien in unterschiedlichen Lebenslagen und Erziehungssituationen eingehen". Damit wird erneut betont, dass alle Familien anzusprechen sind und dadurch der Pluralisierung der Familienformen, der Ausdifferenzierung der Lebenswelten und der Individualisierung Genüge getan werden soll. Das bedeutet zugleich, dass die Angebote der Familienbildung teilnehmerorientiert sein sollen, also die Wünsche, Bedürfnisse und Interessen der jeweils anwesenden Familienmitglieder berücksichtigen müssen.

Ferner soll Familienbildung "die Familie zur Mitarbeit in Erziehungseinrichtungen" befähigen. Bei den hier in Frage kommenden Angeboten müssen die von Kindertageseinrichtungen und Schulen ausgehenden Erziehungs- und Bildungseinflüsse, die Situation und Probleme der Kinder in diesen Institutionen und die von ihnen und ihren Eltern gesammelten Erfahrungen beachtet werden. Die Befähigung zur Mitarbeit setzt aber voraus, dass Kindertagesstätten und Schulen eine solche Mitarbeit von Familien - also Eltern und Kindern - überhaupt zulassen. So müssen die Teilnehmer/innen an relevanten Familienbildungsveranstaltungen nicht nur über ihre im SGB VIII (insbesondere § 22 a Abs. 2, letzter Satz, § 8 SGB VIII), in Schulgesetzen und anderen landesrechtlichen Regelungen genannten Rechte informiert, zu deren Durchsetzung vor Ort motiviert und über ihren Bedürfnissen entsprechende Mitarbeitsformen unterrichtet werden, sondern es müssen unter Umständen von den politisch Verantwortlichen auch weitere oder umfassendere Mitarbeitsrechte eingefordert werden.

Außerdem sollen Familien laut § 16 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII durch Familienbildung besser zur Mitarbeit "in Formen der Selbst- und Nachbarschaftshilfe" befähigt werden. Dies setzt voraus, dass die im Einzugsbereich des jeweiligen Anbieters von Familienbildung und die im weiteren Umkreis vorhandenen Selbsthilfegruppen, Elterninitiativen, Mütter- und Familienzentren, Mehrgenerationenhäuser, Angehörigengruppen und anderen Formen der Nachbarschaftshilfe bekannt sind. Die Familienbildung soll aber nicht nur über solche Angebote informieren oder diese vermitteln, sondern auch zur Mitarbeit befähigen. Das umfasst die Vermittlung relevanter Kenntnisse und Fertigkeiten, die im Einzelfall z.B. Bereiche wie Rechtsgrundlagen, Gruppendynamik oder Kommunikationsverhalten tangieren können.

Schließlich sollen junge Menschen durch Angebote der Familienbildung "auf Ehe, Partnerschaft und das Zusammenleben mit Kindern" vorbereitet werden. Da der Gesetzgeber hier den Begriff "junge Menschen" anstatt von "Jugendlichen" oder "jungen Volljährigen" wählte, muss davon ausgegangen werden, dass er alle Altersgruppen vom Kleinkind bis zum 26-Jährigen meint (§ 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII). Für die erfolgreiche Ausgestaltung späterer Partner-, Ehegatten- und Elternrollen notwendigen Kenntnisse, Kompetenzen, Einstellungen, Werte, Leitbilder usw. sollen also von jungen Menschen jeder Altersstufe mit Hilfe von Familienbildung erworben werden. Hierzu gehören z.B. soziale, kommunikative und Konfliktlösefertigkeiten, Haltungen gegenüber dem anderen Geschlecht, die Fähigkeit zu Intimität und ein entwicklungspsychologisches Grundwissen. Erste Grundlagen können schon im Kindergartenalter vermittelt werden.

