Gemeinsamkeiten von Psychotherapieansätzen
Martin R. Textor
In den vergangenen 50 Jahren ist eine Vielzahl von Psychotherapieansätzen entwickelt worden. So werden in Herinks (1980) Sammelband schon mehr als 250 Theorien unterschieden. Dementsprechend wirkt das Feld der Psychotherapie zersplittert und zerrissen, gekennzeichnet durch konkurrierende und einander befehdende "Schulen". Für Hilfsbedürftige ist diese Situation verwirrend; gegenüber der Öffentlichkeit (einschließlich Gesundheitspolitikern, Krankenkassen usw.) kann keine einheitliche und begründete Position bezogen werden. Und für Klienten hängt die Art der Behandlung wesentlich davon ab, welchen der vielen Therapieansätze der Psychotherapeut vertritt, den er aufsucht bzw. an den er überwiesen wird.
Die skizzierte Situation hat dazu geführt, dass Gruppen von Wissenschaftlern und Psychotherapeuten nach Wegen zu ihrer Überwindung suchen. So haben sich folgende fünf Bewegungen herauskristallisiert, die an anderer Stelle (Textor 1988a, b) genauer dargestellt werden: (1) Eklektizismus, (2) Synthese von zwei oder mehreren Therapieansätzen, (3) Integrative Psychotherapie, (4) Suche nach einer einheitlichen Sprache in der Psychotherapie sowie (5) Suche nach Gemeinsamkeiten von verschiedenen Therapierichtungen. Die sehr intensive Diskussion zwischen diesen Bewegungen spielt sich vor allem in der "Society for the Exploration of Psychotherapy Integration" (SEPI) und im "Journal of Integrative and Eclectic Psychotherapy" ab und hat zur Publikation eines Handbuches (Norcross 1986), mehrerer Monographien (z.B. Garfield 1982 a; Textor 1985; Beitman 1987; Wachtel 1987) und vieler Sammelbände (z.B. Marmor, Woods 1980; Goldfried 1982; Textor 1983; Arkowitz, Messer 1984; Plaum 1988) geführt.
Eine dieser Bewegungen, nämlich die Suche nach Gemeinsamkeiten von Therapieansätzen, soll im Folgenden genauer dargestellt werden. Hier wird von der Tatsache ausgegangen, dass mit allen Ansätzen ähnlich große Behandlungserfolge erzielt werden, obwohl zwischen ihnen große Unterschiede hinsichtlich der gewählten Schwerpunkte (Theorieelemente, Konzepte), der diagnostischen Verfahren und der Therapietechniken bestehen (Garfield, Bergin 1978). Daraus ergibt sich die Frage, ob es nicht bestimmte Vorgehensweisen, therapeutische Prozesse oder Charakteristika von Psychotherapeuten bzw. Klienten gibt, die nahezu allen Therapierichtungen eigen sind und auf die man den größten Teil des Behandlungserfolgs zurückführen kann. Im Verlauf der letzten zehn Jahre haben viele Therapeuten derartige "Gemeinsamkeiten" oder "nichtspezifische Behandlungsfaktoren" gefunden und begonnen, auf dieser Grundlage ein umfassendes Modell therapeutischer Veränderung zu entwickeln. Zu diesem Zweck machen sie von der vergleichenden Analyse verschiedener Therapieansätze Gebrauch, wobei sie sich auf die Praxis derselben konzentrieren - denn vielfach stimmen die Berichte und Niederschriften von Therapeuten nicht mit ihrem Handeln in der Therapiesituation überein. So haben einerseits z.B. Glover (1955) sowie Lieberman, Yalom, Miles (1973) nachgewiesen, dass Therapeuten aus einer Schule der Psychotherapie sich trotz desselben Ansatzes in der Praxis unterschiedlich verhalten, während andererseits Murray (1956), Lennard und Bernstein (1960), Truax (1966), Sloane et al. (1975) sowie Barrett, Hampe und Miller (1978) belegten, dass Therapeuten aus verschiedenen Schulen Klienten gegenüber ähnlich reagieren (vgl. Garfield 1982c; Goldfried, Padawar 1982; Goldfried 1983).
