Familie: Kommunikation, Beziehungsdefinition, Verträge

Martin R. Textor

 

Den Austausch von Botschaften (Informationen über sich selbst, den anderen, die Situation usw.) zwischen zwei (oder mehreren) Personen definieren wir als Kommunikation. Das eine Individuum wird als "Sender" bezeichnet, der bewusst oder unbewusst die Mitteilung "kodiert" (in Signale verschlüsselt) und auf dem akustischen, visuellen oder taktilen Kanal übermittelt. Die andere Person, der "Empfänger", nimmt bewusst oder unbewusst die Signale über die Sinnesorgane auf und verarbeitet sie unter Hinzunahme von Erfahrungen, Wissen, Erwartungen, Einstellungen usw. Sie mag die Botschaft vollständig dekodieren, sich mit Vermutungen zufrieden geben oder sich vergewissern, ob sie die Mitteilung vollständig empfangen und richtig entschlüsselt hat ("Feedback"). Aus ihrem Verhalten lässt sich dann ersehen, inwieweit sie die Botschaft verstanden hat. Diskutieren beide Gesprächspartner darüber, weshalb sie bestimmte Mitteilungen gesendet oder eine besondere Art der Übermittlung ausgewählt haben, so sprechen wir von Metakommunikation.

Informationen werden jedoch nicht nur verbal übermittelt, sondern auch nonverbal - ja nahezu jede Reaktion einer Person kann von einer anderen als Botschaft verstanden werden. Fast immer kann dem Verhalten eines Menschen Hinweise auf dessen Stimmung, Ansprechbereitschaft, Position, Macht, Selbstwerterleben usw. entnommen werden: "Communication occurs only through the observation and interpretation of behavior, while all behavior in the presence of another is potentially communicative" (Weakland 1976, S. 118). Eine Person kann es nicht verhindern, dass sie durch ihre Reaktionen Botschaften übermittelt, oder dass ihr Verhalten Rückschlüsse auf ihren inneren Zustand erlaubt: Es ist unmöglich, nicht zu kommunizieren (Watzlawick 1972, S. 70).

Bei der Untersuchung von Kommunikationsprozessen sind folgende 3 Ebenen zu beachten:

  1. Auf der verbalen Ebene werden Botschaften gewöhnlich durch Symbole und Zeichen wie Wörter (Sprache) und andere Lautäußerungen übermittelt. Dabei sollten Sender und Empfänger denselben Kode benutzen, d.h. sie müssen die Signale (Semantik) und die Regeln ihrer Verknüpfung (Syntax) verstehen. Normalerweise sind die Wortwahl und die Entscheidung für bestimmte syntaktische Formen wenig bewusst und erfolgen nach eingeschliffenen verbalen Mustern sowie entsprechend dem jeweiligen Repräsentationssystem und Weltbild. Problematisch ist, dass die gleichen Wörter für verschiedene Personen unterschiedliche Bedeutungen und Konnotationen haben oder aufgrund ihrer Abstraktheit schwer verständlich sein können. Auch lassen sich viele Erfahrungen schlecht beschreiben. Zudem kommuniziert der Mensch nicht nur auf "digitale" Art, bei der sich jede Mitteilung nur auf einen einzigen Reiz bezieht, sondern auch auf "analoge" Weise, wobei jede Botschaft mehrere Bezugspunkte hat, also in ein ganzes Geflecht von Aussagen eingebettet ist. Aus diesen Gründen, aber auch aufgrund einer individuell unterschiedlichen Interpunktion von Ereignisfolgen, können leicht Missverständnisse zwischen Familienmitgliedern auftreten.
  2. Auf nonverbaler Ebene werden Botschaften durch Lautstärke, Tonfall, Mimik, Gestik und Körperbewegungen übermittelt, deren sich eine Person gewöhnlich nicht bewusst ist: "These non-verbal cues seem generally to derive from motivations which are less conscious than do verbal expressions, and they are therefore relatively less subject to deliberate control" (Sherman et al. 1970, S. 276). So mag beispielsweise eine Mutter inzestuöse Gefühle ihrem Sohn gegenüber haben und diese aus ihrem Bewusstsein verdrängen, aber unbewusst auf der nonverbalen Ebene ausdrücken. Dann kann das Kind ihr Verhalten (bewusst oder unbewusst) als verführerisch erleben und mit Schamgefühlen, Angst oder sexuellen Phantasien reagieren. So sind nonverbale Botschaften die Sprache des Unbewussten. Aber auch Selbstwertgefühle, Charakterzüge, Einstellungen, Introjekte, Erwartungen usw. können sich im nonverbalen Verhalten zeigen, ohne dass Bewusstheit darüber besteht. Es ist offensichtlich, dass in einer Familie viele Informationen auf dieser Ebene ausgetauscht werden, wobei die Ausdrucksformen je nach Familie und Kulturkreis unterschiedlich sein können.
  3. Jede Botschaft muss auch in ihrem Kontext gesehen werden. So kann dieselbe kritische Äußerung des Vaters für den Sohn ganz unterschiedliche Bedeutung haben und dementsprechend verschiedene Reaktionen hervorrufen, je nachdem, ob sie unter vier Augen oder in Anwesenheit von Freunden erfolgt. In diesem Zusammenhang ist die Art der Beziehung zum Kommunikationspartner von besonderer Bedeutung. So schreibt beispielsweise Watzlawick (1965) über die Rolle des gegenseitigen Vertrauens: "There is in the nature of human communication no way of making another person a participant in information or perceptions available exclusively to oneself. The other can at best trust or distrust, but he can never know" (S. 372). Alle Kommunikationspartner sollten dieselbe Sicht vom Kontext haben, die einer Mitteilung vorausgehenden und nachfolgenden Botschaften beachten und die Wirkung des eigenen (stimulierenden) Verhaltens berücksichtigen.

Jede Person sendet und empfängt immer eine Vielzahl verbaler und nonverbaler Botschaften. Diese sollten auf jeder Kommunikationsebene näher bestimmt werden und widerspruchsfrei sein.

Wie bereits erwähnt, handelt eine Person in der Regel nicht in einem sozialen Vakuum: "The primary human dimension is a social unit in action, action that only exists in social processes, the sharing of aims, efforts, ideas, and experience" (Bell 1975, S. 215). Dieses aufeinander bezogene Verhalten bzw. dieses Miteinanderhandeln von zwei oder mehreren Personen wird als Interaktion bezeichnet. Ein Familienmitglied stellt bestimmte Erwartungen an das Verhalten eines anderen, beachtet aber zugleich auch dessen Erwartungen, bevor es handelt: "Family interaction is a system in which A can also anticipate an effect on B, and this modifies his subsequent behavior; and B in turn modifies his response in anticipation of what he thinks A anticipates" (Jackson 1968, S. 188). Bei diesen Erwartungen spielen immer die eigenen Bedürfnisse, Emotionen, Einstellungen, Selbstwertgefühle, unbewussten Charakterzüge, verdrängten Kindheitserfahrungen, Verdienste und Schulden eine Rolle; zudem werden in der Regel die des Interaktionspartners sowie dessen Wünsche, Motive und Ziele vorbewusst oder bewusst berücksichtigt und die Auswirkungen des eigenen Verhaltens auf denselben beachtet. Dementsprechend unterscheiden sich die Interaktionsmuster eines Individuums voneinander - je nachdem, mit wem es kommuniziert: Es werden jeweils unterschiedliche Rollen ausgeübt, andere Identitäten aufgebaut und andersartige Erfahrungen gemacht. Immer stehen beobachtbare Interaktions- und Kommunikationsprozesse in Wechselwirkung mit intrapsychischen Vorgängen, soziokulturellen Normen und Rollenerwartungen.

Auch führt das Verhalten einer Person in der Regel zu Reaktionen einer anderen, die dann wieder Reaktionen des erstgenannten (oder eines dritten) Individuums hervorrufen. Beide beeinflussen und bedingen also einander Verhalten. Normalerweise glaubt jede Person, dass sie auf Stimuli der anderen reagiert, und betrachtet bzw. bewertet deshalb eine Ereignisfolge anders als das Gegenüber. Hingegen sind für einen Beobachter Stimulus und Response, Ursache und Wirkung, Sender und Empfänger, Agierender und Reagierender in einem fortlaufenden Interaktionsprozess identisch, ist jede Interpunktion willkürlich: "The focus shifts from, 'who does what to whom?' to 'what is it they all do together'?" (Ferber u. Beels 1970, S. 31). Demzufolge konzeptualisieren viele Familientherapeuten Interaktionen entsprechend kybernetischen Modellen. Dabei beachten sie auch die jeweilige Situation und den soziokulturellen Kontext, insbesondere aber die Verhältnisse in der Familie: Die Mitglieder schaffen sich nämlich nicht nur eine interpersonale Umwelt, sondern reagieren auch auf diese.

Die meisten Interaktionen innerhalb einer Familie sind strukturiert, gewohnheitsmäßig und vorhersagbar, folgen gewissen Regeln, Normen und Mythen (s.u.). Diese immer wieder auftretenden und relativ konstanten Sequenzen von Handlungen, an denen zwei oder mehrere Individuen beteiligt sind, bezeichnen wir als Interaktionsmuster. Sie wurden im Verlauf der Familiengeschichte erworben und laufen nun zumeist automatisch ab, wobei die Personen einander mehr oder minder unbewusst kontrollieren: "...and members of the group will monitor each other's behavior to keep it from deviating too far from the program. They also cue each other to begin new parts of the pattern" (Ferber u. Beels 1970, S. 30). Diese Interaktionsmuster, die in ihrer Anzahl unbegrenzt sind, entlasten einerseits die Familienmitglieder und erhalten etablierte Rollen und Beziehungen, schränken aber andererseits die Bandbreite möglicher Verhaltensweisen ein und können so die Selbstentfaltung behindern.

Die Art und Weise, wie zwei Personen ihr Verhältnis zueinander bestimmen, zeigt sich in den zwischen ihnen ablaufenden Interaktionssequenzen. Einerseits verweist nahezu jede Botschaft und jede Reaktion auf die jeweilige Beziehungsdefinition: So lässt sich z.B. auf höchst unterschiedliche Beziehungen zwischen zwei Personen schließen, je nachdem, ob man sie das Wort "DNS" verwenden hört oder ob man sie beim Austausch eines Kusses beobachtet. Andererseits enthält jede Botschaft neben der Inhaltsebene ("report aspect", "content level") noch einen Befehlsaspekt ("command aspect", "relationship level"), durch den die Beziehung definiert werden soll bzw. wird: "Whenever a person communicates he is not only making a statement, he is also asking something of the receiver and trying to influence the receiver to give him what he wants. This is the 'command aspect' of a message. Such requests, however, may have various degrees of explicitness and intensity" (Satir 1967, S. 78). Zugleich zeigt der Befehlsaspekt, wie der Inhalt der Botschaft aufgenommen werden soll, welche Haltung man der anderen Person gegenüber einnimmt und wie man gesehen werden will. Er ist in der Regel unbewusst und äußert sich auch in höchst unterschiedlichen Gesten, Signalen und Andeutungen. Dienen ganze Botschaften dem Zweck, zu ermitteln, ob der Empfänger die eigene bzw. eine Veränderung der gemeinsamen Beziehungsdefinition akzeptiert, so sprechen wir von "Manövern". In jedem Fall muss der Empfänger Stellung nehmen - er kann ja nicht nicht kommunizieren. So mag er die angebotene Definition akzeptieren oder zurückweisen, modifizieren oder ignorieren. Gewöhnlich wird im Verlauf der Zeit eine bestimmte Beziehungsdefinition von beiden Personen angenommen und kaum noch verändert. Sie wird dann durch eingeschliffene Interaktionsmuster und Systemprozesse aufrechterhalten.

