Senioren im Zentrum der Gesellschaft

Martin R. Textor

 

In den kommenden Jahrzehnten wird sich die Altersstruktur der Gesellschaft stark verändern. Laut der 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes waren 49,7 Millionen Menschen im Jahr 2007 im Erwerbsalter von 20 bis 64 Jahren. Ihre Zahl wird laut Tabelle 1 bei einer netto Zuwanderung von 100.000 Menschen pro Jahr (ab 2014) auf 32,6 Millionen im Jahr 2060 zurückgehen (untere Variante). Bei einer netto Zuwanderung von 200.000 Menschen pro Jahr (ab 2020) wird es 2060 hingegen noch 36,2 Millionen Menschen im Erwerbsalter geben (obere Variante). Auch der Anteil von Menschen unter 20 Jahren wird sinken, und zwar von 15,6 auf 10,1 (untere Variante) bzw. 11,0 Millionen (obere Variante).

Tabelle 1: Prognose der Altersstruktur der Bevölkerung in Deutschland (12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung)

Jahr

Variante

unter 20-Jährige

20- bis 64-Jährige

65-Jährige und Ältere

Zahl

Anteil

Zahl

Anteil

Zahl

Anteil

2008

untere

15,6

19,0%

49,7

60,6%

16,7

20,4%

obere

15,6

19,0%

49,7

60,6%

16,7

20,4%

2020

untere

13,6

17,0%

47,6

59,6%

18,7

23,3%

obere

13,7

17,0%

48,1

59,8%

18,7

23,2%

2030

untere

12,9

16,7%

42,2

54,5%

22,3

28,8%

obere

13,2

16,7%

43,5

55,0%

22,3

28,3%

2040

untere

11,8

16,0%

38,3

51,9%

23,7

32,1%

obere

12,4

16,1%

40,5

52,8%

23,9

31,1%

2050

untere

10,7

15,4%

35,7

51,5%

23,0

33,1%

obere

11,5

15,6%

38,7

52,6%

23,4

31,8%

2060

untere

10,1

15,6%

32,6

50,4%

22,0

34,0%

obere

11,0

15,7%

36,2

51,7%

22,9

32,6%

Hingegen wird die Zahl der 65-Jährigen und Älteren rasant ansteigen, weil nach 2020 die geburtenstarken Jahrgänge in dieses Alter kommen werden. Sie wird von 16,7 Millionen (2008) auf 22,0 Millionen (untere Variante) bzw. 22,9 Millionen (obere Variante) im Jahr 2060 zunehmen. Im Jahr 2060 wird somit jeder Dritte mindestens 65 Jahre alt sein - und jeder Siebte wird sogar 80 Jahre oder älter sein. Die absolute Höchstzahl an Senioren wird laut Tabelle 1 jedoch schon früher erreicht: im Jahr 2040 mit 23,7 bzw. 23,9 Millionen. Diese Entwicklung ist unausweichlich; eine Erhöhung der Zuwanderung über 200.000 Personen pro Jahr hinaus oder eine Steigerung der Geburtenrate auf über 1,4 Kinder pro Frau könnte nur zu einer geringen Abschwächung führen. Eine noch geringere Geburtenziffer oder eine schnellerer Anstieg der Lebenserwartung über die für 2060 angenommenen 85,0 Jahre für Männer bzw. 89,2 Jahre für Frauen hinaus würde hingegen den Trend verschärfen.

Ein Erwerbstätiger kann nicht für einen Rentner aufkommen

Mit der Alterung der Bevölkerung wird auch der Altenquotient - die Anzahl der Menschen im Rentenalter je 100 Personen im Erwerbsalter - erheblich zunehmen. Im Jahr 2008 kamen 33,7 Senioren im Alter von 65 Jahren und mehr auf 100 Personen zwischen 20 und 64 Jahren. Ihre Zahl wird laut Tabelle 2 bei der unteren Variante (netto Zuwanderung von 100.000 Menschen) auf 67,4 im Jahr 2060 und bei der oberen Variante (netto Zuwanderung von 200.000 Menschen) auf 63,1 zunehmen. Selbst bei einer Altersgrenze von 67 Jahren wird der Altenquotient von derzeit 29,0 auf 59,4 (untere Variante) bzw. 55,5 (obere Variante) im Jahr 2060 steigen. Würde aufgrund der derzeitigen Debatte über die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund die Zuwanderung weitgehend gestoppt und nur noch die Abwanderung ausgleichen, läge der Altenquotient 2060 bei 72,9.