Für das Wirken von allen Therapierichtungen gemeinsamen Faktoren spricht auch, dass Klienten in der Regel den Behandlungserfolg auf ähnliche Ursachen zurückführen - unabhängig davon, welchen Therapieansatz der jeweilige Therapeut praktizierte. So verweisen sie zumeist darauf, dass sie ihre Probleme besser zu verstehen lernten, sich ihnen stellen mussten, größere Selbsterkenntnis erlangten oder durch die Persönlichkeit des Therapeuten positiv beeinflusst wurden. Nur selten werden Faktoren erwähnt, die eigentlich laut den Repräsentanten des jeweiligen Therapieansatzes den Behandlungserfolg verursachen müssten ( Sloane et al. 1975). Für die Existenz von Gemeinsamkeiten spricht ferner, dass sich mit Hilfe von atheoretischen Schulungsprogrammen, durch die bestimmte Fähigkeiten trainiert und verbessert werden, die Wirksamkeit von Therapeuten erhöhen läßt (Ward 1983). Im folgenden Teil sollen einige der wichtigsten nicht-spezifischen Behandlungsfaktoren dargestellt werden.
Motivation des Klienten
Allen Therapierichtungen ist gemeinsam, dass sie die Motivation des Klienten als eine unverzichtbare Voraussetzung für einen Behandlungserfolg betrachten. Dieser muss willens sein, in den Sitzungen aktiv und kooperativ mitzuwirken, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen und intensiv an sich selbst zu arbeiten. So schreibt Garfield (1982a): "Die Verantwortung bei dem Versuch, seine Anpassungsfähigkeit zu verbessern, wird dem Klienten aufgetragen. Der subjektiv empfundene Leidensdruck und die Motivation, davon loszukommen, müssen so stark sein, dass sich der Klient dazu bereit erklärt, die manchmal anstrengende Aufgabe der Selbstexploration und späteren Verhaltensmodifikation anzugehen und dabei durchzuhalten" (S. 10; vgl. Goldfried et al. 1980; Prochaska, DiClemente 1982; Fuerst 1983). So sollte der Klient Opfer bringen sowie Stress, Schmerz und Frustration ertragen können.
Nahezu alle Psychotherapeuten versuchen, die Motivation ihrer Klienten vor allem zu Beginn der Behandlung zu verstärken. So lassen sie sie z.B. über vergangene Erfolgserlebnisse sprechen und wecken auf diese Weise die Erwartung, dass sie auch die derzeitigen Probleme und Konflikte bewältigen, sich fehlende Fertigkeiten und Verhaltensweisen aneignen sowie nach Therapieende wieder effektiv und erfolgreich handeln werden. Die Motivation der Klienten kann aber auch dadurch vergrößert werden, dass über positive Konsequenzen der zu erarbeitenden Verhaltensänderungen diskutiert wird. Vor allem aber wirken sich kleinere Erfolgserlebnisse in oder nach den ersten Sitzungen positiv auf Frustrationstoleranz, Durchhaltevermögen und Antriebskraft der Klienten aus. Ferner motivieren viele Therapeuten ihre Patienten dadurch, dass sie Zwischenziele setzen und im Verlauf der Behandlung immer wieder gemeinsam mit ihnen den Fortschritt überprüfen. Aber immer schreiben sie Erfolge den Klienten zu, da diese sich nur auf solche Weise ihrer Fähigkeiten sicher werden können (vgl. Bandura 1977; Fuerst 1983; Hollon 1983).
Die meisten Therapeuten ermutigen ihre Klienten auch direkt oder indirekt zur Veränderung ihres Denkens, Fühlens und Handelns, regen neue Verhaltensweisen oder die Ausführung zuvor vermiedener Tätigkeiten an und fördern deren Entscheidungsbereitschaft. Dabei machen sie vielfach von Suggestion oder sozialem Druck Gebrauch (vgl. Garfield 1982a; Prochaska, DiClemente 1982; Goldfried 1983; Frank 1984; Mendelsohn, Silverman 1984). Zumeist wirkt sich auch positiv auf die Therapiemotivation der Klienten aus, wenn diese den Therapeuten achten und bewundern sowie ein Bedürfnis nach seiner Liebe, Zuneigung und Wertschätzung verspüren. Förderlich ist außerdem, wenn sie hinsichtlich Schichtzugehörigkeit, Wertsystem usw. mit den Therapeuten übereinstimmen sowie bereits Grundkenntnisse im Bereich der Psychotherapie besitzen (vgl. Goldfried et al. 1980; Greben 1981; Garfield 1982a).