In der Regel besitzen einige Familienmitglieder mehr Macht und Einfluss als andere, nehmen also eine höhere Position in der Familienhierarchie ein. So können sie Interaktionsprozesse kontrollieren, Kommunikationsinhalte bestimmen und die Bandbreite erlaubter Verhaltensweisen festlegen. Haley (1976, 1978b) bezeichnet eine derartig machtvolle Person als "Metaregler". Dieser kann andere Familienmitglieder dazu zwingen, Beziehungen in der von ihm gewünschten Weise als komplementär (Austausch von einander ergänzenden Verhaltensweisen) oder symmetrisch (Austausch von gleichartigen Verhaltensweisen) zu definieren. Auf diese Weise bestimmt er das Familienleben von einer höheren Ebene aus; er stellt eine metakomplementäre Beziehung zu den anderen Mitgliedern her. Diese einflussreiche Position kann durch reine Machtausübung erreicht werden, aber z.B. auch durch Hilflosigkeit, da auf diese Weise die anderen Personen zu einem bestimmten Handeln gezwungen werden (vgl. Rubinstein u. Timmins 1978). Alle 3 Beziehungsformen treten normalerweise in verschiedenen Bereichen des Familienlebens in unterschiedlicher Kombination und Ausprägung auf. Sie stehen in Wechselwirkung zu Selbstbild, Familienkonzept, Objektwelt, Emotionen usw.

Diese Beziehungsdefinitionen schlagen sich in Familienregeln nieder, die normalerweise unbewusst, implizit und verdeckt sind. Minuchin (1978, S. 71) differenziert zwischen 1) Regeln spezifischer Art, die in jeder Familie unterschiedlich sind und bei denen individuelle Eigenarten, Veranlagungen und Neigungen berücksichtigt werden, sowie 2) Regeln generischer Art, die soziokulturellen Normen entsprechen (jedoch wird oft auch versucht, ungewöhnliche spezifische Regeln mit Hilfe von religiösen, politischen und anderen Werten zu begründen). Treffen 2 Individuen zum ersten Mal zusammen, so handeln sie gewöhnlich entsprechend den in den Ursprungsfamilien gelernten Regeln. Erst im Verlauf der Zeit bauen sie in meist unbewussten Verhandlungen ein System gemeinsamer Regeln auf, die von beiden akzeptiert und in ihren Interaktionen bestätigt werden. Diese erleichtern das Zusammenleben und ändern sich normalerweise mit der Weiterentwicklung des einzelnen und der Beziehung. Dabei schreiben Metaregeln vor, wie Regeln ausgehandelt werden müssen, auf welche Weise sie modifiziert werden können und was passiert, wenn sie nicht eingehalten werden. Überschreitet ein Familienmitglied die Bandbreite erlaubter Verhaltensweisen, so können die anderen mit Sanktionen drohen oder seinen Gehorsam erzwingen. So wirken Metaregeln auch als homöostatische Mechanismen.

In jeder Familie regelt ein System relativ dauerhafter Vorschriften den Umgang der Mitglieder miteinander, mit anderen Menschen und mit der materiellen Umwelt. Es schränkt die Handlungsmöglichkeiten ein und setzt fest, wie weit eine Person von vorgeschriebenen bzw. erlaubten Verhaltensweisen abweichen darf, ohne mit negativen Konsequenzen rechnen zu müssen. So bestimmen Regeln z.B. die Hierarchie, Aufgabenverteilung, Haushaltsführung, Kindererziehung und Entscheidungsfindung in der Familie sowie den Abstand zwischen den Mitgliedern. Sie setzen fest, mit wem man über welche Wahrnehmungen und Gefühle sprechen kann, wie Probleme und Konflikte gelöst werden, welche Bedürfnisse geäußert und welche Teile der Realität (z.B. Sexualität) nicht angesprochen werden dürfen. So stabilisieren Regeln das Familiensystem, wirken sich aber auch auf intrapsychische Prozesse aus.

Nach Jackson (1980a; vgl. Greenberg 1977) sind Regeln, Normen und Beziehungsdefinitionen Bestandteile des Quidproquo. Er bezeichnet damit die "legale Form eines Handels oder Vertrags, bei welchem jede Partei etwas für das bekommen muss, was sie selbst gibt, und der folglich die Rechte und Pflichten der Parteien bei diesem Handel festlegt" (Jackson 1980, S. 52, 53). Es handelt sich hier also um eine mehr oder minder flexibel gehandhabte Abmachung, die den Austausch von Leistungen regelt sowie deren Wert und Gegenwert (Lohn) festlegt. Die Qualität des Vertrages kann an dem Grad der Befriedigung gemessen werden, den die Parteien in den von der Beziehung umfassten Lebensbereichen (Arbeit, Freizeit, Freundschaft, Partnerschaft usw.) erreichen. Bei langwährenden Beziehungen ist das Quidproquo in der Regel klarer abgegrenzt, umfassender und stabiler. Zumeist nehmen Individuen die Erwartungen ihrer Partner nicht bewusst wahr (mögen sogar von falschen Annahmen ausgehen oder eine Übereinstimmung voraussetzen, wo keine ist) und merken auch nicht, dass sie selbst mit einer Gegenleistung für ihr Verhalten rechnen. Das liegt auch teilweise daran, dass jeder Vertrag 3 Ebenen umfasst:

  1. Nur ein kleiner Teil der Abmachungen ist bewusst und wurde in Gesprächen bzw. Verhandlungen verbalisiert.
  2. Andere Erwartungen und Vereinbarungen sind bewusst oder vorbewusst, werden aber nicht ausgesprochen, da sie Angst, Schamgefühle oder andere unerwünschte Reaktionen hervorrufen könnten.
  3. Viele Abmachungen und Erwartungen sind unbewusst. Sie können unrealistisch sein oder im Widerspruch zu Vereinbarungen auf den anderen beiden Ebenen stehen. Häufig dienen sie dem Schutz des Partners: So mag beispielsweise eine Frau Frigidität vortäuschen, um ihren impotenten Mann zu schützen.

An dieser Stelle dürfte offensichtlich sein, dass hier Bedürfnisse, Wünsche, Emotionen und Einstellungen sowie die Verdienstbuchführung von großer Bedeutung sind. So verbinden die Konzepte "Vertrag" bzw. "Quidproquo" die intrapsychische mit der interpersonalen Ebene (Sager et al. 1971).

Zu den Bestandteilen dieser Verträge gehören auch Mythen, die in der Regel von allen Familienmitgliedern geteilt werden, aber nur selten bewusst sind oder verbalisiert werden. "Der Begriff des Familienmythos bezieht sich hier auf eine Anzahl streng systematisierter Ansichten aller Familienmitglieder über ihre verschiedenen Rollen innerhalb der Familie und über ihre Beziehungen untereinander" (Ferreira 1980, S. 87). Die Mitglieder schreiben einander komplementäre Rollen zu (wie z.B. in Alkoholikerehen), zwischen denen ein Gleichgewicht herrscht. Dadurch definieren sie ihre Beziehungen zueinander und stellen Verhaltensregeln auf, die für einen reibungslosen Ablauf im täglichen Umgang sorgen und ein gewisses Maß an Bedürfnisbefriedigung garantieren. So stabilisieren Mythen das Familiensystem und schützen es vor plötzlichen Veränderungen (Mythos als Gruppenabwehrmechanismus).

Zudem schreiben die Familienmitglieder einander entsprechend dieser Mythen bestimmte Eigenschaften zu, die dann oft auch ausgebildet werden (sich selbsterfüllende Prophezeiungen). So prägen diese Mythen, die oft mit Übertragung und Projektion verknüpft sind, einerseits den Charakter, das Selbstbild, die Identität und die Motive eines Individuums, andererseits bestimmen sie aber auch das Verhalten, die Erwartungen und Phantasien der anderen Familienmitglieder. So äußern sie sich in Ritualen, Klischees und Interaktionsmustern. Die Mythen werden von allen Familienmitgliedern als eine Art letzte, nicht mehr zu hinterfragende Wahrheit betrachtet und dementsprechend verteidigt (obwohl sie nicht validierbar sind). Sie werden häufig von den Ursprungsfamilien übernommen und ähneln oft soziokulturellen Mythen (Ferreira 1967, 1980; Solomon 1976).

Interaktionen, Beziehungsdefinitionen, Regeln und Verträge werden auch von den Familienwerten geprägt, den von der Mehrheit der Familienmitglieder akzeptierten Vorstellungen vom Wünschenswerten, die einerseits von je nach Subkultur und Schicht unterschiedlichen gesellschaftlichen Werten und Normen sowie andererseits von individuellen Einstellungen und Motiven geprägt sind. Zugleich wirken sie sich auf die Art der Rollenausübung, Aufgabenverteilung, Problemlösung und Entscheidungsfindung, auf die Innen- und Außenbeziehungen der Familienmitglieder sowie auf deren Lebensstil aus. Familienwerte dienen als Orientierungsmaßstab und geben so Verhaltenssicherheit. Sie werden häufig von Generation zu Generation weitergegeben, aber immer von den Familienmitgliedern zu einem einzigartigen, sich fortwährend verändernden Wertsystem verbunden. Dabei können Werte wie Freiheit, Gleichheit, Leistung, Disziplin oder Gottesfurcht vorherrschen.

Die Art der Beziehungsdefinitionen, Verträge, Regeln und Werte prägt die Familienatmosphäre, d.h. die den Familienmitgliedern gemeinsamen (mehr oder minder intensiven und teilweise verdrängten) Gefühle, Phantasien und Konflikte. Auch herrscht in jeder Familie ein gewisses Maß an Spannung (Antriebskraft), das sich von Tag zu Tag ändern kann, i. allg. aber relativ konstant ist. Das emotionale Klima in der Familie wird v.a. durch den Gefühlston bestimmt, der in der Beziehung zwischen den Ehepartnern vorherrscht. Dabei spielen Liebe und Zuneigung eine besondere Rolle: "The manner in which parents characteristically show their love for one another and for their children is of utmost significance in determining the emotional climate of the family" (Ackerman 1958, S. 20). Nur wenn die Ehepartner einander lieben, können die Kinder beide lieben. Auch ist der Grad der sexuellen Befriedigung mehr von dem Ausmaß der wechselseitigen Zuneigung als von dem erreichten Grad an "technischer Virtuosität" abhängig. Häufig wird jedoch von Familientherapeuten übersehen, dass sich auch materielle Gegebenheiten auf die Familienatmosphäre auswirken. So sollte folgende Aussage von Everstine et al. (1977) mehr Beachtung finden: "The condition of the house, its layout, its furnishings, the way in which the lifespace is used, the handling of pets, relationships with neighbors..., all give clues to the family ecology that profoundly influences each family member's emotional well-being" (S. 282).

