Kinderkrippe oder Tagesmutter?
Martin R. Textor
Während es für drei- bis sechsjährige Kinder mit dem Kindergarten ein "Standardangebot" gibt, lassen sich für Unter-Dreijährige zwei höchst verschiedene Betreuungsformen unterscheiden: Kinderkrippe und Tagespflege, wobei in letzterer auch vereinzelt Klein- und Schulkinder anzutreffen sind. Die meisten Kinder im Alter von unter drei Jahren werden aber weiterhin von ihren Eltern oder Verwandten versorgt.
Die nachstehende Tabelle ermöglicht den Vergleich zwischen der Familienerziehung und den beiden Formen der Fremdbetreuung. Es ist offensichtlich, dass Kleinstkinder in jeder der drei Betreuungsformen verschiedene Erfahrungen machen, sich dementsprechend unterschiedlich verhalten und (etwas) anders entwickeln.
Familie |
Tagespflege |
Kinderkrippe |
verschiedene Familienformen, |
vollständige Familie, |
Institution, |
auf Liebe basierende Eltern-Kind-Beziehung, |
Tagespflegeperson zwischen professioneller und Mutterrolle, |
professionelle Rolle, |
große Freiräume, viel Selbstbestimmung, mehr Machtkämpfe |
klare Autorität, mehr Regeln, mehr Strukturierung des Tages, mehr Disziplin |
klare Autorität, mehr Regeln, mehr Strukturierung des Tages, mehr Disziplin |
leibliches Kind, |
fremdes Kind (oft neben leiblichen), |
ein fremdes Kind neben anderen, |
wenig soziale Kontakte zu anderen Kleinstkindern, |
Kontakt zu mehreren Kindern unterschiedlichen Alters, |
Kontakt zu mehreren Kindern ähnlichen Alters, |
oft Zeitknappheit der Mutter bzw. Eltern |
intensive Betreuung durch Tagesmutter |
aufgrund größerer Kinderzahl weniger intensive Einzelbetreuung |
weniger Spielmaterial, |
mehr Spielmaterial, |
noch mehr Spiele/Materialien, |
Stärken der Tagespflege gegenüber der Kinderkrippe liegen in der größeren Flexibilität der Betreuungszeiten, der kleineren Gruppe, der intensiveren Zuwendung der Betreuungsperson, der familialen Umgebung und dem geringen Infektionsrisiko. Schwächen sind hingegen die Instabilität dieser Betreuungsform, die kleinere Zahl der Spielkameraden (falls überhaupt mehrere Kinder betreut werden), die schlechtere Ausstattung mit Spielsachen, die unzureichende pädagogische Aus- und Fortbildung vieler Tagesmütter und die mangelnde Überwachung durch den Staat. Die Kosten einer Tagespflege sind in der Regel niedriger als die Kosten für eine Krippe; sie können - in beiden Fällen - unter bestimmten Umständen vom Jugendamt übernommen werden.
Ausländische Studien, bei denen sowohl Eltern mit Kindern in Tagespflege als auch solche mit Kindern in Tageseinrichtungen befragt wurden, ergaben, dass die Zufriedenheit mit der Familientagespflege entweder gleich groß (Andersson/ Kihlblom/ Sandqvist 1993) oder sogar größer als die Zufriedenheit mit der institutionellen Fremdbetreuung war (Erdwins/ Buffardi 1994; Erwin et al. 1993).
Anzumerken ist, dass in den letzten Jahren immer mehr Kindergärten Unter-Dreijährige aufnehmen, da sie aufgrund der zurückgehenden Kinderzahlen nicht mehr genügend Kinder im Kindergartenalter zum Erhalt der (Mindest-) Gruppenstärke finden. In manchen Bundesländern ist diese Entwicklung hin zu weit altersgemischten Kindertagesstätten gezielt vorangetrieben worden.
In diesen Einrichtungen sind also fünf und mehr Altersjahrgänge in einer Gruppe. Babys und Kleinstkinder finden somit etwas andere soziale Erfahrungsmöglichkeiten vor als in der Kinderkrippe. Zu beachten ist, dass die Gruppen in Tagesstätten mit weiter Altersmischung relativ groß sind.
Was ist besser für ein Kleinstkind: Familienerziehung, Krippenbetreuung oder Tagespflege?
Auf diese Frage gibt es keine eindeutige Antwort. In der Wissenschaft ist man davon abgerückt, pauschal Familienerziehung und Fremdbetreuung miteinander zu vergleichen - das Entscheidende ist die Qualität des Erziehungssettings. Einige Beispiele:
- Besucht ein Kind einen schlechten Kindergarten, kann es in seiner Entwicklung um ein ganzes Jahr hinter ein Kind zurückfallen, das einen guten Kindergarten besucht (Tietze/ Roßbach/ Grenner 2005).
- Machen die Eltern in den ersten drei Lebensjahren immer wieder große Erziehungsfehler, mag das Kind bereits mit Verhaltensauffälligkeiten oder Entwicklungsverzögerungen in den Kindergarten kommen (rund 20-25% der neu aufgenommenen Kinder sind auffällig).
- Wechselt fortwährend die Tagesmutter oder wird ein Kleinstkind von mehreren unterschiedlichen Personen betreut (z.B. eine Kombination von Au-pair, Tagesmutter, Nachbarn und Großeltern), entstehen oft Bindungsstörungen.
