Wie die Corona-Pandemie das Wohlbefinden und Zusammenleben der Menschen beeinträchtigt
Martin R. Textor
Die Corona-Pandemie, die Lockdowns und deren Folgen für Wirtschaft und Arbeitswelt wirken sich auch auf die Psyche und das Sozialverhalten der Menschen sowie auf die Gesellschaft aus. So wurden bereits während des ersten Shutdowns im Frühjahr 2020 viele Befragungen von Menschen in verschiedenen Lebenssituationen durchgeführt, deren Ergebnisse zum Teil schon im Sommer veröffentlicht wurden. In diesem Artikel soll ein Überblick über die gesammelten Erkenntnisse gegeben werden. Im Winter 2020/21 wurden weitere Befragungsergebnisse ergänzt, die teilweise während des zweiten Lockdowns erhoben wurden.
Auswirkungen auf den Einzelnen
Der Studie von Gerold und Geiger (2020) zufolge, bei der 935 berufstätige Menschen im Alter von 18 bis 67 Jahren im April 2020 befragt wurden, berichteten die Erwerbstätigen von (leicht) veränderten Zeitverwendungsmustern während des Lockdowns im Vergleich zum Februar: So nahm die tägliche Arbeitszeit von durchschnittlich 7,42 auf 6,28 Stunden ab, während gleichzeitig die Schlafdauer von 7,50 auf 7,96 und die Ausruhzeit von 2,02 auf 2,36 Stunden stieg. Während des Lockdowns wurden mehr das Internet (2,52 versus 2,31 Stunden) und andere Medien genutzt (2,21 versus 1,99 Stunden) sowie mehr Zeit für die Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Personen (1,79 versus 1,41 Stunden) sowie für Hausarbeit aufgewendet (1,64 versus 1,40 Stunden), aber weniger Zeit mit Freunden, Familie oder Nachbarn zu Hause verbracht (1,19 versus 1,45 Stunden). Die Differenz zwischen der von Frauen und der von Männern für die Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Personen aufgewendeten Zeit vergrößerte sich zwischen Februar und April von 58 auf 79 Minuten pro Tag und bei der Hausarbeit von 36 auf 46 Minuten.
Während des Lockdowns sank die allgemeine Lebenszufriedenheit bei den befragten Erwerbstätigen nur minimal (Mittelwert 6,96 im April versus 6,99 im Februar 2020). Die Mittelwerte hinsichtlich der Zufriedenheit mit Gesundheit, Einkommen und Arbeit stiegen sogar leicht an (von 6,79 im Februar auf 7,13 im April, von 6,34 auf 6,47 bzw. von 6,81 auf 6,97). Allerdings änderte sich das emotionale Wohlbefinden zum Negativen hin: Die Befragten waren weniger glücklich (Mittelwert 5,91 im April versus 6,28 im Februar) und stärker besorgt (5,87 versus 5,04) oder bedrückt (5,22 versus 4,52).
Bei einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos (2020) gaben Anfang Mai 53% der Deutschen an, dass die Corona-Krise keine Auswirkungen auf ihr seelisches oder leibliches Wohlbefinden hätte. Hingegen berichteten 25% der Befragten, dass sie sich aufgrund des Lockdowns nicht ausreichend bewegen würden. 15% der befragten Frauen sprachen von einer schlechteren Schlafqualität, 9% von Depressionen und 8% von Angstzuständen. Bei den befragten Männern erlebten nur 12% Schlafprobleme, 7% Depressionen und 5% Ängste. Aber auch eine Zunahme ungesunder Verhaltensweisen während des ersten Lockdowns wurde ermittelt: 10% der Befragten aßen seit dem Ausbruch des Corona-Pandemie zu viel, 9% rauchten mehr und 8% tranken mehr alkoholische Getränke. Die beiden letztgenannten Verhaltensänderungen waren bei Männern etwas stärker ausgeprägt als bei Frauen.
Laut einer Online-Befragung, für die im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung (2020) zwischen Mitte und Ende Juni 6.309 Erwerbstätige interviewt wurden, stieg der Anteil der Befragten, die aufgrund der Corona-Krise bereits Einkommenseinbußen erlitten hatten, zwischen April und Juni von 20 auf 26%. Je niedriger das Haushaltsnettoeinkommen war, umso häufiger wurde von Einkommensverlusten berichtet – z.B. bei einem Netto von unter 1.500 Euro waren bereits 40% der Erwerbstätigen betroffen. Jedoch hatten im Juni 2020 nur noch 58% der Befragten Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation – im April waren es noch 70% gewesen.