Hoffnung
Allen Therapierichtungen ist gemeinsam, dass in Klienten Hoffnung erzeugt und die Erwartung auf Hilfe geweckt wird - wobei hier natürlich ein enger Zusammenhang mit ihrer Motivation festzustellen ist. So strahlen Therapeuten Zuversicht aus, lassen baldige Fortschritte erhoffen und bekämpfen die "Demoralisierung" (Frank 1984) ihrer Patienten, welche zu einem Verlust an Selbstachtung, zu Hilf- und Hoffnungslosigkeit sowie Gefühlen des Versagens, der Unfähigkeit und der Lebensuntauglichkeit führte. Sie glauben daran, dass in jedem Menschen ein starker Drang nach psychischer Gesundheit und Selbstaktualisierung wirkt, dass jeder die für eine positive Weiterentwicklung notwendigen Kräfte besitzt. Diese Grundhaltung wird zum einen bewusst oder unbewusst auf die Klienten übertragen, die dementsprechend eine Verbesserung ihrer Situation erwarten. Zum anderen lässt sie die Therapeuten ihnen gegenüber anders als andere Menschen reagieren - so zeigen diese Zuneigung, Wärme, Empathie usw. statt Abneigung, Spott, Zurückweisung und ähnliche negative Reaktionen. Dieses Verhalten verstärkt die positive Erwartungshaltung der Patienten (vgl. Goldfried et al. 1980; Garfield 1982a; Prochaska, DiClemente 1982; Rauchfleisch 1982; Fuerst 1983; Kazdin 1984; Mendelsohn, Silverman 1984).
Hoffnung entsteht auch in den Klienten dadurch, dass sie Therapeuten eine bestimmte professionelle Rolle zuschreiben und sie dementsprechend mit Kompetenz, Wissen, Autorität usw. ausstatten. Zudem glauben sie, dass diese ihre Probleme verstehen werden, an ihrem Wohl interessiert sind und ihnen helfen können. Oft werden positive Erwartungen noch durch frühere Erfahrungen oder die Berichte von Freunden und Kollegen verstärkt. Hier spielen selbstverständlich auch die Medien eine Rolle, die bestimmten Therapierichtungen besonders viel Beachtung schenken und so das Prestige ihrer Vertreter vergrößern. Therapeuten nutzen natürlich diese Voreinstellungen und verstärken sie, indem sie die Effektivität ihres Ansatzes betonen (vgl. Goldfried et al. 1980; Garfield 1982b; Marmor 1982; Mendelsohn, Silverman 1984; Strong 1984).
Therapeutische Beziehung
Nahezu allen Therapierichtungen ist gemeinsam, dass die therapeutische Beziehung als Fundament der Behandlung bezeichnet und besonders gefördert wird. Von Klienten wird sie als wichtigster Bestandteil der Therapie bezeichnet, während die Therapieforschung ihre große Bedeutung für das Erzeugen positiver Veränderungen im Verhalten und Erleben der Patienten ermittelt hat (vgl. Sloane et al. 1975; Garfield, Bergin 1978; Goldfried et al. 1980). Die therapeutische Beziehung lässt sich als Dialog auf der Ich-Du-Ebene, an dem Klient und Therapeut in ihrer Ganzheit teilnehmen, oder als Begegnung konzeptualisieren. Sie ist durch Respekt, Vertrauen, Ehrlichkeit, Offenheit und Echtheit gekennzeichnet (Rauchfleisch 1982; Textor 1985; 1987). Lazarus (1983) schreibt: "Ohne die Entwicklung einer engen Beziehung werden Menschen wenig geneigt sein, beunruhigende, peinliche oder angsterzeugende Informationen zu offenbaren" (S. 48). Ohne ein derartiges Verhältnis werden sie auch nicht bereit sein, Feedback anzunehmen, Ratschläge zu befolgen oder Übungen bzw. therapeutische Hausaufgaben auszuführen (Goldfried et al. 1980; Fuerst 1983).
Zumeist besteht Einigkeit darüber, dass Zuneigung, Wärme, Akzeptanz, Verlässlichkeit, Intuition und Empathie seitens der Therapeuten Voraussetzungen für die Ausbildung einer solchen Beziehung sind. Auch sollten Therapeuten konkret und kongruent kommunizieren und dieselbe Sprache wie ihre Klienten verwenden. Sie sollten Ängste abbauen, Interesse an den Aussagen der Klienten haben, Verständnis für ihre Gedanken, Emotionen und Motive zeigen und diese nicht werten. So wird allgemein die Bedeutung der interpersonalen Fertigkeiten der Therapeuten für den Behandlungserfolg betont (vgl. Hansen, Stevic, Warner 1977; Greben 1981; Hyan 1981; Garfield 1982a, b; Fuerst 1983; Lazarus 1983). Das Erleben von Intimität, Aufmerksamkeit usw., also die neue Beziehungserfahrung, führt seitens der Klienten dazu, dass sie selbstbewusster und emotional stärker werden. Sie gewinnen an Selbstachtung, sind motivierter und ändern sich, weil sie sich noch mehr Zuneigung und Achtung wünschen. Die auf die beschriebene Weise hervorgerufenen Gefühle der Klienten geben den Therapeuten also Macht und Einfluss. Zugleich sind letztere aber auch den Patienten bei der Entwicklung ähnlich positiver Beziehungen in ihrem Netzwerk behilflich (vgl. Hansen, Stevic, Warner 1977; Goldfried et al. 1980; Greben 1981; Strong 1984).
