Scheidungsberatung
Martin R. Textor
Scheidungsberatung wird von Erziehungsberatungsstellen, Ehe- und Familienberatungsstellen und frei praktizierenden Psychotherapeut/innen angeboten, vor allem in größeren Städten auch von stärker spezialisierten Scheidungsberatungsstellen. Sind minderjährige Kinder von Trennung und Scheidung betroffen, beraten auch Jugendämter,
- insbesondere hinsichtlich einer "dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen förderliche(n) Wahrnehmung der Elternverantwortung" (§ 17 Abs. 1 Ziff. 3 2 SGB VIII = Sozialgesetzbuch Achtes Buch),
- "unter angemessener Beteiligung des betroffenen Kindes oder Jugendlichen bei der Entwicklung eines einvernehmlichen Konzepts für die Wahrnehmung der elterlichen Sorge" (§ 17 Abs. 2 SGB VIII),
- "bei der Ausübung der Personensorge einschließlich der Geltendmachung von Unterhalts- oder Unterhaltsersatzansprüchen des Kindes oder Jugendlichen" (§ 18 Abs. 1 SGB VIII) sowie
- "bei der Ausübung des Umgangsrechts" durch nicht sorgeberechtigte Elternteile, wobei Hilfestellung bei der Herstellung von Besuchskontakten ausdrücklich eingeschlossen ist (§ 18 Abs. 3 SGB VIII).
Bei der Scheidungsberatung geht es im weitesten Sinne darum, den Klient/innen zu helfen, den Scheidungszyklus - bestehend aus Vorscheidungsphase, Scheidungsphase und Nachscheidungsphase - auf bestmögliche Weise zu durchlaufen. So kann sich die Beratung entlang eines Kontinuums von Eheberatung bis hin zur Nachscheidungsberatung erstrecken.
In der Vorscheidungsphase - wobei zu deren Beginn sich viele Klient/innen nicht bewusst sind, dass sie sich in dieser Situation befinden - suchen Paare oder Einzelpersonen um Beratung nach, um über die unbefriedigende Ehebeziehung, die häufigen Konflikte, das negativ beurteilte Verhalten des Partners oder dessen außerehelichen Beziehungen zu reden. Vielfach beginnen sie zunächst eine Eheberatung und entdecken in deren Verlauf, dass sie sich mit der Alternative einer Trennung auseinandersetzen müssen. Sie erwarten dann Unterstützung bei der Lösung des Entscheidungskonflikts zwischen Trennung und Verbleib in der Ehe. In anderen Fällen geht es von Anfang an um den Scheidungswunsch eines oder beider Partner. Hier soll noch ein Versuch zur Rettung der Ehe gemacht werden.
Ist die Entscheidung für eine Trennung gefallen, helfen die Berater/innen den Klient/innen, sich emotional voneinander zu lösen. Wenn möglich, wird der Verlauf der Ehe nochmals reflektiert, sodass beide Partner ihren jeweiligen Beitrag zum Scheitern der Ehe erkennen, aber auch die positiven Seiten ihrer Beziehung sehen. Können sie einander "vergeben" und dann auf einer sachlichen Ebene miteinander kommunizieren, ist zumeist eine "konstruktive" Trennung möglich. Dann können sie oft alleine, mit Hilfe der Berater/innen oder im Rahmen einer Familienmediation die Trennungsfolgen regeln.
Auch besprechen die Berater/innen mit ihren Klient/innen, wie diese ihre Entscheidung Kindern und Verwandten auf "schonende Weise" beibringen können. In der Regel empfehlen sie ihnen, gemeinsam mit den Kindern zu sprechen. Auf diese Weise wird deutlich, dass die Entscheidung von beiden Elternteilen getragen wird und keiner allein verantwortlich ist. Falls jedoch nur ein Partner mit der Trennung einverstanden ist, sollte dies den Kindern nicht verschwiegen werden. Immer aber ist zu betonen, dass die Scheidung eine Angelegenheit der Erwachsenen ist und dass sie die volle Verantwortung für sie übernehmen. Auf diese Weise wird eine Grenze zwischen Eltern und Kindern gezogen. Letztere hören, dass sie für die Trennung nicht verantwortlich sind. Sollten sie dennoch Schuldgefühle äußern, muss ihnen deutlich gesagt werden, dass diese unbegründet sind.