Vor der Corona-Krise arbeiteten rund 4% der Befragten überwiegend oder ausschließlich im Homeoffice. Dieser Prozentsatz stieg im April auf 27% und sank im Juni auf 16%. Weitere 17% der Erwerbstätigen arbeiteten abwechselnd im Betrieb, mobil oder zu Hause. „Die Erfahrungen von Beschäftigten mit dem Homeoffice sind oft durchaus gemischt. So haben 60 Prozent der Befragten mit Homeoffice-Nutzung den Eindruck, dass die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit bei der Arbeit zu Hause verschwimmen. 37 Prozent geben an, im Homeoffice mehr Wochenstunden zu arbeiten. Andererseits sagen 77 Prozent, das Homeoffice erleichtere die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. 60 Prozent glauben, die Arbeit daheim sogar effektiver organisieren zu können als im Betrieb“ (Hans Böckler Stiftung 2020, S. 5).
Eine repräsentative Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (2020), bei der 1.047 Männer und Frauen im Alter zwischen 30 und 59 Jahren interviewt wurden, ergab, dass sich Ende Oktober/ Anfang November 2020 jeder Zweite schlechter fühlte als vor der Corona-Krise. Rund 50% der Befragten belastete, dass man seine älteren Angehörigen nicht besuchen durfte, und 45%, dass man seine Freunde nicht treffen durfte (Siems 2020). Für 43% der Menschen war besonders schlimm, dass Schulen und Kitas zu hatten, für 29%, dass man nicht in Pflegeheime oder Krankenhäuser durfte, und für 21%, dass Restaurants, Bars und Cafés geschlossen waren. Für nahezu jede/n Vierte/n war die Corona-Krise zu einer psychischen Belastung geworden. Jede/r Fünfte hatte Angst um seinen/ihren Arbeitsplatz oder litt darunter, dass er/sie in Kurzarbeit musste bzw. finanzielle Einbußen hatte. Das Verbot von Auslandsreisen belastete hingegen nur 16% der 30- bis 59-Jährigen.
Anfang Dezember – mitten im zweiten Lockdown – sorgte sich laut ARD-DeutschlandTrend (2020) schon jeder vierte Befragte, dass sich wegen der Corona-Krise die eigene wirtschaftliche Lage verschlechtern könnte. Diese Befürchtung wurde häufiger von jüngeren Befragten und Menschen mit niedrigem Haushaltseinkommen geäußert.
Folgen für jüngere und ältere Menschen
Bei der bundesweiten JuCo Studie wurden 5.128 Personen im Alter von 15 bis 30 Jahren befragt; der Altersdurchschnitt lag bei 18,8 Jahren (Andresen et al. 2020). Hier zeigte sich, dass junge Menschen während der Corona-Krise weniger zufrieden damit waren, wie sie ihre Zeit verbringen, als vor der Pandemie: Der Mittelwert sank von 7,37 auf 5,06.
Je länger Schulen und Hochschulen geschlossen bleiben, umso größer werden die Wissenslücken bei der derzeitigen Generation der Schüler/innen und Student/innen, was z.B. zu schlechteren Noten bei Abschlüssen und Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt führen könnte. Beispielsweise ergab eine Studie des ifo Instituts (2021), für die 2.122 Eltern befragt wurden, dass Schulkinder Anfang 2021 im Durchschnitt nur 4,3 Stunden am Tag mit schulischen Tätigkeiten verbrachten – bei 23% waren es sogar weniger als zwei Stunden. Während des ersten Lockdowns hatten Kinder im Schnitt sogar nur 3,6 Stunden pro Tag für die Schule gelernt, während es an einem üblichen Schultag vor der Corona-Pandemie 7,4 Stunden waren – also mehr als doppelt so viel. Die Studie belegte auch die Befürchtung vieler Fachleute, dass vor allem Kinder aus sozial schwachen Familien durch die Schulschließungen benachteiligt würden, weil sie oft das eigenmotivierte selbständige Lernen nicht beherrschen würden und ihre Eltern häufig durch das Homeschooling überfordert seien. Dies dürfte verstärkt für Kinder mit Migrationshintergrund gelten (insbesondere bei einer anderen Familiensprache als Deutsch), da sie während des Lockdowns keine Sprachförderung erhalten.
