Die Entstehung des "Online-Familienhandbuchs"
Martin R. Textor
Im Jahr 2000 stellten Prof. Dr. Dr. Dr. Wassilios E. Fthenakis und Dr. Martin R. Textor vom Staatsinstitut für Frühpädagogik (München) einen in der Endfassung knapp 40 Seiten umfassenden Projektantrag mit dem Titel "Stärkung der Erziehungskompetenz in der Familie – Das Online-Familienhandbuch" an das Bundesministerium für Frauen, Senioren, Familie und Jugend. Auf einer familienbildenden Website sollten "Eltern eine Vielzahl von Fachbeiträgen zu allen Fragen rund um die Kindererziehung, aber auch zu anderen familienrelevanten Themen, vorfinden". Zugleich sollten Möglichkeiten für Eltern zur Mitgestaltung der Website und zum Informationsaustausch untereinander geschaffen werden.
Als allgemeines Ziel des Online-Familienhandbuches wurde die Unterstützung von Familien durch die Bereitstellung von Informationen benannt, die zu einer erfolgreichen Familienerziehung beitragen, eine bedürfnisorientierte Gestaltung des Familienlebens erleichtern, ein möglichst problemloses Durchlaufen des Lebens- und Familienzyklus ermöglichen sowie zur Nutzung von Chancen für die gemeinsame positive Weiterentwicklung und ein partnerschaftliches Miteinander anhalten. Lebensentwürfe der Partner, ihre Definition der Familienrollen (insbesondere hinsichtlich der Arbeitsteilung und der Machtverhältnisse), ihre Erziehungsvorstellungen und -stile sollten positiv beeinflusst werden.
Insbesondere sollte im Online-Familienhandbuch die Erziehungskompetenz von Eltern gefördert werden durch
- detaillierte, leicht verständliche Informationen über die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, differenziert nach den verschiedenen Entwicklungsphasen und -bereichen;
- Fachbeiträge zur sozialen, kognitiven, emotionalen, motorischen, moralischen, ästhetischen, Sexual-, Medien- und Persönlichkeitserziehung;
- die Betonung von Gewaltfreiheit in der Erziehung;
- die Behandlung immer wieder auftauchender Erziehungsfragen;
- Informationen über die Ursachen von Erziehungsproblemen und Tipps für den Umgang mit ihnen;
- Beschreibung entwicklungsfördernder Aktivitäten und Spiele;
- Artikel über die verschiedenen Kinderbetreuungsangebote und Schulformen, über die Erziehungspartnerschaft zwischen Eltern und Erzieher/innen bzw. Lehrer/innen sowie über die Lösung von Problemen mit diesen Institutionen;
- Informationen über die besondere Situation von Kindern in Scheidungs-, Teil- und Stieffamilien sowie über mögliche Formen der Unterstützung durch die Eltern;
- Fachbeiträge über den Umgang mit behinderten Kindern in der Familie, differenziert nach den verschiedenen Altersstufen und Behinderungsarten;
- Hinweise auf Erziehungsberatungsstellen und andere Einrichtungen, die bei Auffälligkeiten in der kindlichen Entwicklung und bei Erziehungsproblemen helfen können.
Ferner sollten Fragen in Bezug auf das Selbstverständnis von Eltern (Mutteridentität, Vateridentität), die Elternrollen und die gesellschaftlichen Erwartungen an Mutterschaft und Vaterschaft thematisiert werden. Darüber hinaus sollten weitere für das Zusammenleben in Partnerschaft, Ehe und Familie relevante Kompetenzen durch gezielte Informationen verbessert werden. Da sich Eltern intensiv mit der Ernährung und Gesunderhaltung ihrer Kinder beschäftigen (Unfallverhütung, Erste Hilfe, Verhalten bei Krankheiten usw.), sollte das Online-Familienhandbuch auch auf diese Bedürfnisse von Eltern eingehen.
Als Zielgruppen für das Online-Familienhandbuch waren (1) Eltern mit Kindern im Alter von 0 bis 14 Jahren, Paare, werdende Mütter und Familien mit Jugendlichen und Heranwachsenden, (2) Lehrer/innen, Erzieher/innen und Familienbildner/innen sowie (3) Wissenschaftler/innen vorgesehen.
Umsetzung der Projektziele
Die vorgenannten Ziele wurden im Projektzeitraum Januar 2002 bis November 2004 durch die Herausgabe des Online-Familienhandbuchs durch Prof. Fthenakis und Dr. Textor realisiert, die von einem interdisziplinär zusammengesetzten Redaktionsteam unterstützt wurden.
Bis zum Projektende wurden mehr als 1.400 Artikel in das Online-Familienhandbuch eingestellt, die von renommierten Pädagog/innen, Psycholog/innen und Ärzt/innen, Verbandsvertreter/innen, Politiker/innen und Journalist/innen verfasst worden waren. Sie wurden nach verschiedenen Rubriken geordnet, die in drei Ebenen gegliedert sind.