Tabelle 2: Altenquotient (Anzahl der Menschen im Alter von 65 Jahren und mehr je 100 Personen im Erwerbsalter)

Jahr

untere Variante (Zuwanderung: 100.000 Personen ab 2014)

obere Variante (Zuwanderung 200.000 Personen ab 2020)

Wanderungssaldo Null

2008

33,7

33,7

33,7

2020

39,2

38,8

39,8

2030

52,8

51,4

54,8

2040

61,9

59,0

65,6

2050

64,4

60,5

69,5

2060

67,4

63,1

72,9

Im Jahr 2008 mussten 100 Menschen im erwerbsfähigen Alter für 31,5 Kinder bzw. Jugendliche und 33,7 Senioren aufkommen. Es ist offensichtlich, dass sie schon 2030 nicht im gleichen Maße wie heute für dann 30,7 Kinder und 52,8 Senioren sorgen können - geschweige denn 2060 für 30,9 Kinder und 67,4 alte Menschen (untere Variante; die Zahlen für die obere Variante lauten 30,4 und 51,4 für 2030 sowie 30,4 und 63,1 für 2060). Wenn man bedenkt, dass nicht alle Menschen zwischen 20 und 64 Jahren voll erwerbstätig sind, sondern manche noch eine Ausbildung machen oder studieren, andere arbeitslos sind oder nur wenig verdienen, und wieder andere sich in der Familienphase befinden, dann geht der Trend dahin, dass Mitte dieses Jahrhunderts ein Arbeitnehmer fast alleine für einen Rentner aufkommen müsste.

Unausweichlich: späterer Renteneintritt, höhere Erwerbsquoten, mehr Sozialabgaben

Dies ist natürlich nicht möglich. Deshalb ist es unausweichlich, dass Menschen in den kommenden Jahrzehnten weit über ihr 65. Lebensjahr hinaus arbeiten müssen. So empfiehlt die Arbeitsgruppe "Altern in Deutschland", der 23 Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen angehören, dass Berufsarbeit bis ins fortgeschrittene Alter hinein die Regel sein sollte. In Zukunft müssten auch über 65-Jährige Geld verdienen - und sei es auch nur, um ihren Lebensstandard zu halten. Allerdings müsse die Lohnpolitik so geändert werden, dass Arbeitnehmer nicht mehr automatisch mit jedem Berufsjahr mehr verdienen, denn schon jetzt sind ältere Arbeitnehmer vielen Unternehmen zu teuer.

Ferner sollten möglichst alle Menschen im erwerbsfähigen Alter berufstätig sind, was u.a. durch die Kürzung der Ausbildungszeiten oder die Erhöhung der Frauenerwerbsquote erreicht werden könnte. Selbst dann werden schon um das Jahr 2020 herum die Rentenversicherungsbeiträge deutlich über 20% steigen - selbst wenn die Rentenansprüche stark gekürzt werden. Auch die Beiträge für Krankenkassen und Pflegeversicherung werden erhöht werden müssen, da hier die wachsende Anzahl älterer Menschen mehr Kosten verursachen wird.

Der Staat wird nur sehr begrenzt die Ausgabenlast der Sozialversicherungen durch Zuschüsse aus dem Steueraufkommen mildern können. So ist er schon jetzt hoch verschuldet: In Deutschland betragen die Schulden der öffentlichen Haushalte mehr als 1,7 Billionen Euro - knapp 65% des Bruttoinlandsprodukts bzw. rund 21.000 Euro pro Kopf. Da es immer weniger Menschen im Erwerbsalter geben wird, wird es immer schwieriger werden, die Zinslast zu schultern oder gar Schulden zu tilgen. Und Steuern lassen sich nur sehr begrenzt erhöhen...

Angst vor einer Wohlstandswende

Aufgrund höherer Sozialabgaben und Steuern werden die Menschen ab 2020 weniger Geld für den Konsum haben: Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung könnten die Konsumausgaben 2050 mit 935 Milliarden Euro unter dem heutigen Niveau liegen. Damit wird die innerdeutsche Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen sinken. Die Unternehmen werden die steigenden Sozialversicherungsbeiträge in die Preise hinein rechnen müssen, was den Export in außereuropäische Länder erschweren dürfte. Die zurückgehende Nachfrage, sinkende Investitionen sowie die mangels junger, kreativer Arbeitskräfte geringere Innovationsfähigkeit und kaum noch wachsende Produktivität könnten dazu führen, dass die Wirtschaft stagniert oder sogar schrumpft.