Laut der Studie des ifo Instituts (2021) verbrachten Schulkinder mehr Zeit mit Fernsehen, Computerspielen und Handy als mit Lernen (4,6 versus 4,3 Stunden am Tag). Laut ihren Eltern war die Situation während der Schulschließungen für die Hälfte der Kinder eine große psychische Belastung – und sogar 76% der Kinder würden darunter leiden, dass sie nicht ihre Freunde treffen durften. 31% der Eltern berichteten auch, dass ihr Kind mangels Bewegung an Körpergewicht zugenommen habe. Ähnliche negative Auswirkungen des Lockdowns wurden auch bei der „COPSY"-Studie der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf ermittelt, für die von Mitte Dezember 2020 bis Mitte Januar 2021 mehr als 1.000 Kinder und Jugendliche und über 1.600 Eltern befragt wurden (NDR 2021). Fast jedes dritte Kind zeigte ein knappes Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie psychische Auffälligkeiten – zuvor war es nur jedes fünfte Kind. So hätten Ängste, depressive Symptome und psychosomatische Beschwerden zugenommen. Den Kindern fehlten ihre Freunde und soziale Kontakte in Schulen und Freizeiteinrichtungen. Auch berichteten sie von Schwierigkeiten beim Lernen und mit dem Distanzunterricht sowie von häufigerem Streit mit den Eltern. Zehnmal mehr Kinder als vor der Pandemie betrieben überhaupt keinen Sport. Sie aßen mehr Süßigkeiten und verbrachten noch mehr Zeit mit Tablet, Smartphone und Spielkonsole.
Wie den Schüler/innen fehlt auch den Studierenden die Erörterung des Lernstoffes in Seminaren und Arbeitsgruppen. Ferner leiden sie unter fehlenden sozialen Kontakten, da sie sich weder an der Universität noch in Freizeiteinrichtungen, Kneipen oder Discos mit Gleichaltrigen treffen können. Insbesondere Studienanfänger fühlen sich isoliert, da es fast keine Gelegenheiten gibt, andere Erstsemester kennenzulernen. Eine Befragung von 3.900 Studierenden in Würzburg ergab, dass 83% der Befragten (sehr) negative Auswirkungen auf soziale Kontakte und 57% auf ihre psychische Befindlichkeit erlebten (BR 2020). Außerdem bewegen sich viele Student/innen während des Lockdowns weniger und treiben seltener Sport. Hingegen steigen Internetnutzung und Medienkonsum.
Ältere Menschen leiden besonders unter der Corona-Krise. So ergab eine Telefonumfrage von Wissenschaftlern der Universität Mainz bei 500 Menschen, die älter als 75 Jahre waren, dass mehr als die Hälfte der Senior/innen den Austausch mit anderen Menschen vermisste und sich allein gelassen fühlte (Schleidt 2020). Ein Viertel der Befragten war in den letzten Monaten häufiger deprimiert als vor der Corona-Krise. Hingegen hatte nur ein Drittel der Senior/innen Angst, sich mit Covid-19 zu infizieren.
Besonders belastend ist die Situation in Senioren- und Pflegeheimen, die sich – nicht nur während der Lockdowns, sondern auch beim Auftreten von Corona-Infektionen in der Einrichtung – teilweise komplett von der Außenwelt abschotten (mussten). Laut Berichten von Angehörigen fühlen sich die Bewohner/innen isoliert und einsam. Göbel und Haselrieder (2020) berichteten im ZDF: "Frontal 21 liegen aktuelle Bilder und Videos aus Altenheimen vor, die stark vernachlässigte Bewohner zeigen. Pflegekräfte, die anonym bleiben wollen, berichten: 'Die Personalsituation in der Pflege war noch nie gut. Aber wir hatten immer Angehörige oder Therapeuten, die ins Haus gekommen sind und die den Alltag ein bisschen gefüllt haben. Das fehlt komplett.'" Henze und seine Kolleginnen (2020) ergänzten: "Für die Bewohner bedeutet dies, dass sie ihre Angehörigen oft lange Zeit nicht sehen können und teilweise auch medizinisch nur mangelhaft versorgt werden. Während des ersten Lockdowns hatte die Isolation erhebliche Folgen: Viele Senioren bauten gesundheitlich und mental rapide ab, erkannten später ihre Familienangehörigen nicht mehr oder mussten – bei einer Erkrankung – alleine sterben."
