Tagespflege: deutsche und internationale Forschungsergebnisse
Martin R. Textor
Im Verlauf der letzten 15 Jahre habe ich eine meiner Hauptaufgaben als Wissenschaftler auf dem Gebiet der Sozialarbeit/Sozialpädagogik darin gesehen, angloamerikanische Entwicklungen und Forschungsergebnisse aufzubereiten und deutschen Fachkräften zugänglich zu machen. Zunächst habe ich für die Weiterverbreitung amerikanischer Ansätze der Familienberatung gesorgt. Dann habe ich mich bemüht, den Integrationsgedanken im Bereich der Psychotherapie bekannt zu machen. Später habe ich mich mit in den USA entwickelten Formen der offenen Adoption befasst. In diesem Zusammenhang habe ich Forschungsergebnisse über Adoptivfamilien und Pflegefamilien zusammengefasst und veröffentlicht. Nun beschäftige ich mich vor allem mit amerikanischen frühpädagogischen Ansätzen und wissenschaftlichen Untersuchungen über Kindertagesbetreuung. In diesem Kontext habe ich zwei Manuskripte über Forschungsergebnisse zur Familientagespflege publiziert (Textor 1995, 1998) - einem davon verdanke ich die Einladung zu dieser Tagung. Das bedeutet aber nicht, dass ich nun als Fachmann für Fragen der Tagespflege angesehen werden möchte.
Warum habe ich mich so intensiv mit angloamerikanischen Entwicklungen und wissenschaftlichen Untersuchungen befasst? Nicht, weil ich der deutschen Sozialarbeit und Sozialpädagogik gegenüber negativ eingestellt bin. Vielmehr ist für mich von Bedeutung, dass Professor/innen an Fachhochschulen und Lehrkräfte an Fachschulen kaum oder nur kursorisch englischsprachige Veröffentlichungen rezipieren. Das hat auch zur Folge, dass praktisch tätige Sozialpädagog/innen, Sozialarbeiter/innen und Erzieher/innen nur sehr selten über Fortbildungen oder Publikationen mit angloamerikanischen Entwicklungen konfrontiert werden. Um es salopp auszudrücken: Ich habe das Gefühl, dass der Bereich der Sozialpädagogik/Sozialarbeit weitgehend "im eigenen Saft schmort", dass der Blick über die Grenzen unseres Landes fehlt.
Die Situation in Deutschland ist auch dadurch gekennzeichnet, dass kaum wissenschaftliche Untersuchungen im Bereich der Sozialarbeit und Sozialpädagogik durchgeführt wurden bzw. werden. Dies rächt sich jetzt schon - und wird sich in den kommenden 20, 30 Jahren noch mehr rächen: Insbesondere die Alterung der deutschen Bevölkerung und die hohe Arbeitslosigkeit, aber auch die ernorme Staatsverschuldung und der zunehmende Konkurrenzdruck aus anderen Ländern, werden zu immer mehr Einsparungen im Sozialbereich führen. Was haben wir für Argumente, wenn wir z.B. in der Jugendhilfe für den Einzelfall die "billigere" Erziehungsbeistandschaft anstatt der eigentlich indizierten Sozialpädagogischen Familienhilfe wählen sollen? Wenn uns Vorgesetzte sagen, wir sollen im Einzelfall die kostengünstigere Familienpflege anstatt der sinnvolleren Heimerziehung oder das preiswertere heilpädagogisch orientierte Heim an Stelle des notwendigen therapeutischen Heims "verordnen"? Wie können wir begründen, dass Tagespflege mit Vorbereitung und Unterstützung durch Sozialpädagog/innen besser verläuft als ohne Beratung? Womit können wir reagieren, wenn behauptet wird, Kinderkrippen wären schlecht für Kinder - bestände ein Betreuungsbedarf, solle sich die Mutter eine Tagespflegeperson suchen? (in Klammern: und selbst bezahlen). Lägen wissenschaftliche Untersuchungen vor, könnten wir belegen, wie erfolgversprechend, effektiv und effizient die einzelnen Hilfeformen für die verschiedenen Klientengruppen sind. Dann hätten wir Argumente, weshalb im jeweiligen Einzelfall kostenträchtige Hilfeformen indiziert sind. Vor allem aber könnten wir der Öffentlichkeit - und insbesondere den Kommunal- und Landespolitiker/innen - gegenüber belegen, dass Gelder für die Jugendhilfe nicht "herausgeschmissen" oder "für die Katz" sind, sondern dass sie Positives bewirken.
Wie negativ sich fehlende Forschungsergebnisse auswirken können, haben gerade die Psycholog/innen erlebt. Wie Sie wissen, wird zum 01.01.1999 das Psychotherapeutengesetz in Kraft treten, dass Psychotherapeut/innen die Abrechnung der Behandlungskosten mit Krankenkassen ermöglicht. Dies gilt aber nur für drei von mehr als 600 therapeutischen Ansätzen! Nur für Verhaltenstherapie, Gesprächspsychotherapie und Tiefenpsychologie lagen genügend Forschungsergebnisse über deren Effektivität vor - größtenteils aus Nordamerika. Psycholog/innen, die die übrigen 600 Therapieansätze anwenden, sind leer ausgegangen - sie erhalten keine Krankenkassenzulassung.