Beim Herstellen der therapeutischen Beziehung müssen sich Psychotherapeuten in der Regel mit Widerständen, verfälschten Informationen oder Phantasien seitens der Klienten auseinandersetzen. Auch müssen sie darauf achten, dass sie deren Wunsch nach Liebe, Schutz, Zuspruch, Hilfe usw. nicht so sehr entgegenkommen, dass sie die Patienten abhängig machen, unreif halten und die notwendige harte Arbeit an sich selbst verhindern (Hansen, Stevic, Warner 1977; Mendelsohn, Silverman 1984; Rhoads 1984). Von vielen Therapierichtungen wird zudem betont, dass in die therapeutische Beziehung Emotionen, Ängste, Verhaltensmuster, Erwartungen, Phantasien, ungelöste Probleme und Konflikte aus früheren (frühkindlichen) Beziehungen der Klienten einfließen bzw. wiederbelebt werden. Diese können aufgezeigt und interpretiert werden, während sich gleichzeitig ihr Ursprung, ihre Bedeutung und ihr Einfluss auf die Gegenwart ermitteln lassen. Zudem kann dabei das Verhältnis zu signifikanten Anderen untersucht werden. Indem die Therapeuten anders als diese reagieren und handeln, vermitteln sie den Klienten neue Beziehungserfahrungen und lehren ihnen neue Wege des Umgangs mit anderen (vgl. a.a.O.; Goldfried et al. 1980). Zu beachten ist allerdings, dass auch Therapeuten manchmal Gefühle, Werte, Einstellungen usw. auf ihre Klienten übertragen und dann irrational reagieren. So mögen sie sich z.B. zu stark mit ihnen identifizieren, unter vergleichbaren Problemen leiden, Gefühle der sexuellen Anziehung oder der Antipathie verspüren oder unbewusst auf Emotionen der Klienten reagieren. Sie müssen sich dieser Reaktionen bewusst werden und sie durcharbeiten. Dabei helfen vielfach eine persönliche Therapie oder eine Supervision.
Persönlichkeit des Therapeuten
Die Vertreter nahezu aller Therapierichtungen sind sich auch darüber einig, dass Therapeuten psychisch gesund sein sollten. Eine ausgereifte Persönlichkeit, Selbstdifferenzierung und innere Stärke, die aus psychischer Stabilität und einem positiven Beziehungsleben resultiert, sind weitere wünschenswerte Vorbedingungen für ein therapeutisches Wirken. Psychotherapeuten sollten sich selbst verstehen, sich der eigenen Gedanken, Gefühle, Motive und nonverbalen Reaktionen bewusst sein und die eigenen Grenzen, Unzulänglichkeiten und Fehler kennen. Ferner wird erwartet, dass sie fachlich kompetent sind, ein großes Wissen haben, von allen Wahrnehmungskanälen Gebrauch machen können sowie gute diagnostische, kommunikative und interpersonale Fertigkeiten besitzen. Auch sollten sie Vertrauen in sich selbst und ihre Methoden haben, sensibel, authentisch, aufrichtig, objektiv und vertrauenswürdig sein sowie Klienten positive Gefühle entgegenbringen (vgl. Sloane et al. 1975; Goldfried et al. 1980; Greben 1981; Garfield 1982a; Fuerst 1983; Textor 1985).
