Die Klientel von Adoptionsvermittlungsstellen. Ergebnisse einer bayerischen Studie

Martin R. Textor

 

Im zweiten Teil der Untersuchung "Inkognitoadoption und offene Formen der Adoption im Freistaat Bayern" wurden Daten über die im Jahr 1990 durchgeführten Adoptionen erfasst. Insgesamt wurden 215 Adoptionen untersucht; jedoch liegen über einzelne Adoptionen nur wenig Informationen vor. Dies gilt insbesondere für die leiblichen Väter der vermittelten Kinder: Die Hälfte ist unbekannt; weitere 5% gaben keine Einverständniserklärung für die Datenerhebung ab; in den übrigen Fällen sind die Daten oft lückenhaft.

Es ist nicht möglich, in diesem Artikel alle Daten über die 215 Adoptionen in ihrer aufbereiteten Form vorzustellen. Deshalb werde ich mich darauf beschränken, anhand der am häufigsten genannten Daten den statistisch am häufigsten vorkommenden Typus von leiblicher Mutter, leiblichem Vater, zur Adoption freigegebenen Kind, Adoptivmutter und Adoptivvater zu konstruieren.

Die leibliche Mutter

Die "typische" leibliche Mutter ist zwischen 21 und 30 Jahren alt (67%) und lebt in einer Gemeinde mit weniger als 20.000 Einwohnern (50%). Sie hat die Hauptschule besucht (73%), oft jedoch ohne den Hauptschulabschluss zu erwerben (30%). In der Regel ist sie zum Zeitpunkt der Freigabe des Kindes erwerbstätig (54%), seltener Hausfrau (20%) oder arbeitslos (14%). Vielfach hat sie eine eigene Wohnung (26%) oder wohnt mit ihrem Partner zusammen (21%), aber auch andere Wohnformen sind oft vertreten (bei Eltern oder Elternteil: 22%, in möbliertem Zimmer oder zur Untermiete: 11%, im Heim: 6%).

Die "typische" leibliche Mutter ist ledig (66%). Der Kindesvater ist entweder ein flüchtiger Bekannter (35%) oder ein fester Freund bzw. Verlobter (35%). Die Beziehung zu ihm wurde zumeist abgebrochen (67%), oft schon vor der Diagnose der Schwangerschaft (28%). Zumeist bestand die Beziehung weniger als drei Jahre (74%). In rund der Hälfte der Fälle ist die Existenz von bis zu vier weiteren Kindern neben dem zur Adoption freigegebenen Kind bekannt; nur die Hälfte dieser Kinder lebt bei der leiblichen Mutter.

Während die körperliche Verfassung der leiblichen Mutter in der Regel sehr gut oder gut ist (60%), ist ihre psychische Verfassung nur befriedigend (41%) oder (sehr) schlecht (31%). Oft ist sie eine starke Raucherin (36%), missbraucht Alkohol (15%) oder Tabletten (7%), leidet unter Nerven- und Gemütskrankheiten (11%).

Zur Schwangerschaft mit dem zur Adoption freigegebenen Kind kam es in der Regel, weil keine Verhütungsmittel genommen wurden oder das benutzte versagte. Das Kind wurde ausgetragen, weil entweder die Schwangerschaft erst nach Ablauf der Frist für eine Abtreibung festgestellt oder der Schwangerschaftsabbruch abgelehnt wurde.

Die "typische" leibliche Mutter geht nicht regelmäßig zu Vorsorgeuntersuchungen (52%). Sie leidet während der Schwangerschaft unter großen Belastungen, insbesondere im finanziellen Bereich, aufgrund der mangelnden Hilfe durch den Partner und/oder die Eltern, aufgrund der Notwendigkeit, weitere Kinder versorgen zu müssen, oder wegen der Verheimlichung der Schwangerschaft.

Die leibliche Mutter trennt sich in der Regel direkt nach der Geburt von ihrem Kind (72%). Manchmal versucht sie auch, es zunächst alleine (17%) oder gemeinsam mit dem Partner (12%) zu erziehen oder gibt es in eine Pflegefamilie (12%). Zumeist kommt sie von selbst auf die Idee, ihr Kind zur Adoption freizugeben. Dann nimmt sie in der zweiten Schwangerschaftshälfte (44%) oder unmittelbar nach der Geburt (21%) mit einer Adoptionsvermittlungsstelle Kontakt auf. Bis zur notariellen Beurkundung der Freigabe führt sie zwei bis fünf Gespräche mit der Fachkraft (60%), oft auch bis zu zehn Gespräche (25%). In diesen Gesprächen werden ihr neben der Adoption andere Hilfen angeboten, insbesondere wie die Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie (48%) oder in Tagespflege (25%), die Unterbringung in einem Mutter-Kind-Heim (25%) oder materielle Leistungen wie Sozialhilfe (25%) und Wohngeld (21%).