Wenn schon kaum deutsche Untersuchungen über Maßnahmen der Jugendhilfe oder andere sozialpädagogische Hilfen vorliegen, sollten wir zumindest auf angloamerikanische zurückgreifen. So ist für mich unverständlich, wenn in dem vom Bundesfamilienministerium herausgegebenen Tagesmütter-Handbuch Forschungsergebnisse (mit Ausnahme derjenigen über das Tagesmüttermodell der 70er Jahre) weitestgehend ignoriert werden - trotz eines Umfangs von 668 Seiten (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1996). Mit meinen beiden Veröffentlichungen und dem heutigen Vortrag versuche ich, diese Lücke zu schließen. Allerdings möchte ich schon an dieser Stelle vorbemerken, dass sich Forschungsergebnisse nur schlecht referieren lassen. Aber vielleicht ist Ihnen jetzt deutlich geworden, wie wichtig sie sind, sodass Sie die notwendige Aufmerksamkeit aufbringen werden. Hinzu kommt, dass Forschungsergebnisse durchaus auch Relevanz für die praktische Arbeit im Jugendamt, bei einem Wohlfahrtsverband oder als Tagespflegeperson haben.
"Familienbildung"
Schulbildung - die Schule, die Lehrer/innen bilden. Berufliche Bildung - die Ausbilder bilden. Universitätsbildung - die Professor/innen bilden. Familienbildung - nein, nicht die Eltern bilden, sondern sie müssen gebildet werden! Diese andere Begrifflichkeit verdeutlicht, dass die Familie in unserer Gesellschaft eher defizitär gesehen wird. Sie darf sich nicht wie Schule, Einrichtungen der beruflichen Bildung oder Universitäten als Bildungsinstitution bezeichnen. Vielleicht liegt hierin ein Grund, weshalb es auch eine kleine Gruppe von Personen gibt, die Familientagespflege kritischer als Krippenerziehung sehen - erstere erfolge durch in mehrerer Hinsicht unqualifizierte Mütter, letztere immerhin durch Professionelle.
Diese vor allem in den 1960er und 1970er Jahren entstandene negative Sicht von Familie, die auch die Familientagespflege einbezieht, ist m.E. nicht haltbar. Das Schlüsselergebnis für mich war, als ich zu meiner großen Überraschung las, dass es in vielen Ländern wie z.B. den USA, Großbritannien oder Australien keine Schulpflicht gibt. Alleine in den USA besuchen 150.000 bis 300.000 Kinder keine Schule, sondern werden von ihren Eltern unterrichtet. Diese Situation wurde von Lehrern und anderen Personen kritisiert. Daraufhin führten Wissenschaftler viele Untersuchungen durch, bei denen sie die Leistungen und das Sozialverhalten der betroffenen Kinder mit denjenigen von Schulkindern verglichen. Alle Untersuchungen überraschten mit demselben Ergebnis, das von dem Salzburger Pädagogikprofessor Krumm (1995) wie folgt zusammengefasst wurde: "Im Durchschnitt gleichen die Schulleistungen der von ihren Eltern unterrichteten Schüler den Leistungen von Schülern öffentlicher Schulen und zwar in allen Fächern und in allen Klassenstufen. Wenn die Leistungen ... vom Durchschnitt abweichen, dann häufiger nach oben als nach unten" (S. 7). Keinerlei Unterschiede wurden hinsichtlich des Selbstkonzepts, der psychischen Gesundheit, der sozialen Kompetenz, der Stellung der Kinder in Gruppen usw. ermittelt.
Ähnlich überraschend sind andere Forschungsergebnisse, die auch in Deutschland gesammelt wurden: Es wurde festgestellt, dass Kinder - familienbedingt - mit einem unterschiedlichen Ausgangszustand eingeschult werden. Obwohl dann - zumindest in den ersten vier Jahren - alle Kinder dieselbe Schule durchlaufen, gelingt es den Lehrern nicht, diese Unterschiede auszugleichen. Professor Krumm (1995) kommentiert diese Forschungsergebnisse wie folgt: "Die Differenzen in den kognitiven oder affektiven Lernvoraussetzungen zu Beginn der ersten Klasse werden im Verlauf der Schulzeit nicht kleiner, sondern größer. Das heißt natürlich nicht, dass in der Schule nicht viel gelernt wird. Es heißt lediglich, dass Kinder, die vor und während der Schulzeit von den Eltern viel Förderung erhalten, die Lernchancen in der Schule besser nutzen können ..." (S. 8). Die Schulleistungen von Kindern lassen sich also eher durch Bedingungen in der Familie als durch solche in der Schule erklären (bis zu zwei Dritteln der Varianz).