Die genannten Charakteristika und Fähigkeiten sind Voraussetzungen dafür, dass Therapeuten als Vorbilder wirken und auf diese Weise Verhaltensänderungen erzielen können. Die Klienten identifizieren sich unbewusst mit ihnen und ahmen bestimmte Verhaltensweisen, Einstellungen und Fertigkeiten nach. Selbstverständlich setzen die meisten Therapeuten auch bewusst auf das Modelllernen, indem sie z.B. die im Verhaltensrepertoire ihrer Patienten fehlenden Reaktionen immer wieder vormachen, durch ihre Offenheit die Klienten zu mehr Selbstöffnung stimulieren oder Rollenspiele einsetzen. Da sie nicht vermeiden können, dass sie von ihren Patienten als Vorbilder betrachtet werden, sollten sie fortwährend ihr Verhalten und ihre Wirkung auf andere überprüfen (vgl. Bandura 1977; Hansen, Stevic, Warner 1977; Garfield 1982a; Marmor 1982; Fuerst 1983; Rhoads 1984).
Erklärung für Probleme
Fast allen Therapierichtungen ist auch gemeinsam, dass sie Klienten wissenschaftlich begründete oder im "Glaubenssystem" der jeweiligen Schule der Psychotherapie verankerte Erklärungen für gestörte Erlebens- und Verhaltensweisen anbieten. Dabei scheint der Inhalt dieser Erklärungen von geringerer Bedeutung als das Akzeptieren derselben durch die Patienten zu sein. Beispielsweise schreibt Garfield (1982b): "Es sollte offensichtlich sein, dass die von Freudianern, Sullivanianern, Jungianern, Adlerianern, Rogerianern, Verhaltenstherapeuten und Medizinmännern hervorgerufenen Einsichten ziemlich unterschiedlich sind - dennoch hat augenscheinlich jede eine therapeutische Wirkung. Die einfachste Erklärung scheint zu sein, dass schon das Benennen oder Erläutern der Schwierigkeiten des Klienten beruhigend oder therapeutisch für denselben ist, unabhängig davon, welche Erklärung gegeben wird" (S. 138; vgl.: Garfield 1982a). So dürfte das Verstehen des Problems die Angst vor ihm reduzieren, bisher unerklärlichen Erfahrungen Sinn geben und die Hoffnung auf positive Veränderungen verstärken.
Psychotherapeuten erklären auf vielerlei Weise die Probleme ihrer Klienten. Beispielsweise können sie nach der Funktion auffälliger Verhaltensweisen suchen, die ihnen zugrundeliegenden Gefühle, Phantasien oder Konflikte aufdecken und den Beitrag der Patienten bzw. anderer Menschen zu den Problemen aufzeigen. Viele erläutern auch, wie die Symptome genutzt werden, um einen primären bzw. sekundären Krankheitsgewinn zu erzielen oder um mit ihrer Hilfe Beziehungen zu kontrollieren. Ferner suchen viele Therapeuten die Ursachen der Probleme ihrer Klienten in deren Lebensgeschichte, indem sie interpersonale Beziehungen in der Gegenwart mit solchen in der Vergangenheit vergleichen, immer wiederkehrende Verhaltensmuster identifizieren oder pathogene Strukturen und Prozesse in der Herkunftsfamilie und ihre Wirkung auf die psychische Entwicklung der Klienten untersuchen. Meist wird davon ausgegangen, dass Einsicht in die Ursachen von Problemen zu neuen Kognitionen und Verhaltensänderungen führen (vgl. Hansen, Stevic, Warner 1977; Goldfried et al. 1980; Fuerst 1983).
Freisetzen und Verändern von Emotionen
Das Erkennen der Ursachen von Schwierigkeiten ist zumeist auch mit der Freisetzung von Spannungen, innerem Druck und verdrängten Gefühlen verbunden, die nun abreagiert werden können. Anschließend fühlen sich die Klienten in der Regel erleichtert und befreit (vgl. Urban 1981; Marmor 1982; Prochaska, DiClemente 1982). Hinzu kommt, dass das Reden über die eigenen Schwierigkeiten beruhigend wirkt. So schreibt Garfield (1982a): "Wenn der Klient über seine Probleme, die ihn gestört haben, zu sprechen beginnt, scheinen sie allmählich ihre angstauslösende Qualität zu verlieren" (S. 114). Gleichzeitig beruhigt der Therapeut ihn, indem er die Probleme als nicht ungewöhnlich und als lösbar bezeichnet, Verständnis und Anteilnahme zeigt sowie verdeutlicht, dass der Klient Schwierigkeiten ohne negative Konsequenzen angehen kann.