Die Summe der von allen Familienmitgliedern mehr oder minder anerkannten Werte, Regeln, Vorstellungen und Bestrebungen, die dem Familienleben Ziel und Inhalt gehen, wird von amerikanischen Familientherapeuten als Familienidentität bezeichnet. Diese wird in Interaktionen und Verhandlungen ausgebildet und durch gemeinsame Erfahrungen und Erlebnisse geprägt. Die Familienidentität bestimmt die Beziehungen, Rollen, Planungen, Funktionen und Konfliktlösungsmechanismen in der Familie sowie die Identitäten ihrer Mitglieder (Ackerman 1958, 1961a, b, 1966; Levant 1978).

Kommunikation und Beziehungsdefinitionen in "gesunden" Familien

Gesunde Familienmitglieder können Botschaften verständlich und gut kodieren, klar und vollständig übermitteln und widerspruchsfrei qualifizieren. Ihre Aussagen sind kurz und relevant, enthalten kaum Generalisierungen und sind mehr am Inhalts- als am Befehlsaspekt ausgerichtet. Sie geben den Kontext von Erlebnissen und Vorgängen wieder, beachten die zeitliche Sequenz von Ereignissen und können ihre Botschaften klarifizieren, spezifizieren und begründen. Sie sprechen andere Familienmitglieder direkt an, offenbaren sich selbst und stellen die eigene Meinung unverhüllt dar. Zugleich sind sie neugierig und fragen nach den Gedanken, Gefühlen und Erlebnissen ihrer Gesprächspartner. Reden diese, so können sie zuhören, die Bedeutung von Symbolen ermitteln und Aussagen an der Realität überprüfen. Sie validieren, was die anderen sagen, und zeigen Verständnis. Durch diese Kommunikationsfertigkeiten werden Vereinigung und Individuation, Intimität und Selbstabgrenzung möglich.

Amerikanische Familientherapeuten haben beobachtet, dass gesunde Familienmitglieder in der Regel eine entspannte und anmutige Körperhaltung einnehmen. Sie halten Blickkontakt, sprechen mit einer vollen und klaren Stimme und gebrauchen passende Gesten. In ihrem Verhalten sind sie nicht gehemmt, sondern drücken spontan Gefühle aus. Zuneigung und Liebe werden v.a. nonverbal gezeigt. Mimik und Gestik werden fortwährend variiert, so dass diese Personen nie langweilig wirken (Satir 1975c, 1976; Dulicai 1977).

Familienmitglieder mit ausdifferenziertem Selbst reagieren in der Regel ganzheitlich und authentisch. Die von ihnen auf verschiedenen Kommunikationsebenen gesendeten Botschaften sind kongruent und der Realität der Situation und der jeweiligen Person angemessen. Empfangen sie miteinander unvereinbare Botschaften, so erkennen sie entweder bewusst oder unbewusst diesen Widerspruch. Im ersten Fall untersuchen sie die Inkongruenz genauer und versuchen, mit Hilfe von Erfahrungen und anderen Gedächtnisinhalten die Bedeutung der Botschaften herauszufinden; oder sie lenken die Aufmerksamkeit des Senders auf den Widerspruch und bitten um Hilfe bei dessen Auflösung bzw. beim Verarbeiten der durch die Inkongruenz aktualisierten Erinnerungen. Im zweiten Fall bemerken sie die eigene Verwirrung und erforschen deren Ursachen. Sie sprechen dem Gesprächspartner gegenüber ihr Unbehagen aus und untersuchen mit ihm dessen Quelle, wobei Wahrnehmungen, alte Erfahrungen, Verallgemeinerungen und Schlussfolgerungen gemeinsam diskutiert werden. In beiden Fällen muss der Sender genug Selbstachtung besitzen, so dass er den Kommentar akzeptieren kann, ohne sich angegriffen oder in seinem Selbstwertempfinden verletzt zu fühlen. So sind in gesunden Familien Feedback, Kritik und Metakommunikation funktionell, effektiv und wachstumsfördernd. Sie ermöglichen es allen Familienmitgliedern, mehr über sich selbst und die anderen zu lernen, offene und ehrliche Beziehungen aufzubauen und einander immer besser zu verstehen.

Amerikanische Familientherapeuten beschreiben die Interaktionen in gesunden Familien als spontan, emotional und humorvoll. Die Mitglieder kommunizieren mit viel Lärm, raschen Entgegnungen und häufigen Unterbrechungen, verzichten auf Monologe und haben gleichen Zugang zueinander. Alle beteiligen sich an Entscheidungen und erreichen diese nach vielen kurzen Interaktionen, wobei sie die Situation, individuelle Bedürfnisse und die Bedingungen des Familiensystems berücksichtigen. Auf diese Weise benötigen sie wenig Zeit zum Lösen von Problemen und sind sehr produktiv. Die Interaktionsmuster sind nicht starr, sondern werden häufig an neue Gegebenheiten angepasst.

Als Idealform von Beziehung gilt die persönliche Begegnung, die auch in Anlehnung an Buber (1954) als "Dialog" oder "Ich-Du-Beziehung" bezeichnet wird. Hier trifft ein Familienmitglied mitsamt seiner persönlichen Welt auf ein anderes und dessen Welt. Es akzeptiert das andere und will es nicht verändern. Beide stellen einen intensiven Kontakt her, offenbaren ihr Selbst und sprechen über eigene Erlebnisse und Erfahrungen, persönliche Gefühle und Gedanken, subjektive Überlegungen und Sichtweisen. "Ich" und "Du" sind also die Hauptthemen, bei deren Behandlung die beiden Familienmitglieder fortwährend zwischen Subjekt- und Objektrolle, Geben und Nehmen, Selbstdarstellung und Einfühlung wechseln. In der Begegnung erleben die Partner einerseits gegenseitige Liebe, Hingabe, Intimität und Vertrauen: "Erfüllung und ein beträchtliches Gefühl von Grenzenlosigkeit charakterisieren eine glückliche Verbindung" (Kempler 1975, S. 64). Mit der Befriedigung des Bedürfnisses nach Vereinigung wird aber andererseits wieder das Bestreben nach Selbstdifferenzierung aktiviert. So entwickeln die Partner im Dialog neue Einstellungen, Theorien, Motive, Charakterzüge usw., wobei sie die eigenen Grenzen und die Einzigartigkeit ihrer Existenz erkennen und Gefühle der Selbstzufriedenheit erleben. Aufgrund der mit der Selbstdifferenzierung erfolgten Distanzierung empfinden sie aber auch Schmerz und Trauer, die sie zu einer neuen Intensivierung der Beziehung motivieren. So folgen in der Begegnung Phasen der Trennung und Vereinigung fortwährend aufeinander.

Dialogische Beziehungen gelten auch als "expressiv": "Sie werden durch heftige Emotionen, menschliche Wärme, Zuneigung sowie den Versuch charakterisiert, grundsätzlich die interpersonalen Kontakte zu intensivieren" (Wynne 1973a, S. 761). Jedes Familienmitglied kümmert sich um das Wohlbefinden der anderen und interessiert sich für deren Erlebnisse, Erfahrungen und Probleme. Es unternimmt viel mit ihnen, da es eine Vielzahl gemeinsamer bzw. komplementärer Ziele, Interessen und Bestrebungen gibt. Daraus resultieren eine stark ausgeprägte Familienloyalität und intensive Gefühle der Zugehörigkeit.

Nach den Publikationen amerikanischer Familientherapeuten bestimmen die Mitglieder einer gesunden Familie gemeinsam die Natur ihrer Beziehungen, wobei die Bedürfnisse, Wünsche, Fähigkeiten und Stärken der einzelnen Individuen berücksichtigt werden. So legen sie zum einen fest, wer eine Beziehung bzw. wer welche Bereiche in ihr kontrolliert. Diese Entscheidungen werden mehr an der Realität als an Machtverhältnissen ausgerichtet und führen nicht zu einer starren Hierarchie mit ausgeprägten Rangunterschieden. Oft leitet die Mutter die Familie, solange die Kinder noch klein sind. Wenn diese dann älter werden, übernimmt der Vater die Führung. Zum anderen wird definiert, welche Beziehungen symmetrisch und welche komplementär sein sollen. Die dabei erfolgende Verteilung von Rechten, Pflichten und Ressourcen ruft keine Gefühle der Benachteiligung hervor, sondern wird von allen Familienmitgliedern akzeptiert. In gesunden Familien werden Beziehungsdefinitionen flexibel gehandhabt und können verändert werden. Sie erlauben die Lösung von Problemen und Konflikten, fördern den Zusammenhalt der Familie und ermöglichen die Weiterentwicklung der einzelnen Mitglieder.

Die Beziehungsdefinitionen äußern sich in gesunden Familien in klaren, beständigen und vernünftigen Regeln, die mit Zustimmung aller (erwachsenen) Mitglieder gesetzt und konsequent befolgt werden. Jedoch sind auch Ausnahmen möglich, werden die Regeln an neue Gegebenheiten angepasst. Wenn ein Familienmitglied von der Bandbreite erlaubter Verhaltensweisen abweicht, so wird ihm die Gelegenheit geboten, sich zu verteidigen und auf situative Zwänge hinzuweisen. Falls es bestraft werden muss, so geschieht das wegen seines Verhaltens - als Person wird es nicht bewertet.

"Diejenige Familie hat die besten Aussichten, zu einer entwicklungsfördernden Familie zu werden, deren Regeln freie Äußerung von allem erlauben, ob es nun schmerzlich, erfreulich oder sündig ist" (Satir 1975 c, S. 139). Sie sollte nach Satir (1976) folgende 5 Freiheiten garantieren:

  1. zu hören und zu sehen, was da ist;
  2. zu sagen, was man fühlt und denkt;
  3. zu fühlen, was man empfindet;
  4. zu erbitten, was man wünscht;
  5. zu wagen, was reizvoll ist.

So gewährleisten die Regeln der gesunden Familie eine große Verhaltensbandbreite, Rollenflexibilität und Freiheit zu Individuation und Selbstverwirklichung, ermöglichen sie wechselseitige Bedürfnisbefriedigung, Intimität und Regression. Ferner garantieren sie eine offene Kommunikation, ein geduldiges Zuhören und gegenseitige Rücksichtnahme, so dass z.B. bei Problemen und Konflikten vernunftbestimmte Verhandlungen durchgeführt, realistische Alternativen ausgewählt und von allen Seiten akzeptierte Lösungen gefunden werden können. Die einzelnen Familienmitglieder sind bereit, auf die Erfüllung bestimmter Wünsche und Bedürfnisse zugunsten anderer oder der Gruppe zu verzichten und alle ihre Fähigkeiten in gemeinsame Aktivitäten einzubringen. Auch gewährleisten die Regeln eine gerechte Arbeitsteilung und eine klare Hierarchie, wobei die Eltern die meiste Macht besitzen und die Grenzen zwischen den Generationen aufrechterhalten werden.