Alle diese Untersuchungen verdeutlichen die große Bedeutung der Familie für das Kind. Offensichtlich ist, dass in der Familie extrem viel gelernt wird. Überhaupt lässt sich aus den inzwischen vorliegenden Forschungsergebnissen schließen, dass der Einfluss der Familie auf die kindliche Entwicklung größer als derjenige der Schule ist. Insbesondere eignen sich Kinder in der Familie Kompetenzen und Einstellungen an, die im ganzen Leben wichtig sind. Dazu gehören Sprachfertigkeiten, Grob- und Feinmotorik, Lernmotivation, Neugier, Leistungsbereitschaft, Interessen, Werte, Selbstkontrolle, Selbstbewusstsein, soziale Fertigkeiten usw.
Dies gilt natürlich auch für die Familientagespflege. Hier werden bewusst Stärken der Familienerziehung genutzt, ihre Schwächen hingegen gemildert. So machen Kleinkinder in Familienerziehung, Tagespflege und Krippenbetreuung verschiedene Erfahrungen, verhalten sich dementsprechend unterschiedlich und entwickeln sich (etwas) anders. Stärken der Tagespflege gegenüber der Kinderkrippe liegen in der größeren Flexibilität der Betreuungszeiten, der kleineren Gruppe, der intensiveren Zuwendung der Betreuungsperson, der familialen Umgebung und dem geringen Infektionsrisiko. Schwächen sind hingegen die Instabilität dieser Betreuungsform, die kleinere Zahl der Spielkameraden, die schlechtere Ausstattung mit Spielsachen, die fehlende pädagogische Aus- und Fortbildung der Tagesmütter und die mangelnde Überwachung durch den Staat. So ist Tagespflege laut § 44 SGB VIII nicht erlaubnispflichtig, sofern nicht mehr als drei Kinder betreut werden. Tagesmütter und Eltern haben allerdings Anspruch auf Beratung durch das Jugendamt (§ 23 SGB VIII).
Deutsche und internationale Forschungsergebnisse
Hinsichtlich des Erziehungsverhaltens der Tagespflegepersonen dürfte folgende Aussage der Arbeitsgruppe Tagesmütter (1980) auch heute noch gelten: "Die Pädagogik der Tagespflege ist, wie in der Familie, 'Alltagspädagogik' und erfolgt nicht normiert. Tagesmütter reagieren individuell unterschiedlich auf die Wünsche von Kindern - manche eher mit einer kindorientierten Gestaltung des Alltags (besonders, sofern sie mehrere kleine Kinder zu betreuen haben), andere eher durch ein 'Nebenherlaufenlassen', das nicht mit Nichtbeachtung gleichzusetzen ist" (S. 205). Im Mittelpunkt des Tages stehen Aktivitäten wie Spielen, Schlafen und Essen, Malen, Basteln und Spazierengehen, Einkaufen und Kochen (Nelson 1990).
Nelson (1990) unterscheidet noch eine weitere Gruppe von Tagespflegepersonen, die Erziehungsziele und -programme auf der Grundlage ihrer Erziehungstheorie entwickelt haben. Sie versuchen, die soziale, kognitive und emotionale Entwicklung der Kinder durch bewusst ausgewählte Aktivitäten zu fördern. Dementsprechend differenzieren sie zwischen Familienerziehung und ihrer Tätigkeit. Sie sehen sich eher als Lehrerinnen oder Erzieherinnen, halten eine gewisse Distanz zu den Kindern, wollen bestimmte Leistungen erbringen und darin Befriedigung finden, treten Eltern gegenüber als Professionelle auf und machen bewusst Elternarbeit. Oft haben sie einen besonderen Raum für die Kinderbetreuung eingerichtet, der von ihrer Familie nicht benutzt wird. Viele treffen sich mit anderen Tagespflegepersonen zum Erfahrungsaustausch oder haben sich Verbänden angeschlossen.
Die "National Day Care Home Study" über 793 amerikanische Tagespflegepersonen und 2.812 Kinder ergab, dass Tagespflegepersonen beinahe zwei Drittel der Betreuungszeit für kindbezogene Aktivitäten nutzten (Divine-Hawkins 1981). Sie verbrachten von der Gesamtzeit
- 46% mit direkten Interaktionen mit den Kindern, insbesondere mit Belehren (14%), Spielen (8%), Helfen (9%), Anleiten (4%) und Kontrollieren (4%),
- 19% mit Hausarbeit,
- 17% mit Beaufsichtigen und Vorbereiten,
- 8% mit Erholung sowie
- 6% mit Interaktionen mit Erwachsenen.
Interaktionen mit Kindern waren seltener, wenn viele Kinder betreut wurden (dann gab es aber mehr Interaktionen unter den Kindern), wenn ein Vorschulkind neben kleineren Kindern oder wenn ein leibliches Kind mitbetreut wurde. Eine neuere israelische Untersuchung ergab, dass die Tagespflegepersonen sich nur während 27% der Beobachtungszeit nicht mit den Kindern beschäftigten und sich ansonsten eher unterstützend und ermutigend (33% der Zeit) als restriktiv (11% der Zeit) verhielten (Rosenthal 1991a). Bildende Aktivitäten wurden häufiger initiiert, wenn ältere Kinder oder Kinder aus Familien mit einem höheren sozioökonomischen Status betreut wurden.