So ist es nicht verwunderlich, dass in der Gesellschaft die Angst vor einer Wohlstandswende zunimmt, zumal eine alternde Arbeitnehmerschaft immer weniger mit den jungen und dynamischen Arbeitskräften in Schwellenländern wie China, Indien oder Brasilien konkurrieren könne, da zu wenig Geld für die Forschung und die Entwicklung von Zukunftstechnologien ausgegeben werde, da das Bildungssystem in Deutschland im Vergleich zu denjenigen in anderen OECD-Ländern zurückfallen würde und somit unzureichend auf die Wissensgesellschaft vorbereite und da sichere Stellen und solche mit einem guten Einkommen immer seltener werden. Damit verbunden ist auch die Furcht vor sozialen Spannungen, zumal die Unterschiede zwischen Arm und Reich immer größer werden.

Konsequenzen für die Wirtschaft

Die Alterung des Erwerbspersonenpotenzials wird die Arbeitgeber zu einer Änderung ihrer bisher stark jugendzentrierten Personalpolitik zwingen und sie sehr viel seltener als bisher von der Möglichkeit der Frühverrentung Gebrauch machen lassen. Je mehr das Durchschnittsalter der Arbeitnehmer ansteigt und je weniger jüngere Arbeitssuchende auf dem Arbeitsmarkt vorzufinden sind, umso wichtiger werden Fort- und Weiterbildung - schließlich müssen dann Innovation und Produktivitätszuwächse vermehrt von älteren Arbeitnehmern geleistet werden. Auch müssen die Arbeitsbelastungen entzerrt werden - z.B. durch mehr Pausen und Fitnessangebote.

Einige Zukunftsforscher wie z.B. Professor Horst W. Opaschowski, Wissenschaftlicher Leiter der BAT Stiftung für Zukunftsfragen, befürchten nicht wie viele Menschen (s.o.), dass eine alternde Arbeitnehmerschaft automatisch zu einer sinkenden Wettbewerbsfähigkeit führen wird. Sie glauben vielmehr, dass Arbeitgeber von der doppelten Erfahrung hoch qualifizierter älterer Mitarbeiter - ihrer Lebens- und Berufserfahrung - profitieren werden. Zudem könnten diese leichter die Wünsche älterer Kunden erkennen und sie besser beraten. Nach den neuesten Ergebnissen der Hirnforschung könnten Arbeitgeber die "kristalline Intelligenz" älterer Arbeitnehmer besser nutzen: ihren reichhaltigen Fundus von Langzeiterfahrungen, Organisationsgeschick und Faktenwissen.

Wenn ältere Mitarbeiter zusammen mit jungen Kollegen (Produktions-) Teams bilden, könnte dies durchaus zu einem neuen Erfolgsrezept für die deutsche Wirtschaft werden, da jede Seite von den Stärken der anderen profitieren würde. Dasselbe gilt, wenn junge Menschen aus außereuropäischen Ländern in solche Arbeitsgruppen integriert würden und ihre besonderen Kompetenzen oder ihr Wissen über den jeweiligen Exportmarkt einbringen könnten.

Ferner könnten sinkende Konsumausgaben der Menschen im Erwerbsalter teilweise durch höhere Ausgaben der Senioren kompensiert werden, insbesondere wenn diese auch auf ihr Vermögen zurückgreifen. Schon heute stammt jeder dritte Euro, der in Deutschland privat ausgegeben wird, von einem Menschen über 60 Jahre; 2050 werden es mehr als 40% sein. Michael Cirkel vom Gelsenkirchener Institut Arbeit und Technik (IAT) erwartet, dass bis 2020 die Zahl der Arbeitsplätze, die sich mit Dienstleistungen und Produkten für ältere Menschen beschäftigen, um 800.000 wachsen wird.

So werden sich Unternehmen zunehmend auf die wachsende Konsumentengruppe der Senioren einstellen. Die Wirtschaft interessiert sich hier vor allem für die "Best Ager", die relativ fitten, meist gut situierten Senioren. Diese dürften in Zukunft mehr Geld für Unterhaltung, Bildung, Kultur, Reisen, Wellness sowie Gesundheits-, Finanz- und Versicherungsleistungen ausgeben. Beispielsweise wird die Versicherungsbranche mehr spezielle Senioren-Policen verkaufen, über die bei einem Unfall oder einem sonstigen Unterstützungsbedarf bestimmte Dienstleistungen wie z.B. Kochen, Einkäufe und Wohnungsreinigung finanziert werden.