Kommunikation und Beziehungsdefinitionen in "Problemfamilien"

Nach den Publikationen amerikanischer Familientherapeuten sind in pathologischen Familien viele Mitglieder unfähig, Gedanken, Emotionen und Bedürfnisse auszudrücken. So fürchten sie, andere Menschen zu verletzen oder von diesen verletzt zu werden, falls sie ihre Wünsche und Meinungen verbalisieren. Auch glauben sie oft, dass sie nichts Wichtiges zu sagen haben. Diese Familienmitglieder tragen Masken, hinter denen sie die eigenen Emotionen und Gedanken verbergen. Zugleich fühlen sie sich vom Erleben der anderen ausgeschlossen und leiden unter einer gewissen Distanz in ihren Beziehungen: "Jedes Familienmitglied ist sich schmerzlich seines Bedürfnisses und seines Wunsches nach Bezogenheit bewusst, aber jedes hat das Gefühl, dass die anderen Intimität oder Zuneigung blockieren und nicht zulassen" (Wynne 1975, S. 67). Es stolpert leicht in "Kommunikationsfallen", indem es beispielsweise eigene Gefühle, Gedanken und Bedürfnisse mit ein oder zwei Worten andeutet oder indem es glaubt, dass ein anderes Mitglied (z.B. aus Liebe) weiß, was es will bzw. was in ihm vorgeht. Auch meint es oft, dass es sich in andere Personen hineinversetzen und ihre Gedanken lesen könne. Häufig kann es Kritik leichter als Wertschätzung ausdrücken, was dann die Entfremdung zwischen den Familienmitgliedern weiter vergrößert.

In pathologischen Familien ist die verbale Kommunikation zumeist ineffektiv sowie qualitativ und quantitativ unzureichend. Die Botschaften sind undeutlich, vage und amorph, enthalten viele Annahmen und Verallgemeinerungen und übermitteln oft fehlerhafte oder unvollständige Informationen. Sie werden manchmal an die falsche Person gerichtet oder es bleibt unklar, für wen sie bestimmt waren. Auch werden vielfach einzelne Sätze nicht vollendet oder stehen unverknüpft nebeneinander. Häufig wird zwischen Gegenwart und Vergangenheit gewechselt, werden Begriffe mit unterschiedlichen Bedeutungen verwendet und Themen nur oberflächlich behandelt. Manchmal sprechen Familienmitglieder füreinander oder kommunizieren durch Dritte. Oft sind sie bestrebt, die Botschaften ihrer Angehörigen immer wieder zu disqualifizieren: Sie sind z.B. sarkastisch und rechthaberisch, nehmen Aussagen zu wörtlich oder argumentieren pseudowissenschaftlich. Folglich drücken viele Mitglieder ihre Gedanken, Wünsche und Gefühle nur noch indirekt aus und verneinen sie oft.

Aufgrund der unzulänglichen verbalen Kommunikation benutzen die Mitglieder pathologischer Familien häufig die nonverbale Ebene. So schreiben Sherman et al. (1970): "Non-verbal expressions tend to occur in inverse proportion to verbal expressions which are ineffective or fail to express true feelings" (S. 277). Nonverbale Botschaften können jedoch nur sehr beschränkt Informationen übermitteln und sind leicht misszuverstehen. Auch lassen sie sich bewusst oder unbewusst als subtile und heimtückische Strategien einsetzen, um Zustimmung, Anpassung oder Unterwerfung einer anderen Person zu erzwingen oder um sie als Objekt (z.B. für Projektionen) zu benutzen. Zuk (1969, 1975) verdeutlicht dies am Beispiel des Schweigens und des Lachens. Anzumerken ist noch, dass die Familienmitglieder aufgrund ihrer Hemmungen nur selten von Körperkontakt und zärtlichen Berührungen Gebrauch machen. So beschreiben amerikanische Familientherapeuten ihre Körperhaltung als steif, gespannt oder schlaff, ihren Gesichtsausdruck als mürrisch, traurig oder leer und ihre Stimmen als rau oder kaum hörbar.

Viele Probleme entstehen auch dadurch, dass Familienmitglieder (habituell oder erbbedingt) unterschiedliche Kommunikationskanäle benutzen. Beispielsweise mag eine Person die Botschaft "Ich liebe dich" durch zärtliche Berührungen (taktil) zu übermitteln versuchen, während der Partner diese Nachricht vergeblich im visuellen (Gesichtsausdruck) oder auditiven (Verbalisierung des Gefühls, bestimmter Tonfall) Kanal sucht. Viele Kommunikationsprobleme werden auch dadurch verursacht, dass Familienmitglieder beim Senden oder Empfangen von Botschaften den Kontext unbeachtet lassen. Zudem fügen sie ihren Aussagen häufig Attribute wie "Ich kann nicht anders handeln, ich bin nun einmal so" oder wie "Er ist dumm und faul" hinzu, um das eigene Verhalten bzw. das einer anderen Person zu erklären. Vielfach verweisen sie aber auch auf unkontrollierbare äußere Faktoren als Ursache für die jeweilige Reaktion. In beiden Fällen wird keine Verantwortung für das Verhalten übernommen oder übertragen, bleibt es unverändert. Auch werden Wahrnehmungen verneint und Bilder von sich selbst und anderen beibehalten, die der Realität nicht entsprechen.

Diese Kommunikationsprobleme werden häufig noch durch den Mangel an Feedback vergrößert: "There is a breakdown in the evaluation process through which individuals attain and revise their perceptions of others, their awareness of their own methods of responding to others, and their aims, both personal and mutual" (Bell 1975, S. 189). So sind die Familienmitglieder oft unfähig, zuzuhören - z.B. weil sie sich nicht konzentrieren können oder zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind. Häufig wird auch die Freiheit zum Kommentieren von Botschaften oder zur Metakommunikation durch Regeln eingeschränkt. Zudem werden vielfach Rückfragen und Kritik auf Seiten des Empfängers und/oder des Senders als angsterregend erlebt. So weisen Familienmitglieder die Kommentare zurück, weichen den Fragen aus, leugnen einen Teil oder die ganze Botschaft, wiederholen sie nur oder bestrafen den Fragenden. Aus diesen Kommunikationsschwierigkeiten resultieren Missverständnisse und Konflikte. Auch werden die wechselseitige Anpassung, die Erfüllung bestimmter Rollen, das Lösen interpersonaler Probleme und die Zusammenarbeit bei der Bewältigung gemeinsamer Aufgaben erschwert, was negative Folgen für das Selbstbewusstsein und Selbstwerterleben der Familienmitglieder hat.

Eine in pathologischen Familien sowie bei Krisen und Konflikten häufig beobachtete Kommunikationsstörung ist die Inkongruenz von Botschaften, d.h. der Widerspruch zwischen verbaler Aussage, Gesichtsausdruck, Körperhaltung, Stimmlage und/oder Kontext: "An incongruent communication is one where two or more messages, sent via different levels, seriously do contradict each other" (Satir 1967, S. 82). Zu doppeldeutigen Botschaften kommt es, wenn der Sender einer kritischen Stellungnahme aus dem Weg gehen möchte oder eine Zurückweisung befürchtet. Vielfach hat er auch Angst, dass sich der Empfänger verletzt fühlen, die Beziehung abbrechen oder sich rächen könne, falls er ihm die eigentliche Botschaft offen übermitteln würde. In anderen Fällen nimmt der Sender nur einen Teil seiner selbst wahr und leugnet oder ignoriert einen anderen, drückt diesen aber unbewusst auf einer anderen Kommunikationsebene aus. Als weitere Ursachen werden von amerikanischen Autoren auch inkonsistente, nicht integrierte Einstellungen und Meinungen genannt: "Inkongruente Kommunikation ist ein Zeichen dafür, dass Pläne oder Vorstellungen eines Menschen für sein Verhalten mehrdeutig sind und dass diese Pläne oder Vorstellungen miteinander in Konflikt stehen" (Bandler et al. 1978, S. 72).

Inkongruente Botschaften können in pathologischen Familien auf zweierlei Weise zum Problem werden: So mag der Empfänger sie nicht kommentieren, sondern entweder den Sender als unehrlich, manipulativ bzw. boshaft betrachten oder versuchen, den Widerspruch durch "Gedankenlesen", durch die Interpretation der Botschaften oder durch Zuhilfenahme alter Erfahrungen zu lösen. Im ersten Fall mag es zu Feindseligkeit und Streit, im zweiten zu Missverständnissen und falschen Reaktionen kommen. Oder der Empfänger inkongruenter Botschaften registriert nur die zusammenpassenden Informationen, indem er z.B. nur einen Empfangskanal bewusst benutzt. (Die unbewusst empfangenen inkongruenten Botschaften führen aber gleichzeitig zu unerklärlichen Gefühlen der Verwirrung.) Wenn er jedoch nur einen Teilaspekt wahrnimmt, verliert er einen Teil des Senders und dieser verliert Kontakt zu einem Teil seiner selbst. Der Empfänger generalisiert meist den wahrgenommenen Teilaspekt, der als "Teiläquivalenz" ein Stück geeichter Kommunikation wird. Wenn darauf auf ähnliche Weise reagiert wird, entstehen "geeichte Kommunikationszyklen", die zu sich selbst erfüllenden Prophezeiungen führen, die Zahl der Reaktionsmöglichkeiten verringern und die Weiterentwicklung des Individuums und der Beziehung begrenzen.

Einige Formen der inkongruenten Kommunikation werden als Paradoxe bezeichnet. Dabei handelt es sich um eine Handlungsanweisung, "die eine andere Handlungsanweisung entweder gleichzeitig oder zu einem anderen Zeitpunkt in inkongruenter Weise qualifiziert" (Haley 1978b, S. 30). Generell lässt sich zwischen "paradoxen Befehlen" und "paradoxen Voraussagen" differenzieren (Watzlawick 1965). Zu ersteren gehört die Doppelbindung, die auch als Beziehungsfalle bezeichnet wird (Bateson et al. 1969). Hierbei wird eine Person 1) mit einem primären negativen Gebot, das mit einer Strafandrohung verbunden ist, 2) mit einem sekundären negativen Gebot, das im Widerspruch zum ersten steht, ebenfalls mit einer Strafandrohung verknüpft ist, oft von einer dritten Person (Gruppe, Institution) kommt und häufig nonverbal übermittelt wird, sowie 3) mit einem tertiären negativen Gebot konfrontiert, das ein Verlassen des Kommunikationsfeldes verbietet (Es genügt auch schon, wenn das Individuum z.B. glaubt, dass es ohne die Menschen, die ihm diese Befehle erteilen, nicht "überleben" könne). Eine solche Situation wirkt pathogen, wenn die Person ihr lange oder wiederholt ausgesetzt ist und wenn sie die Diskrepanz nicht ansprechen oder um Feedback bitten darf. Dann muss sie die widersprüchlichen Befehle akzeptieren und ihnen entsprechend zu handeln versuchen. Sie kann jedoch immer nur ein Gebot befolgen und muss dabei gleichzeitig ein anderes übertreten. Um der dann fälligen Strafe zu entgehen, lernt die Person mit der Zeit, sich dieser Zwickmühle zu entziehen, indem sie sich z.B. selbst anklagt, mit Doppelbindungen oder inkongruenter Kommunikation reagiert oder psychisch krank wird.

