Offene Adoption von Säuglingen

Martin R. Textor

 

In den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren haben Adoptionsvermittler und Wissenschaftler erkannt, dass die Adoption ein dynamischer, unbegrenzter und lebenslanger Prozess für die Beteiligten ist (Sorich und Siebert 1982). Viele Beobachtungen und wissenschaftliche Erkenntnisse, insbesondere hinsichtlich der Situation von leiblichen Eltern (Swientek 1982, 1986; Textor 1987) und Adoptivkindern (Knoll und Rehn 1984/85; Ebertz 1987; Keller-Thoma 1987), lassen vermuten, dass sich in vielen Fällen alle drei Seiten des "Adoptionsdreiecks" gedanklich intensiv miteinander beschäftigen. Da bei der vorherrschenden Inkognitoadoption jedoch immer ein Teil der Betroffenen eine unbekannte Größe bleibt, sind pathogen wirkende Phantasien, Vermutungen, Schuldzuschreibungen, Identitätskonflikten usw. keine Grenzen gesetzt. Deshalb wird seit einigen Jahren in verschiedenen Ländern (z.B. Großbritannien, Kanada, Österreich, USA, Niederlande und Bundesrepublik Deutschland) mit verschiedenen Formen des Kontakts zwischen Adoptivfamilie und leiblichen Eltern experimentiert, wobei hiervon jedoch immer nur einige ausgewählte Fälle betroffen sind (Amadio und Deutsch 1983/84; Kraft et al. 1985a). Wird das Inkognito der Adoptiveltern gegenüber den leiblichen Eltern des Adoptivkindes ganz oder teilweise aufgehoben, so spricht man von einer "offenen Adoption". Dieser Sammelbegriff umfasst eine große Bandbreite von Adoptionsformen, die von dem Einbezug der leiblichen Eltern in die Auswahl der Adoptionsbewerber über ein einmaliges Zusammentreffen der biologischen mit den Adoptiveltern, den regelmäßigen Austausch von Briefen und eine größere Zahl formeller Kontakte (unter Anwesenheit des Adoptionsvermittlers) bis hin zu fortlaufenden informellen Treffen reicht. Viele Adoptionsvermittler haben bereits mit offenen Formen der Adoption Erfahrungen gesammelt, die jedoch nur selten niedergelegt und noch nicht wissenschaftlich ausgewertet wurden. So berichteten auf einer Tagung der Gemeinsamen Zentralen Adoptionsstelle (GZA 1987) ein Drittel der Teilnehmer, dass sie bereits eine oder mehrere halboffene Adoptionen durchgeführt hätten. Ein Viertel der anwesenden Adoptionsvermittler hatte auch eine oder mehrere offene Adoptionen in die Wege geleitet. In diesem Artikel soll nun über die möglichen Vor- und Nachteile offener Adoptionen von Säuglingen berichtet werden.

Mögliche Vorteile offener Adoptionen

Vertreter einer offenen Adoption von Säuglingen und Kleinstkindern gehen davon aus, dass sowohl die leiblichen Eltern als auch die Adoptiveltern am Gedeihen und Schicksal des Kindes interessiert sind (vgl. Catholic Child Welfare Council 1977; Kirk 1981; Rillera und Kaplan 1985). Sie meinen, dass beide Seiten als psychologische Eltern zum Wohle des Kindes zusammenwirken und seine Entwicklung eventuell sogar besser als ein Ehepaar allein fördern können (Bush und Goldman 1982). So schreiben beispielsweise Pannor und Baran (1984):

"Alle erziehenden Eltern, seien es biologische oder Adoptiveltern, befriedigen die täglichen physischen und emotionalen Bedürfnisse ihres Kindes, bieten ihm grundlegende Stabilität und Sicherheit sowie ein Wertesystem, mit dem sich das Kind identifiziert. Das Interesse und die Mitwirkung der leiblichen Eltern eines Adoptivkindes müssen nicht notwendigerweise anders sein als die Unterstützung, die alle Kinder von wohlmeinenden Verwandten und Freunden erhalten." (S. 246). Auch würden Untersuchungen über Stieffamilien zeigen, dass ein Kind mit mehr als zwei psychologischen Elternteilen umgehen kann (Triseliotis 1985). Rillera und Kaplan (l985) ergänzen: "...wenn Eltern mehr als ein Kind lieben können, dann können Kinder mehr als ein Elternpaar lieben" (S. 24)