Die Industrie entwickelt immer häufiger Produkte, die den Bedürfnissen von Senioren angepasst sind. Beispielsweise baut die Automobilindustrie in PKWs zunehmend Funktionen wie rückenfreundliche Sitze oder Fahrerassistenzsysteme ein, mit denen Ältere bequemer fahren. Hightech-Geräte werden von Senioren nur gekauft werden, wenn sie sich leicht bedienen lassen. So werden z.B. Handys für ältere Personen entwickelt, die schlecht sehen bzw. hören oder die kleine Tasten nur schwer bedienen können. Diese Handys verfügen über große Displays und Tastaturen, haben einen extralauten Klingelton bzw. eine optische Anrufanzeige, sind für Hörgeräte geeignet und besitzen eine Notruffunktion. Auch benötigen Senioren immer mehr medizinische Geräte und Hilfsmittel.

Laut dem Institut für Tourismus- und Freizeitforschung der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Chur wird sich die touristische Nachfrage der über 65-Jährigen bis 2050 vervierfachen. Darunter werden arme und reiche Rentner, gesunde und kränkelnde Personen, lebenslange Partner sowie Todesfall- oder Scheidungs-Singles sein. Die Senioren würden sich keinen reinen Erholungsurlaub wünschen, da sie sich das ganze Jahr hindurch der Gesundheit widmen können, sondern werden nach Kulturgenuss, nicht alltäglichen Bildungsangeboten bzw. unbeschwerter Geselligkeit suchen. Daneben gäbe es Senioren, die alles bereist und erlebt haben und nun Urlaubsquartiere auswählen, wo sie sich "daheim" fühlen, und Rentner, die an Urlaubsziele ihrer Kindheit zurückkehren möchten - oft in Gesellschaft ihrer Enkel. Die Angebote der Hotels und Reiseanbieter müssten alle Typen älterer Touristen berücksichtigen.

Da Senioren immer häufiger alleine leben und nach Schätzung des Robert-Koch-Instituts 30% der über 75-Jährigen im Alltag nicht mehr allein zurechtkommen, wird dem altengerechten Wohnen eine größere Bedeutung zukommen. So wird die Bauindustrie mehr ebenerdige Bungalows bauen und vorhandene Wohnungen von Barrieren befreien. Bei kränklichen oder leicht pflegebedürftigen Senioren wird ein Flachbildschirm als Fernseher, Computer und Bildtelefon dienen, also auch den Kontakt mit Pflegern, Ärzten und Verwandten ermöglichen. Zudem werden Waage und Blutdruckgerät mit dem Bildschirm gekoppelt sein, können somit Blutdruck, Gewicht, Körperfett, Körperwasser und Muskelmasse überwacht werden. Inzwischen lassen sich auch biometrische Daten wie z.B. die Atem- und Pulsfrequenz durch Sensoren automatisch erfassen. Werden Toleranzwerte über- oder unterschritten, wird Alarm ausgelöst werden. Nachts werden von Bewegungssensoren gesteuerte Lichtstreifen den Weg zur Toilette zeigen. Auch könnte im Medikamentenschrank ein Licht aufleuchten, wenn es Zeit für Tabletten ist. In der Küche werden Arbeitsplatte und Herd auf die gewünschte Höhe abgesenkt werden können, sodass sich selbst Rollstuhlfahrer eigenständig versorgen können. Ferner wird es automatische Notruffunktionen, eine Einbruchsalarmierung sowie eine Überwachung des Raumklimas geben.

Um die Versorgung von (älteren) Menschen in bevölkerungsarmen Regionen sicherzustellen, werden (neue) Betriebs- und Vertriebsformen - wie die Bündelung verschiedener Serviceleistungen, Kioske, Kleinstmärkte, mobile Verkaufswägen oder Bringdienste - entwickelt werden. Auch benötigen viele Senioren Essens-, Reinigungs- und Betreuungsdienste. Mehr soziale Dienstleistungen als heute werden privat (z.B. auf Gegenseitigkeit) oder privatwirtschaftlich organisiert sein.

Mehr kranke und pflegebedürftige Senioren

Die Alterung der deutschen Bevölkerung wird laut Fritz Beske, Direktor des Instituts für Gesundheits-System-Forschung in Kiel, dazu führen, dass bis 2050 die Zahl der Menschen mit Lungenentzündung um 149%, mit altersbedingter Makuladegeneration um 125%, mit Demenz um 104%, mit Oberschenkelhalsfrakturen um 88%, mit Herzinfarkt um 75%, mit Schlaganfall um 62%, mit Krebs um 27%, mit Osteoporose um 26% und mit Diabetes mellitus um 22% gegenüber dem Jahr 2007 ansteigen wird.