Um paradoxe Befehle handelt es sich auch, wenn ein Verhalten gefordert wird, das nur spontan auftreten kann. Watzlawick et al. (1974) führen den Befehl einer Mutter "I want you to want to study" als Beispiel an und fahren dann fort: "This requires that the child not only do the right thing (i.e., study), but do the right thing for the right reason (i.e., study because he wants to), which a) makes it punishable to do the right thing for the wrong reason (...), and b) requires that he perform a weird piece of mental acrobatics by making himself want what he does not want ... For the mother, too, the situation is now untenable. The way she attempts to change her child's behavior makes impossible what she wants to achieve, and she is just as caught as he" (S. 64).

Eine ähnliche Situation finden wir bei paradoxen Prophezeiungen. Hier stellt der Sender seine Botschaft hinsichtlich ihrer Gültigkeit oder Zuverlässigkeit selbst in Frage. Das gilt z.B. für folgende Aussage: "Auf mich ist immer Verlass. Ich werde Dich jetzt bestrafen, indem ich Dein Vertrauen missbrauche". Auf derartig paradoxe Botschaften kann der Empfänger reagieren, indem er sich über diese Situation beklagt, mit inkongruenter Kommunikation antwortet, die Beziehung abbricht oder diese verändert.

Einige amerikanische Familientherapeuten (Satir 1975c, 1976; Grinder u. Bandler 1976; L'Abate 1976; Bandler et al. 1978) unterscheiden 4 problematische Kommunikations- bzw. Reaktionsformen, die sich v.a. in Konfliktsituationen zeigen. Sie werden in der frühen Kindheit gelernt und entsprechen der Persönlichkeitsstruktur und der Art des Selbstwerterlebens des jeweiligen Individuums:

  1. Der "Beschwichtiger" fühlt sich für alle Probleme verantwortlich, stimmt jeder Kritik über sich zu, klagt sich selbst an und entschuldigt sich fortwährend. Er ordnet sich unter, fordert nie etwas für sich selbst, ist gehorsam, hilfreich und dienstbereit (Karikatur von Gefälligkeit und Märtyrertum). In der Regel verwendet der Beschwichtiger viele Konjunktive, Einschränkungen und zustimmende Wörter. Zudem nimmt er gewöhnlich eine gebückte, bittende oder versöhnlich stimmende Körperhaltung ein. Dieser Kommunikationsform liegen Ängste, Zweifel, Depressionen und Gefühle der Wertlosigkeit zugrunde. Die Person ist von anderen abhängig und trachtet immer nach deren Anerkennung.
  2. Der "Ankläger" kritisiert alles, sucht nach Fehlern, versetzt in Angst und wird leicht wütend. Er ist überheblich und fordernd, weiß alles und befiehlt gerne (Karikatur von Macht). Für eigene Fehler übernimmt er keine Verantwortung, sondern sucht nach einem Sündenbock. Der Ankläger verwendet in der Regel viele ablehnende Wörter, universelle Quantifizierungen ("alle", "jeder", "immer") und negative Fragen. Er hat eine angespannte und fordernde Körperhaltung, atmet in kleinen, engen Zügen und spricht laut. Seinem Verhalten liegen Aggressionen, ein generelles Misstrauen, ein starkes Streben nach Unabhängigkeit sowie Gefühle der Einsamkeit und Feindseligkeit zugrunde.
  3. Der "Rationalisierende" versucht immer, vernünftig, ruhig, kühl und gelassen zu reagieren. Er ist sehr korrekt, zeigt keine Gefühle und besitzt nur wenig Sensibilität. Oft betrachtet er Menschen wie Maschinen, hält leidenschaftslose Vorträge und ist in der Theorie besser als in der Praxis (Karikatur von Intellekt). Der Rationalisierende gebraucht gern lange und abstrakte Wörter sowie viele Substantivierungen. Aufgrund seines unbewegten, gespannten Körpers wirkt er oft wie versteinert. Er spricht mit einer trockenen und manchmal monotonen Stimme. Dieser Reaktionsform liegen ein rigides Gewissen, Perfektionismus und das Streben nach ständiger Selbstkontrolle zugrunde. Auch hat das Individuum Angst vor engen interpersonalen Kontakten, da es sich dann den anderen Menschen ausgeliefert fühlt.
  4. Der "Ablenker" unterbricht oft Gespräche, wechselt häufig das Thema, verneint Probleme, ignoriert Fragen oder beantwortet sie nur indirekt. Er ist impulsiv, aktiv und oberflächlich, engagiert sich nur selten und besitzt wenig Selbstkontrolle und Verantwortungsbewusstsein (Karikatur von Spontaneität). Der Ablenker verwendet beziehungslose, belanglose und sinnlose Wörter und gebraucht nur selten Pronomina. Er bewegt fortwährend den Kopf, die Augen und alle Glieder, hat eine sehr lebhafte Mimik und Stimme. Meist fühlt er sich unbedeutend und einsam, fehlen ihm ein fester Bezugspunkt und innere Ziele.

Durch die Verwendung einer dieser Kommunikationsformen möchte ein Individuum seine schwachen Selbstwertgefühle stärken und vor Bedrohung schützen. In der Regel bringen die beschriebenen Verhaltensweisen es aber anderen Menschen nicht näher, sondern führen nur zur Ablehnung. So fühlt sich das Individuum ungeliebt und unerwünscht. Zudem ruft jede Kommunikationsform voraussagbare Reaktionen hervor, so dass fest eingefahrene Kommunikationszyklen entstehen. Das problematische Verhalten wird aber beibehalten, da es mit Macht verbunden ist - so zwingt beispielsweise der Ankläger andere Menschen zu bestimmten Reaktionen, indem er in ihnen Schuldgefühle hervorruft, während der Beschwichtiger dieses durch seine Hilflosigkeit erreicht.

Wie bereits erwähnt, reagieren Familienmitglieder v.a. in Krisen- und Konfliktsituationen entsprechend dieser 4 Kommunikationsformen. Da interpersonale Konflikte eine so große Rolle in pathologischen Familien spielen und da nur wenige Menschen eine Person so sehr ärgern oder verletzen können, wie ihre Angehörigen, verwundert es uns nicht, dass sich amerikanische Familientherapeuten so oft mit dieser Interaktionssituation befassen. Sie beobachteten, dass es in einer Gruppe hilfsbedürftiger Familien häufig Konflikte zwischen zwei bestimmten Individuen (zumeist den Ehepartnern), zwischen einer Dyade und einer Einzelperson (vielfach Eltern und ein sich ablösender Jugendlicher) oder zwischen zwei feststehenden Koalitionen (Männer versus Frauen, Eltern versus Kinder, Vater und Tochter versus Mutter und Sohn) gibt. Oft sind aber auch Außenstehende (Großeltern, Freunde) in die Auseinandersetzungen verwickelt. Diese Konflikte können offen oder verdeckt, bewusst oder verdrängt, notwendig oder grundlos sein. Sie treten v.a. dann auf, wenn bisher erfolgreiche Verhaltensweisen aufgrund einer Veränderung der Situation versagen - wie beispielsweise beim Verlassen einer Phase des Familienzyklus oder bei akuten Krisen (Krankheit, überraschender Tod, Arbeitslosigkeit, Berufswechsel, Umzug usw.). Oft liegt den Konflikten auch der Versuch zugrunde, ein oder mehrere Familienmitglieder zu einem bestimmten Verhalten zu zwingen, um z.B. eine Identität zuzuschreiben oder die eigene Identität bestätigen zu lassen (s. Wallace u. Fogelson 1975). Vielfach soll auf diese Art und Weise auch erreicht werden, dass die anderen bestimmte Erwartungen, Aufgaben, Rollen und Funktionen erfüllen. Andere Ursachen können Probleme mit den Ursprungsfamilien oder mit Institutionen, unbefriedigende oder nicht komplementäre Beziehungen, als Bedrohung erlebte Unterschiede, das Verwechseln von Verhaltensweisen (s. Scheflen 1965), intrapsychische Konflikte, eine geringe Frustrationstoleranz oder verschiedene Bedürfnisse, Werte, Einstellungen, Ziele usw. sein. Auch wurde beobachtet, dass in sehr engen Beziehungen lebende Familienmitglieder häufig vor der zunehmenden emotionalen Intensität Angst bekommen und dann Konflikte dazu einsetzen, mehr Distanz zu erreichen. Später versöhnen sie sich und die Beziehung wird wieder intensiver, bis ein neuer Konflikt "notwendig" wird.

Konflikte in pathologischen Familien sind meist ritualisiert, d.h. sie nehmen trotz unterschiedlicher Anlässe immer wieder denselben Verlauf und führen zum selben Ergebnis. Vielfach werden Angreifer- und Verteidigerrolle regelmäßig gewechselt, kommt es zu einer schrittweisen Eskalation des Konfliktes. Auch haben amerikanische Familientherapeuten beobachtet, dass Frauen und Kinder in Familienkonflikten gewöhnlich Kontinuitäts-, Männer und Eltern Diskontinuitätswerte vertreten. Immer aber führen Konflikte zu einem Disäquilibrium und bedrohen Fortbestand und Stabilität der Familie.

Familienkonflikte wirken v.a. dann pathogen, wenn sie nicht oder nur unzureichend gelöst werden. Folgende Ursachen werden hierfür genannt:

  1. Oft sind Familienmitglieder unfähig, sich hinsichtlich der Interpunktion von Verhaltenssequenzen, der Unterscheidung von Ursache und Wirkung zu einigen: "Discrepancies in the punctuation of jointly experienced events are, in fact, at the root of many conflicts in most areas of human communication, and the ever-present blindness for the other's punctuation, coupled with the naive conviction that reality is the way I see (punctuate) events, often leads to mutual charges of badness or madness" (Watzlawick 1972, S. 74).
  2. Häufig bleiben Konflikte lange ungelöst, da die Verhandlung aufgeschoben wird, ein Mitglied Auseinandersetzungen aus dem Wege geht, oder die Probleme verneint, verdrängt, verschleiert, verschoben oder projiziert werden. Ackerman (1965) schreibt, dass dabei intrapsychische Abwehrmechanismen mit "Gruppenabwehrmechanismen" zusammenwirken, und führt anschließend für letztere folgende Beispiele an: "...rigidification or loosening of the marital roles; reduction of conflict intensity by means of manipulation, coercion, bribery, compromise, compensation, denial, or escape; shifting alignments and splits within the family and prejudicial scapegoating of one part of the family by another; repeopling of the group, that is, the elimination of one member or the addition of another or a significant change in environment" (S. 161).
  3. Viele Konflikte bleiben unbewältigt, weil sich die Familienmitglieder aufgrund von Kommunikationsstörungen nicht über das Problem einigen oder es auf sinnvolle Art und Weise besprechen können. Manchmal mangelt es auch an Kreativität, so dass mögliche Lösungen nicht gefunden werden. Zudem besteht vielfach eine so große Inflexibilität, dass nicht auf alternative Lösungswege ausgewichen werden kann, wenn der einmal eingeschlagene Weg zu große Schwierigkeiten birgt. Häufig fehlen auch die für eine Konfliktlösung notwendigen Informationen und Techniken.
  4. In vielen Familien sind die Interaktionsmuster, Beziehungsdefinitionen, Regeln, Verträge und Rollen so starr, dass die zur Konfliktlösung notwendigen Modifikationen nicht vorgenommen werden können. Hinzu kommt, dass diese Familien angesichts von innen oder außen stammender Forderungen nach Veränderung "die Starrheit ihrer transaktionalen Muster und ihrer Grenzen noch erhöhen und jeder näheren Beschäftigung mit alternativen Mustern aus dem Wege gehen oder Widerstand entgegensetzen" (Minuchin 1978, S. 82). Auch behindern unangemessene, ineffektive und dysfunktionale Interaktionsmuster die Weiterentwicklung der Familienmitglieder und beschränken deren Reaktionsmöglichkeiten. Zudem zeigen diese Individuen oft nur wenig Empathie und Kompromissbereitschaft (z.B. bei zu absolut gesetzten Werten, Zielen und Plänen).
  5. Häufig werden auch die von einem Familienmitglied verwendeten Konfliktlösungsstrategien für ein anderes zum Problem - und umgekehrt. "That is, in the eyes of each of them the particular corrective behavior of the other is seen as that behavior which needs correction" (Watzlawick et al. 1974, S. 35). So mag z.B. eine Jugendliche die Fragen der Eltern nach ihren abendlichen Aktivitäten als Einbruch in ihre Privatsphäre betrachten und ausweichend beantworten. Das wird die Eltern ärgern, noch besorgter machen und zu weiteren Fragen stimulieren. Meist wird das Mädchen dann noch weniger sagen. Diese Interaktionssequenz kann schließlich in einer heftigen Auseinandersetzung oder in der (ungerechtfertigten) Bestrafung der Jugendlichen enden.