Erziehungsprozesse sind ihrer Natur nach wertegebunden. Familienbildung ist daher durch eine Vielzahl von Trägern sowie durch vielfältige Inhalte, Methoden und Arbeitsformen gekennzeichnet (vgl. § 3 Abs. 1 SGB VIII), entspricht dem Subsidiaritätsprinzip durch das Vorherrschen von Trägern der freien Jugendhilfe (§ 4 Abs. 1, 2 SGB VIII) und gewährleistet durch ihre Vielfalt das Wunsch- und Wahlrecht von Erziehungsberechtigten und jungen Menschen (§ 5 SGB VIII). Zu den Anbietern gehören nicht nur Familienbildungsstätten, sondern z.B. auch Jugendämter, Erwachsenenbildungseinrichtungen, Kirchen, Mütter- bzw. Familienzentren, Selbsthilfegruppen und Kindertagesstätten.

Die große Bedeutung von Volkshochschulen, Bildungswerken und anderen Erwachsenenbildungseinrichtungen als Anbieter von Familienbildung sowie die Tatsache, dass in einzelnen Bundesländern Familienbildung zum Teil in Erwachsenenbildungsgesetzen geregelt wird, verdeutlichen eine gewisse Überschneidung von Jugendhilfe (Zuständigkeit des Bundes) und Bildungswesen (Kulturhoheit der Länder) in diesem Bereich. Dem entsprechen auf Länderebene Zuständigkeitskonflikte zwischen Kultusministerien (Familienbildung als Teil der Erwachsenenbildung), Sozialministerien (Familienbildung als Teil der Jugendhilfe) und - falls vorhanden - Frauenministerien (Familienbildung als Frauenbildung; die weitaus meisten Teilnehmer an Familienbildungsangeboten sind weiblich). Obwohl sich viele Familienbildungsangebote durchaus dem einen oder dem anderen Bereich zuordnen ließen (z.B. würden Seminare für ältere Paare ohne Kinder oder für Eltern mit erwachsenen Kindern, Kurse zur Vorbereitung der Wiedereingliederung von Müttern in die Arbeitswelt oder kulturelle Angebote in den Bereich der Erwachsenenbildung fallen), werden sie in der (Förder-) Praxis nicht auseinander dividiert. Es ist aber festzuhalten, dass Familienbildungsangebote nur dann der Jugendhilfe zugeordnet werden können, wenn sie zumindest indirekt den Intentionen von §§ 1 und 16 SGB VIII genügen.

In § 16 Abs. 2 Nr. 2 SGB VIII werden als weitere Leistung zur Förderung der Erziehung in der Familie "Angebote der Beratung in allgemeinen Fragen der Erziehung und Entwicklung junger Menschen" genannt. Diese unspezifizierte präventive Leistung bezieht nicht nur Eltern, alle anderen Erziehungsberechtigten und die jungen Menschen als Leistungsberechtigte ein, sondern auch alle Träger der freien und öffentlichen Jugendhilfe als Leistungserbringer. Deren Mitarbeiter/innen (z.B. Erzieher/innen, Sozialpädagog/innen, Psycholog/innen, Heilpädagog/innen) sollen also bei Bedarf Beratung in allgemeinen Fragen der Erziehung und Entwicklung junger Menschen leisten. Dabei können sie mit der institutionellen Beratung kooperieren, was auch zur Qualifizierung der von ihnen zu leistenden funktionalen Beratung beitragen kann.

Die in § 16 Abs. 2 Nr. 2 SGB VIII angesprochene allgemeine Form der Beratung darf also nicht Beratungsstellen zugeordnet werden (obwohl diese sie auch leisten können), sondern muss als Teil des fachlich-sozialpädagogischen Handelns aller Jugendhilfeeinrichtungen verstanden werden. Sie ist somit z.B. von Erziehungsberatung nach § 28 SGB VIII, der Beratung in Fragen der Partnerschaft, Trennung und Scheidung nach § 17 SGB VIII sowie der Beratung und Unterstützung bei der Ausübung der Personensorge und des Umgangsrechts nach § 18 SGB VIII abzugrenzen. Sie ist gleichfalls von Jugendberatung im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 6 SGB VIII zu unterscheiden, die ein Schwerpunkt der Jugendarbeit ist und Eltern in der Regel nicht einbezieht.