Auf der ersten Ebene, die mit "Aktuelle Fragen" bezeichnet wurde, wurden Texte, die sich vorwiegend an Eltern mit Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden richten, nach folgenden Rubriken geordnet:
- Erziehungsfragen
- Elternschaft
- Partnerschaft
- Kindliche Entwicklung
- Gesundheit
- Behinderung
- Ernährung/Haushalt
- Kindertagesbetreuung
- Schule
- Häufige Probleme
- Trennung/Scheidung
- Teil- und Stieffamilien
Auf der zweiten Ebene namens "Hilfen/Programme" fanden sich eher praktisch orientierte Artikel, Informationen über die Kinder- und Familienpolitik sowie Hinweise auf Hilfsangebote für Familien. Diese Texte waren sowohl für Fachleute als auch für Eltern relevant. Sie wurden nach folgenden Rubriken geordnet:
- Aktivitäten mit Kindern
- Familienpolitik
- Leistungen für Familien
- Angebote und Hilfen
Auf der dritten Ebene wurden eher wissenschaftlich bzw. juristisch ausgerichtete Texte eingestellt, die einer intensiveren Beschäftigung mit relevanten Themen dienten und nach folgenden Rubriken geordnet waren:
- Erziehungsbereiche
- Kindheitsforschung
- Jugendforschung
- Familienforschung
- Familienbildung
- Rechtsfragen
Für Eltern und andere Nutzer/innen wurde ein "Familienforum" geschaffen, in dem sie sich untereinander oder über die in die Website eingestellten Artikel austauschen konnten.
Im Dezember 2003 erschien erstmals die Online-Zeitschrift "Familie leben", die als PDF-Datei in die Website eingestellt wurde. In dem vierfarbigen Online-Journal im Zeitungsstil wurden aktuelle Nachrichten (z.B. über familienpolitische Ereignisse oder relevante Gesetzesänderungen), Kurzinformationen (z.B. über die Ergebnisse von Familienstudien oder pädiatrischen Forschungsarbeiten), Rezensionen (z.B. von Elternratgebern), Tipps (z.B. über jahreszeitspezifische Familienaktivitäten) u.v.a.m. präsentiert. Kurze, prägnante Texte standen im Mittelpunkt – im Gegensatz zu den längeren und grundsätzlicheren Fachartikeln auf der Website. Ältere Ausgaben wurden in einem Archiv gespeichert.
Im Februar 2003 wurden am Ende einer jeden Rubrik des Online-Familienhandbuches Linklisten angefügt, die den Zugang zu qualitativ guten Websites eröffneten, in der Eltern und andere Personen weiterführende oder ergänzende Informationen suchen konnten.
Um das Online-Familienhandbuch bekannt zu machen und um insbesondere weniger "bildungsfreudige" Eltern zu erreichen, wurden viele Tausend Plakate, Poster, Flyer und Lesezeichen verteilt. Fernsehanstalten, Zeitungen und Zeitschriften wurden mehrfach auf das Online-Familienhandbuch aufmerksam gemacht. Zudem wurde es mit anderen Websites mit ähnlichen Zielgruppen verlinkt. Auch viele Seiten von Ministerien, Verbänden, Behörden, Beratungsstellen, Fernsehanstalten, Zeitungen usw. wiesen auf das Online-Familienhandbuch hin.
Ende 2003 bot der Verlag Droemer/Knaur den Herausgebern des Online-Familienhandbuchs an, eine Printversion der Website zu veröffentlichen. Durch diese könnten Eltern erreicht werden, die nicht über einen Internetzugang verfügen. Da sich in der Redaktion des Online-Familienhandbuchs Anfragen häuften, ob es die Website auch in „Buchform“ gäbe, wurde auf dieses Angebot eingegangen.
Die Printversion erschien unter dem Titel "Knaurs Handbuch Familie" im März 2004. Auf knapp 550 Seiten wurden Artikel von rund 100 Autor/innen zur kindlichen Entwicklung, zu Erziehungsfragen und zur Gestaltung des Familienlebens präsentiert. Trotz dieses Seitenumfangs konnte nur ein Teil der in Frage kommenden Artikel verwendet werden. Diese Texte mussten gekürzt, überarbeitet und in eine einheitliche Form gebracht werden.
Zwei Jahre später erschien eine chinesische Ausgabe des Sammelbandes bei der Beijing Zhongzhibowen Book Publishing Co.
Im Januar 2004 wurden acht fremdsprachige Begrüßungstexte auf die Indexseite des Online-Familienhandbuchs einfügt. Entsprechend dem Anteil an der Bevölkerung wurden hierfür Türkisch, Italienisch, Griechisch, Polnisch, Russisch, Serbisch, Kroatisch und Englisch ausgewählt. Je nach Verfügbarkeit wurden in jeder Sprache mehrere Informationstexte und Links zu anderen relevanten Webseiten eingestellt.
