Vor einer möglichen Trennung: Entscheidungskonflikte lösen
Martin R. Textor
Schwanken Sie zwischen Trennung und Verbleib in der Ehe? Dauert dieser Entscheidungskonflikt schon Monate oder gar Jahre? Ist Ihr/e Partner/in in derselben Situation? Haben Sie mit ihm/ihr schon (häufiger) über eine mögliche Trennung gesprochen, ohne sich einigen zu können?
Im Folgenden werden sechs Schritte vorgestellt, die Sie "gehen" könnten, um diesen Entscheidungskonflikt zu lösen. Die Aussagen richten sich an Sie als Einzelperson; Sie können diese Schritte aber auch gemeinsam mit Ihrem/r Partner/in tun - zu zweit oder unter Anleitung einer dritten Person, z.B. eines Eheberaters oder einer frei praktizierenden Psychologin.
Sechs Schritte zur Lösung des Entscheidungskonflikts
Wenn Sie schon lange Zeit zwischen der Fortführung Ihrer Ehe und einer Trennung schwanken, dann ist der erste Schritt, den Entscheidungskonflikt überhaupt lösen zu wollen. Machen Sie sich bewusst, wieso Sie die Entscheidung vor sich hinschieben: Sind Sie durch starke religiöse Überzeugungen an Ihren Ehepartner gebunden? Sind Sie von ihm finanziell abhängig? Werden Sie mit Androhungen von Gewalttätigkeiten, Mord bzw. Selbstmord in der Ehe gehalten? Haben Sie Angst vor dem Alleinsein oder dem Unbekannten? Möchten Sie Ihren Ehepartner - oder Ihre Eltern - nicht verletzen?
Denken Sie darüber nach, wie realistisch diese Vorstellungen sind: Auch in religiösen Gruppen wird heute eine Scheidung weitgehend toleriert. Zumindest in der Trennungsphase (bis Sie eine Arbeitsstelle gefunden haben) - oder bei sehr kleinen Kindern, die von Ihnen betreut werden, auch über diesen Zeitraum hinaus - haben Sie Unterhaltsansprüche gegenüber Ihrem Ehepartner. Überlegen Sie auf der Grundlage der bisher mit Ihrem Partner gemachten Erfahrungen, ob wirklich mit Gewalttätigkeit oder Selbstmord zu rechnen ist oder ob es sich nur um Manipulationsversuche handelt. Machen Sie sich bewusst, dass Sie in erster Linie für Ihr eigenes Glück verantwortlich sind, dass auch für den Ehepartner das Leben in einer unglücklichen Ehe unbefriedigend ist und dass er eine Trennung bestimmt "überleben" wird.
Wollen Sie Ihren Entscheidungskonflikt endgültig lösen, sollten Sie in einem zweiten Schritt die Vor- und Nachteile möglicher Alternativen (sofortige Trennung, spätere Trennung, Verbleib in der Ehe usw.) erfassen. Hier bietet es sich an, "Gewinne" und "Verluste" in zwei Spalten auf einem Blatt Papier aufzulisten, wobei für jede Alternative eine eigene Seite ausgefüllt wird. Auch die Konsequenzen für andere Familienmitglieder und die Reaktionen Dritter sollten berücksichtigt werden. Stellen Sie sich vor, eine Alternative gewählt zu haben, spielen Sie dann in Ihrer Fantasie alle Konsequenzen durch und schreiben Sie diese auf das jeweilige Blatt. Machen Sie sich auf diese Weise deutlich, wie Sie sich gegenüber Ihrem Partner und anderen Personen verhalten würden, welche Erfahrungen Sie in absehbarer Zukunft machen könnten und wie Sie sich ein halbes oder ein Jahr später fühlen würden. Stellen Sie diese Überlegungen für jede Alternative an.
In einem dritten Schritt untersuchen Sie die aufgelisteten Vor- und Nachteile und die zu erwartenden Konsequenzen der jeweiligen Alternative genauer. Dabei kommt es vor allem darauf an zu überprüfen, wie realistisch sie sind. Oft erkennen Sie dann, dass Ihnen wichtige Informationen (z.B. über juristische Abläufe, Scheidungsrecht, Leistungen des Arbeitsamtes, Sozialhilfe oder Frauenhäuser) fehlen, die Sie sich erst noch besorgen müssen.
In einem vierten Schritt entscheiden Sie sich nach Abwägen aller Vor- und Nachteile bzw. möglichen Konsequenzen (vorläufig) für eine der Alternativen.
In einem fünften Schritt stellen Sie einen möglichst genauen Plan zur Realisierung der ausgewählten Alternative auf. Haben Sie sich beispielsweise für eine Trennung entschieden, überlegen Sie, wie Sie den Beschluss am besten dem Partner, den anderen Familienmitgliedern, Ihren Freunden und Verwandten mitteilen, mit welchen Reaktionen Sie zu rechnen haben und auf welche Weise Sie damit umgehen sollten. Ferner sollten Schritte wie die Suche nach einer neuen Wohnung oder einer Arbeitsstelle, der Umzug, das Einschalten eines Rechtsanwalts, der Verbleib der Kinder und Ähnliches reflektiert werden. Auch hier entdecken Sie bei sich oft große Informationslücken. Und wundern Sie sich nicht, wenn jetzt der Entscheidungskonflikt wieder auftaucht und Sie erneut über die anderen Alternativen und deren Vorteile bzw. Konsequenzen nachdenken.