Beratung im Sinne des § 16 Abs. 2 Nr. 2 SGB VIII ist vielmehr eine unbestimmte Pflichtleistung, die normalerweise in situativer Angebotsform erbracht wird. Sie dient der Stärkung der Familie als Erziehungsinstanz und umfasst somit z.B. die Vermittlung gewünschter oder relevanter entwicklungspsychologischer und pädagogischer Kenntnisse, die Beeinflussung erzieherischer Haltungen, die Lösung einfacher Erziehungsprobleme und die Klärung von Fragen bezüglich der Entwicklung junger Erwachsener, die von diesen bzw. ihren Eltern gestellt werden. Auch die funktionale Beratung hat fachlichen Anforderungen zu genügen; die Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe müssen hierfür ausgebildet und weiterqualifiziert werden.

Dasselbe gilt für die "Beratung und Hilfe in Fragen der Partnerschaft und des Aufbaus elterlicher Erziehungs- und Beziehungskompetenzen", die Müttern und Vätern sowie schwangeren Frauen und werdenden Vätern laut § 16 Abs. 3 SGB VIII angeboten werden sollen. Dieser Absatz wurde durch Art. 2 Pkt. 7 Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG), das am 1. Januar 2012 in Kraft trat, in das SGB VIII eingefügt. Mit diesem Gesetz sollen Prävention und Intervention im Kinderschutz verbessert werden, indem leicht zugängliche Hilfen für Eltern vor und nach der Geburt und in den ersten Lebensjahren ihres Kindes flächendeckend angeboten werden. Dies soll insbesondere durch Familienhebammen sowie im Rahmen der Netzwerke "Frühe Hilfen" geschehen, in denen Jugend- und Gesundheitsämter, Krankenhäuser, Ärzt/innen, Schwangerschaftsberatungsstellen, Polizei und andere Institutionen miteinander kooperieren.

Ergänzend dazu sollen alle Mitarbeiter/innen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe, die mit jungen Eltern, schwangeren Frauen und werdenden Vätern zu tun haben (z.B. Erzieher/innen in Krippen und Kindergärten oder Fachkräfte im ASD), bei Bedarf beratend und unterstützend tätig werden (§ 16 Abs. 3 SGB VIII). Durch die Stärkung der Paarbeziehung und der Eltern-Kind-Bindung sowie durch die Verbesserung pflegerischer und erzieherischer Kompetenzen soll auch der Kinderschutz gewährleistet werden. Bei größeren Problemen sind den Erwachsenen die Angebote im Rahmen der Netzwerke "Frühe Hilfen" zu erschließen (im Falle einer Kindeswohlgefährdung siehe § 6a SGB VIII). Hier gilt § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG): "Eltern sowie werdende Mütter und Väter sollen über Leistungsangebote im örtlichen Einzugsbereich zur Beratung und Hilfe in Fragen der Schwangerschaft, Geburt und der Entwicklung des Kindes in den ersten Lebensjahren informiert werden". Es muss somit aktiv auf (werdende) Eltern zugegangen werden, um sie über Unterstützungsangebote vor Ort zu unterrichten.

