Corona-Pandemie: Wie ostasiatische Länder weitere Lockdowns, Wirtschaftseinbrüche und Schuldenberge vermieden haben

Martin R. Textor

 

Am 30.11.2020 gab es laut Johns Hopkins University 266.875 Corona-Tote in den USA, 58.342 in Großbritannien, 54.904 in Italien, 52.410 in Frankreich und 16.306 in Deutschland - aber nur 7 Tote in Taiwan, 35 in Vietnam, 60 in Thailand, 526 in Südkorea, 2.059 in Japan und 4.743 in China.

Wieso gibt es in (Süd-) Ostasien nur so wenige Tote? Und das, obwohl die Corona-Pandemie in China ausbrach und die anderen Länder in unmittelbarer Nähe zu China liegen? Wieso konnten hier (weitere) Lockdowns vermieden werden?

Gründe für den Erfolg der Maßnahmen ostasiatischer Länder

Im Gegensatz zu den USA und den europäischen Ländern war laut Bardenhagen, Peters und Strozyk (2020) Taiwan auf den Ausbruch einer Epidemie gut vorbereitet. Zum einen hatte die Regierung Masken und medizinisches Material eingelagert und konnte innerhalb kurzer Zeit die Produktion von Masken auf fast 20 Millionen pro Tag hochfahren, die für gerade einmal 15 Cent pro Stück abgegeben wurden. Zum anderen wurde schon am 20.01.2020 ein Krisenzentrum aktiviert, das innerhalb kürzester Zeit Maßnahmen wie z.B. die kostenlose Verteilung von Masken an Kitas, die Erhöhung der Testkapazitäten und die Schließung der Grenzen veranlasste (in Deutschland dauerte es bis Ende Februar, bis ein Krisenstab erstmalig tagte). Desweiteren gelang es Taiwan, Ansteckungswege genau nachzuvollziehen sowie die Quarantäne Infizierter und ihrer Mitbewohner/innen anhand einer Ortung ihrer Mobiltelefone zu überwachen.

In Thailand wurde laut Germany Trade & Invest (2020a) schon frühzeitig eine Maskenpflicht für Geschäfte, Gebäude und Verkehrsmittel beschlossen. Die weitaus meisten Menschen tragen aber auch auf der Straße Masken. Zudem werden überall die Abstandsregeln eingehalten. Vor dem Betreten bestimmter Gebäude und Parks wird die Körpertemperatur gemessen. Außerdem müssen sich Menschen an vielen Orten vor dem Zutritt registrieren, sodass Kontakte von Infizierten gut nachverfolgt werden können.

In Südkorea gelang es laut Kretschmer (2020), die meisten Kontakte von Corona-Kranken zu erfassen, wobei auch auf „deren Bewegungsabläufe anhand von GPS-Daten via Smartphones und Kreditkarten-Transaktionen“ zurückgegriffen wurde. Zudem wurden Abstandsregeln beschlossen, viele öffentliche Einrichtungen geschlossen und flächendeckende Covid-Tests durchgeführt. Bereits vor der Corona-Pandemie war das Tragen von Masken weit verbreitet - z.B. bei Grippewellen - und wurde nun zur Pflicht. Die Südkoreaner befolgten schon immer die kulturelle Norm, Mitmenschen nicht infizieren zu wollen.

Auch in Japan ist laut Becker (2020) das Tragen von Masken selbstverständlich. Außerdem wird der Appell der Regierung, Abstand zu halten, Kontakte einzuschränken und Menschenmengen zu meiden, von nahezu allen Menschen genauestens befolgt. Ferner wurden die Grenzen weitgehend dicht gemacht, was durch die Insellage erleichtert wurde.

In China brach wohl die Corona-Pandemie aus, wurde aber laut Röller (2020) und Germany Trade & Invest (2020b) innerhalb kürzester Zeit eingedämmt. Dazu wurden Städte und Regionen abgeriegelt, durften die dort lebenden Menschen nur aus schwerwiegenden Gründen die Wohnung verlassen - die Berufstätigkeit gehörte in der Regel nicht dazu. Obwohl es kaum noch Infizierte gibt, müssen an bestimmten Orten weiterhin Masken getragen werden - und anderswo geschieht dies freiwillig. Vor dem Betreten bestimmter Gebäude wird Fieber gemessen. Ferner muss eine Tracking-App auf das Mobiltelefon geladen werden.