Dementsprechend ist mit höheren Kosten im Gesundheitswesen zu rechnen. Für Menschen, die 65 Jahre alt und älter sind, müssen die Krankenkassen derzeit knapp 7.000 Euro pro Jahr aufbringen, für die jüngeren Versicherten nur 1.900 Euro. Da bis zum Jahr 2030 die Zahl der Rentner rasant zunehmen wird, müsste der Beitragssatz auf 26% ansteigen, falls alle die gleichen Leistungen wie heute beanspruchen. Dies wird für die Arbeitnehmer nicht akzeptabel sein, da sie - wie bereits erwähnt - auch mehr Rentenversicherungsbeiträge zahlen müssen. So werden die Leistungen der Krankenkassen gekürzt werden müssen.

Die Alterung der Gesellschaft wird zu einem rasch wachsenden Bedarf an sozialen Einrichtungen und Diensten für ältere und hochbetagte Menschen führen - an Begegnungs-, Freizeit-, Kultur-, Service- und Beratungsstellen. Laut dem Deutschen Pflegeverband wird die Zahl der Pflegebedürftigen von derzeit 2,2 Millionen auf über 3,4 Millionen im Jahr 2040 ansteigen. Viele von ihnen werden auf öffentliche Unterstützung angewiesen sein, da immer häufiger Partner oder erwachsene Kinder fehlen werden, die bisher überwiegend die Pflege übernahmen. In Zukunft werden Kinder auch häufiger an weit entfernten Orten wohnen oder Vollzeit erwerbstätig sein. So sank bereits zwischen 1996 und 2004 die Zahl der Menschen, die zu Hause gepflegt wurden, von 77% auf 68%.

Dementsprechend werden mehr Seniorenheime, ambulante Dienste sowie geriatrische und gerontopsychiatrische Abteilungen in Krankenhäusern benötigt. So wird sich die Zahl der Heimplätze bis 2050 nahezu verdreifachen - auf rund 2 Millionen. Der Grund für diese Entwicklung ist die wachsende und besonders häufig auf Hilfe angewiesene Altersgruppe der über 80-Jährigen, die im Jahr 2050 fast dreimal so groß sein dürfte wie 2005. Da sich die Zahl der Pflegebedürftigen bis zum Jahr 2050 auf mehr als 4 Millionen verdoppeln wird, dürfte der Pflegebereich zu einem "Jobmotor" werden: Die Zahl der Vollzeitbeschäftigten soll laut einer Prognose des Instituts der deutschen Wirtschaft von derzeit 545.000 auf bis zu 1,6 Millionen im Jahr 2050 ansteigen. Unter Berücksichtigung einer jährlichen Produktivitätssteigerung von 0,5% wären es immerhin noch 1,2 Millionen Pflegejobs. Laut dem Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen könnten dann sogar bis zu 10% aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in diesem Wirtschaftszweig tätig sein. Ob es dazu kommt, wird davon abhängen, ob die benötigten Mittel von der Pflegeversicherung, den Pflegebedürftigen, ihren Angehörigen und den Sozialämtern aufgebracht werden können und ob sich bei dem niedrigen Einkommen und den miserablen Arbeitsbedingungen genügend Pflegekräfte finden lassen.

In den kommenden Jahren müssen sich Pflegeheime und ambulante Dienste zunehmend für Menschen mit Migrationshintergrund öffnen. Im Jahr 2030 wird jeder Vierte der über 60-Jährigen in Deutschland ein Einwanderer sein - die meisten von ihnen Muslime. Viele werden dann pflegebedürftig sein. Für sie muss die Altenpflege besondere Konzepte entwickeln (z.B. Lamm statt Schwein beim Mittagessen oder ein eigener Gebetsraum im Heim mit der Möglichkeit für rituelle Waschungen). Auch müssen Pfleger ausgebildet werden, die Sprache und Kultur der Muslime kennen. Hier könnte auf Personen mit türkischem Migrationshintergrund zurückgegriffen werden.

Bei der skizzierten Entwicklung ist damit zu rechnen, dass auch die Pflegeversicherung schon bald an ihre Grenzen stoßen wird - zumal die Zahl der Beitragszahler im Jahr 2050 um ein Drittel kleiner sein wird als heute. Die Ausgaben für Pflege werden laut einem Gutachten von Professor Reinhold Schnabel, Universität Duisburg-Essen, im Jahr 2030 bei nahezu 48 Milliarden Euro liegen, von denen die gesetzliche Pflegeversicherung lediglich 32 Milliarden Euro übernehmen wird. Die übrigen Kosten müssen privat oder von den Kommunen aufgebracht werden. Dementsprechend werden sich diese Selbstbeteiligungs- und Sozialhilfeausgaben bis zum Jahr 2050 verfünffachen. Zugleich müsste der Beitragssatz der gesetzlichen Pflegeversicherung auf 3 bis 5,5% steigen.

