Weshalb soll ich im Kindergarten mitwirken?
Martin R. Textor
Die Zeit, über die ich frei verfügen kann, ist sehr knapp geworden. Ich arbeite vier bzw. acht Stunden am Tag, benötige ein bis zwei Stunden für Fahrzeiten, muss einkaufen und zusammen mit meinem Partner die Hausarbeit erledigen. Mein Kind ist in einer Kindertageseinrichtung untergebracht und wird dort gut betreut. Dennoch nimmt es am Abend und am Wochenende viel von meiner Zeit in Anspruch.
Schon beim ersten Gespräch hat die Erzieherin gesagt, ich soll im Kindergarten "mitwirken" . Aber ich habe doch jetzt kaum noch Freizeit. Und da soll ich fortwährend in den Kindergarten kommen? Die Erzieherin soll doch nur mein Kind betreuen! Wozu soll denn meine Mitwirkung gut sein?
In erster Linie geht es hier um Ihr Kind! Die Erzieherin möchte mit Ihnen eine Erziehungspartnerschaft zum Wohl Ihres Kindes aufbauen. Sie möchte von Zeit zu Zeit mit Ihnen über die Entwicklung Ihres Kindes sprechen und darüber, ob in Ihrer Familie irgendetwas passiert ist, was wichtig wäre, um das Verhalten Ihres Kindes im Kindergarten besser verstehen zu können. Die Erzieherin hat nicht nur mehr Vergleichsmöglichkeiten als Sie, sondern auch mehr Erfahrung mit dieser Altersgruppe und mehr entwicklungspsychologisches Wissen. Daher haben auch Sie etwas von solchen Gesprächen: Sie können nicht nur nachfragen, wie sich Ihr Kind im Kindergarten verhält, sondern auch, wie sein Entwicklungsstand im Vergleich zu Gleichaltrigen ist.
Und wenn Sie mit der Erzieherin Ihres Kindes von Zeit zu Zeit längere oder kürzere Gespräche führen, können Sie ihr gegenüber auch Ihre Erziehungsziele äußern und klären, ob Ihr Kind in der Kita Ihren Vorstellungen entsprechend erzogen wird. Wichtig ist das Gespräch vor allem dann, wenn Ihr Kind besondere Bedürfnisse hat, also z.B. sehr schüchtern oder recht agrressiv, in einem Bereich entwicklungsverzögert oder behindert ist. Dann ist es wichtig, notwendige Erziehungsmaßnahmen mit der Erzieherin abzustimmen, sodass Ihre Familie und der Kindergarten einander unterstützen können. Ist Ihr Kind nur zu Hause "schwierig" , können Sie sich beraten lassen, wie Sie anders mit ihm umgehen können.
Wenn Sie sich im Kindergarten engagieren, können Sie sich auch für gute Entwicklungsbedingungen für alle Kinder einsetzen. Wenn Sie - und andere Eltern auch - mehrmals pro Jahr im Kindergarten mithelfen, also z.B. Kindern vorlesen, mit ihnen Bilderbücher betrachten, sie bei Aktivitäten wie Malen oder Basteln anleiten, ihnen Ihren Beruf oder Ihre Hobbys vorstellen oder in einem Projekt mitarbeiten, dann tragen Sie zu einer Erweiterung des Bildungsangebots der Kita bei. Je mehr Erwachsene sich mit den Kindern beschäftigen, umso mehr lernen diese - auch kommunikative und soziale Kompetenzen!
In manchen Kindergärten können Eltern sogar an der Entwicklung bzw. Fortschreibung der pädagogischen Konzeption, an der Jahres- oder Rahmenplanung mitwirken. Hier können Sie Ihre pädagogischen Vorstellungen einbringen. Noch mehr Mitwirkung ist möglich, wenn Sie in den Elternbeirat gewählt werden. Dieser hat zwar keine Mitbestimmungsrechte, muss aber in wesentlichen Angelegenheiten der Kita angehört werden. Hier können Sie die Interessen der Kinder und der Elternschaft gegenüber den Erzieher/innen und dem Träger des Kindergartens vertreten.
Die Mitwirkung in der Kita ist für Sie persönlich auch mit einem Wissens- und Kompetenzgewinn verbunden. Hospitieren Sie z.B. in der Gruppe, können Sie Ihr Kind im Spiel bzw. in der Interaktion mit anderen erleben und Ihren Eindruck von seinem Entwicklungsstand überprüfen. Auch erleben Sie, wie die Erzieherin mit den Kindern umgeht, also wie sie z.B. reagiert, wenn ein Kind nörgelt, trotzig oder aggressiv ist. Da können Sie vielleicht hinsichtlich der Erziehung Ihres Kindes profitieren. Dasselbe gilt, wenn Sie Elternabende zu pädagogischen Themen besuchen oder in einem Elterngesprächskreis Erfahrungen mit Kindern austauschen. Davon können Sie bei der Erziehung Ihres Kindes nur profitieren!
Sogar neue Freunde können Sie gewinnen, wenn Sie im Kindergarten mitwirken! Sie lernen andere Familien kennen, die in einer ähnlichen Situation sind wie Ihre. Da lässt sich sogar organisieren, dass Sie gelegentlich abwechselnd die Kinder betreuen, sodass Sie (bzw. das andere Paar) auch einmal einen Abend oder einige Stunden am Wochenende für sich haben.
Wenn Sie im Kindergarten zur gleichen Zeit wie Ihr Kind präsent sind, wird dieses auf Sie stolz sein: "Mein Papa, meine Mama ist in meiner Gruppe! Meine Eltern spielen mit uns!" Aber auch sonst wird sich Ihr Engagement positiv auswirken: Ihr Kind merkt, dass Sie an seiner Lebenswelt "Kindergarten" interessiert sind, und freut sich darüber. Und besonders positiv ist für es, wenn es erlebt, dass Sie und die Erzieherin gut miteinander auskommen und einander schätzen. Die Eltern und die Erzieherin sind jetzt die wichtigsten Menschen im Leben Ihres Kindes, und es kann nur die bestmögliche Erziehung und Bildung erhalten, wenn Sie mit der Erzieherin an einem Strang ziehen.