Natürlich können auch bewältigte Konflikte pathogen wirken - wenn ihre "Lösung" erzwungen wurde. Das kann einerseits durch reine Machtausübung oder Strafandrohung geschehen, andererseits aber auch durch Aussagen wie "Wenn du mich liebst, musst du so handeln, wie ich es wünsche".

Problematisch ist auch, dass nach den Beobachtungen amerikanischer Therapeuten viele Mitglieder pathologischer Familien nicht zur Selbstkritik bereit sind. Dann betrachten sie sich bei Konflikten immer als Opfer, weisen jede Schuld von sich und klagen die anderen direkt oder indirekt an. Sie machen sich ein negatives Bild von ihnen, werfen ihnen ungerechtfertigt unangenehme Eigenschaften vor und bewerten ihre Handlungen nach moralischen Gesichtspunkten. Das kann folgende Auswirkungen haben:

  1. Der Anklagende löst den Konflikt zu seinen Gunsten: "The person presenting the aversive stimulus is reinforced for behaving unpleasantly by the rapid changes brought about in the behavior of the victim. The victim's compliant behavior is strengthened by negative reinforcement. As the behavior changes, the aversive stimulus is withdrawn and/or the punishment is terminated" (Patterson et al. 1976, S. 244). So wird das erstgenannte Individuum bei Konflikten immer schneller negative Verstärker einsetzen. Werden sie jedoch zur nahezu ausschließlich verwendeten Form der Bekräftigung, so mag das "Opfer" sie immer häufiger durch unerwünschte Verhaltensweisen hervorrufen - denn jedes Familienmitglied strebt ja fortwährend nach (positiver, bei deren Ausbleiben aber auch negativer) Verstärkung.
  2. Der Ankläger verletzt die anderen Individuen und bedroht deren Selbstwertgefühl. So kann es nach der Lösung des Konfliktes noch lange dauern, bis sich die Familienmitglieder wieder versöhnt haben.
  3. Die angegriffenen Personen sind wenig kompromissbereit und leisten Widerstand. Oft setzen sie ebenfalls aversive Stimuli ein. Haben sie damit Erfolg, so wird ihr Verhalten positiv verstärkt. Auf diese Weise kommt es immer häufiger zu aversiven Interaktionen, die an Intensität zunehmen, aber immer seltener zu einer Konfliktlösung führen (Teufelskreis).

Bei zahlreichen ungelösten, verdrängten oder vermiedenen Konflikten werden die Familienmitglieder bald unter einer chronischen Unzufriedenheit und Feindseligkeit leiden, enttäuscht, entmutigt und bitter sein: "Where there is a failure to compensate family conflict or to restore balance of family roles following a disturbance, there is an inevitable aftermath in terms of dissension, breakdown of communication, frustration of need, and interpersonal alienation" (Ackerman 1958, S. 107). Viele Rollen und Funktionen werden nur unzureichend oder gar nicht erfüllt, notwendige Veränderungen werden unterlassen. Die Familienmitglieder verbringen immer weniger Zeit (bei Gesprächen, Freizeitaktivitäten usw.) miteinander, tauschen kaum noch positive Verstärker aus und haben nur noch wenig Freude aneinander. Auch kann es zu Spaltungen in der Familie oder zur Isolierung einzelner Mitglieder (z.B. des IP, vielfach auch des Vaters) kommen. Häufig werden die interpersonalen Konflikte internalisiert (und äußern sich dann in intrapsychischen Konflikten und Symptomen) oder in der Form von Alkoholismus, Kriminalität, Kindesmisshandlung usw. ausagiert. In vielen Fällen kommt es schließlich zum Zerfall der Familie, zu Trennung und Scheidung. Auf diese Weise entsteht eine Vielzahl von Einelterfamilien, die meist von der Mutter erhalten werden und einen niedrigen Lebensstandard haben.

Oft liegen Konflikten auch (verdeckte) Machtkämpfe zugrunde, die sich zwischen den Ehepartnern, zwischen Eltern und Kindern, zwischen Geschwistern oder zwischen intergenerationalen Koalitionen abspielen: "More people know more about power games in marriage and family than they do about intimacy" (Duhl u. Duhl 1981, S. 489). In diesen Kämpfen geht es um Aufrechterhaltung bzw. Veränderung der gegenwärtigen Machtverhältnisse, um die Position des Metareglers oder um Zuneigung, Bemutterung und Gunst eines Familienmitgliedes. Oft wird auch versucht, einseitig komplementäre bzw. symmetrische Beziehungen herzustellen. Dabei werden Drohungen, Versprechungen, passiver Widerstand, Sabotage, physische Gewalt und andere Manöver eingesetzt. Viele Versuche einer Beziehungsdefinition erfolgen auch mit Hilfe inkongruenter oder paradoxer Kommunikation bzw. werden auf diese Weise zurückgewiesen. Zudem wird häufig versucht, auf der Beziehungsebene bestehende Probleme auf der Inhaltsebene zu lösen.

Viele Beziehungen sind auch unzureichend oder unvollständig definiert. Jackson (1968) unterscheidet dabei folgende 3 Formen:

  1. Eine "unstabile befriedigende Beziehung" tritt v.a. während der Übergangskrisen im Verlauf des Familienzyklus auf: "It occurs when two people are working out their definition of the relationship during a time when internal or external forces are creating frequent unstable periods which are stabilized with difficulty" (Jackson 1968, S. 193).
  2. Eine "unstabile unbefriedigende Beziehung" ist dadurch gekennzeichnet, dass es keine explizite oder implizite Übereinstimmung hinsichtlich der Frage gibt, wer die Beziehung oder Bereiche in ihr kontrolliert. Es finden fortwährend Definitionsversuche statt, bei denen es zumeist um die Berechtigung zur Ausübung einzelner Handlungen geht. Vielfach wird auch jedem Versuch einer Beziehungsdefinition aus dem Weg gegangen, indem z. B. Transaktionen nicht vollendet, Entscheidungen nicht gefällt oder Handlungen nicht verantwortet werden.
  3. Bei einer "stabilen unbefriedigenden Beziehung" sind die Parteien übereingekommen, niemals zu diskutieren, wer die Beziehung oder Bereiche in ihr kontrolliert. Sie sind kühl und distanziert, vermeiden Konflikte, geben und fördern nur wenig. Meist zeigen sie ihre Unzufriedenheit nicht.

Machtkämpfe und undefinierte Beziehungen führen leicht zu negativen Gefühlen, einer gewissen Inflexibilität und zur Ausbildung von Symptomen.

Die Definition von Beziehungen wird vielfach dadurch erschwert, dass Wünsche und Erwartungen nicht verbalisiert oder nur indirekt geäußert werden. Häufig besteht auch eine Diskrepanz zwischen bewussten und unbewussten Bedürfnissen. Außerdem entstehen Probleme, wenn zu große Erwartungen an die Beziehung oder zu hohe Forderungen an die andere Partei gestellt werden. Dann kann es zu unvermeidbaren Enttäuschungen kommen. mag sich das andere Familienmitglied überfordert fühlen und sich verweigern. Oft ist es auch generell nicht bereit, zu geben (z.B. weil es das Gefühl hat, es hätte nichts zu geben oder müsse jetzt erst einmal empfangen, da die anderen in seiner Schuld stehen) oder zu verzichten. Es kann zu Auseinandersetzungen und zur Ausübung von Druck und Gegendruck kommen, bis ein Kompromiss geschlossen wird oder beide Parteien die Aussichtslosigkeit ihrer Veränderungsbestrebungen erkennen: "...each is beginning to suspect that he is never going to accomplish his initial desire to remold or improve the other partner. The family squabbles are becoming more repetitive and pointless. It is beginning to dawn on them that neither of them can win against the other, ..." (Warkentin 1969, S. 11). Dann sind die Familienmitglieder meist zornig, verbittert und frustriert, ziehen sich zurück oder fühlen sich vernachlässigt und ungeliebt. In vielen Fällen gibt auch eine Partei nach, z.B. weil sie nach Anerkennung und Zuneigung hungert oder Angst hat, verlassen zu werden. Dann besteht die Gefahr, dass sie ausgebeutet wird.

Amerikanische Familientherapeuten sind der Meinung, dass es bei der Definition der Ehebeziehung häufig Schwierigkeiten gibt, weil die Ehe ungewollt war, aus falschen Motiven (z.B. nur aufgrund der körperlichen Anziehungskraft oder direkt nach einer großen Enttäuschung) geschlossen wurde, die Partner nur der Ursprungsfamilie entfliehen wollten oder sich von ihr nicht lösen können. Diese Probleme, aber auch andere Konflikte und Unstimmigkeiten, spiegeln sich häufig in der sexuellen Beziehung der Partner wider. Sie wird zur Arena, in der sich der Kampf um Macht und Kontrolle abspielt. "The sexual relation ceases to be love-making; it becomes a proving-ground for technique, the struggle for competitive dominance. It becomes impersonal, dull, a hollow ritual; it dies a slow withering death" (Ackerman 1970e, S. 90). In diesen Fällen konzentrieren sich die Ehepartner auf den wie mechanisiert ablaufenden Sexualakt, während sie emotional unbeteiligt bleiben. Ein derartiges Verhalten kann aber auch aus Einstellungen und Rollenerwartungen resultieren, die in den Ursprungsfamilien gelernt wurden. So schreiben MacGregor et al. (1964) über einige ihrer Klienten: "At the covert level there was collusion to prevent intimacy or tenderness, both of which were presumed by the parents to lead to exposure of unmanliness in the male and unwomanliness in the female" (S. 103).