Bei einer Beratung in der Scheidungsphase geht es vor allem um Probleme von einzelnen Erwachsenen, in der Beziehung zwischen den Getrenntlebenden, in der Eltern-Kind-Beziehung und/oder von Kindern. Im erstgenannten Fall helfen die Berater/innen den einzelnen Klient/innen, z.B. das Ende der Ehe zu akzeptieren, den eigenen Anteil am Scheitern der Ehebeziehung zu erkennen, die Trennung emotional zu verarbeiten (Trauerarbeit, Auseinandersetzung mit der Vergangenheit) und eine psychische Scheidung zu erreichen. Sie bieten ihnen Unterstützung beim Übergang vom Status eines Verheirateten zu dem eines Getrenntlebenden/ Geschiedenen/ Single. Oft werden notwendige Umstellungen wie Wohnungssuche, Wiedereintritt in die Arbeitswelt (vor allem bei Frauen), Vereinbarkeit von Beruf und Erziehung (bei Alleinerziehenden) oder das Erlernen von Haushaltsführung und der Beschäftigung mit Kindern (vor allem bei Männern) besprochen. Das soziale Netzwerk wird erweitert, und seine Ressourcen werden erschlossen. Manche Klient/innen wünschen sich Hilfe bei der Partnersuche und beim Aufbau eines befriedigenden Lebens als Single oder Alleinerziehender.
Hinsichtlich der Beziehung zwischen Getrenntlebenden wird in der Scheidungsberatung eine Art "geschäftliches Verhältnis" angezielt. Dann lassen sich einerseits leichter die Scheidungsfolgen regeln und Scheidungsvereinbarungen treffen. Andererseits kann bei Klient/innen mit Kindern eine gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung oder eine relativ problemlose Durchführung von Umgangsregelungen (ohne Sabotageversuche, ohne Kritisieren des anderen Elternteils vor den Kindern usw.) erreicht werden.
Bezüglich der Eltern-Kind-Beziehung wird angestrebt, dass die Erziehungskompetenz beider Elternteile erhalten und gefördert wird. Sie sollten den Kindern helfen, die Trennung zu akzeptieren und die neue Situation zu meistern. Dabei benötigen sie Hilfe, insbesondere für den Umgang mit emotionalen Reaktionen und Verhaltensauffälligkeiten. Der Alltag sollte für die Kinder möglichst "normal" weitergehen.
Den Kindern wird im Rahmen einer Scheidungsberatung geholfen, die Gründe und Folgen der Trennung ihrer Eltern zu verstehen, deren Endgültigkeit zu akzeptieren (Aufgeben der Hoffnung auf eine Versöhnung) und den teilweisen Verlust eines Elternteils sowie an Geborgenheit zu bewältigen (sie leben in keiner "intakten" Familie mehr). Die Berater/innen wollen ihnen helfen, mit Zorn und Wut richtig umzugehen sowie Gefühle der Zurückweisung, Schuld und Ohnmacht zu überwinden. Die Kinder sollen sich wieder ihrem eigenen Leben, der Schule, dem Freundeskreis und altersspezifischen Aufgaben zuwenden. Psychische Probleme und Verhaltensauffälligkeiten werden behandelt.
In der Nachscheidungsphase werden Scheidungsberater/innen zumeist wegen der Probleme eines geschiedenen Erwachsenen oder eines Kindes konsultiert. Im erstgenannten Fall geht es dann z.B. um den Abschluss des Trauerprozesses, das Erreichen der psychischen Trennung vom früheren Partner und die endgültige Etablierung eines neuen Lebensstils. Individuelle Probleme von Kindern, Verhaltensauffälligkeiten oder Konflikte in der Eltern-Kind-Beziehung werden oft in Treffen mit dem sorgeberechtigten Elternteil und dem Kind reduziert. Häufig finden (zusätzlich) Einzelsitzungen mit den Kindern statt (z.B. für eine Spieltherapie). Vereinzelt werden nicht sorgeberechtigte Elternteile in die Behandlung des Kindes oder Jugendlichen einbezogen, wenn sie noch einen großen Einfluss auf dessen Entwicklung haben. Insbesondere wenn beide Elternteile weiterhin erzieherisch tätig sind oder sein wollen, werden Beratungsgespräche zur Lösung von Konflikten zwischen ihnen und zur Verbesserung ihrer "Erziehungspartnerschaft" geführt.