Im ersten Halbjahr 2004 wurde ein sehr aufwändiges Qualitätssicherungsverfahren durchgeführt, das nahezu alle Kapazitäten des Redaktionsteams beanspruchte. Alle 1.400 Artikel im Online-Familienhandbuch wurden von jeweils zwei Mitarbeiter/innen überprüft, die nicht für die Redaktion der jeweiligen Rubrik zuständig waren. Als Folge der Überprüfung wurden bei schätzungsweise der Hälfte der Texte Korrekturen vorgenommen. Circa 20 Artikel wurden gelöscht, da sie nicht den Qualitätskriterien entsprachen. Mehr als 30 Artikel wurden inhaltlich überarbeitet – zumeist durch die Autor/innen oder aber in Abstimmung mit ihnen durch den zuständigen Redakteur.
Im Rahmen des Qualitätssicherungsverfahrens wurden auch die Vollständigkeit der Rubriken bzw. der Ergänzungsbedarf ermittelt. Dazu wurden z.B. Elternzeitschriften und andere Websites ausgewertet. Rund 350 Themen wurden identifiziert, die im Online-Familienhandbuch noch nicht behandelt wurden, aber für Eltern relevant sein dürften. Im zweiten Halbjahr 2004 konnten viele dieser Themen durch neue Artikel abgedeckt werden.
Da die Förderung des Projekts "Online-Familienhandbuch" durch das BMFSFJ im November 2004 auslief, wurden dadurch bedingte Veränderungen vorgenommen. So erschien die letzte Ausgabe der Zeitschrift "Familie leben" im August 2004. Stattdessen wurde im September auf der Hauptseite eine Unterrubrik "Aktuelles" eingerichtet, in der kurze Artikel für einen befristeten Zeitraum eingestellt wurden. Dies war mit bei weitem weniger Arbeitsaufwand möglich. Zudem konnten mehr Artikel eingestellt werden – und schneller als zuvor, wodurch auch eine größere Aktualität gegeben war.
Ab Januar 2005 wurde das Online-Familienhandbuch durch eigene Ressourcen des Staatsinstituts für Frühpädagogik weiterentwickelt und aktualisiert.
Die Nutzung des Online-Familienhandbuchs
Analog zum Ausbau der Website und zu den gleichzeitig erfolgenden Werbemaßnahmen nahm die Nutzung der Website stark zu. Im Jahr 2004 wurde das Online-Familienhandbuch knapp zwei Millionen Mal besucht, wobei fast 7,5 Millionen Seiten aufgerufen wurden.
Mit der zunehmenden Zahl der Besucher/innen des Online-Familienhandbuchs wurde auch das "Familienforum" immer intensiver genutzt. Am Ende des Projektzeitraums umfasste es mehr als 6.000 Beiträge von Eltern und anderen Personen.
Die Entwicklung der Website bis 2010/11
Da für die Herausgeber das Projekt abgeschlossen war und die Aufgaben der Redaktion des Online-Familienhandbuchs begrenzt waren, beobachteten Prof. Fthenakis und Dr. Textor nur noch die weitere Entwicklung der Website. Hinzu kam, dass im Jahr 2005 einer von ihnen (Fthenakis) pensioniert wurde und sich der andere (Textor) 2006 beurlauben ließ, um sich der Zukunftsforschung zu widmen. Um diese Zeit herum wurde das Online-Familienhandbuch auf den Server der Bayerischen Staatsregierung überführt.
Während des Projektverlaufs wurde das Layout der Website mehrfach verändert. Im Mai 2008 wurde dann der Titel der Website geändert. Die Website hieß nicht mehr "Das Online-Familienhandbuch", sondern "Das Online-Familienhandbuch des Staatsinstituts für Frühpädagogik (IFP)".
Anfang November 2010 wurden die Namen von Prof. Fthenakis und Dr. Textor von der Startseite des Online-Familienhandbuchs entfernt, ohne dass sie darüber schriftlich oder mündlich informiert wurden. Dies geschah kurz nachdem Prof. Fthenakis auf mehrfaches Drängen hin die Domains familienhandbuch.de/at/ch an das Staatsinstitut für Frühpädagogik übertragen hatte. Proteste der beiden Herausgeber blieben erfolglos. Sie konnten nur erreichen, dass in das Impressum der Website folgender Text aufgenommen wurde: "Das Online-Familienhandbuch wurde erstellt unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. Dr. Wassilios E. Fthenakis (bis 2005) und Dr. Martin R. Textor (bis 2006)."
Seither wird die Website von Mitarbeiter/innen des Staatsinstituts für Frühpädagogik verantwortet und fortgeführt.