Für leibliche Eltern haben offene Adoptionen den Vorteil, dass sie eine größere Kontrolle über die Zukunft des Kindes haben und sich keine Sorge mehr um dessen Entwicklung machen müssen. So kennen sie die Familie, in der ihr Kind aufwächst, wissen, wie es ihm geht und ob es sich wohlfühlt, und sind für es keine Unbekannten (Roberts und Robie 1981; Toogood 1981; Roth 1986; GZA 1987). Dementsprechend dürften die leiblichen Eltern besser mit ihrer Entscheidung leben und mehr Gewissensruhe finden, also weniger unter Selbstvorwürfen, Schuldgefühlen, Trauer und psychischem Schmerz leiden (Baran, Pannor und Sorosky 1976; Roberts und Robie 1981; Toogood 1981; Sorich und Siebert 1982; Pannor und Baran 1984; Argent 1986a; Johnson 1986; Kantrowitz und Williams 1986; Roth 1986; GZA 1987; Schreiner 1988; Lutheran Social Service of Texas o.J.). Auch können sie ihr Interesse am Kind und ihre Liebe weiterhin zeigen sowie jederzeit ihre Lebenssituation und ihre Motivation zum Zeitpunkt der Freigabe erklären (Dorner 1981; GZA 1987). Die Gewissheit, auch in Zukunft mit dem Kind in Kontakt bleiben zu können, mag zudem mehr Mütter zu einer Freigabeentscheidung bewegen, die ansonsten das Kind abtreiben lassen (Rocke und Lamprecht 1986; Roth 1986) oder alleine aufziehen würden (Kantrowitz und Williams 1986) - oder ihnen auch die Zustimmung zu einer Adoption des Kindes durch den leiblichen Vater erleichtern (Amadio und Deutsch 1983/ 84).

Bei einer offenen Adoption dürften die Unterschiede zwischen biologischer und Adoptivelternschaft den Adoptiveltern bewusster sein und sie nach einer "Normalisierung eigener Art" streben lassen (Hoffmann-Riem 1984). Es dürfte ihnen leichter fallen, die Adoption als ihre (durch die eigene Infertilität bedingte) Form der Familiengründung zu akzeptieren (Toogood 1981; Rillera und Kaplan 1985). Während bei der Inkognitoadoption viele Adoptiveltern Phantasien und Ängste bezüglich der Herkunft ihrer Kinder entwickeln und leicht von Abwehrmechanismen wie der Projektion Gebrauch machen, ist es bei der offenen Adoption wahrscheinlicher, dass sie ein realitätsbezogenes Bild von den leiblichen Eltern bekommen und ihre Motive besser verstehen (Sorosky, Baran und Pannor 1976; Pannor und Baran 1984; Johnson 1986; Kantrowitz und Williams 1986; Roth 1986; Dorner 1987; Lutheran Social Service of Texas o.J.). Da die Adoptiveltern mehr Informationen über die Herkunft des Kindes haben und diese aufgrund ihres Kontaktes mit den leiblichen Eltern ergänzen und aktualisieren können, müssten sie Fragen der Kinder nicht mehr unbeantwortet lassen. Auch könnten sie die biologischen Eltern in Gespräche über Adoption, Freigabegründe usw. einbeziehen. So dürfte es eher zu einer offenen und ehrlichen Kommunikation in der Adoptivfamilie kommen und die Eltern-Kind-Beziehung natürlicher und vertrauensvoller werden als bei einer Inkognitoadoption (Baran, Pannor und Sorosky 1974, 1976; Sorosky, Baran und Pannor 1976, 1982; Roberts und Robie 1981; Ensminger 1984; Roth 1986).