Als Freigabegründe werden vor allem genannt:

  • Der Wunsch, das Kind soll in einer vollständigen Familie aufwachsen (44%),
  • finanzielle Probleme (36%),
  • Überforderung durch Kind, Panik (31%),
  • kann Kind nicht versorgen: Zwang zur Berufstätigkeit (27%),
  • keine Unterstützung durch Partner/Verwandte (27%) sowie
  • schlechte Wohnbedingungen (26%).

Der Partner ist laut Auskunft der Mutter in der Regel mit der Adoptionsfreigabe einverstanden (40%) oder setzt sich für sie ein (20%). Ähnliches gilt für Eltern und andere Verwandte; sie werden oft aber auch nicht informiert.

Die "typische" leibliche Mutter nennt Wünsche bezüglich der Auswahl von Adoptiveltern für ihr Kind (55%), insbesondere was deren Alter (15%), Einstellungen (12%) und Einkommen (11%) betrifft. Oft wird sie in die Auswahl einbezogen, indem sie über Bewerberpaare mündlich informiert wird (20%), sie persönlich kennenlernt (10%) oder bei der Auswahl mitentscheidet (10%). Sofern sie Auskünfte über die ausgewählten Adoptiveltern wünscht (70%), sind diese eher allgemein (39%) als genau und umfassend (32%). Zumeist lernt sie die Adoptiveltern nicht persönlich kennen (78%), werden keine weiteren Kontakte zwischen ihr und den Adoptiveltern vereinbart (71%). Jedoch möchte sie in der Regel - zumindest auf Anfrage - über die weitere Entwicklung ihres Kindes informiert werden (56%).

Der leibliche Vater

Der "typische" leibliche Vater ist - unbekannt. Es liegen keinerlei Daten über ihn vor. Die Informationen über die 60 bis 70 erfassten Väter ergeben folgendes Bild: Der leibliche Vater ist zwischen 21 und 35 Jahren alt (74%), hat die Hauptschule absolviert (57%; weitere 14% ohne Abschluss) und ist als Arbeiter oder Handwerker berufstätig (57%). Er ist meistens ledig (46%), oft aber auch verheiratet (32%) oder geschieden (17%). Zumeist hat er ein weiteres Kind oder weitere Kinder (62%), die zumeist ehelich geboren wurden. Nur die Hälfte dieser Kinder lebt mit ihrem Vater zusammen.

Die körperliche Verfassung des leiblichen Vaters ist sehr gut oder gut (76%), seine psychische gut oder befriedigend (83%). In der Regel hat er die Vaterschaft für das zur Adoption freigegebene Kind anerkannt (55%). Auf die Schwangerschaft der leiblichen Mutter reagiert er zumeist ambivalent (40%), oft auch ablehnend (18%) oder mit der Vorstellung, das Kind behalten zu wollen (17%). Der Adoption widersetzt er sich aber in der Regel nicht.

Nur ganz selten kommt der leibliche Vater in Kontakt mit der Adoptionsvermittlungsstelle (persönlicher Kontakt: 41 Fälle). Er äußert dann zumeist keine Wünsche hinsichtlich der Auswahl der Adoptiveltern und wird auch nur selten in das Auswahlverfahren einbezogen (insgesamt 28 Fälle). Er wünscht keine Auskünfte über die Adoptiveltern (49%) oder gibt sich mit allgemeinen zufrieden (29%). Auch möchte er meistens über die weitere Entwicklung des Kindes nicht informiert werden (75%).

Das Adoptivkind

Das "typische" Adoptivkind ist männlich (57%) und wird nichtehelich geboren (78%). Es hat die deutsche Staatsangehörigkeit (77%) oder diejenige eines europäischen Landes (11%). In der Regel wird es unmittelbar nach der Geburt (63%) oder innerhalb der ersten sechs Lebensmonate (11%) in Adoptionspflege gegeben. Es ist zumeist gesund und weist keine Störungen auf; sein Verhalten ist altersentsprechend.

Das "typische" ältere Adoptivkind hat vor der Inpflegegabe zumeist im Heim oder in einer Pflegestelle gelebt. Es empfindet oft positive Gefühle gegenüber Pflegeeltern und Heimerziehern, aber auch gegenüber Geschwistern. Mit den leiblichen Eltern hat es während der Unterbringungszeit keinen oder nur sporadischen Kontakt. Mit dem Adoptionsvermittler besteht entweder kein Kontakt (49%) oder es werden im Durchschnitt zwei bis fünf Gespräche geführt (33%). Das ältere Adoptivkind wird oft durch Pflegeeltern oder Heimerzieher auf die Adoption vorbereitet, häufig auch durch den Adoptionsvermittler. Dieser legt dann manchmal ein biographisches Album an. Der Kontakt zu den Adoptiveltern wird eher langsam angebahnt.