Beziehung zwischen Tagespflegepersonen und Kindern
In vielen Fällen gewöhnen sich Kinder und Tagespflegepersonen sehr schnell aneinander, entsteht rasch eine Beziehung. So stellte Gudat (1982) bei seiner Untersuchung über 61 Kinder im Rahmen des Modellprojekts "Tagesmütter" fest: "Eine Befragung der Tagesmütter ergab, dass sich 43% der Säuglinge (unter 1 Jahr), jedoch nur 29% der Einjährigen gleich am ersten Tag bei der Tagesmutter wohl zu fühlen schienen. Bei den Kindern, die im dritten Jahr zum ersten Mal bei einer Tagesmutter waren, fühlten sich wiederum 45% sofort wohl" (S. 199). Nur 10% der Säuglinge, aber 19% der Einjährigen hatten große Eingewöhnungsschwierigkeiten (Schlaf- und Essstörungen, häufiges Weinen, Apathie, Angst).
Bei der gerade erwähnten "National Day Care Home Study" wurde ermittelt, dass drei Viertel der Eltern von liebevollen und fast alle übrigen von freundschaftlichen Gefühlen ihrer Kinder für die Tagespflegepersonen berichteten (Divine-Hawkins 1981). Weniger als 5% der Befragten bezeichneten die Haltung ihres Kindes als indifferent; niemand sprach von einer negativen Gefühlstönung. Bei einer amerikanischen Untersuchung über 225 Kinder in Tagespflege wurden sichere Bindungen zwischen Tagespflegeperson und Kind nur in der Hälfte der Fälle gefunden - ein Ergebnis, dass die Wissenschaftler aber auch in ihren Studien über die Beziehung zwischen Fachkräften und Kindern in Tageseinrichtungen ermittelten (Galinsky et al. 1994). Sichere Bindungen waren häufiger, wenn die Tagespflegepersonen sensibel und warmherzig waren sowie eine gute oder zumindest ausreichende Betreuung boten.
Mutter-Kind-Bindung bei Tagespflege
Besonders häufig wurde untersucht, wie sich eine Fremdbetreuung in den ersten Lebensjahren auf die Mutter-Kind-Beziehung auswirkt. Beispielsweise verglichen Belsky und Rovine (1988) die Entwicklung von 38 Kleinstkindern mit 35 und mehr Stunden, 20 Kleinstkindern mit 20 bis 35 Stunden, 24 Kleinstkindern mit 10 bis 20 Stunden und 67 Kleinstkindern mit fünf oder weniger Stunden Fremdbetreuung (in neun Fällen in einer Tageseinrichtung). Unsichere Mutter-Kind-Bindungen wurden in 47% der Fälle mit Vollzeit- und 35% der Fälle mit Teilzeitbetreuung ermittelt, aber nur in 21% der Fälle mit 10 bis 20 Stunden und in 25% der Fälle mit fünf und weniger Stunden Fremdbetreuung. Belsky und Rovine differenzierten: "Kleinstkinder mit 20 und mehr Stunden Fremdbetreuung, die als unsicher gebunden klassifiziert wurden, waren häufiger Jungen, wurden von ihren Müttern als überaktiv/schwierig beschrieben und hatten Mütter, die hinsichtlich ihrer interpersonalen Sensibilität Grenzen aufwiesen, weniger Zufriedenheit mit positiven Aspekten ihrer Ehen ausdrückten und aus stark karriereorientierten Gründen erwerbstätig waren ..." (S. 165). Auch die letztgenannten Faktoren könnten zu den unsicheren Mutter-Kind-Bindungen beigetragen haben.
Clarke-Stewart (1989) fasste mehrere Untersuchungen über insgesamt 1.247 Kinder zusammen und stellte fest, dass 36% der Kleinkinder mit Vollzeitbetreuung - entweder in Tagespflege oder in einer Kindertageseinrichtung - im Vergleich zu 29% der Kinder, deren Mütter nicht oder nur halbtags arbeiteten, eine unsichere Bindung zu ihrer Mutter aufwiesen (ähnlich bei Belsky/Rovine 1988, S. 164). Diese Kinder würden später überdurchschnittlich oft "schwierig", ungehorsam, verhaltensauffällig oder aggressiv werden.
Allerdings wurde bei allen diesen Studien nur eine einzige und immer dieselbe Untersuchungsmethode eingesetzt: Mutter und Kind werden in einen ihnen unbekannten Raum gebeten, wo letzteres mit den Spielsachen eines anderen Kindes in Anwesenheit einer fremden Frau spielen darf. Die Mutter verlässt dann den Raum, und die fremde Frau spielt mit dem Kind, tröstet es usw. Nach kurzer Zeit kommt die Mutter zurück. Aus den Reaktionen des Kleinstkindes während der Abwesenheit und bei Rückkehr der Mutter wird dann auf die Qualität der Mutter-Kind-Bindung geschlossen.