Da Adoptivkinder bei offenen Adoptionen ihre leiblichen Eltern kennen, ein realistisches Bild von ihnen gewinnen und wissen, aus welchen Gründen bzw. aufgrund welcher Probleme sie zur Adoption freigegeben wurden, dürften sie weniger Ängste, Phantasien und falsche Vorstellungen bezüglich ihrer Herkunft entwickeln, weniger unter Identitätskonflikten leiden und mehr Kontinuität in ihrem Leben sehen (Baran, Pannor und Sorosky 1976; CoIón 1978; Toogood 1981; Sorosky, Baran und Pannor 1982; Pannor und Baran 1984; Lutter 1985; Rillera und Kaplan 1985; Argent 1986a; Powledge 1986; Roth 1986; Dorner 1987; Schreiner 1988; Lutheran Social Service of Texas o.J.). Auch wissen sie, wem sie ähneln und dass sie geliebt wurden. Wenn die Adoptivkinder erleben, dass auch die leiblichen Eltern sich für sie interessieren und sich um sie kümmern, werden sie sich wahrscheinlich auch nicht wie häufig bei Inkognitoadoptionen von diesen abgelehnt fühlen. Das dürfte sich positiv auf ihr Selbstwertgefühl und Selbstbild auswirken (Baran, Pannor und Sorosky 1976; Colón 1978; Toogood 1981; Pannor und Baran 1984; Argent 1986b; GZA 1987). Zudem haben die Kinder Zugang zu beiden Familien. So schreiben Rilera und Kaplan (1985): "Bei der idealen Adoption verliert das Kind nichts ... keine Beziehungen, kein Wissen, keine Kontinuität, keine Geburtsfamilie, keine Geschwister, keine Großeltern, keine Eltern, kein einziges Ding!" (S. 1). Schließlich wird vermutet, dass bei offenen Adoptionen die Beziehung der Kinder zu den Adoptiveltern besser ist, da die Kinder weniger mit Geheimnissen rechnen müssten, vertrauensvoller und unabhängiger sein könnten (Roberts und Robie 1981; Toogood 1981; Roth 1986).

Mögliche Nachteile offener Adoptionen

Verfechter der offenen Adoption, vor allem aber ihre Gegner, sehen jedoch auch viele mögliche Probleme: So wird z.B. befürchtet, dass das Angebot einer offenen Adoption die leiblichen Eltern zu falschen Entscheidungen führen könnte. Auch mag es als ein Lockmittel benutzt werden, um biologische Eltern zur Freigabe ihres Kindes zu bewegen, die es ansonsten bei entsprechender Beratung, finanzieller Unterstützung usw. selbst aufziehen würden (Argent 1986b; GZA 1987). Auch könnten leibliche Eltern, die sich bewusst sind, dass sie eine "Mangelware" besitzen, ihre Macht missbrauchen und die Bedingungen für die Gestaltung der Beziehung zur Adoptivfamilie diktieren (Moynihan 1983, Powledge 1986). Vor allem minderjährige Eltern könnten auch in der Freigabesituation durch die notwendige Wahl zwischen verschiedenen Alternativen der Adoption überfordert werden oder unrealistische Vorstellungen entwickeln. Zudem bestehe die Gefahr, dass die Betroffenen unbewusst nach neuen, besseren und empathischeren "Eltern" suchen und diese nun in den Adoptiveltern zu finden hoffen (Kraft et al. 1985a; GZA 1987). Einige Fachleute bezweifeln auch, dass eine offene Adoption die Trauer, den Schmerz und die psychischen Konflikte der leiblichen Eltern verringern würde, sondern rechnen eher mit einer Verlängerung des Trauerprozesses (Moynihan 1983; Kraft et al. 1985a; Rosenberg 1986; GZA 1987). Ferner sehen sie die Gefahr, dass die biologischen Eltern ihre Entscheidung bereuen und mit Ambivalenz, Eifersucht und Neid auf die Adoptiveltern reagieren könnten oder dass sie ihre intra- und interpersonalen Probleme in die Adoptivfamilie hineintragen (Toogood 1981; Kraft et al. 1985a). Schließlich könnten sie sich in die Erziehung des Kindes einmischen, es zu kontrollieren versuchen, nach seiner Liebe trachten und auf diese Weise die Eltern-Kind-Beziehung stören (Borgman 1982; Kraft et al. 1985a; Roth 1986).

Offene Adoptionen dürften vor allem für Adoptiveltern problematisch sein, die von der Anonymität am meisten profitieren (Baran, Pannor und Sorosky 1976). So schreiben Kraft et al. (1985b): "Die Vertreter einer offenen Adoption sprechen von den Vorteilen der Offenheit für die leibliche Mutter und das Kind. Jedoch werden nur wenige Vorteile für die Adoptiveltern diskutiert." (S. 79). Viele Indizien sprechen dafür, dass Adoptiveltern an einem engeren Kontakt mit den leiblichen Eltern nicht interessiert sind. Solange z.B. noch viele Bewerber kaum bereit sind, sich mit dem Thema "leibliche Mütter" zu befassen (Pfeiffer, Pfeiffer-Schramm und Scheuer 1980; Bornhorn et al. 1985), und solange viele Adoptiveltern es als sehr schwierig erleben, mit ihren Kindern über die Adoption zu sprechen (Argent 1986b), werden sie wohl kaum mit einer offenen Adoption einverstanden sein. So besteht die Gefahr, dass viele Bewerber gegen ihren Willen einer offenen Adoption zustimmen werden, da entweder die Adoptionsvermittlungsstelle Druck auf sie ausübt oder weil sie aufgrund der Unmenge an Bewerbern befürchten, sonst kein Kind zu bekommen. Später werden sie sich dann eventuell bewusst oder unbewusst dagegen wehren, indem sie z.B. mit dem Kind fortziehen, die Kontakte bedeutungslos gestalten, Spannungen und Stress erleben oder schließlich Besuche gar verbieten (Kraft et al. 1985b; Triseliotis 1985; Argent 1986b; Kantrowitz und Williams 1986; GZA 1987).