In § 16 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII werden als weitere Leistungen zur Förderung der Familienerziehung "Angebote der Familienfreizeit und der Familienerholung" genannt. Mit Familienfreizeit sind eher kurzfristige Maßnahmen gemeint, an denen zumeist alle Familienmitglieder teilnehmen und die jeweils mehrere Familien einbeziehen. Sie dienen der Entspannung, der körperlichen Betätigung, dem Spiel, der Pflege von Hobbys oder der Durchführung anderer Freizeitaktivitäten im Kreise Gleichgesinnter. Im Gegensatz hierzu werden mit Familienerholung längerfristige Maßnahmen bezeichnet, die zumeist in Feriengebieten erfolgen und es Familien ermöglichen, zusammen mit anderen Familien einen eher preisgünstigen Urlaub in einer kinderfreundlichen Umgebung zu verbringen. Hier können die Familien in der Regel selbst über ihre Zeit bestimmen, den Tagesablauf festlegen und dabei entsprechend ihrer Bedürfnisse Aktivität und Ruhe, Spiel und Gespräch mit anderen mischen. Sie steuern, ob und inwieweit sie etwas gemeinsam mit anderen Familien unternehmen wollen. Die Teilnahme an den vom Veranstalter durchgeführten Freizeitprogrammen, die manchmal auch Bildungs- und Beratungsangebote umfassen, ist in der Regel freiwillig. Anbieter von Maßnahmen der Familienfreizeit bzw. -erholung sind zumeist freie Träger der Jugendhilfe, aber auch Kirchen, Jugendämter und Vereine. Die Pluralität der Veranstalter entspricht dem Subsidiaritätsprinzip und gewährleistet das Wunsch- und Wahlrecht der Familien (§§ 4, 5 SGB VIII).

Laut § 16 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII sollen Angebote der Familienfreizeit oder der Familienerholung "insbesondere in belastenden Familiensituationen" erfolgen. Damit sind alle denkbaren Belastungen gemeint, z.B. Trennung, Scheidung, Alleinerzieherschaft, Arbeitslosigkeit, Armut oder Betreuung eines behinderten Kindes. Das Wort "insbesondere" verdeutlicht aber, dass das Angebot von Familienfreizeit und -erholung nicht auf solche Fälle beschränkt werden muss. Ferner wird im Gesetzestext festgelegt, dass diese Maßnahmen "bei Bedarf die erzieherische Betreuung der Kinder einschließen" können. Damit soll Eltern, insbesondere in belastenden Familiensituationen, die Möglichkeit geboten werden, sich zu erholen und zu entspannen, ohne Betreuungsaufgaben wahrnehmen zu müssen. Das Angebot kann aber auch dann erfolgen, wenn Eltern an Kursen, Gesprächskreisen oder Seminaren teilnehmen wollen, die vom Träger der Familienfreizeit oder Erholungsmaßnahme durchgeführt werden. Die Wortwahl "erzieherische Betreuung" seitens des Gesetzgebers verdeutlicht, dass das Kindeswohl zu gewährleisten und die Entwicklung der Kinder von den Betreuer/innen zu fördern ist.

Maßnahmen der Familienerholung müssen von der Kinder- und Jugenderholung nach § 11 Abs. 3 Nr. 5 SGB VIII abgegrenzt werden, die Schwerpunkte der Jugendarbeit sind und Eltern nicht einbeziehen. Ferner sind sie von Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge wie Müttergenesung oder Mutter-Kind-Kuren zu unterscheiden, die ärztlich verordnet sind und deren Kosten größtenteils von Krankenkassen, der Rentenversicherung oder eines sonstigen Sozialleistungsträgers abgedeckt werden. Hier kommt zu den familiären Belastungen in der Regel eine Beeinträchtigung des körperlichen und seelischen Gesundheitszustandes hinzu, die medizinische und psychologische Maßnahmen notwendig macht.