Auswirkungen auf Familien
Während der Lockdowns – insbesondere bei Kurzarbeit oder Homeoffice – verbrachten Partner bzw. Eltern deutlich mehr Zeit zu Hause als üblicherweise. Dies hatte laut einer repräsentativen Umfrage des Marktforschungsunternehmens Ipsos (von Würzen, B. 2020) zur Folge, dass traditionelle Geschlechtsrollen wieder verstärkt wurden: Der Großteil der Hausarbeit, der Kinderbetreuung und der Anleitung der Kinder beim schulischen Lernen wurde von den Frauen bzw. Müttern erledigt – und vor allem die beiden letztgenannten Aufgabenbereiche verlangten einen viel größeren Aufwand an Zeit und Energie, als Kitas und Schulen geschlossen waren, Homeschooling angesagt war oder Schüler/innen Distanz- bzw. Wechselunterricht erhielten. So ist es nicht verwunderlich, dass 43% der Frauen meinten, „dass es ihnen schwerer als zu normalen Zeiten falle, Familie und Beruf zu vereinbaren. Fast die Hälfte der Frauen fühlt sich außerdem durch die Situation an ihre körperliche, psychische und emotionale Grenze gebracht. Unter den Männern räumen dies 30 Prozent ein“ (a.a.O., ohne Seitenangabe).
Kurz nach dem ersten Lockdown wurden rund 1.500 Familien aus ganz Deutschland nach ihren Erfahrungen mit dem Homeschooling gefragt (Universität Konstanz 2020): „79 Prozent fühlten sich ihrer Rolle als ‚Hilfslehrerinnen und Hilfslehrer‘ fachlich gewachsen, knapp die Hälfte der Eltern fand den Heimunterricht entspannt. Die andere Hälfte beschrieb den Heimunterricht jedoch als stressig“ (a.a.O., ohne Seitenangabe). Zwei Drittel der Eltern meinten, dass ihre Kinder zu Hause weniger lernen würden als in der Schule, und fast drei Viertel gaben an, dass ihre Kinder die Schule vermissen würden. Letzteres dürfte sich vermutlich vor allem auf den nun fehlenden Kontakt zu Klassenkamerad/innen bezogen haben.
Auf das Familienleben hatte die Schulschließung folgende Auswirkungen: „Gemeinsame Aktivitäten wie Essen, Kochen, Unterhaltungen und Freizeitaktivitäten fanden in dieser Zeit bei den meisten Familien häufiger statt. Gleichzeitig nahm aber auch der Streit um Medien und die Erledigung von Schulaufgaben zu“ (a.a.O., ohne Seitenangabe).
Laut der Mannheimer Corona-Studie, bei der 3.600 Personen Mitte April 2020 befragt wurden, konnten während des Lockdowns 27% der Eltern mit unter 16-jährigen Kindern von zuhause aus arbeiten – bei Erwerbstätigen ohne Kinder waren es nur 21% (Bujard et al. 2020). „Während sich die tägliche Stundenzahl von Kinderlosen für die Haus-/Pflegearbeit kaum veränderte, war bei den Eltern ein deutlicher Anstieg zu beobachten. Eltern brachten also vor allem durch Homeschooling bei den Schulkindern sowie die längere häusliche Betreuung von Kleinkindern mehr Zeit für Familie und Haushalt auf. ... Bei den Müttern insgesamt erhöhte sich die Zahl der Stunden von 6,6 auf 7,9; Haus- und Familienarbeit wurden für sie quasi zum Fulltime-Job. Bei den Vätern hingegen erhöhte sich der Mittelwert von vormals 3,3 (2018) auf 5,6 – d.h. sie leisteten während der Corona-Krise 2,3 Stunden mehr Familienarbeit als zuvor. Man kann also insgesamt von einer deutlichen Zunahme der Familienarbeit während der Kita- und Schulschließungen bei Müttern und Vätern sprechen“ (a.a.O., S. 39).
Die Zufriedenheit mit dem Familienleben sank während des Lockdowns bei Männern mit Kindern unter 16 Jahren im Haushalt von 7,6 auf einer Zehn-Punkte-Skala im Jahr 2019 auf 7,2 im April 2020. Bei Frauen war der Rückgang mit 7,7 zu 7,1 Punkten sogar noch etwas stärker ausgeprägt. „Bei der Betrachtung von Eltern zeigt sich, dass unter den Müttern diejenigen mit Kindern über 6 Jahren, also Schulkindern, am meisten an Zufriedenheit eingebüßt haben; ihr Wert sank von 7,7 auf 6,7 Punkte (...). Väter in der gleichen Situation waren mit 7,0 Punkten zufriedener, und auch der Rückgang im Vergleich zum Vorjahr fiel in dieser Gruppe mit 0,4 Punkten schwächer aus. Auch bei den Eltern jüngerer Kinder unter 6 Jahren zeigen sich deutliche Veränderungen, wobei die Zufriedenheitswerte für die Väter etwas stärker gesunken waren als für die Mütter von kleinen Kindern“ (Bujard et al. 2020, S. 46). Bei Vätern nahm der Durchschnittswert von 7,8 auf 7,4 Punkte ab, bei Müttern nur minimal von 7,7 auf 7,6 Punkte.