Bei einer offenen Adoption mag es auch dazu kommen, dass die Adoptiveltern den Schmerz und die Trauer der leiblichen Eltern miterleben und deshalb ihnen gegenüber Schuldgefühle entwickeln oder sich ihnen verpflichtet fühlen (Kraft et al. 1985b). Vor allem wenn diese noch minderjährig sind, mögen sich die Adoptiveltern für sie verantwortlich fühlen und sie gezwungenermaßen bei Problemen beraten und unterstützen, wodurch sie möglicherweise überfordert würden (Kraft et al. 1985c; GZA 1987). Der Kontakt zu den leiblichen Eltern könnte auch die Stabilität der Adoptivfamilie beeinträchtigen, da sich diese weniger durch Grenzen abschotten kann oder weil die Adoptiveltern befürchten, dass die leiblichen Eltern eines Tages das Kind zurückhaben möchten oder dass dieses zu ihnen ziehen wird (Kirk 1981; Lutter 1985; Kantrowitz und Williams 1986; Powledge 1986; Rosenberg 1986). In vielen Fällen werden die Adoptiveltern unter Umständen auch Angst vor einer Einmischung der leiblichen Eltern in ihre Erziehung haben (Toogood 1981; Kraft et al. 1985a, b, c; Roth 1986; GZA 1987), auf deren Einfluss auf das Kind eifersüchtig sein (Toogood 1981), mit ihnen um die Zuneigung und Loyalität des Kindes kämpfen (Borgman 1982; Kraft et al. 1985a; GZA 1987) oder mit ihnen Konflikte über die Erziehung desselben ausfechten, die durch große Schichtunterschiede, verschiedene Werte und unterschiedliche Lebensstile noch erschwert werden könnten (Kraft et al. 1985b; Rillera und Kaplan 1985; Triseliotis 1985; Johnson 1986; Roth 1986; GZA 1987). Auch mag die offene Adoption zu einer schwächeren Eltern-Kind-Beziehung führen, in der Bindungen lockerer sind, weniger Intimität erlebt wird, Trennungsängste eine größere Rolle spielen und das Gefühl der Sicherheit weniger stark ausgeprägt ist als bei einer Inkognitoadoption. Die Adoptiveltern mögen das Kind weniger als ein eigenes betrachten und sich ihm gegenüber weniger verpflichtet fühlen (Toogood 1981; Borgman 1982; Kraft ei al. 1985b, c; Argent 1986a; Rosenberg 1986).

Auf Seiten des Kindes mag die offene Adoption zu Verwirrung, psychischen Konflikten und Verhaltensstörungen fuhren. Da Kinder in der Regel erst nach dem achten Lebensjahr die Unterschiede zwischen Adoptiv- und biologischer Elternschaft und die Dauerhaftigkeit des erstgenannten Verhältnisses verstehen, werden kleinere Kinder unter Umständen unter der Unklarheit leiden, wer nun ihre wirkliche Mutter ist (Orientierungslosigkeit). Auch mögen sie befürchten, dass die leiblichen Eltern sie eines Tages zurückholen werden, und sich deshalb in der Adoptivfamilie nicht sicher fühlen, angstverstärkende Phantasien entwickeln und kein intensives Zusammengehörigkeitsgefühl erleben (Toogood 1981; Kraft et al. 1985b, c; Johnson 1986; Kantrowitz und Williams 1986). Adoptivkinder mögen sich ferner zwischen beiden Elternpaaren hin- und hergerissen fühlen. Zudem müssten sie vier Elternfiguren internalisieren, was die Bewältigung der ödipalen Situation erschweren dürfte (Borgman 1982; Kraft et al. 1985c; GZA 1987). Zudem mögen ihre Identitätsentwicklung und ihr Selbstwertgefühl negativ beeinflusst werden, wenn sie belastende Informationen über ihre Herkunft erfahren oder ihre leiblichen Eltern z.B. aus Randgruppen stammen (GZA 1987; Eder 1988). Aber auch während ihrer Pubertät und Ablösungsphase mag es zu großen Problemen kommen, wenn sie z.B. beide Elternpaare gegeneinander ausspielen, positive und negative Gefühle jeweils nur auf ein Paar projizieren oder nach altersbedingten Konflikten mit den Adoptiveltern zu den leiblichen ziehen wollen (Kraft et al. l985b, c). Schließlich mögen Adoptivkinder unter einer negativen Haltung der Adoptiveltern gegenüber den biologischen leiden und sehr enttäuscht, verletzt und in ihrem Selbstwertgefühl getroffen sein, wenn letztere aus irgendwelchen Gründen den Kontakt zur Adoptivfamilie abbrechen sollten (Toogood 1981; Triseliotis 1985).