Es ist nicht verwunderlich, dass schon jetzt manche Menschen befürchten, dass die sich bei Kranken- und Pflegeversicherung abzeichnenden Sparzwänge dazu führen werden, dass nicht mehr allen Menschen eine gute medizinische Versorgung garantiert werden kann und dass notwendige Operationen und Behandlungen - insbesondere bei älteren Menschen - nicht mehr durchgeführt werden. Sie rechnen damit, dass dann auch festgelegt werden wird, wie lange das Leben eines Hochbetagten verlängert werden darf und in welchen Fällen Euthanasie angezeigt ist. In den Benelux-Staaten ist inzwischen nicht nur die passive, sondern auch die aktive Sterbehilfe erlaubt.

Leistungskürzungen sind unvermeidlich

Wenn Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung in den kommenden Jahren an ihre finanzielle Grenzen stoßen, müssen immer häufiger Leistungskürzungen vorgenommen werden. Die notwendige Einsicht in diese unausweichlichen Entwicklungen fehlt aber noch bei den Bürgern - und selbst bei Gewerkschaften und Volksparteien, obwohl ihnen die Konsequenzen aus der Alterung der Bevölkerung schon seit vielen Jahren bekannt sind: So hat der Bundestag erst 2009 eine "Rentengarantie" beschlossen: Die Rente soll in schlechten Zeiten von Kürzungen verschont bleiben. Allerdings sollen in konjunkturell besseren Zeiten die unterlassenen Rentenkürzungen teilweise nachgeholt werden. Nachdem die Renten in den Jahren 2008 und 2009 überplanmäßig erhöht wurden und dies von 2011 an wieder ausgeglichen werden soll, drohen Rentnern nun mehrere Nullrunden.

In den letzten Jahren wurde durch Gesetzesänderungen versucht, die zukünftigen Ausgabensteigerungen bei der Rentenversicherung abzubremsen. Beispielsweise wird das Rentenalter bis 2018 sukzessive auf 67 Jahre erhöht. Gewerkschaften, einige Parteien und Verbände laufen derzeit gegen diese an sich sinnvolle Vorgabe Sturm, sodass nicht abzuschätzen ist, ob sie Bestand haben wird.

Im Jahr 2009 betrug die Standardrente nach 45 Versicherungsjahren in den alten Bundesländern netto vor Steuern (also nach Abzug der Sozialbeiträge) 1.088 Euro, was einem Standardrentenniveau von 50,2% entspricht. Viele Bürger haben noch nicht bewusst wahrgenommen, dass aufgrund verschiedener Reformen das Mindestsicherungsniveau bis zum Jahr 2020 auf 46% und bis zum Jahr 2030 auf 43% gesenkt werden kann. Zudem muss ein immer größerer Prozentsatz der Rente versteuert werden; ab 2040 greift die volle Steuerpflicht. So wird die Rente schon nach der jetzigen Gesetzeslage sinken.

Insbesondere bei Menschen, die während ihres Erwerbslebens nur ein geringes Einkommen erzielt haben oder längere Zeit arbeitslos waren, wird die Rente unter dem Niveau der Grundsicherung liegen. Sie wird dann entsprechend aufgestockt werden müssen. So sind heute mehr als 22% der Arbeitnehmer im Niedriglohn-Sektor beschäftigt, erhalten Hartz-IV-Empfänger für ein Jahr Arbeitslosengeld II nur einen monatlichen Rentenanspruch von 2,17 Euro, müssen Durchschnittsverdiener 25 Jahre lang arbeiten, um eine gesetzliche Rente auf dem Grundsicherungsniveau von 625 Euro zu erhalten - im Jahr 2030 werden es sogar 30 bis 35 Jahre sein. Deshalb droht nach Einschätzung des Deutschen Gewerkschaftsbundes eine Altersarmut ungeahnten Ausmaßes. Schon jetzt müssten rund 700.000 Rentner Mini-Jobs übernehmen, um über die Runden zu kommen.