Folgen für Familien mit Kleinkindern
Einer Umfrage von Cohen, Oppermann und Anders (2020) zufolge, an der 9.436 Eltern mit Kindern im Alter von null bis sechs Jahren teilnahmen, betreuten 89% der Befragten ihre Kinder zu Hause während der durch den ersten Corona-Lockdown bedingten Schließung von Kindertageseinrichtungen (die übrigen Kinder befanden sich z.B. in Notgruppen oder in Tagespflege). Die Eltern (zu 88% Mütter) berichteten, dass sich der Familienalltag während dieser Zeit stark verändert habe. Vor allem folgende Aktivitäten wurden häufiger durchgeführt:
- Basteln, Malen, künstlerisches Gestalten (berichtet von 79,4% der Befragten)
- draußen in der Natur sein (77,7%)
- soziale Kontakte per Videochat pflegen (77,5%)
- zusammen mit dem Kind eine Mahlzeit einnehmen (76,4%)
- zusammen mit dem Kind Haushaltsaktivitäten verrichten (76,0%)
- Bewegungsspiele (72,1%)
- Fernsehen (65,3%)
- Singen, Musik hören/machen, tanzen (62,8%)
- Gespräche über aktuell auftretende Themen, Interessen, Probleme oder Konflikte (61,1%)
- Gesellschaftsspiele, Brettspiele, Puzzles (61,0%)
- Filme/Sendungen sehen (60,3%)
- dem Kind etwas vorlesen oder gemeinsam Bilderbücher anschauen (57,5%)
Viele Eltern erlebten die Zeit mit ihren Kindern während der Schließung von Kitas positiv. Auf einer Vier-Punkte-Skala gaben sie an, dass mehr Zeit mit den Kindern verbringen zu können, ihnen Glück und Freude bereitete (3,1 Punkte), bzw. dass mehr Zeit mit der Familie zu haben, für sie eine Bereicherung war (3,0 Punkte). Sie fühlten sich durch ihren Partner bzw. ihre Partnerin bei der Kinderbetreuung unterstützt (3,1 Punkte). Jedoch wurde auch beklagt, dass sich die Familienmitglieder durch das ständige Aufeinanderhocken manchmal gegenseitig ganz schön auf die Nerven gingen (2,8 Punkte), dass die Befragten darunter litten, auf die Rolle als Mutter/Vater und Hausfrau/Hausmann beschränkt zu sein (2,5 Punkte), und dass es bei ihnen zu Hause gerade drunter und drüber ging (2,3 Punkte).
Der Eindruck, stärker belastet zu sein, hatte zumeist mehrere Ursachen – nicht nur den hohen Aufwand für die Kinderbetreuung: So fehlten den Befragten vor allem persönliche Kontakte zu Familienangehörigen und Freunden (3,7 auf der Vier-Punkte-Skala), erlebten sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als besonders herausfordernd (3,4 Punkte), fühlten sie sich durch die Vielzahl an Belastungen häufig gestresst (3,1 Punkte), waren sie oft am Ende ihrer Kräfte (2,9 Punkte) und fühlten sie sich den neuen Aufgaben und Anforderungen oft nicht gewachsen (2,5 Punkte). Während der Corona-Pandemie berichteten 41% der Eltern, dass sie finanzielle Probleme hätten – davor waren es nur 10%.
Gewalt gegen Frauen und Kinder
Da Eltern aufgrund der Schließung von Schulen, wegen der auch Kinder und Jugendliche betreffenden Kontaktbeschränkungen und insbesondere im Quarantänefall viel Zeit mit ihren Kindern in der Wohnung verbringen mussten, nahmen in vielen Familien Stress und Konfliktbereitschaft zu. So wurde von Fachleuten, Politiker/innen und Journalist/innen immer häufiger die Befürchtung geäußert, dass es vermehrt zur Gewaltausübung gegen Frauen und Kindern in den nun nach außen hin stärker abgeschotteten Haushalten kommen könnte.