Vergleicht man die potentiellen Vor- und Nachteile einer offenen Adoption von Säuglingen und Kleinstkindern miteinander, lässt sich m.E. kein eindeutiges Votum für die offene Adoption aussprechen - zudem wissenschaftliche Forschungsergebnisse gezeigt haben, dass die Inkognitoadoption durchaus erfolgreich ist (Jungmann 1980) und noch keine empirischen Untersuchungen über offene Adoptionen durchgeführt wurden (Kraft et al. 1985a; Triseliotis 1985). Auch scheint mir hier eine generell andere Situation als bei der Adoption älterer Kinder zu bestehen, da keine engeren Beziehungen der Adoptivkinder zu leiblichen Verwandten zu schützen sind, um das Kindeswohl zu gewährleisten (Kraft et al. 1985b). Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass eine in größerem Ausmaß erfolgende Einführung der offenen Adoption die Institution der Adoption zerstören könnte, da diese dann einer Langzeitpflege ähneln würde (Kraft et al. 1985c). Wieso sollten Eltern dann auf ein Pflegegeld verzichten, wenn sie aufgrund der neueren Rechtsprechung nach einer längeren Pflegezeit mit dem Verbleib des Kindes in der Familie rechnen und ein ähnliches Sicherheitsgefühl wie bei der Adoption haben können?

Die Durchführung offener Adoptionen

So scheinen mir größere Veränderungen an der gegenwärtigen Adoptionspraxis nicht notwendig zu sein. Offene Adoptionen von Säuglingen und Kleinstkindern dürften nur in Einzelfällen sinnvoll sein, wenn sowohl leibliche Eltern als auch Adoptiveltern dieses von sich aus wollen, voraussichtlich in der Zukunft hinter ihrer Entscheidung stehen werden und die notwendige persönliche Reife besitzen (vgl. Baran, Pannor und Sorosky 1976; Pierce 1986; Powledge 1986). In diesen Fällen sind eine sehr viel zeit- und arbeitsintensivere Vorbereitung der Beteiligten durch die Adoptionsvermittler sowie eine langfristige Nachbetreuung notwendig. Die Adoptionsvermittler müssten sich auf Dauer für leibliche Eltern, Adoptivkinder und Adoptiveltern verantwortlich fühlen und immer als Berater und Helfer zur Verfügung stehen (Sorosky, Baran und Pannor 1976; Argent 1986b). Erschwerend kommt hinzu, dass sie nicht mehr nacheinander mit leiblichen Eltern und Bewerbern verhandeln können, sondern mit ihnen gemeinsam arbeiten müssen (Roth 1986). Dabei ist im Gegensatz zur herrschenden Praxis auch ein intensiver und langfristiger Kontakt mit den leiblichen Eltern nötig (Sorich und Siebert 1982). So besteht die Gefahr, dass viele Adoptionsvermittler offene Adoptionen ablehnen werden, weil sie durch den zusätzlichen Arbeitsanfall überlastet würden oder eine Überforderung durch unvorhergesehene Entwicklungen befürchten. Zudem können sie in der derzeitigen Situation mehr Macht und Kontrolle ausüben und eine größere Professionalität beanspruchen (Argent 1986b; GZA 1987). Dennoch sollten Adoptionsvermittler möglichst schon beim ersten Kontakt mit leiblichen Eltern oder Adoptionsbewerbern auf die Alternative offener Adoptionsformen hinweisen und den Klienten auf diese Weise einen größeren Handlungsspielraum eröffnen. Diese sollten frei entscheiden dürfen, welche der ihnen angebotenen Möglichkeiten am ehesten ihren einzigartigen Bedürfnissen entspricht, wobei ihr Recht auf Selbstbestimmung gewahrt werden sollte (Sorich und Siebert 1982; Dukette 1984; Curtis 1986). Wenn in Einzelfällen beide Seiten an der Möglichkeit einer offenen Adoption interessiert sind, können sie zu gemeinsamen Gesprächen zusammenkommen, in denen u.a. detaillierte Informationen über die eigene Person ausgetauscht, Werte, Ziele, Erwartungen, Gefühle und Einstellungen geklärt sowie die Zukunft und das Wohl des Kindes besprochen werden (Roberts und Robie 1981; Sorich und Siebert 1982; Moynihan 1983; Powledge 1986; Dorner 1987; GZA 1987). Dabei sollten auch die leiblichen Väter einbezogen werden, da es deren Recht und Pflicht sei, die jeweilige Entscheidung mitzufällen und mitzutragen. Auch dürfte gerade bei offenen Adoptionen der Wunsch der Kinder besonders groß sein, ihre leiblichen Väter zu kennen (Rillera und Kaplan 1985). In den vorbereitenden Gesprächen müssen auch Ängste der Bewerber abgebaut werden, indem ihnen versichert wird, wie stark psychologische Elternschaft sei (Lutter 1985). Ferner muss immer wieder betont werden, dass alle Beteiligten jederzeit diese Gespräche abbrechen können (Rillera und Kaplan 1985).