Für Clarke-Stewart (a.a.O.) ist nicht nur das Vorherrschen dieser Untersuchungsmethode problematisch, sondern auch die Tatsache, dass es sich hier vermutlich für fremdbetreute Kinder nicht um eine "Strange Situation" handelt - vielmehr um eine "normale". Dieses könnte erklären, wieso erstere ihre Mütter nach der Rückkehr oft nicht so überschwänglich "begrüßen" wie letztere. Hinzu kommt, dass auch die Unterschiede zwischen beiden Gruppen von Kindern - 36% versus 29% - nicht besonders groß sind und letztlich niemand genau weiß, wie sich eine unsichere Mutter-Kind-Bindung auf die kindliche Entwicklung auswirkt. Ferner gibt es inzwischen Forschungsergebnisse, die mit anderen Untersuchungsmethoden gewonnen wurden, nach denen sich fremdbetreute Kleinstkinder weder hinsichtlich ihrer Ängstlichkeit, ihres Selbstvertrauens noch ihrer emotionalen Angepasstheit von anderen Kindern unterscheiden (s.u.).
Zudem könnten auch andere Faktoren - z.B. in der Familie - für die unsicheren Bindungen verantwortlich sein (s.o.). Ferner dürfe die Mutter-Kind-Bindung nicht isoliert von anderen Beziehungen des Kindes betrachtet werden: Beispielsweise kann eine sichere Tagespflegeperson-Kind-Bindung eine unsichere Mutter-Kind-Bindung zum Teil kompensieren (Howes et al. 1988). Mit dem letzten Satz wurde bereits angedeutet, dass man die "Wirkungen" der Fremdbetreuung nicht unabhängig von den "Wirkungen" der Familie betrachten darf. Es ist vielmehr von einer Wechselwirkung auszugehen: Positive und negative Einflüsse der Tagespflege auf der einen und der Familie auf der anderen Seite können einander verstärken, schwächen oder ausgleichen und somit zu unterschiedlichen Entwicklungsverläufen bei den Kindern führen. Generell gilt für Kleinkinder, dass die Familie eine stärkere Wirkung auf die kognitive und die Fremdbetreuung mehr Einfluss auf die soziale Entwicklung hat.
Beziehung zwischen Tagespflegepersonen und Eltern
Bei einer amerikanischen Untersuchung über 36 Tagespflegepersonen und 36 Mütter mit einem Kind in Tagespflege wurde eine große Übereinstimmung zwischen beiden Seiten hinsichtlich der die Betreuung betreffenden Fragen und ihrer jeweiligen Rolle ermittelt (Nelson/Garduque 1991). Sowohl den Tagespflegepersonen als auch den Müttern war bewusst, dass die Kinder in der Pflegestelle und in der Familie unterschiedliche Erfahrungen machen und sich anders verhalten - beispielsweise traten auffällige Verhaltensweisen häufiger zu Hause auf. Diese Unterschiede wurden nicht als negativ für die kindliche Entwicklung betrachtet, sondern als komplementär: Mütter sahen in den anderen Erfahrungen ihrer Kinder in der Tagespflegestelle eine Bereicherung, während die Tagespflegepersonen die andere Situation der Kinder in ihren Familien hingegen eher negativ auffassten und auf Faktoren wie Zeitmangel der Mütter, begrenzte Ressourcen, wechselhafter Erziehungsstil usw. zurückführten. Sie verstanden dementsprechend ihre Tätigkeit als familienergänzend.
Bei einer Befragung von 820 Müttern und 226 Tagespflegepersonen in Kalifornien, Texas und North Carolina wurde eine große Übereinstimmung der Vorstellungen beider Seiten hinsichtlich einer qualitativ guten Kinderbetreuung festgestellt (Galinsky et al. 1994). Für besonders wichtig wurde gehalten, dass das Kind sicher aufbewahrt ist, dass ein intensiver Austausch zwischen Eltern und Tagespflegeperson über das Kind stattfindet und dass sich eine enge und herzliche Beziehung zwischen Kind und Tagespflegeperson ausbildet.
Vielleicht trägt diese Übereinstimmung in Erziehungszielen und Einstellungen neben der kleinen Kinderzahl dazu bei, dass der Gesprächsaustausch zwischen Eltern und Betreuungsperson bei der Tagespflege viel intensiver als bei der institutionellen Fremdbetreuung ist (Divine-Hawkins 1981; Kontos 1992). Schließlich soll noch auf das Forschungsergebnis hingewiesen werden, dass Eltern, die ihr Kind auf entwicklungsfördernde Weise erziehen, Tagespflegestellen von großer Qualität und Stabilität auswählen - wobei bei dieser Auswahl aber auch der sozioökonomische Status der Familie eine Rolle spielt (Belsky 1990; Galinsky et al. 1994; Howes/Stewart 1987).
Einstellungen von Tagespflegepersonen
Clyde und Rodd (1992, 1994) befragten in Melbourne 42 australische Tagespflegepersonen und 11 Koordinator/innen von Familientagespflege über ihre Einstellungen. Nur 19% der Interviewten verglichen die Tagespflege mit Babysitting. Die weitaus meisten sahen in ihrer Tätigkeit eine Profession (83%), die sinnvoll ist (81%) und der Tagespflegeperson ein hohes Maß an Kompetenzen abverlangt (72%). Auch arbeiteten 38% der Tagespflegepersonen schon mindestens sechs Jahre lang in diesem Bereich.