Jedoch gab es keine Studien aus der Zeit vor der Corona-Krise, die einen direkten Vergleich mit Befragungen während des ersten Lockdowns ermöglichten, da die untersuchten Zeiträume unterschiedlich lang waren. Beispielsweise zeigte eine Online-Umfrage von Steinert und Ebert (Technische Universität München 2020, vgl. Suhr 2020), bei der Ende April/ Anfang Mai rund 3.800 Frauen zwischen 18 und 65 Jahren befragt wurden, dass während des ersten Lockdowns 3,1% der Frauen zu Hause mindestens einmal körperliche Gewalt erfuhren, 3,6% von ihrem Partner zum Geschlechtsverkehr gezwungen wurden, 2,2% die Wohnung nicht ohne dessen Erlaubnis verlassen durften und bei 4,6% der Kontakt zu anderen Menschen reguliert wurde. Es kam häufiger zur Gewaltanwendung gegen Frauen, wenn einer der Partner Angst oder Depressionen erlebte (9,7% der betroffenen Frauen), die Familie unter akuten finanziellen Probleme litt (8,4%), sich die Befragten zu Hause in Quarantäne befanden (7,5%), sie mit Kindern unter 10 Jahren zusammenlebten (6,3%) oder einer der Partner aufgrund der Pandemie in Kurzarbeit war bzw. den Arbeitsplatz verloren hatte (5,6%).
Körperliche Gewalt während des ersten Lockdowns erfuhren laut der vorgenannten Umfrage 6,5% der Kinder, und sogar 9,2% in Familien, in denen ein Kind unter 10 Jahren lebte, 9,3% in Familien, in denen ein Partner aufgrund der Corona-Krise arbeitslos bzw. in Kurzarbeit war, 9,8% in Familien, in denen die Eltern akute finanzielle Probleme hatten, 10,5% in Familien, die sich in Quarantäne befanden, und 14,3% in Familien, in denen ein Partner unter Angst oder Depressionen litt.
Der Tagesspiegel (2020) berichtete am 12.07.2020, dass laut einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur bei den zuständigen Ministerien und Behörden der Länder mehr Fälle von häuslicher Gewalt seit Beginn der Corona-Krise gemeldet worden wären. Jedoch konnte Ende August eine Zunahme von Gewalt gegen Kinder weder anhand der Anzeigenzahlen der Polizeien noch der Zahl der Gefährdungseinschätzungen seitens der Jugendämter belegt werden, wie die Antwort der Regierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion zeigte (Menkens 2020). Im Mai 2020 hätten die Jugendämter etwa gleich viele Gefährdungseinschätzungen durchgeführt wie im Mai 2018 – und im Juni 2020 sogar 7% weniger als im Juni 2018. Allerdings geht das Bundesfamilienministerium weiterhin von mehr Gewalt gegen Kinder während der Corona-Pandemie aus. Viele Fälle, die ansonsten in Kindertagesstätten oder Schulen aufgefallen wären, konnten aber nicht entdeckt werden, weil diese Einrichtungen geschlossen und die Kinder die ganze Zeit zu Hause waren.
Wirtschaftliche und gesellschaftliche Kollateralschäden
Schon Anfang Mai 2020 befürchteten 20% der Menschen bei einer Befragung von über 7.800 Deutschen einen starken Einbruch der deutschen Wirtschaft (Universität Freiburg 2020). Weitere 18% beklagten die Einschränkung demokratischer Rechte. Nur 5% der Befragten fühlten sich von den Einschränkungen und Maßnahmen nicht betroffen.
Laut der bereits erwähnten Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (2020) machten sich Ende Oktober/ Anfang November 75% der Befragten „große Sorgen über die ökonomischen Kollateralschäden der Corona-Krise“, und 38% befürchteten, dass die deutsche Wirtschaft nicht zu der starken Position zurückfinden werde, die sie vor dem Jahr 2020 innegehabt hatte.
Aber auch gesellschaftliche Kollateralschäden wurden beobachtet: Laut 72% der 30- bis 59-Jährigen gibt es jetzt mehr Ängste und mehr Verunsicherung, laut 71% wächst die Aggressivität, laut 69% werden die Menschen immer ungeduldiger, laut 52% nimmt der Egoismus zu, laut 52% ziehen sich Menschen verstärkt ins Private zurück und laut 49% sind die Menschen weniger tolerant als vor der Corona-Krise (Siems 2020). 58% der Befragten beklagten, dass Regeln immer weniger beachtet werden, während 55% meinten, man muss mehr Regeln befolgen und ist weniger frei. Eine zunehmende Hilfsbereitschaft erkannten hingegen bloß 13% der Menschen.