Es gab in China nie eine Knappheit an Masken, und die Testkapazitäten reichen inzwischen aus, um Millionenstädte in kürzester Zeit durchzutesten. Die Grenzen werden weiterhin kontrolliert; es gelten strenge Einreisekriterien (negativer Corona- und Bluttest, zwei Wochen Quarantäne). Inzwischen verläuft das öffentliche Leben fast wie vor Corona - und China ist eines der wenigen Länder, die auch 2020 ein Wirtschaftswachstum verzeichnen können.

In Deutschland läuft es ganz anders...

Vietnam hat es laut Vu (2020) geschafft, frühzeitig durch einen eindeutigen Maßnahmenkatalog und dessen konsequente Befolgung die Corona-Pandemie zu besiegen - als sie ihren Artikel Ende November schrieb, gab es seit 83 Tagen keine einzige Infektion mehr. Vu kontrastiert das Verhalten der bzw. in den (süd-) ostasiatischen Ländern mit Deutschland und kommt zu folgendem Ergebnis: „Demnach schafften es die Regierungen dort, mit schnellem Handeln und transparenter Kommunikation früh Vertrauen herzustellen und dadurch die Bevölkerung mitzuziehen. In Deutschland hingegen wirken Bund und Länder nach einem halben Jahr immer noch so zerstritten und zerstreut, dass es kurz vor dem nächsten Gipfel im besten Fall nur um Konsensfindung ging, im schlechtesten Fall um reine Selbstprofilierung – nicht aber um den effizientesten Schutz der eigenen Bevölkerung. Außerdem haben viele asiatische Länder einen konsequenten Maßnahmenkatalog umgesetzt und nicht wie hier nur häppchenweise neue Regeln vorgetragen, die auf manche eher freiwillig wirken, weil kaum jemand ihre Einhaltung kontrolliert und Verstöße sanktioniert. Zum Beispiel wird in Deutschland zwar von Quarantäne geredet, irgendwo steht auch etwas von Bußgeldern und ab und zu werden sie sogar verhängt. De facto können sich aber die meisten potenziell wie tatsächlich infizierten Menschen in Deutschland unbemerkt frei bewegen und ihre Viren streuen.“

Dieses Hin und Her in der Politik, das häufige Verändern von Maßnahmen (z.B. mal Schließung von Schulen, mal Aufteilung der Klassen, mal Maskenpflicht nur außerhalb der Klassenräume, mal Maskenpflicht auch im Unterricht), die scheinbare Willkürlichkeit von Entscheidungen (z.B. unterschiedliche Regeln in den einzelnen Bundesländern und oft auch innerhalb eines Landes), das ständige Hinterfragen von Beschlüssen durch die jeweilige Opposition, durch Verbände und (Bürger-) Organisationen, die Nichteinhaltbarkeit von Abstandsgeboten (z.B. in Schulbussen, im Nahverkehr zu Stoßzeiten, im Großraumbüro, auf der Baustelle), gravierende Fehler zu Beginn der Pandemie (als z.B. das Tragen von Masken als nicht nutzbringend bezeichnet wurde) und die Uneinigkeit zwischen Epidemiologen hinsichtlich der wichtigsten Infektionswege und des Umfangs von Einschränkungen haben dazu geführt, dass einerseits große Teile der Bevölkerung hinsichtlich des „richtigen“ Verhaltens verunsichert sind und andererseits die Bereitschaft sinkt, sich entsprechend der jeweils geltenden Regeln zu verhalten.

So zeigte z.B. der Corona-Monitor des Bundesinstituts für Risikobewertung vom 24./25.11.2020, dass sich 17% der Befragten (sehr) schlecht und weitere 26% nur mittelmäßig über das Geschehen zum neuartigen Coronavirus informiert fühlten. Auch lehnten viele Deutsche einzelne Maßnahmen ab, z.B. 58% die Schließung der Gastronomie, 49% das Beherbergungsverbot, 48% das Schließen von Kultureinrichtungen, 32% das Abgabeverbot von Alkohol und 21% die Kontaktbeschränkungen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass manche Befragte bestimmte Maßnahmen nicht ergriffen haben, mit denen sie sich oder ihre Familie vor dem Coronavirus schützen könnten: 3% tragen keine Bedeckungen für Mund und Nase, 7% halten nicht mehr Abstand zu anderen Personen als früher, 22% treffen Freunde und Verwandte nicht seltener, 28% benutzen nicht häufiger Desinfektionsmittel, 30% verlassen nicht seltener ihre Wohnung und 63% nutzen nicht die Corona-Warn-App.