Als wichtige Eigenschaften und Fertigkeiten, über die Tagespflegepersonen verfügen sollten, wurden von den Befragten u.a. genannt: Kontrolle ausüben, ohne Angst zu erzeugen (100%), jedes Kind und jeden Elternteil akzeptieren und respektieren, indem auf sie mit effektiven kommunikativen Fertigkeiten eingegangen wird (99%), sich auf deren verbales und nonverbales Verhalten einstellen (98%), sensibel für die Gefühle und Gedanken der anderen sein und ihren Ausdruck fördern (96%), Begeisterung und Interesse bezüglich der eigenen Tätigkeit zeigen (92%), den eigenen Sprachstil an die Kinder anpassen (90%), Wärme, Verständnis und Akzeptanz zeigen (87%) sowie die Stärken und Potentiale der Kinder und ihrer Familien nutzen (77%). Folgende Auflistung verdeutlicht, dass auch eine große Übereinstimmung hinsichtlich der Kriterien für eine qualitativ hochwertige Tagespflege bestand:
- eine stabile Umgebung schaffen, in der die Kinder eine positive Identität entwickeln und sich wohl fühlen können (100%)
- Zuneigung zeigen, indem die Kinder zu geeigneten Zeitpunkten umarmt und berührt werden (100%)
- jedes Kind beim Bringen und Abholen auf freundliche Weise begrüßen (100%)
- die Kinder pflichtbewusst beaufsichtigen (100%)
- möglichen Gefahren für das körperliche Wohl vorbeugen (100%)
- gefährliche Rahmenbedingungen beheben und kaputte oder unbrauchbare Gegenstände entfernen (98%)
- Verhalten in Notfällen (z.B. beim Ausbruch eines Feuers) üben (97%)
- Routinen hinsichtlich Essen, Schlafen, Toilettenbenutzung usw. fördern (96%)
- Eltern über die täglichen Aktivitäten informieren, sodass diese wissen, was ihre Kinder tun (96%)
- Selbständigkeit und Selbsthilfe bei den Kindern fördern (96%)
- ein System von Regeln und Grenzsetzungen schaffen, das von Kindern und Eltern verstanden und befolgt werden kann (94%)
- eine Atmosphäre durch Vorbild und Haltung schaffen, in der es natürlich und akzeptabel ist, wenn Kinder sowohl positive als auch negative Gefühle äußern (94%)
- das Wissen der Kinder von den Dingen in ihrer Welt vergrößern, indem Beobachtungen stimuliert und experimentierende oder Bautätigkeiten gefördert werden (94%)
- eine Beziehung zu den Eltern etablieren, sodass ein Austausch über das Leben ihrer Kinder stattfindet (94%)
- Schwierigkeiten einzelner Kinder antizipieren und beheben, sodass jedes Kind glücklich und erfolgreich ist (92%)
- die richtige Verwendung von Materialien und Gegenständen erklären, sodass die Kinder wissen, was von ihnen erwartet wird (92%).
Zur Bewertung der Qualität von Tagespflege
Die Urteile über die Qualität von Familientagespflege fallen recht unterschiedlich aus - je nachdem, ob die Betroffenen gefragt oder Forschungsinstrumente eingesetzt wurden. Für den letztgenannten Fall steht beispielsweise eine Untersuchung über 225 amerikanische Kinder, bei der 9% der Tagespflegestellen als von guter Qualität und als entwicklungsfördernd, 56% als ausreichend/bewahrend und 35% als unzureichend beurteilt wurden (Galinsky et al. 1994). "Regulated homes", also registrierte und bestimmten Kriterien genügende Tagespflegestellen, wurden von den Wissenschaftlern etwas positiver bewertet: 12% waren qualitativ gut - wobei überraschenderweise ein genauso hoher Prozentsatz von Gruppen in Kindertageseinrichtungen dieses Prädikat bei der "National Child Care Staffing Study" erzielte (Whitebook/Howes/Phillips 1991).
Während Wissenschaftler/innen in verschiedenen Untersuchungen die durchschnittliche Qualität von Familientagespflege als gerade ausreichend beurteilten (Kontos 1992, 1994), zeigten laut Kontos (1992) 13 Umfragen bei Eltern, dass fast alle mit der Tagespflege zufrieden waren. Wurden bei den Untersuchungen Skalen verwandt, kreuzten die befragten Eltern durchgängig die höchsten Werte an. Als besonders zufrieden zeigten sich die Eltern mit der Sozialentwicklung ihres Kindes, der von ihm erfahrenen Zuwendung und mit positiven Entwicklungen in anderen Bereichen, aber auch mit der Flexibilität der Tagespflegeperson hinsichtlich Zeit und Dauer der Betreuung, ihrer Verlässlichkeit und der räumlichen Nähe. Nur wenige Eltern äußerten sich bei dem Umfragen kritisch, vor allem hinsichtlich des Wohlbefindens und der Erziehung ihres Kindes.