Nahezu alle Psychotherapeuten fördern auch einen offenen Gefühlsausdruck, bauen Hemmungen ab und bezeichnen alle Emotionen und Impulse als akzeptabel - auch solche, die früher unterdrückt oder tabuisiert wurden. Zugleich lassen sie Gefühle benennen und reflektieren, zeigen die Art ihrer Verarbeitung auf und betonen, dass sie kontrollierbar sind. Sie helfen den Klienten, die Bandbreite ihrer Emotionen zu erweitern und diese bewusst hinsichtlich ihrer Stärke zu variieren. Auf diese Weise lernen die Patienten auch Selbstbeherrschung (vgl. Goldfried et al. 1980; Goldfried 1983; Frank 1984; Mendelsohn, Silverman 1984).
Veränderung von Kognitionen
Nahezu alle Therapeuten machen Klienten ihr Erleben und Verhalten bewusst, erweitern ihren Wahrnehmungsrahmen und klären psychische Prozesse. Sie bezeichnen die größere Bewusstheit von intrapersonalen und zwischenmenschlichen Vorgängen als wichtigste Voraussetzung dafür, dass Patienten sich selbst besser verstehen sowie die eigenen Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen bewerten und verändern können. Zudem lassen sich nur dann Wahrnehmungsfilter, Wissenslücken, unrealistische Ziele, überhöhte Erwartungen und falsche Ideale sowie Vorurteile, irrationale Grundsätze, problematische Einstellungen und negative Selbstgespräche aufzeigen, in Frage stellen und modifizieren (Goldfried et al. 1980; Fuerst 1983).
So machen die meisten Psychotherapeuten ihren Klienten bewusst, wie negative Gefühle und Einstellungen kognitive Prozesse verfälschen, welche Denkfehler sie machen und auf welche Weise sie sich eine eigene Wirklichkeit aufbauen. Auch weisen sie nach, dass die Patienten ihr eigenes Verhalten sowie die Reaktionen anderer Menschen falsch erklären. Dabei konfrontieren sie sie mit der Diskrepanz zwischen ihrer Sicht und derjenigen der Therapeuten oder mit dem Widerspruch zwischen Realität und Illusion. So verändern sie Wahrnehmungsprozesse, lehren bessere Wege der Informationsverarbeitung und vermitteln neue Perspektiven. Gleichzeitig ändern sie die Weise, wie Klienten Phänomene sehen und interpretieren, wie sie sich selbst und andere beurteilen (Selbstkonzept). Auch diskutieren sie mit ihnen über die Konsequenzen von Verhaltensweisen, lassen diese neu bewerten und verändern Erwartungen der Bestrafung bzw. Belohnung. Zudem erweitern sie das Verhaltensrepertoire der Patienten, indem sie fehlende Reaktionen durchdenken bzw. symbolisch konzeptualisieren und dann erst ausprobieren lassen. So führt die Modifikation kognitiver Prozesse auch zu Verhaltensänderungen (vgl. Bandura 1977; Goldfried et al. 1980; Urban 1981; Hilton 1983; Hollon 1983; Lazarus 1983).
Nahezu alle Therapeuten helfen ihren Klienten, Probleme zu lösen und sich die dazu notwendigen Fähigkeiten anzueignen. Sie fordern sie auf, die Schwierigkeiten genau und objektiv zu beschreiben, lassen diese unter neuen Gesichtspunkten betrachten und verweisen auf falsche oder fehlende Informationen. Dann suchen sie gemeinsam mit ihnen nach denkbaren Lösungen, helfen ihnen bei der Bewertung der sich ergebenden Alternativen, lassen eine auswählen (auch wenn alle möglichen Konsequenzen nicht erfasst werden konnten) und in die Tat umsetzen. Dabei verweisen sie die Klienten auch auf Ressourcen in ihrer Umwelt. Zum Schluss wird gemeinsam das Ergebnis bewertet und, falls notwendig, ein neuer Problemlösungsversuch in Angriff genommen. So lernen die Klienten, Entscheidungen zu fällen, Verantwortung zu übernehmen und neue Fertigkeiten auszubilden (vgl. Hansen, Stevic, Warner 1977; Goldfried et al. 1980; Prochaska, DiClemente 1982; Fuerst 1983).
Informationsvermittlung
Unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten Schulen der Psychotherapie vermitteln alle Therapeuten Informationen. So schließen sie beispielsweise Wissenslücken (z.B. über sexuelle Verhaltensweisen), die ein effektives Handeln verhindern. Oder sie verweisen auf Ressourcen in der Umwelt der Klienten (Selbsthilfegruppen, Einrichtungen der Wohlfahrtsverbände, staatliche Hilfen usw.) und erschließen ihnen auf diese Weise neue Hilfsquellen. Oft erleichtern sie ihnen auch die Bewältigung von Schwierigkeiten, indem sie Problemlösungsmodelle, Strategien oder alternative Lösungsmöglichkeiten beschreiben. Durch die Vermittlung von Informationen (z.B. über die Häufigkeit von Masturbation) können zudem Selbsterfahrung, Selbstbild oder Einstellungen von Patienten verändert werden (vgl. Hansen, Stevic, Warner 1977; Urban 1981; Frank 1984).
