Mythen als Verursacher von Eheproblemen

Martin R. Textor

 

Viele Eheprobleme werden von soziokulturellen Vorstellungen mitbedingt, die man durchaus als Mythen charakterisieren kann. Prüfen Sie einmal, ob Sie - im Innersten Ihres Herzens - an folgende "Mythen" glauben!

(1) Die Liebe soll immer im Mittelpunkt der Ehe stehen. Wer liebt, weiß, was der Partner will, mag, fühlt und denkt. Er versucht immer, alle Wünsche des anderen zu erfüllen und ihn glücklich zu machen. Auch ist er selbstlos und hält die Bedürfnisse des anderen für wichtiger als die eigenen. Wer liebt, tut alles mit dem Partner gemeinsam und sucht immer dessen Nähe.

(2) In der Ehe finden wir all die Zuwendung und Liebe und sogar die guten Ratschläge, die uns unsere Eltern vorenthielten. Sie nützt beiden Partnern, bietet Sicherheit und stärkt die eigenen Selbstwertgefühle.

(3) In einer guten Ehe gibt es keine Meinungsverschiedenheiten. Die Partner sind immer offen und ehrlich, haben dieselben Auffassungen, Einstellungen, Ideale und Ziele. Beide wissen von Anfang all, wie sich ein Ehemann bzw. eine Ehefrau verhalten soll. Auch verstehen sie sofort nonverbale Botschaften.

(4) Eine gute Ehe "geschieht einfach", ohne dass sich die Partner anstrengen und an ihrer Beziehung arbeiten müssen. Sie wandelt sich nicht im Verlauf der Zeit.

(5) In einer guten Ehe gibt es keine sexuellen Probleme. Man weiß instinktiv, was der andere Partner im Bett erleben will.

(6) Der Partner kann verändert und in die gewünschte Form gebracht werden. Zu diesem Zweck eignet sich Kritik besser als positives Feedback.

(7) Auseinandersetzungen kennzeichnen eine schlechte Ehe. Die angeborenen Unterschiede zwischen Mann und Frau verursachen die meisten Konflikte.

(8) Wenn etwas misslingt, ist immer eine Person dafür verantwortlich. Bei Auseinandersetzungen hat immer ein Partner Recht und der andere Unrecht. Viele Ursachen von Konflikten liegen in der Vergangenheit - so sollte man alte Probleme und Streitfragen immer wieder diskutieren, damit sie endlich gelöst werden.

(9) Eine schlechte Ehe kann gerettet werden, indem die Partner ein Kind zeugen. Eltern müssen um der Kinder willen zusammenbleiben und sollten sich nie scheiden lassen.

(10) Die Eltern sind allein für die Entwicklung ihrer Kinder verantwortlich. Sie sollen niemandem erlauben, sich in die Erziehung oder in andere Familienangelegenheiten einzumischen.

Wenn Sie an solche Mythen glauben - aufgepasst! Diese Mythen können z.B. dazu führen, dass die Ehe zu einer exklusiven und isolierten Dyade wird und sich gegenüber der Umwelt abkapselt. Bei Schwierigkeiten werden keine Hilfsangebote von anderen Personen angenommen. Ein Partner fühlt sich bedroht, wenn der andere enge Beziehungen zu Freunden eingeht oder aufrechterhält, und wirft ihm dann oft Untreue vor.

Besonders problematisch ist aber, dass aufgrund dieser Mythen zu hohe Anforderungen an den Ehepartner gestellt werden: Er soll nahezu alle emotionalen, sozialen und physischen Bedürfnisse befriedigen, wodurch er sich häufig überfordert und ausgebeutet fühlt. Da die Partner die durch diese Mythen (oder durch die idealisierten Darstellungen in Ratgebern) geweckten Erwartungen nicht erfüllen können, sehen sie ihre Ehe oft als gescheitert an und reichen die Scheidung ein. Auch machen Jugendliche ihre Eltern für all ihre psychischen und sozialen Probleme verantwortlich, da diese ihre Entwicklung determiniert und auf negative Weise beeinflusst hätten. So erleben sich die Eltern häufig als "Versager" und entwickeln Schuldgefühle.

Deshalb sollte man sich hüten, an solche Mythen zu glauben oder sie in Gesprächen zu vertreten. Das Eheleben ist leichter, wenn man sich selbst und den Partner nicht überfordert!