- Wird die Mutter depressiv, weil sie wegen des Babys ihren Beruf aufgegeben hat und sich nun unausgelastet und unbefriedigt fühlt, oder streitet sie sich fortwährend mit ihrem Partner, kann dadurch die Entwicklung eines Kleinstkindes stark in Mitleidenschaft gezogen werden.
Oder positiv gewendet:
- Kommt ein Baby in eine Kinderkrippe, in der eine oder zwei konstante Bezugspersonen (Erzieher/in, Kinderpfleger/in) sich liebevoll dem Kind widmen, viel mit ihm sprechen, mit ihm spielen usw., wird sich das Baby wohl fühlen und sich wahrscheinlich normal entwickeln.
- Ein in den ersten Lebensjahren von seinen Eltern betreutes Kind wird sich positiv entwickeln, wenn diese ihre Erziehungsaufgabe gerne erfüllen, sich intensiv um ihr Kind kümmern, ihm Kontakte zu anderen Kindern vermitteln und ihm Erfahrungen in der Umgebung (Natur, Ortsteil usw.) ermöglichen.
- Bleibt ein Kind bei ein und derselben Tagesmutter, die es bis zum Eintritt in den Kindergarten (und vielleicht sogar darüber hinaus) betreut und die seine Entwicklung allseitig fördert, wird sich die Tagespflege wahrscheinlich positiv auswirken.
In unserer Gesellschaft ist es allerdings oft so, dass Eltern, die ihr Kind gut erziehen, auch eine qualitativ hochwertige Fremdbetreuung für ihr Kind aussuchen - selbst wenn sie einen längeren Anfahrtsweg haben. Ein solches Kind wird die besten Bildungschancen haben, da die Qualität der Familienerziehung und der Tagesbetreuung hoch ist. Zudem werden die Eltern wahrscheinlich Wert auf gute Schulleistungen legen und ihr Kind nach der Einschulung intensiv fördern. Entsprechend "kumulativ" benachteiligt ist ein Kind, das z.B. von seinen Eltern unzulänglich erzogen wird, eine schlechte Fremdbetreuung erfährt und während seiner Schulzeit keine Unterstützung seitens der Eltern erhält.
Eine qualitativ gute Fremdbetreuung suchen
Eltern, die ihr Baby in eine Kinderkrippe oder Tagespflege geben wollen, sollten also immer auf eine hohe Qualität der Betreuung achten. Die Bertelsmann-Stiftung hat eine Checkliste "Kinder unter DREI in Kitas" veröffentlicht, die Eltern verdeutlicht, worauf zu achten ist, damit es ihrem Kind in der Krippe, Krabbelgruppe oder Kita gut geht.
Bei Kindern mit Migrationshintergrund ist eine frühe Fremdbetreuung empfehlenswert, da sie dann am ehesten ein gutes Deutsch lernen. Können sie sich bereits in ihrer Muttersprache verständigen, sollte die Eingewöhnung möglichst langsam verlaufen: So kann die Zeit der "Sprachlosigkeit" verringert werden - die Zeitspanne, in der die Kinder erleben, dass sie sich auf einmal nicht mehr mit den sie umgebenden Menschen verständigen können (weil niemand ihre Sprache spricht). Ferner sollten sie sicher gebunden bzw. psychisch in der Lage sein, eine längere Trennung von ihren Eltern zu bewältigen, da sie nur so von den pädagogischen Angeboten profitieren können. Aber solche und ähnliche Voraussetzungen gelten natürlich auch für deutsche Kinder…
Zur Auswahl der Betreuungsform
Sofern am Ort sowohl Kinderkrippe als auch Tagespflege angeboten werden, stellt sich die Frage nach der Auswahl der für den Einzelfall am besten geeigneten Form. Hier können z.B. Kriterien wie Vereinbarkeit mit der Berufstätigkeit der Eltern, Betreuungszeiten, Kosten, Gruppengröße, Stabilität des Arrangements, Elternrechte, Ausbildung der Betreuungspersonen und Qualität der Betreuung ausschlaggebend sein. Jedoch ist vielerorts das Angebot an Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren sehr gering, so dass keine Auswahlmöglichkeiten bestehen. Die zunehmende Zahl der Kindertageseinrichtungen mit weiter Altersmischung kompensiert in manchen Gemeinden allerdings schon den Mangel an Krippenplätzen.
Literatur
Andersson, B.-E./Kihlblom, U./Sandqvist, K.: Rising birth rate in Sweden: a consequence of the welfare state and family policy? Childhood 1993, 1, S. 11-25
Erdwins, C.J./Buffardi, L.C. Different types of day care and their relationship to maternal satisfaction, perceived support, and role conflict. Child and Youth Care Forum 1994, 23, S. 41-54
Erwin, P.J./Sanson, A./Amos, D./Bradley, B.S.: Family day care and day care centres: carer, family and child differences and their implications. Early Child Development and Care 1993, 86, S. 89-103
Tietze, W./Roßbach, H.-G./Grenner, K.: Kinder von 4 bis 8 Jahren. Zur Qualität der Erziehung und Bildung in Kindergarten, Grundschule und Familie. Weinheim 2005