Beim ARD-DeutschlandTrend (2020) vom 03.12.2020 machten sich 68% der Deutschen große oder sehr große Sorgen, dass sich das gesellschaftliche Miteinander aufgrund der Corona-Krise verschlechtert. Bei 37% galt dies hinsichtlich der Befürchtung, dass Freiheitsrechte längerfristig eingeschränkt werden könnten.
Zum Jahreswechsel 2020/21
So ist es nicht verwunderlich, dass laut der vorgenannten Umfrage im Auftrag des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (2020) nur 22% der Befragten mit Optimismus in das Jahr 2021 gehen. Im Jahr 2015 waren es noch 57% und im Jahr 2019 immerhin noch 46% der 30- bis 59-Jährigen (Siems 2020). Für 70% ist nicht abzusehen, wann die Krise vorüber ist...
Ende Oktober und Anfang November 2020, als die 30- bis 59-Jährigen befragt wurden, war aber noch nicht vorherzusehen, dass bereits Mitte November die Entwicklung mehrerer Impfstoffe gegen den Corona-Virus abgeschlossen sein würde. Schon Anfang Januar 2021 soll mit Massenimpfungen begonnen werden. Dies gibt Anlass zu Optimismus. So berichtete die Berliner Zeitung (2020) am 05.12.2020: „Nach einer repräsentativen Umfrage der Unternehmensberatung McKinsey erwartet nur noch jeder zweite Verbraucher, dass sich die Einschränkungen im Alltag länger als sechs Monate hinziehen“. ... Fast jeder vierte Befragte rechnet demnach mit einem wirtschaftlichen Aufschwung innerhalb der nächsten zwei bis drei Monate. Am meisten sehnen sich die Verbraucher der Umfrage zufolge danach, wieder unbesorgt in Restaurants und Bars gehen zu können. Daneben vermissten sie vor allem das regelmäßige Treffen mit Freunden und Familie“ (ohne Seitenangabe).
Allerdings wird es noch lange dauern, bis so viele Menschen geimpft sind, dass es kaum noch zu neuen Infektionen kommen kann. Derzeit ist es sogar unwahrscheinlich, dass es zu der sogenannten „Herdenimmunität“ kommen wird, da viele Menschen eine Impfung ablehnen. So berichtete der Deutschlandfunk (2020) am 28.11.2020, dass laut einer Erhebung der Krankenkasse Barmer nur 53% der Befragten über 16 Jahren sich einer Impfung unterziehen wollen; 15% wären „vielleicht“ dazu bereit, 9% „eher nicht“ und 13% „sicher nicht“ (10% waren noch unentschieden). Eine Herdenimmunität kann aber nur erreicht werden, wenn sich mindestens zwei Drittel der Bevölkerung impfen lassen.
Literatur
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ARD-DeutschlandTrend: Mehrheit gegen Lockerungen an Silvester (03.12.2020). https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/ (abgerufen am 06.12.2020)
Berliner Zeitung: Aussicht auf Corona-Impfstoff hebt Stimmung in Deutschland (05.12.2020). https://www.berliner-zeitung.de/news/aussicht-auf-corona-impfstoff-hebt-stimmung-in-deutschland-li.123839 (abgerufen am 06.12.2020)
BR: Studie der Uni Würzburg: Auswirkungen von Corona auf Studenten (25.05.2020). https://www.br.de/nachrichten/bayern/studie-der-uni-wuerzburg-auswirkungen-von-corona-auf-studenten,RzzrAyG (abgerufen am 23.01.2021)
Bujard, M./Laß, I./Diabaté, S./Sulak, H./Schneider, N.F.: Eltern während der Corona-Krise: Zur Improvisation gezwungen. https://www.bib.bund.de/Publikation/2020/pdf/Eltern-waehrend-der-Corona-Krise.pdf;jsessionid=D9AFFCC2A5491EC92639BCB5C8B716A6.1_cid389?__blob=publicationFile&v=7 (abgerufen am 06.12.2020)
Cohen, F./Oppermann, E./Anders, Y.: Familien & Kitas in der Corona-Zeit. Zusammenfassung der Ergebnisse. Unter Mitarbeit von: H. Erdem-Möbius & F. Hemmerich. Bamberg: Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Lehrstuhl für Frühkindliche Bildung und Erziehung 2020. https://www.uni-bamberg.de/fileadmin/efp/forschung/Corona/Ergebnisbericht_Corona-Studie_2020.pdf (abgerufen am 06.12.2020)
Deutschlandfunk: Gut die Hälfte der Deutschen würde sich gegen Corona impfen lassen (28.11.2020). https://www.deutschlandfunk.de/umfrage-gut-die-haelfte-der-deutschen-wuerde-sich-gegen.1939.de.html?drn:news_id=1199395 (abgerufen am 06.12.2020)