Der sechste Schritt ist schließlich die Durchführung des Plans. Haben Sie sich z.B. für den Verbleib in der Ehe entschieden - aber nur, wenn Ihr Partner mit Ihnen an einer Verbesserung der Paarbeziehung arbeiten will -, sprechen Sie mit ihm offen über Ihre Unzufriedenheit mit der Ehe und Ihren Wunsch nach Veränderung, z.B. in der Form von mehr miteinander verbrachter Zeit, einer Eheberatung oder einem anderen Angebot zur Verbesserung der Ehequalität. Wollen Sie sich trennen, teilen Sie dies Ihrem Partner möglichst in einer dazu geeigneten Situation mit. Stellen Sie sich psychisch auf negative Reaktionen des Ehegatten - aber auch der anderen Familienmitglieder - ein und rechnen Sie mit eigenen Zweifeln, Reue, Angst usw. Manchmal werden Sie daraufhin die Entscheidung wieder rückgängig machen - und vielleicht diskutieren Sie dann die anderen Alternativen, deren Vor- und Nachteile sowie die Konsequenzen mit Ihrem Partner.
Die gemeinsame Suche nach einer Lösung
Wenn Sie zusammen mit dem/der Partner/in bzw. unter Einbindung einer dritten Partei diese sechs Schritte tun, tritt oft die Situation auf, dass Sie sich auf unterschiedlichen Stufen dieses Prozesses befinden. Auch kann es immer wieder zu (recht heftigen) Konflikten kommen, die von der Suche nach der "besten" Alternative ablenken. Ferner können Kommunikationsstörungen den gemeinsamen Entscheidungsprozess beeinträchtigen. Auch das außereheliche Verhältnis eines Partners kann ihn belasten. In einem solchen Fall sollte zumindest versucht werden, ein Ruhen dieser Beziehung bis zur Entscheidung über das Schicksal der Ehe zu erreichen. Ferner tritt häufig die Situation auf, dass einer von Ihnen einer Entscheidung recht nahe kommt, dann aber wieder zurückschreckt. Er/sie will zumeist, dass sich andere zuerst entscheidet und die Verantwortung für das Schicksal der Ehe übernimmt. Entschließt er/sie sich zur Trennung, kann ihm/ihr dann die Schuld zugesprochen werden.
Es ist wichtig, dass Sie solche Hemmfaktoren erkennen. Finden Sie gemeinsam keine Lösung, können Sie sich - wie bereits mehrfach erwähnt - an einen Psychologen oder eine Eheberaterin wenden. Einer solchen Fachkraft gelingt es dann oft noch, Sie zu einer gemeinsamen Entscheidung zu führen - denn bei einer solchen lassen sich z.B. leichter die Trennungsfolgen regeln oder ist es nur sinnvoll, eine Ehetherapie zu beginnen, um der Partnerschaft noch eine weitere Chance zu geben. Der Berater wird auch immer wieder prüfen, ob Sie einander akkurat wahrnehmen, einander verstanden haben, noch zu einer Veränderung des eigenen Verhaltens und der Ehebeziehung zu motivieren sind, und ob die für eine Trennung oder für den Fortbestand der Ehe angeführten Gründe gerechtfertig sind. Wollen Sie beispielsweise nur "um der Kinder willen" zusammenbleiben, wird er mit Ihnen diskutieren, ob sich diese nicht nach einer Trennung ihrer Eltern besser entwickeln würden als in der spannungsgeladenen Atmosphäre einer unbefriedigenden Ehe. Unter Umständen wird er auch auf die hohe Wahrscheinlichkeit hinweisen, dass Kinder in derartigen Familienverhältnissen Verhaltensauffälligkeiten entwickeln. Der Befürchtung, die Kinder durch eine Trennung zu schädigen, wird er dadurch begegnen, dass er Wege zur Verbesserung der Situation von Kindern nach der Scheidung beschreibt.
Haben Sie sich für eine Trennung entschieden, sollten Sie überlegen, ob Sie nicht eine Scheidungsberatung oder Familienmediation nutzen wollen. Ein/e Scheidungsberater/in wird Ihnen beispielsweise helfen, sich emotional voneinander zu lösen, Trennungsängste zu bewältigen, Ihren jeweiligen Beitrag am Scheitern der Ehe zu erkennen, auch die positiven Seiten Ihrer Beziehung zu sehen und einander zu vergeben. Gelingt dies, sind zumeist eine konstruktive Trennung und eine unstrittige Scheidung möglich. Ein/e Mediator/in wird die Position einer neutralen dritten Person einnehmen und Ihnen helfen, die Trennungsfolgen (z.B. Verbleib der Kinder, Besuchszeiten, Aufteilung des Familienbesitzes, Unterhaltszahlungen) zu regeln.