Laut § 16 Abs. 4 SGB VIII sollen "Inhalt und Umfang" der Leistungen zur Förderung der Erziehung in der Familie durch die Länder geregelt werden. Dieser Landesrechtsvorbehalt ermöglicht es den Bundesländern, Vorschriften zur Organisation, personellen Ausstattung und finanziellen Förderung der Maßnahmen zu erlassen und die konkreten Rechtsverpflichtungen der öffentlichen Träger der Jugendhilfe festzulegen. Verwaltungsvorschriften von Länderministerien zur Familienbildung regeln zumeist deren Ziele und Inhalte, Voraussetzungen und Umfang der Förderung, Antragstellung und Abrechnungsmodalitäten. Die Förderung erfolgt nach ganz unterschiedlichen Regelungen, insbesondere nach Landesgesetzen zur Erwachsenen- und Weiterbildung sowie ergänzenden Vorschriften zur Förderung bestimmter Angebote und Personenkreise. Sie orientiert sich dementsprechend zumeist an Kriterien für Kursangebote der Erwachsenenbildung, also z.B. an Teilnehmerdoppelstunden. Dadurch wird aber die besondere Situation der Familienbildung - wie eher kleine Gruppen bzw. Gesprächskreise oder die Notwendigkeit einer Kinderbetreuung - zu wenig berücksichtigt. Angebote wie offene Treffpunkte oder Maßnahmen für bestimmte Zielgruppen (z.B. Pflegefamilien, Familien mit Migrationshintergrund) werden oft nicht gefördert. Auch ist die Landesförderung vielfach auf Erwachsenenbildungseinrichtungen wie Volkshochschulen und Bildungswerke sowie Familienbildungsstätten beschränkt; Angebote der Familienselbsthilfe, von Kindertageseinrichtungen und Jugendämtern sowie besondere Programme (z.B. Elterntrainings, Hausbesuchsprogramme) bleiben unberücksichtigt.

Die Verwaltungsvorschriften der Landesministerien für Familienfreizeit und Familienerholung regeln Zweck und Art zuschussfähiger Maßnahmen, den berechtigten Personenkreis, Art und Höhe der Zuschüsse, Antragstellung, Zahlung und Abrechnung sowie den Verwendungsnachweis. Die Regelungen für Individualzuschüsse sind von Bundesland zu Bundesland höchst unterschiedlich. Dies betrifft z.B. die Höhe der Einkommensgrenzen und der Zuschüsse, die entweder für alle Familienmitglieder oder nur für die Kinder gezahlt werden, die Mindest- oder Höchstdauer der Maßnahme, das Antragsverfahren und die zuständigen Stellen. Einige Länder staffeln die Zuschüsse nach Zahl der Kinder, bezuschussen Alleinerziehende, Sozialhilfeempfänger oder behinderte Kinder mit höheren Beträgen, leisten zusätzliche Reisekostenzuschüsse oder fördern Referent/innen und sozialpädagogische Betreuer/innen separat. Die Bezuschussung erfolgt in der Regel nach Maßgabe vorhandener Haushaltsmittel. Das bedeutet, dass vielfach berechtigte Familien keine Zuschüsse erhalten, weil die Landesmittel bereits verbraucht sind. Zu der durch unterschiedliche Länderrichtlinien bedingten Ungerechtigkeit kann somit noch die Ungleichbehandlung von Familien im jeweiligen Land kommen, bedingt durch fehlende Rechtsansprüche. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet - immerhin ein Verfassungsgebot (Art. 72 Abs. 2 GG) - ist somit eine noch zu realisierende Zielperspektive.

Die Anbieter von Maßnahmen zur allgemeinen Förderung der Familienerziehung können nach § 90 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII auch Teilnahmebeiträge oder Gebühren zur Deckung ihrer Kosten erheben. Diese können nach Abs. 2 "auf Antrag ganz oder teilweise erlassen oder ein Teilnahmebeitrag auf Antrag ganz oder teilweise vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe übernommen werden, wenn 1. die Belastung a) dem Kind oder dem Jugendlichen und seinen Eltern oder b) dem jungen Volljährigen nicht zuzumuten ist und 2. die Förderung für die Entwicklung des jungen Menschen erforderlich ist". Auch können z.B. die Kirchen Einrichtungen und Angebote der Familienbildung und -erholung bezuschussen.