Verhaltensänderung
Nahezu alle Psychotherapeuten beeinflussen auch bewusst oder unbewusst, systematisch oder zufällig das Verhalten ihrer Klienten. Sie machen ihnen bewusst, dass problemerzeugende oder symptomatische Verhaltensweisen kontrollierbar sind. So analysieren sie die vorausgehenden und die nachfolgenden Reaktionen. Dann ändern sie z.B. die das problematische Verhalten auslösenden Reize, lassen diese aus einer anderen Perspektive wahrnehmen oder schlagen andere Reaktionsweisen vor. Vor allem wenn es den Klienten gelingt, in solchen Situationen effektiv zu handeln und negative Emotionen zu ertragen, erlernen sie Selbstkontrolle, ändert sich ihr Selbstbild und gewinnen sie an Selbstbewusstsein (vgl. Bandura 1977; Goldfried et al. 1980; Garfield 1982a; Prochaska, DiClemente 1982; Salzmann 1984).
Jeder Therapeut lobt oder tadelt auch Verhaltensweisen seiner Klienten, wobei er dieses offen oder verdeckt, bewusst oder unbewusst tut. So meint Garfield (1982a): "Im Grunde genommen trachtet der Therapeut danach, diejenigen Reaktionen des Klienten positiv zu verstärken, die er für wünschenswert hält, und diejenigen Reaktionen negativ zu verstärken bzw. auszulöschen, die mit den therapeutischen Zielen unvereinbar sind" (S. 107; vgl. Greben 1981; Rhoads 1984). So passt er sich nicht wie andere Menschen den Beeinflussungsstrategien des Patienten an, so dass sie abgelegt und neue ausprobiert werden müssen. Auch definiert er Symptome um, modifiziert die Funktion von Reaktionen oder ändert die Folgen derselben (bzw. die ihnen zugemessene Bedeutung), durch die das Verhalten des Klienten kontrolliert wird. Dabei macht er z.B. von Überredung, Suggestion, Interpretation oder Konfrontation Gebrauch. Vielfach wird auch die Umwelt der Klienten manipuliert, so dass bestimmte Stimuli nicht mehr auftreten oder sich die Patienten anders verhalten und neue Erfahrungen machen müssen (vgl. Bandura 1977; Prochaska, DiClemente 1982a; Fuerst 1983; Strong 1984).
Die meisten Therapeuten leiten ihre Klienten auch direkt oder indirekt beim Erlernen und Einüben neuer Fertigkeiten und Kompetenzen an. Sie bieten ihnen die Gelegenheit zum Experimentieren in einer angstfreien Atmosphäre und lassen sie dann die erlernten Verhaltensweisen außerhalb des Behandlungszimmers verwenden (Hausaufgaben). Manchmal müssen die Klienten auch ihnen unbekannte Situationen aufsuchen, in denen sie die erworbenen Fertigkeiten einsetzen und Sicherheit im Umgang mit ihnen gewinnen können (Erfolgserlebnisse). Im Verlauf der Behandlung werden immer höhere Anforderungen an sie gestellt, so dass ihre Effektivität mehr und mehr gesteigert wird. Viele Klienten müssen zudem lernen, sich durchzusetzen, so dass sie intrinsischen Motiven folgen und ihre Umwelt verändern können. Häufig werden ihnen auch Kommunikationstechniken vermittelt (vgl. Bandura 1977; Goldfried et al. 1980; Fuerst 1983; Lazarus 1983; Mendelsohn, Silverman 1984; Textor 1985).