In diesem Zusammenhang ist sicherlich interessant, dass bei drei Untersuchungen, bei denen sowohl Eltern mit Kindern in Tagespflege als auch solche mit Kindern in Tageseinrichtungen befragt wurden, die Zufriedenheit mit der Familientagespflege entweder gleich groß (Andersson/ Kihlblom/Sandqvist 1993) oder sogar größer als die Zufriedenheit mit der institutionellen Fremdbetreuung war (Erdwins/Buffardi 1994; Erwin et al. 1993).
Eine amerikanische Untersuchung ergab, dass auch die befragten 48 Tagespflegepersonen mit der von ihnen geleisteten Arbeit zufrieden sind (Atkinson 1991). Die Befragten meinten, dass sie einerseits den Bedürfnissen der Kinder entsprechen, insbesondere hinsichtlich der Qualität des Essens, der Sicherheit, der Gesunderhaltung, der persönlichen Betreuung, der Erziehungsmethoden und der Förderung der Selbständigkeit. Andererseits befriedigen sie ihrer Meinung nach die Bedürfnisse der Eltern, vor allem bezüglich der Verlässlichkeit und Stabilität ihres Betreuungsangebotes, ihrer Offenheit für Besuche und Gespräche über das Kind, der Übereinstimmung von Werten und der Anpassung der Betreuungszeit an die Wünsche der Eltern.
Aspekte einer qualitativ guten Tagespflege
Im Folgenden soll und kann der Widerspruch zwischen der Bewertung von Familientagespflege durch Wissenschaftler/innen auf der einen sowie Eltern und Tagespflegepersonen auf der anderen Seite nicht aufgeklärt werden. Statt dessen soll dargestellt werden, welche Faktoren eine qualitativ gute Familientagespflege ausmachen. So beschäftigten sich viele Untersuchungen mit dem Einfluss der Qualifikation von Tagespflegepersonen: Nur etwas positiv wirkte sich eine höhere Bildung auf die Qualität der Familientagespflege aus (Clarke-Stewart 1987; Divine-Hawkins 1981; Fischer/Eheart 1991; Galinsky et al. 1994); ähnliches galt für allgemeine Kenntnisse im Bereich der Kinderpsychologie (Galinsky et al. 1994; Pence/Goelman 1991). In vielen Untersuchungen wurde jedoch ein starker Effekt bei einer speziellen Ausbildung für die Tätigkeit als Tagespflegeperson ermittelt (Divine-Hawkins 1981; Fischer/Eheart 1991; Fosbury 1981; Galinsky et al. 1994; Pence/Goelman 1991). Ferner wirkte sich positiv auf die Qualität der Familientagespflege aus, wenn die Befragten hierin eine Beschäftigung auf Dauer sahen (Goelman/Shapiro/Pence 1990; Pence/Goelman 1991), ein professionelles Selbstverständnis besaßen (a.a.O.), Kontakt zu anderen Tagespflegepersonen hatten bzw. Mitglied eines Verbandes waren (Fischer/Eheart 1991; Fosbury 1981; Galinsky et al. 1994; Pence/Goelman 1991) und bereits viel "Berufserfahrung" hatten (Kontos 1992). "Gute" Tagespflegepersonen betreuten mehr Kinder (drei bis sechs) gleichzeitig (Galinsky et al. 1994; Goelman/Shapiro/Pence 1990; Pence/Goelman 1991) und - nach einer Untersuchung - auch eigene Kinder im Vorschulalter (Kontos 1994).
Goelman, Shapiro und Pence (1990) stellten bei ihrer Untersuchung über 44 kanadische Tagespflegepersonen fest, dass sich bestimmte Familiensituationen von Tagespflegepersonen positiv auf die Qualität der Betreuung auswirken: "Diese Familien bieten dem einzelnen ein hohes Maß an Unterstützung und Hilfe. Sie messen der Unabhängigkeit jedes Mitglieds und der Fähigkeit zur Selbstgenügsamkeit einen hohen Wert bei. ... Die Mitglieder dieser Familien betonen die aktive Mitwirkung bei sozialen und Freizeitaktivitäten und haben ihre Familienfunktionen klar organisiert und sinnvoll strukturiert. Diese Familien tendieren auch dazu, ihren Mitgliedern mehr intellektuelle und kulturelle Aktivitäten zu bieten, als Familien mit qualitativ schlechterer Tagespflege" (S. 18). Personen aus Familien, in denen ihre Bedürfnisse befriedigt wurden, in denen das Zusammenleben abwechslungsreich war und in denen alle Mitglieder das Tagespflegeangebot mittrugen, erwiesen sich als die besseren Betreuerinnen.