Gerold, S./Geiger, S.: Arbeit, Zeitwohlstand und Nachhaltiger Konsum während der Corona-Pandemie. https://www.rezeitkon.de/wordpress/wp-content/uploads/2020/11/WP_Gerold_Geiger_Corona.pdf (abgerufen am 06.12.2020)
Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV): #GenerationMitte: Die Corona-Gesellschaft ist verunsichert, ungeduldig, aggressiv und egoistisch (02.12.2020). https://www.gdv.de/de/medien/aktuell/-generationmitte--die-corona-gesellschaft-ist-verunsichert--ungeduldig--aggressiv-und-egoistisch-64590 (abgerufen am 02.12.2020)
Göbel, J./Haselrieder, M.: Corona in Pflegeheimen: Zu wenig Tests, zu wenig Kontrolle (08.09.2020). https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/coronavirus-pflegeheime-100.html (abgerufen am 19.12.2020)
Hans Böckler Stiftung: Corona-Krise: 26 Prozent der Erwerbstätigen haben bereits Einkommenseinbußen erlitten, soziale Ungleichheit verschärft sich (10.07.2020). https://www.boeckler.de/pdf/pm_wsi_2020_07_10.pdf (abgerufen am 06.12.2020)
Henze, A./Kampf, L./Kättner-Neumann, S./Roelcke, T.: Corona-Fälle in Pflegeheimen häufen sich (23.11.2020). https://www.tagesschau.de/inland/corona-pflegeheime-103.html (abgerufen am 19.12.2020)
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Menkens, S.: Im Lockdown mehr Gewalt gegen Kinder? (21.08.2020). https://www.welt.de/politik/deutschland/article214040332/Folgen-des-Coronavirus-Im-Lockdown-mehr-Gewalt-gegen-Kinder.html (abgerufen am 06.12.2020)
NDR: Fast jedes dritte Kind psychisch auffällig während Pandemie (10.02.2021). https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/coronavirus/Fast-jedes-dritte-Kind-psychisch-auffaellig-waehrend-Pandemie,uke694.html (abgerufen am 10.02.2021)
Schleidt, D.: Ältere Menschen fühlen sich einsam (02.12.2020). https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/aeltere-menschen-fuehlen-sich-einsam-waehrend-corona-pandemie-17078611.html (abgerufen am 02.12.2020)
Siems, D.: Jetzt erlebt Deutschlands Zuversicht einen historischen Absturz (02.12.2020). https://www.welt.de/wirtschaft/article221566080/Allensbach-Studie-zu-Corona-Die-Generation-Mitte-versinkt-in-der-Depression.html (abgerufen am 02.12.2020)
Suhr, F.: Gewalt gegen Kinder während der Pandemie (03.06.2020). https://de.statista.com/infografik/21886/gewalt-gegen-kinder-waehrend-der-corona-pandemie/ (abgerufen am 06.12.2020)
Tagesspiegel: Gewalt gegen Frauen nimmt vielerorts zu (12.07.2020). https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/folgen-der-corona-pandemie-gewalt-gegen-frauen-nimmt-vielerorts-zu/25998458.html (abgerufen am 06.12.2020)
Technische Universität München: Häusliche Gewalt während der Corona-Pandemie. Erste große Studie zu Erfahrungen von Frauen und Kindern in Deutschland (02.06.2020). https://www.tum.de/nc/die-tum/aktuelles/pressemitteilungen/details/36053/ (abgerufen am 06.12.2020)
Universität Freiburg: Bundesweite Umfrage zur Corona-Pandemie: Mehrheit fühlt sich belastet, vertraut den Gesundheitsmaßnahmen und ist für eine Vermögensabgabe für Reiche (19.05.2020). https://www.pr.uni-freiburg.de/pm/2020/bundesweite-umfrage-zur-corona-pandemie?set_language=de (abgerufen am 06.12.2020)
Universität Konstanz: Schulschließung und Familienleben (08.04.2020). https://www.uni-konstanz.de/universitaet/aktuelles-und-medien/aktuelle-meldungen/aktuelles/familienleben-waehrend-der-schulschliessung/ (abgerufen am 06.12.2020)
von Würzen, B.: Corona: Traditionelle Aufgabenverteilung im Haushalt belastet Frauen stark (03.12.2020). https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2020/dezember/corona-traditionelle-aufgabenverteilung-im-haushalt-belastet-frauen-stark (abgerufen am 06.12.2020)