Auf den Staat kommt somit ein starker Anstieg der Ausgaben für die Grundsicherung bei Senioren zu. Aber nicht nur diese Kosten werden aus Steuereinnahmen finanziert, sondern auch der allgemeine und der zusätzliche Bundeszuschuss, mit denen 2009 bereits 27,6% der Rentenausgaben gedeckt wurden. Die Bundeszuschüsse werden ebenfalls in den kommenden Jahren ansteigen müssen. Irgendwann wird es dann nicht mehr möglich sein, durch höhere Steuern oder Verschuldung diese Mittel aufzubringen.

Hinzu kommt, dass es auch immer mehr Pensionäre geben wird. Nach einer Studie von Professor Dr. Winfried Fuest für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) wird die Zahl der Pensionäre von derzeit rund 930.000 auf circa 1,6 Millionen im Jahr 2050 steigen. So müssen Bund, Länder und Kommunen aus dem "Steuersäckel" einen immer größeren Betrag für Pensionen und Beihilfen verwenden: Die jährlichen Versorgungsausgaben werden sich ohne Änderungen am System der Altersversorgung im Öffentlichen Dienst bis zum Jahr 2050 versechsfachen und einen Gesamtbetrag von 137,1 Milliarden Euro erreichen. Das wären rund 6% der aktuellen Jahreswirtschaftsleistung.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat ausgerechnet, dass der Wert der Pensionsansprüche von Beamten kurz vor dem Ruhestand im Durchschnitt rund 400.000 Euro beträgt. Bei anderen abhängig Beschäftigten des gleichen Alters wären dies nur 160.000 Euro - oder 200.000 Euro, wenn man Arbeitslose und Personen in Ausbildung heraus rechnet. Ein Grund für den Unterschied liegt darin, dass die Höhe einer Beamtenpension auf Basis des Gehalts in den letzten Monaten des Berufslebens berechnet wird, bei Renten hingegen anhand der Summe aller Einzahlungen in die Rentenversicherung. Laut dem "Vierten Versorgungsbericht" der Bundesregierung beträgt die Durchschnittspension derzeit 2.520 Euro brutto.

Abgesehen davon, dass diese Bevorzugung von Beamten zunehmend als ungerecht empfunden wird, kann die aufgrund der Bevölkerungsentwicklung zurückgehende Zahl von Menschen, insbesondere von Erwerbstätigen, neben den steigenden Sozialversicherungsbeiträgen nicht auch noch höhere Steuern zahlen, um derartig hohe Pensionen zu finanzieren. Deshalb wird der Staat in den kommenden Jahren die Leistungen für Pensionäre radikal kürzen müssen.

Einen Generationenkrieg vermeiden

So ist in den kommenden Jahren mit großen sozialen Spannungen zu rechnen. Auf der einen Seite werden die Menschen im Erwerbsalter stehen, die nicht immer höhere Sozialversicherungsbeiträge und Steuern zahlen wollen - und können. Sie werden von der Wirtschaft unterstützt werden. Auf der anderen Seite werden die Senioren stehen, die für den Erhalt der Leistungen von Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung bzw. für ihre Pensionen kämpfen werden. Sie werden schon alleine aufgrund ihrer zunehmenden Zahl immer mehr politische Macht erlangen: Bei der letzten Bundestagswahl waren bereits 33% der Wahlberechtigten älter als 60 Jahre - in 20 Jahren werden es mehr als 40% sein. Hinzu kommt, dass die Wahlbeteiligung im Seniorenalter deutlich höher ist als in allen anderen Altersgruppen. So müssen Politiker die Belange der alten Menschen immer mehr beachten - wobei sie auch von ihren Parteimitgliedern dazu gedrängt werden: In CDU und SPD ist schon fast die Hälfte der Mitglieder älter als 60 Jahre.

Die Politik ist gefordert, zwischen diesen beiden "Fronten" zu vermitteln und Gerechtigkeit zwischen den Generationen herzustellen, damit kein "Generationenkrieg" entsteht. Jedoch werden Ungerechtigkeiten unvermeidbar sein: So werden sich beispielsweise jüngere Menschen damit abfinden müssen, dass sie mehr in die Rentenversicherung "einzahlen", als sie später einmal herausbekommen werden. Der Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg (Universität Bielefeld) verweist auch auf einen Interessengegensatz innerhalb jeder Generation, nämlich zwischen Menschen mit und ohne Kinder - Letztere würden als Senioren vom umlagefinanzierten sozialen Sicherungssystem mitversorgt, also von den Kindern anderer Menschen unterstützt. Jedoch wird die immer kleiner werdende Zahl von Familien wohl kaum die politische Macht erlangen, um z.B. einen geringeren Rückgang der Leistungen der Sozialversicherungen für Eltern durchzusetzen.