Problematische Beziehungsdefinitionen entstehen häufig aufgrund von Projektionen. Dabei werden Persönlichkeitssegmente (miteinander unvereinbare Introjekte, verdrängte Teile des Selbstkonzepts, Ich-Ideal usw.), intrapsychische Konflikte, Triebimpulse, Wünsche oder Gefühle externalisiert und unbewusst auf eine andere Person verlagert. Diese wird nicht mehr in ihrer Realität wahrgenommen, sondern auf eine verzerrte, verfälschende und unangemessene Art und Weise.

Das "Opfer" dieses Projektionsprozesses hat nun folgende 3 Reaktionsmöglichkeiten: Es kann sich verweigern und seine wirklichen Eigenschaften herausstellen, "verhandeln" und einen "Kompromiss" anzielen oder die projizierten Teilaspekte annehmen und ausagieren. Im letztgenannten Fall kommt es zu einer "projektiven Identifikation", nimmt das Individuum Teile der Realität entsprechend dieser Projektionen wahr und verändert sein Verhalten, bis es den Erwartungen der projizierenden Personen entspricht. So wird es für diese zur Personifikation der projizierten Teilaspekte und erfüllt eine bestimmte Funktion. In der Regel verkörpert jeder Ehepartner unbewusste Aspekte des anderen, lebt bestimmte Gefühle, Introjekte usw. für ihn aus. Auf beiden Seiten kommt es also zu Projektionen und projektiven Identifikationen.

Bowen (1977) nennt folgendes Beispiel für den beschriebenen Vorgang: "Descriptively, the family projection process is a triangular emotional process through which two powerful people in the triangle reduce their own anxiety and insecurity by picking a defect in the third person, diagnosing and confirming the defect as pitiful and in need of benevolent attention, and then ministering to the pitiful helpless one, which results in the weak becoming weaker and the strong becoming stronger" (S. 198, 199).

Vielfach wird jedoch die Angst und Unsicherheit der Verbündeten umso größer, je schwächer das "Opfer" wird. In anderen Fällen spaltet ein Elternteil seine sexuellen Bedürfnisse als etwas "Böses" ab und projiziert sie auf ein Kind, das diese ausagiert und dann für sein "böses" Verhalten gezüchtigt wird. Es befriedigt also seine Sexual- und Strafbedürfnisse durch das Kind hindurch. In all diesen Fällen werden jedoch nicht nur die Individuation und Weiterentwicklung des Opfers behindert, sondern auch die des projizierenden Familienmitgliedes: "The split-off, denied parts are carried by the other, and as long as there is an unconscious agreement to do so, one cannot learn to be comfortable with these parts of oneself" (Stewart et al. 1975, S. 163).

Häufig werden Beziehungen auch um ein Symptom herum geschaffen, wobei dieses die Lebensweise der betroffenen Familienmitglieder bestimmt und der Befriedigung von Bedürfnissen dient. So mag z.B. der Alkoholmissbrauch eines Mannes im Mittelpunkt der Ehebeziehung stehen und eine so große Rolle in der Psyche seiner Frau spielen, dass sie nach dem Ableben ihres Partners entweder einen anderen Alkoholkranken heiratet oder selbst zu trinken anfängt. In vielen Fällen ist das Funktionieren oder die Anpassung eines Familienmitgliedes vom Versagen und Gestörtsein eines anderen abhängig. Dabei wird die Rolle des Symptomträgers oft getauscht. Ferner sind Symptome bei der Definition von Beziehungen von Bedeutung, da sie als Manöver eingesetzt werden können. Mit ihrer Hilfe (aber auch durch Hilflosigkeit, Passivität usw.) kann ein Familienmitglied Schuldgefühle, Angst oder Mitleid erzeugen, die Angehörigen zu einem bestimmten Verhalten (Rücksichtnahme, Pflege, Herabsetzen von Erwartungen usw.) zwingen oder ein gewünschtes Ausmaß an Intimität bzw. Individuation erreichen. So gewinnt es durch die Symptome eine Machtposition (Metaregler), kann auf diese Weise die anderen Familienmitglieder manipulieren, erpressen und ausbeuten. Es mag aber auch Symptome entwickeln, um einem Machtkampf zu entfliehen oder um ein Bündnis aufkündigen zu können. Deshalb sind Symptome häufig nur im Kontext interpersonaler Beziehungen zu verstehen.

Viele amerikanische Therapeuten haben festgestellt, dass in einer zweiten Gruppe pathologischer Familien ganze Lebensbereiche bei der Definition von Beziehungen ausgeklammert werden. Dies gilt insbesondere für die Ehebeziehung, in der Sexualität, Sozialleben und gemeinsame Freizeitaktivitäten oft nur von geringer Bedeutung sind. Häufig sehen sich die Erwachsenen nur noch als Eltern, aber nicht mehr als Partner. Dabei kann es zum Wettbewerb um die Zuneigung der Kinder kommen. Vielfach geht auch ein Elternteil intensive Beziehungen mit den Kindern ein, während sich das andere (oft freiwillig) zurückzieht. Dabei handelt es sich meist um den Vater, der dann zum Außenseiter wird: "He feels alien as parent, shut out of the relations of children and mother, or at least relegated to the far corner" (Ackerman 1958, S. 115). Dann beschränkt er sich auf die Ernährerrolle und wird häufig von den anderen Familienmitgliedern wie ein Eindringling behandelt. Meist wird der Vater als schwach, unreif, untergeordnet, abhängig und ängstlich, als kühl, ernst, verschlossen und distanziert oder als autoritär und aggressiv (Wutausbrüche) beschrieben. Im letztgenannten Fall kompensiert er meist durch sein "macho" Verhalten verneinte Abhängigkeitsbedürfnisse, Ängste und Minderwertigkeitsgefühle. Die Mutter wird in der Regel als dominant beschrieben. Jedoch gibt sie oft nur vor, stark und sicher zu sein, da sie sich auf ihren Mann nicht verlassen kann. So imitiert sie die männliche Rolle und klammert ihre Abhängigkeitsbedürfnisse aus.

In einer weiteren Gruppe pathologischer Familien sind alle Mitglieder isoliert, haben sie sich zurückgezogen, losgelöst und voneinander distanziert. Sie gehen bloß oberflächliche und gefühlsarme Beziehungen ein, zeigen kaum Interesse füreinander und investieren wenig ineinander. Auch spielen und spaßen sie nur selten miteinander, da sie kühl, beherrscht und gehemmt sind und viel Zeit mit (nicht gemeinsamen) Freunden und Bekannten außerhalb der Familie verbringen. Die Familienmitglieder folgen zumeist stereotypen Interaktionsmustern, sind bei Gesprächen emotional unbeteiligt und leben fast nur noch aus Gewohnheit zusammen. Oft fühlen sie sich einsam, verlassen und frustriert. Das Leben scheint für sie stillzustehen, wobei vielfach nur der Symptomträger für Abwechslung sorgt. Zu derartigen Beziehungsdefinitionen kommt es, wenn die Ehepartner z.B. in ihren Ursprungsfamilien wenig zwischenmenschliche Nähe erfahren haben und Gefühle nicht zeigen durften. So verschleiern sie weiterhin ihre Emotionen und gehen davon aus, dass das Äußern von Zuneigung, Liebe und Vertrauen nur als Schwäche ausgelegt und missbraucht würde. In anderen Fällen sind die Partner nicht bereit, die vor der Heirat erlebte Freiheit aufzugeben und eine enge Beziehung einzugehen. Zudem haben sie oft Angst vor starken Gefühlen oder vor einer Ich-Fusion und distanzieren sich deshalb voneinander. Vielfach ist auch ihr Gefühlsleben unterentwickelt (z.B. hei Narzissten). Außerdem passen die Partner häufig nicht zueinander, behindern sich gegenseitig in ihrer Weiterentwicklung und stehen in Wettbewerb miteinander. Oft ziehen sich die Familienmitglieder auch voneinander zurück, weil sie zu viele Konflikte erlebt haben, wichtige Kommunikationskanäle verschlossen sind, oder ungelöste Probleme verdrängt wurden und nun die Familienatmosphäre vergiften.

Besonders intensiv beschäftigen sich Familientherapeuten mit einer vierten Gruppe pathologischer Familien, die als "undifferenziert" bezeichnet werden. Hier sind die Grenzen zwischen den einzelnen Mitgliedern nur schwach ausgeprägt. Sie verbringen viel Zeit miteinander, ergreifen voneinander Besitz und verschmelzen miteinander. So fühlen und handeln sie wie eine Person, weisen ähnliche oder gleiche Verhaltensmerkmale, Gedanken, Interessen und Phantasien auf, sprechen füreinander und drücken einander Emotionen aus. Die Familienmitglieder reagieren schnell und automatisch aufeinander, erlauben einander keine Privatsphäre und kennen keine Differenzierung zwischen individuellen und gemeinsamen Rechten, Pflichten und Problemen. Sie kapseln sich in der Regel von ihrer Umwelt ab, können jedoch auch zu einzelnen Verwandten oder Außenstehenden ähnlich enge Beziehungen eingehen. Bowen (1978) spricht hier von einer "undifferentiated family ego mass" und beschreibt diese folgendermaßen: "I conceive of a fused cluster of egos of individual family members, with a common ego boundary. Some egos are completely fused into the family ego mass and others are less fused" (S. 107). Dabei können einzelne Familienmitglieder "an Selbst gewinnen", indem sie von anderen "etwas Selbst ausleihen": "The more intense the degree of ego fusion, the more the borrowing and lending and giving and sharing of self within the family ego mass" (Bowen 1971, S. 176). Heiraten z.B. zwei Personen, die beide auf Bowens Selbstdifferenzierungsskala einen Wert von 35 erreichen, so mag der Mann so viel von dem "gemeinsamen Selbst" borgen, bis er nach einigen Jahren einen Wert von 55 oder 60 erreicht. Seine Frau funktioniert dann nur noch auf der Ebene von 15 Skalenpunkten oder ist gar ein "no-self" geworden, dürfte in jedem Fall aber psychisch krank sein.

In undifferenzierten Familien gibt es nur symbiotische Ehebeziehungen, wobei folgende Formen beschrieben werden:

(A) In vielen symbiotischen Ehen beruht die Stärke des einen Partners auf der Schwäche des anderen, beide sind voneinander abhängig. Hier gibt es verschiedene Varianten:

    1. Ein Partner funktioniert auf Kosten des anderen, indem er einen größeren Teil des "gemeinsamen Selbst" für sich beansprucht und so seine Ich-Defizite und individuellen Unzulänglichkeiten kompensiert.
    2. Eine schwache, psychisch kranke, infantile oder abhängige Person wird von ihrem Partner umsorgt, der zumeist die Pflegerrolle schon in der Ursprungsfamilie gelernt hat und auf diese Weise "Reife" und Selbstachtung gewinnt.
    3. Ein Individuum verhält sich wie ein Kind. möchte abhängig sein und sucht nach einem omnipotenten, selbstlosen und guten "Elternteil". Sein Partner übernimmt diese Rolle und erlebt sich dann als "stark" und "mächtig". Oft wird der Geschlechtsverkehr zum Tabu oder bekommt inzestuöse Untertöne.
    4. Ein Partner erkämpft sich unter Ausübung von Gewalt, durch Erpressung oder Anwendung vergleichbarer Methoden eine übergeordnete Position, macht den Partner von sich abhängig und unterdrückt ihn.
    5. Beide Partner wechseln von Zeit zu Zeit ihre Rollen als "Elternteil", Pfleger usw.: "Each takes turns at being either the strong, adequate one, or the helpless, inadequate one. There is only room in the relationship for one strong, adequate person" (Satir 1967, S. 18).