Haben sich leibliche Eltern und Adoptionsbewerber für eine offene Adoption entschieden, so sollten sie gemeinsam einen individuell gestalteten Adoptionsplan entwickeln und Rollen, Erwartungen, Verantwortlichkeiten, Besuchsregelungen, Verwandtschaftskontakte, Beziehungen zum Kind usw. genau definieren. Dabei können Adoptionsvermittler als Diskussionsleiter, Berater und Vermittler fungieren. Sie müssen also die Verantwortung für die Durchführung der Adoption mit leiblichen Eltern und Adoptionsbewerbern teilen und diesen Mitwirkungsrechte zugestehen - im Gegensatz zu Inkognitoadoptionen, für die sie allein verantwortlich sind (Roberts und Robie 1981; Sorich und Siebert 1982; Rillera und Kaplan 1985; GZA 1987).

Nordamerikanische und britische Vertreter offener Adoptionsformen empfehlen, dass Art, Dauer und Häufigkeit der Kontakte zwischen leiblichen Eltern und Adoptivfamilie vertraglich festgelegt werden, wobei beide Seiten die Vereinbarungen voll bejahen müssten. Auch sollten die getroffenen Regelungen flexibel gehalten werden, so dass sie entsprechend den sich wandelnden Bedürfnissen und Wünschen von Eltern und Kindern abgeändert werden können (Borgman 1982; Amadio und Deutsch 1983/84; Moynihan 1983; Nathan 1984; Pannor und Baran 1984; Rillera und Kaplan 1985; Argent 1986a). Vereinzelt sind auch solche Verträge vom Gericht bei dem Vollzug der Adoption bestätigt worden. Jedoch haben z.B. in Großbritannien solche Vereinbarungen schon dazu geführt, dass Richter eine Adoption nicht genehmigt bzw. sich für eine bloße Sorgerechtsvergabe entschieden haben (Triseliotis 1985; Argent 1986a). Dieses mag auch für die Bundesrepublik Deutschland gelten, falls Verträge als Bedingungen aufgefasst werden - laut §1750 Abs. 2 und §1752 Abs. 2 BGB dürfen weder die Einwilligung in die Adoption noch Anträge auf Annahme als Kind an Bedingungen geknüpft werden. Zudem gelten generell Besuchs- oder Kontaktvereinbarungen nicht als ein gerichtlich durchsetzbares Recht, da Pflege und Erziehung des Kindes das alleinige Recht der Adoptiveltern sind - so können diese z.B. später Besuche der leiblichen Eltern trotz des Vorhandenseins eines Vertrages ohne weiteres verbieten (Amadio und Deutsch 1983/84; Nathan 1984; Argent 1986a, b; Ward 1986). So sollten Adoptionsvermittler bei dem Abschluss derartiger Verträge darauf hinweisen, dass ein Einhalten der Vereinbarungen nicht gewährleistet werden kann (Moynihan 1983; Adcock und White 1984; Nathan 1984). Somit hängt es letztlich von den Adoptiveltern ab, ob eine offene Adoption wirklich zustande kommt.

Quelle

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