Für das Alter vorsorgen

Die Politik erwartet, dass die Bevölkerung auf breiter Ebene Eigenverantwortung für die Sicherung ihres Lebensunterhalts im Alter übernimmt, und hat dafür besondere Möglichkeiten wie z.B. die Rürup- und die Riester-Rente geschaffen. Einer Studie des Allensbach-Instituts zufolge legte 2009 allerdings nicht nur jeder Sechste wegen der Finanzkrise deutlich weniger Geld für den Ruhestand zurück, sondern mehr als die Hälfte möchte auch künftig nicht mehr in ihre Altersvorsorge investieren. Jeder dritte Berufstätige in Deutschland sorgt überhaupt nicht für das Alter vor. Zudem wird immer mehr problematisiert, was eine "sichere" Altersvorsorge sei. Die meisten Deutschen halten ein eigenes Haus oder eine eigene Wohnung für "besonders sicher", bedenken aber nicht, dass es aufgrund des Bevölkerungsrückgangs immer weniger potenzielle Immobilien-Käufer geben wird. Wie bereits erwähnt, müssen Eigenheim- und Wohnungsbesitzer schon jetzt in Fortzugsregionen mit hohen Wertverlusten rechnen.

In den kommenden Jahrzehnten könnte es außerdem zu einem deutlichen Rückgang der Renditen an den Kapitalmärkten kommen - ja sogar eine "Kapitalmarktschmelze" (ein Zusammenbruch der Märkte) ist nicht auszuschließen: Da die Zahl der Erwerbstätigen sinkt, geht zum einen die Kapitalproduktivität zurück. Zum anderen könnten - insbesondere vor dem Hintergrund sinkender gesetzlicher Renten - immer mehr Rentner ihre Aktien oder Zinspapiere verkaufen. Aufgrund der abnehmenden Zahl der Erwerbstätigen, die zudem aufgrund steigender Steuern und Sozialabgaben nur wenig Geld sparen können, könnte es dann mehr Verkäufer als Käufer geben. Die Wertpapiere müssten dann "verschleudert" werden - außer sie werden von den reicher werdenden Menschen in den Schwellenländern erworben.

Von den Versorgungs- zur Hilfeleistungsgesellschaft

Ferner wird die Politik in den kommenden Jahren neue Konzepte entwickeln müssen, wie vereinsamte alte Menschen in die Gesellschaft integriert und die Kosten für die Betreuung pflegebedürftiger Personen reduziert werden können. Politiker könnten das Entstehen einer "Hilfeleistungsgesellschaft" fördern, in der soziales Engagement, informelles Helfen und die Unterstützung älterer Menschen (z.B. durch Helferbörsen) eine große Rolle spielt. Ferner ist an gemeinschaftliche Wohnformen für Alt und Jung zu denken. Auch könnten neue Netzwerke wie Seniorengenossenschaften geschaffen werden, in denen sich ältere Menschen gegenseitig helfen. Außerdem könnten sich noch rüstige Senioren in Wohlfahrtsverbänden, Sozialprojekten und Freiwilligen-Agenturen ehrenamtlich engagieren. Schließlich könnten Beschäftigte des "zweiten Arbeitsmarktes" zur Betreuung alter bzw. pflegebedürftiger Menschen herangezogen werden.

Deutschland braucht eine Bevölkerungspolitik

Falls Politiker versuchen sollten, den Rückgang an erwerbsfähigen Menschen durch verstärkte Zuwanderung zu kompensieren, könnte die Integrationsfähigkeit des Landes überfordert werden: Auf Seiten der Einheimischen könnte es zu einem Rechtsruck kommen, auf Seiten der Einwanderer zur verstärkten Bildung von Subkulturen und Ghettos. Zudem wird derzeit intensiv diskutiert, ob die Zuwanderung seit den 1960er Jahren überhaupt zu positiven Effekten für Deutschland geführt habe.

Sinnvoller dürfte es sein, stärker auf die Bevölkerungs- und Familienpolitik zu setzen, um die Geburtenrate zu erhöhen. Hier wird immer wieder Schweden als Vorbild genannt: Weil sich Beruf und Familie dank Elterngeld und günstiger Betreuungsangebote gut vereinbaren lassen, ist nicht nur die Erwerbsbeteiligung von Frauen eine der höchsten in Europa, sondern auch die Geburtenrate. Akademikerinnen verzichten nicht häufiger als andere schwedische Frauen auf Nachwuchs; Städterinnen haben sogar mehr Kinder als Landbewohnerinnen.