(B) Beide Partner leben nur noch füreinander, geben ihre Individualität auf und kennen keine Ich-Grenzen mehr, d.h., das Selbst des einen verschmilzt mit dem Selbst des anderen. Hierbei handelt es sich zumeist um regressive Beziehungen, in denen Primärprozesse vorherrschen und die Welt als furchterregend, böse und schrecklich erlebt wird.

Symbiotische Beziehungen entstehen in der Regel aufgrund von Abhängigkeitsbedürfnissen, Trennungsängsten und Gefühlen der Unvollständigkeit. Oft fürchten sich die Partner vor der Welt und suchen nach Sicherheit und Geborgenheit in der Zweisamkeit. Sie sind meist unfähig, Ich-Grenzen aufzubauen, eine Privatsphäre abzugrenzen oder die einer anderen Person anzuerkennen. Vielfach haben sie auch in den Herkunftsfamilien in symbiotischen Beziehungen gelebt und konnten so kein starkes Selbst ausbilden.

In undifferenzierten Familien gibt es i. allg. ein stabiles Äquilibrium, unproduktive Beziehungsmuster und nahezu unveränderbare Strukturen. Probleme und Konflikte werden verdrängt oder vermieden, indem z.B. Streit verboten, die Realität verzerrt wahrgenommen oder häufig von Disqualifikationen Gebrauch gemacht wird. Wynne et al. (1958) sprechen hier von "Pseudogegenseitigkeit", da einerseits viel in die Beziehungen investiert, das Gefühl der Zusammengehörigkeit betont und Konformität hochgeschätzt wird, andererseits aber gemeinsame Entscheidungen, Veränderungen und Individuationsbestrebungen durch die starren und unangepassten Interaktionsmuster behindert werden. Es handelt sich also um eine unechte Einheit, in der die Beziehungen weder gelöst noch weiterentwickelt werden können. Das einzelne Familienmitglied wird nicht als einzigartige Person behandelt, seine Spontaneität wird unterdrückt und sein Streben nach Autonomie, Selbständigkeit und Individuation bestraft: "When any family member makes a move toward differentiating a self, the family emotional system communicates a three-stage verbal and nonverbal message: (1) You are wrong. (2) Change back. (3) If you do not, these are the consequences. Generally, the messages contain a mixture of subtle sulks, hurt feelings, and angry exchanges, but some communicate all three stages in words" (Bowen 1972, S. 166).

Wenn Individuationsversuche immer wieder unterdrückt werden, können Familienmitglieder physisch oder psychisch erkranken. Sie fühlen sich eingeschränkt und aneinander gekettet, stehen unter emotionaler Überbelastung und haben Angst vor dem Zerfall ihrer Persönlichkeit. So versuchen sie oft, gewaltsam aus diesen symbiotischen Beziehungen auszubrechen, indem sie z.B. die Scheidung einreichen. Hierzu meint Searles (1975): "Bei einer Anzahl verheirateter Patienten, die sich mit dem Gedanken an Ehescheidung trugen, habe ich gesehen. dass der Entschluss des Patienten ... im wesentlichen auf das vom Patienten lange unerkannte Streben zurückging, eine Trennung auf intrapsychischer Ebene, eine echte Individuation gegenüber Ehefrau oder Ehemann zu erreichen, mit denen eine symbiotisch geprägte Beziehung bestand" (S. 235). In anderen Fällen kommt es nur zu einer "emotionalen Scheidung" (Bowen), bei der sich die Partner zurückziehen und voneinander distanzieren, um mehr Freiheit für die Selbstdifferenzierung zu erlangen.

Bei einer fünften Gruppe pathologischer Familien gibt es einen fortwährenden Wechsel zwischen Phasen der Verwicklung auf der einen und Phasen des stillen Rückzugs oder der zornigen Distanziertheit auf der anderen Seite - der Umschwung wird oft durch intensive Konflikte hervorgerufen. Beispielsweise schreibt Bowen (1971) über (Ehe-)Beziehungen: "The relationships are cyclical. There is one phase of calm, comfortable closeness. This can shift to anxious, uncomfortable overcloseness with the incorporation of the self of one by the self of the other. Then there is the phase of distant hostile rejection in which the two can literally repel each other" (S. 171). Es ist noch darauf hinzuweisen, dass in konfliktreichen Phasen häufig einige Familienmitglieder symbiotische Beziehungen mit Außenstehenden (Verwandten, Nachbarn, Freunden) eingehen. Hingegen bleiben sie in Phasen des stillen Rückzugs (im Gegensatz zur dritten Gruppe pathologischer Familien) fest miteinander verbunden und voneinander abhängig. Sie entwickeln sich nicht weiter in Richtung auf Individuation, Autonomie und Selbstständigkeit, scheuen den offenen Kampf und verheimlichen Gefühle der Feindseligkeit und Unzufriedenheit.

In pathologischen Familien bestehen meist starte Regeln, die inflexibel gehandhabt und nicht an neue Gegebenheiten angepasst werden. Amerikanische Familientherapeuten verweisen häufig auch auf extreme (manchmal von Sekten entlehnte) Regeln, die z.B. eine Veränderung der Beziehungsdefinitionen und Interaktionsmuster nicht zulassen oder Auseinandersetzungen verbieten. Vielfach werden soziale Normen verfälscht, bis sie den Zwecken des pathogenen Familiensystems genügen und nur noch eine Karikatur der allgemein anerkannten Normen sind. Sie werden häufig verheimlicht und bei Kritik verneint, verteidigt oder rationalisiert. In vielen Fällen bestimmen die Familienregeln genau, wie ein Individuum wahrnehmen, denken, fühlen, kommunizieren und handeln soll. Bei der Kindererziehung wirken sich v.a. rigide, zu strenge, zu schwache, fehlende und widersprüchliche Regeln negativ aus. Das gilt aber auch für den raschen Wechsel zwischen autoritärem und permissivem Verhalten. In all diesen Fällen werden Alter und Bedürfnisse der Kinder zu wenig berücksichtigt.

Probleme entstehen in pathologischen Familien oh auch aufgrund von Verträgen, die im Verlauf des Familienzyklus unverändert bleiben, also nicht an neue Situationen, Aufgaben und Herausforderungen angepasst werden. Zudem sind sie vielfach mehrdeutig oder werden verletzt, da sie z.B. auf unterschiedlichen Erwartungen beruhen, die nicht abgeklärt und aufeinander abgestimmt wurden. In anderen Fällen sind die Erwartungen unrealistisch oder widersprüchlich, da sie auf Phantasien gründen oder verschiedene Seiten intrapsychischer Konflikte repräsentieren. Außerdem bleiben manche Wünsche unerfüllt, weil sie in dem anderen Familienmitglied Angst erzeugen oder weil dieses einen Lustgewinn verspürt, wenn es den Vertragspartner frustriert. Häufig ist es aber auch unfähig (z.B. aufgrund mangelnder Fertigkeiten), die offen oder verdeckt geäußerten Bedürfnisse zu befriedigen. Problematisch ist es ferner, wenn Familienmitglieder den Regeln des Profitdenkens folgen und versuchen, soviel Gewinn wie möglich aus dem Vertrag zu ziehen. Dann fühlen sich die anderen bald ausgenutzt und trachten danach, erstere (z.B. durch das Entwickeln von Symptomen oder das Hervorrufen von Konflikten) zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen zu zwingen (Ackerman 1966, Sager et al. 1971).

Nach Beobachtungen amerikanischer Therapeuten resultieren viele Probleme pathologischer Familien auch aus Mythen und Geheimnissen. Diese können sich auf die Großeltern (z.B. auf ihre Rolle in der Gesellschaft, ihren Gesundheitszustand oder die Art ihres Todes), die Eltern (z.B. auf begangene Straftaten, schmachvolle Erlebnisse oder ihre derzeitigen Liebhaber) oder die Kinder (z.B. auf die Tatsache ihrer Adoption) beziehen. Besonders pathogen sind Geheimnisse, die nur der älteren Generation bekannt sind und so die Welt für die Kinder unverständlich machen. In hilfsbedürftigen Familien gibt es aber auch "offene" Geheimnisse: "They are open in the sense that everybody knows about them and are secrets in that nobody is supposed to know that everybody else knows" (Watzlawick et al. 1974, S. 42). Beispielsweise handeln Kinder oft so, als ob sie nicht wüssten, dass zwischen den Eltern keine Zärtlichkeiten mehr ausgetauscht werden oder dass diese nur ihretwillen zusammenbleiben. Anzumerken ist noch, dass Eltern in pathologischen Familien häufig aus Sexualität und Tod ein Geheimnis machen. So verleugnen sie z.B. die Geschlechtsunterschiede und klären ihre Kinder nicht auf.

Pathologische Interaktionsmuster entstehen oft auch aufgrund verabsolutierter, übertriebener oder häufig wechselnder Familienwerte. Manchmal lassen sich zudem große Unsicherheit und Verwirrung hinsichtlich der "richtigen" Werte beobachten. Insbesondere in Familien mit Jugendlichen prallen unterschiedliche Werte aufeinander, wobei die eine oder andere Seite vielfach "veraltete" oder extreme Positionen vertritt. Werden neue Normen nur rational übernommen, so kann es leicht zu inkongruenter Kommunikation kommen. So mögen Eltern beispielsweise vorehelichen Geschlechtsverkehr verbal zulassen, aber durch nonverbale Botschaften Schuldgefühle in ihren Kindern hervorrufen.

Das emotionale Klima in pathologischen Familien ist durch (verdeckte oder offene) Feindseligkeit, Aggressivität und Reizbarkeit oder durch Verzweiflung, Angst, Verwirrung und Apathie gekennzeichnet. Die Mitglieder kapseln sich voneinander ah, verheimlichen ihre Gedanken und Gefühle, entwickeln einen Schutzpanzer oder erleben sich als isoliert. In den Familien gibt es meist wenig Offenheit und Gemeinschaftsgeist, mangelt es an Liebe, Wärme, Intimität, Zuneigung und Vertrauen. Oh regredieren einzelne Familienmitglieder oder haben Schwierigkeiten mit der Triebkontrolle. In den meisten Fällen ist die Familienloyalität stark ausgeprägt, bestehen feste und intensive Bindungen zwischen den einzelnen Mitgliedern.

Quelle

Aus: Martin R. Textor: Integrative Familientherapie. Eine systematische Darstellung der Konzepte, Hypothesen und Techniken amerikanischer Therapeuten. Berlin, Heidelberg, New York, Tokyo: Springer 1985, S. 45-51, 71-74, 102-117 (überarbeitet, ohne Fußnoten und Literaturangaben)