Die Adoptiveltern

Die "typische" Adoptivmutter ist zu Beginn der Adoptionspflegezeit 31 bis 35 Jahre alt (52%). Sie lebt in einer Stadt mit weniger als 20.000 Einwohnern (67%). Sie hat entweder das Gymnasium (35%) oder die Realschule absolviert (34%) und ist zu Beginn der Adoptionspflegezeit in der Regel erwerbstätig (68%), zumeist in pädagogischen, kaufmännischen oder sozialen Berufsfeldern.

Der "typische" Adoptivvater ist zwischen 31 und 40 Jahren alt (83%). Er hat entweder das Gymnasium (48%) oder die Hauptschule (30%) absolviert. Zumeist ist er als Akademiker (36%), Handwerker (16%) oder Beamter bzw. Angestellter (14%) tätig.

Die Adoptiveltern sind in der Regel in Erstehe miteinander verheiratet (95%). Die Dauer der jetzigen Ehe beträgt zwischen vier und zehn Jahren (68%). Das monatliche Haushaltsnettoeinkommen liegt zwischen 3.000 und 5.000 DM (51%). In der Regel besitzen die Adoptiveltern ein Eigenheim (69%). Nur sehr selten haben sie leibliche Kinder.

Die "typischen" Adoptiveltern haben zwischen einem Jahr und drei Jahren auf das Kind warten müssen (59%). Sie wollen weder ein behindertes (74%), älteres (63%) oder krankes (56%) Kind noch ein Kind mit möglichen Erbkrankheiten (57%), ungeklärter Adoptionsmöglichkeit (45%) oder anderer Hautfarbe (40%). Der Adoptionsfreigabe stehen sie positiv gegenüber (87%); über die Herkunft des Kindes möchten sie informiert werden (95%).

Die Adoptiveltern erhalten alle dem Vermittler bekannten Informationen über das Kind und seine Herkunft, aber nur in mündlicher Form (92%). Nur vereinzelt werden ihnen Gegenstände wie Briefe, Tonbänder, Geschenke oder Fotos von den leiblichen Eltern (via die Fachkraft) übergeben. In der Regel kommt es auch nur selten zu einem persönlichen Zusammentreffen mit den leiblichen Eltern (22%). Die Adoptiveltern möchten nicht über deren weiteren Lebensweg informiert werden (52%), sind aber bereit, den Fachkräften Informationen über die Entwicklung des Kindes für die leiblichen Eltern zur Verfügung zu stellen (83%). Sie wünschen Kontakt zu anderen Adoptiveltern/-bewerbern (66%).

Konsequenzen für die Fachdienste

Aus den genannten Erhebungsdaten ergibt sich ein besonderer Beratungsbedarf bei leiblichen Müttern. Sie müssen in der Regel den Abbruch der Partnerbeziehung verarbeiten (67%) und weitere Kinder versorgen (47%). Ihre psychische Verfassung ist oft schlecht (31%); sie leiden unter Alkoholmissbrauch und psychischen Störungen. Während der Schwangerschaft müssen sie mit großen Belastungen fertig werden (materielle Not, mangelnde Unterstützung, weitere Kinder, Heimlichtuerei usw.). Aus einer großen Notlage heraus geben sie ihr Kind zur Adoption frei - die am häufigsten genannten Freigabegründe sind finanzielle Probleme, Überforderung, Zwang zur Erwerbstätigkeit, fehlende Unterstützung und schlechte Wohnbedingungen.

In dieser durch vielfältige Belastungen und Probleme gekennzeichneten Situation gebrauchen die leiblichen Mütter Beratung und Unterstützung. Viele Notlagen ließen sich lindern, wenn man alle Ressourcen des Sozialstaates nutzen würde. Oft müssten auch therapeutische Hilfen erschlossen werden.

Ein Beratungsbedarf bei den anderen Klientengruppen von Adoptionsvermittlern wird weniger deutlich. Offensichtlich ist, dass die leiblichen Väter stärker in das Adoptionsverfahren einbezogen werden sollten. Bedenkt man, dass 17% der erfassten Väter ihr Kind behalten wollten, ist auch vermehrt zu prüfen, ob das jeweilige Kind nicht bei seinem Vater aufwachsen kann. Bei älteren Adoptivkindern ist eine besonders gründliche Vorbereitung auf die neue Familie und die Adoption angezeigt. Hier müssen die Fachkräfte auch persönlich aktiv werden und mit den Kindern arbeiten. Dabei gilt es, Bindungen an Pflegeeltern, Heimerzieher und Geschwister zu erhalten, sofern sie positiv wirken.

Bei Adoptiveltern ist zu beachten, dass sie in der Regel keine Kinder haben. Es mangelt ihnen an Erziehungserfahrungen. Oft sind sie auch nicht auf die besonderen Herausforderungen der Adoptivelternschaft vorbereitet. Sie müssen vor der Inpflegegabe eines Kindes über die Charakteristika von Adoptivfamilien, die besonderen Bedürfnisse von Adoptivkindern und häufig auftretende Probleme informiert werden. Auch ist eine langfristige Begleitung notwendig, die am effizientesten über eine Adoptivelterngruppe erfolgen kann.