Veränderung von Selbstwahrnehmung und Selbstbild
Nahezu alle Therapeuten führen ihre Klienten auch zur Introspektion, zum Dialog mit sich selbst, zur inneren Begegnung. Sie lassen sie ihr Denken, Fühlen und Handeln reflektieren, machen ihnen ihre Wünsche und Bedürfnisse bewusst, klären die Dynamik intrapsychischer Prozesse und zeigen die Bedeutung von Träumen, Phantasien oder nonverbalen Botschaften auf. Oft fördern sie auch die Körperwahrnehmung ihrer Klienten und die Identifikation mit dem eigenen Geschlecht, führen sie zur Akzeptanz ihres Körpers und ihrer Sexualität. Ferner besprechen sie die Stärken und Schwächen der Patienten und weisen auf Widersprüche in ihrem Selbstbild hin. Vielfach müssen aber zuerst Abwehrmechanismen bewusst gemacht und abgebaut werden, bevor die Klienten Zugang zu inneren Prozessen und Empfindungen haben (vgl. Hansen, Stevic, Warner 1977; Goldfried et al. 1980; Urban 1981; Fuerst 1983; Textor 1985).
Die meisten Therapeuten erforschen auch, wie die Klienten ihr eigenes Verhalten und das anderer Menschen interpretieren, und reorganisieren Vorstellungen über sich selbst und andere. Ferner diskutieren sie mit ihnen über die von ihnen ausgeübten Rollen und helfen ihnen, sie entsprechend ihren Wünschen und Bedürfnissen zu definieren. Auch nehmen sie Einfluss auf das Weltbild, die Lebensphilosophie, die Einstellungen und Werte der Klienten (vgl. Goldfried et al. 1980; Greben 1981; Fuerst 1983; Lazarus 1983). Viele dieser Veränderungen werden mit Hilfe von Feedback erreicht. Beispielsweise beschreiben die Therapeuten ihre eigenen Reaktionen auf das Verhalten der Klienten, so dass diese erfahren, wie sie auf andere Menschen wirken. Vielfach werden sie auch aufgefordert, andere Personen um Rückmeldung zu bitten. Feedback kann ferner durch Fragen, Erklärungen, Kommentare, Interpretationen oder mit Hilfe von Ton- und Videoaufzeichnungen gegeben werden. Auf diese Weise wird erreicht, dass die Klienten mit sich selbst konfrontiert werden, sich selbst besser kennenlernen (Selbstbeobachtung, Selbsterkenntnis), ihre Persönlichkeit neu bewerten und ihr Verhalten ändern (vgl. Bandura 1977; Goldfried et al. 1980; Prochaska, DiClemente 1982; Goldfried 1983).
Selbstwahrnehmung und Selbstbild werden aber vor allem durch neue Erfahrungen korrigiert. So werden die Klienten angehalten, in der Therapiesituation andere Denk- und Verhaltensweisen auszuprobieren. Ferner lassen Therapeuten sie korrigierende Erfahrungen (verbunden mit neuen Einsichten) in realen, analogen oder vorgestellten Situationen, innerhalb und außerhalb des Behandlungsraumes machen. Aufgrund der erlebten Erfolge werden sich die Klienten der erworbenen Fertigkeiten sicher, gewinnen Selbstvertrauen und beginnen, an die eigene Leistungsfähigkeit, Kraft und Tüchtigkeit zu glauben. Von größter Bedeutung ist in diesem Zusammenhang aber die therapeutische Beziehung: Die erlebte Wärme, Empathie und Zuneigung, die Offenheit im Ausdruck von Gedanken, Ängsten, Emotionen, Bedürfnissen und Vorstellungen, der Eindruck, dass diese ernstgenommen werden, das Gefühl, angenommen, akzeptiert und als einzigartiges Individuum respektiert zu werden - all dieses führt zu einer Korrektur von Selbstwahrnehmung und Selbstbild. Zugleich wird die Individuation der Klienten gefördert und die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung eröffnet (vgl.: Bandura 1977; Goldfried et al. 1980; Kazdin 1984; Textor 1985).
Deutlich wird, dass viele der herausgestellten nichtspezifischen Behandlungsfaktoren von recht allgemeiner Art sind. Dennoch verweisen sie darauf, dass zwischen den verschiedenen Schulen der Psychotherapie grundlegende Gemeinsamkeiten bestehen. So kann durch die Suche nach derartigen Behandlungsfaktoren ein Beitrag zur Überwindung der zwischen Therapierichtungen herrschenden theoretischen und methodischen Auseinandersetzungen geleistet werden. Zudem bietet sich hier der Psychotherapieforschung ein fruchtbares Arbeitsfeld, da die Suche nach Gemeinsamkeiten am besten durch die multidimensionale Untersuchung ausgewählter Sitzungen von Vertretern verschiedener Therapierichtungen erfolgen sollte. Auf diese Weise werden sicherlich auch nichtspezifische Behandlungsfaktoren gefunden, die über Allgemeinheiten hinausgehen.
Quelle
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