Zu beachten ist, dass für den Corona-Monitor nur deutschsprachige Menschen ab 14 Jahren befragt wurden. Es gibt in Deutschland aber große Bevölkerungsgruppen, die nicht oder nur schlecht Deutsch sprechen. Zu vermuten ist, dass sie sich noch schlechter als die Befragten über die jeweils geltenden Corona-Maßnahmen informiert fühlen und (deshalb) eher noch häufiger gegen Regeln unabsichtlich verstoßen.

Selbst wenn sich der größere Teil der Bevölkerung an die Kontaktbeschränkungen und Hygieneregeln hält, ist der kleinere Teil so groß, dass er das Infektionsgeschehen aufrechterhält oder sogar noch steigert. Während der Verstoß gegen Corona-Maßnahmen bei manchen Menschen aus Unwissenheit oder Verunsicherung passiert, geschieht dies bei anderen aus Absicht: Sie stellen ihr eigenes Interesse über das Gemeinwohl, ihre individuelle Freiheit über die Gemeinschaft. Das ist in den vorgenannten ostasiatischen Ländern anders.

Fazit

Bund, Länder und Kommunen sowie die von ihnen geschaffenen Institutionen werden die Bevölkerung in Deutschland wohl kaum in kurzer Zeit vom Individualismus zum Altruismus, vom Egoismus zur Solidarität, vom eigennützigen zum gemeinnützigen Handeln führen können - und wollen. Aber sie könnten sich auf einen einzigen Maßnahmenkatalog zur Bekämpfung der Corona-Pandemie einigen, der für mindestens ein halbes Jahr gilt, in verschiedenen Sprachen kommuniziert und sowohl von den klassischen als auch von den neuen Medien verbreitet wird sowie hinsichtlich der Befolgung kontrolliert und mit Hilfe von Sanktionen durchgesetzt wird.

Literatur

Bardenhagen, K./Peters, S./Strozyk, J.L.: Corona-Pandemie: Was Deutschland von Taiwan lernen kann (21.08.2020). https://www.tagesschau.de/ausland/corona-taiwan-101.html (abgerufen am 30.11.2020)

Becker, T.: Umgang mit Corona-Pandemie - Was wir von Japan lernen können (30.10.2020). https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/coronavirus-japan-deutschland-infektionen-100.html (abgerufen am 30.11.2020)

Bundesinstitut für Risikobewertung: BfR Corona-Monitor, 24.–25. November 2020. Berlin 2020

Germany Trade & Invest: Thailand hat Covid-19 besiegt, aber die Wirtschaft leidet stark (22.10.2020a). https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/thailand/thailand-hat-covid-19-besiegt-aber-die-wirtschaft-leidet-stark-233848 (abgerufen am 30.11.2020)

Germany Trade & Invest: Chinas Wirtschaft erholt sich schnell von Corona (12.11.2020b). https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/china/chinas-wirtschaft-erholt-sich-schnell-von-corona-234544 (abgerufen am 30.11.2020)

Johns Hopkins University. Coronavirus Resource Center: Global Map. https://coronavirus.jhu.edu/map.html (abgerufen am 30.11.2020)

Kretschmer, F.: Südkoreas Infektionen nur zweistellig: Die 4. Welle blieb klein (23.09.2020). https://taz.de/Suedkoreas-Infektionen-nur-zweistellig/!5715480/ (abgerufen am 30.11.2020)

Röller, U.: Corona - Wie China das Virus unter Kontrolle hat (22.11.2020). https://www.zdf.de/nachrichten/politik/corona-china-virus-kontrolle-100.html (abgerufen am 30.11.2020)

Vu, V.: Umgang mit Corona: Verbohrt und arrogant (24.11.2020). https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-11/umgang-corona-arroganz-asien-vietnam-infektionsgeschehen-erfolg/komplettansicht (abgerufen am 30.11.2020)