Eine besondere Rolle spielen in diesem Kontext die Kreis- und Stadtjugendämter bzw. Landkreise und kreisfreien Städte, die neben den überörtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe die Gesamtverantwortung einschließlich der Planungsverantwortung für die Jugendhilfe haben (§ 79 Abs. 1 SGB VIII) sowie die freie Jugendhilfe fördern sollen (§ 74 SGB VIII), die - wie erwähnt - die meisten Leistungen nach § 16 SGB VIII anbietet. Ferner sollen sie "die verschiedenen Formen der Selbsthilfe stärken" (§ 4 Abs. 3 SGB VIII), die ebenfalls derartige Angebote machen. Art und Höhe der Förderung sind je nach Träger der öffentlichen Jugendhilfe unterschiedlich. So werden z.B. Individualzuschüsse geleistet, Teilnahmebeiträge entsprechend § 90 Abs. 2 SGB VIII übernommen, Betriebs- und Personalkosten der Maßnahmeträger bezuschusst und Kinderbetreuungskosten erstattet, aber z.B. auch Räume kostenlos zur Verfügung gestellt. Da alle Maßnahmen nach § 16 SGB VIII Soll-Leistungen sind, auf die kein subjektiv-öffentlicher Rechtsanspruch - wie etwa auf Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege nach § 24 SGB VIII oder auf Hilfen zur Erziehung nach §§ 27 ff. SGB VIII - besteht, hängt die Höhe der Förderung stark von den verfügbaren Haushaltsmitteln ab, über die der Träger "nach pflichtgemäßem Ermessen" entscheidet (§ 74 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII). Damit ist dieser Bereich bei der derzeitigen Kassenlage der örtlichen und überörtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe durch Einsparungen bedroht oder von ihnen bereits betroffen - zumal der Handlungsdruck für die Kommunalpolitik vor allem aus dem Rechtsanspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege (§ 24 SGB VIII) und aus den Kosten durch (stationäre) Hilfen zur Erziehung (nach §§ 27 ff. SGB VIII) resultiert. Damit besteht eine Diskrepanz zwischen dem behaupteten hohen Stellenwert der in § 16 SGB VIII genannten präventiven Leistungen und ihrem geringen Anspruchsgehalt bzw. der Höhe ihrer Förderung.

Im Rahmen ihrer Gesamtverantwortung sollen die Träger der öffentlichen Jugendhilfe auch gewährleisten, dass die zur Erfüllung der Aufgaben nach dem SGB VIII "erforderlichen und geeigneten Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen den verschiedenen Grundrichtungen der Erziehung entsprechend rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen" (§ 79 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII), wozu auch die Leistungen nach § 16 SGB VIII gehören. Durch Jugendhilfeplanung müssen sie den Bedarf an solchen Einrichtungen und Diensten ermitteln und "die zur Befriedigung des Bedarfs notwendigen Vorhaben rechtzeitig und ausreichend" planen (§ 80 Abs. 1 SGB VIII). In allen Phasen der Jugendhilfeplanung haben sie die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe frühzeitig zu beteiligen (§ 80 Abs. 3 SGB VIII). Betreiben diese geeignete Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen - durch die z.B. der Bedarf an Leistungen nach § 16 SGB VIII abgedeckt wird - oder können sie solche rechtzeitig schaffen, soll die öffentliche Jugendhilfe von eigenen Maßnahmen absehen (§ 4 Abs. 2 SGB VIII). Generell soll sie die Tätigkeit freier Träger auf diesem Gebiet anregen (§ 74 Abs. 1 SGB VIII).

Es ist jedoch festzustellen, dass in den Jugendhilfeplanungen der Kommunen die Familienbildung und andere Leistungen zur allgemeinen Förderung der Familienerziehung kaum berücksichtigt werden. Auch sind die Träger entsprechender Maßnahmen nur selten in den Jugendhilfeausschüssen vertreten. Schließlich wird von der Möglichkeit der Bildung von Arbeitsgemeinschaften nach § 78 SGB VIII kaum Gebrauch gemacht, in denen Träger der öffentlichen und freien Jugendhilfe - unter Umständen gemeinsam mit Vertreter/innen von Kindertageseinrichtungen, Schulen, Elternbeiräten, Gesundheitsämtern, Beratungsstellen, Behindertenverbänden usw. - Maßnahmen nach § 16 SGB VIII planen, weiterentwickeln und aufeinander abstimmen können. Hier wird die Diskrepanz zwischen dem proklamierten Stellenwert präventiver Angebote und der Jugendhilfepraxis erneut deutlich.