Auf die Qualität der Familientagespflege wirkt sich ferner die Art der Beziehung zwischen Tagespflegeperson und Kind aus. So ließ sich z.B. bei einer guten Betreuung ein hohes Ausmaß an positiven Interaktionen zwischen beiden Seiten feststellen (Rosenthal 1991a). Von ebenfalls großer Bedeutung waren das Betreuungsprogramm sowie die Raumgestaltung und -ausstattung. Alle gerade genannten Variablen korrelierten miteinander, aber waren nicht notwendigerweise in jedem Fall einer qualitativ guten Tagespflege vorhanden (a.a.O.). Zumeist waren die Räume, in denen sich die betreuten Kinder aufhalten, kindgemäß gestaltet und mit Spielsachen, Musikinstrumenten, Mal- und Bastelutensilien, didaktischen Spielen und Materialien für Rollenspiele ausgestattet. Die "gute" Tagespflegeperson erzählte häufiger Geschichten, musizierte mehr mit den Kindern, machte mit ihnen öfters Spiele zur Sprachförderung und zur Entwicklung des Zahlenverständnisses, regte häufiger zum Rollenspiel, zum Malen und zu (grob-/fein-)motorischen Aktivitäten an und ließ sehr viel seltener Fernsehen zu (Fosbury 1981; Goelman/Pence 1987; Kontos 1992; Pence/Goelman 1991).
Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung
Eine qualitativ gute Familientagespflege wirkt sich positiv auf die Sprach- und die kognitive Entwicklung der betreuten Kinder aus. Hier spielen vor allem die Intensität, die erzieherische Qualität und die emotionale Tönung der Interaktionen zwischen Tagespflegeperson und Kind eine Rolle (Clarke-Stewart 1987; Kontos 1992, 1994). Für die kognitive Entwicklung ist ferner von Bedeutung, wie geistig stimulierend das Betreuungsprogramm ist, ob viel vorgelesen und erzählt wird, wie anregend die Spielmaterialien sind und wie erfahren die Tagespflegeperson ist (Clarke-Stewart 1987; Goelman/Shapiro/Pence 1990; Kontos 1994). Bei einer Vergleichsstudie über 47 israelische Kinder in Tagespflege, 18 Kinder in Tageseinrichtungen und 20 Kinder im Kibbuz zeigte sich, dass die genannten Faktoren bzw. die Qualität der Betreuung für die kognitive Entwicklung der Kinder von größerer Bedeutung als die Betreuungsform war (Rosenthal 1991b; vgl. Goelman/Pence 1987).
Howes und Stewart (1987) ermittelten bei ihrer Untersuchung von 55 amerikanischen Tagespflegeverhältnissen, dass Kinder bei einer qualitativ besseren Tagespflege mehr mit Gegenständen und Erwachsenen spielten, Mädchen auch mehr mit Gleichaltrigen. Ferner waren Kinder, die jünger bei Beginn der Fremdbetreuung waren, kompetenter in ihrem Spiel mit Materialien und Gleichaltrigen. Rosenthal (1991c) stellte fest, dass die untersuchten 82 israelischen Kinder mehr Zeit im Spiel miteinander verbrachten und positiver interagierten, wenn der zur Verfügung stehende Raum begrenzt war (wenig Platz zum Alleinsein), wenn die Tagespflegeperson großen Wert auf bildende Beschäftigungen mit allen anwesenden Kindern legte und wenn ihre Interaktionen mit den Kindern positiv verliefen.
Vergleichsuntersuchungen ergaben, dass es die Sozialentwicklung kaum beeinflusste, ob das jeweilige Kind in Familientagespflege oder in einer Tageseinrichtung betreut wurde (Lamb et al. 1988, 1990). Im Modellversuch "Tagesmütter" zeigte es sich, dass die sozial-emotionale Entwicklung von Kindern recht problemlos verlief, wenn die Familientagespflege im ersten Lebensjahr begann (Arbeitsgruppe Tagesmütter 1980; Gudat 1982). Kinder, bei denen die Betreuung im zweiten Lebensjahr anfing, entwickelten jedoch Verhaltensauffälligkeiten wie Aggressivität, motorische Unruhe, Desinteresse am Spielen oder mangelnde Konzentrationsfähigkeit, die noch zwei Jahre später zu beobachten waren.
Bei einer neueren australischen Untersuchung ergaben sich keine Unterschiede zwischen den 21 Kindern in Tagespflege und den 15 Kindern in institutioneller Fremdbetreuung hinsichtlich der Häufigkeit von Verhaltensauffälligkeiten (Erwin et al. 1993). Diese schienen mehr durch Eigenschaften des Kindes (z.B. Temperament) und durch die Familie (z.B. Erziehungsstil) bedingt zu sein als durch die Betreuungssituation.
Mit dem vorangegangenen Satz wurde bereits angedeutet, dass die kindliche Entwicklung nur zum Teil durch die Qualität der Tagespflege beeinflusst wird - die größere Wirkung dürfte wohl von der Familie ausgehen. Wurde die Variable "Qualität der Tagespflege" kontrolliert, so konnte man feststellen, dass diejenigen Kinder mehr Fortschritt im kognitiven und sozialen Bereich machten, die aus guten Familienverhältnissen kamen (sichere Bindungen, keine größeren Probleme usw.), deren geistige Entwicklung stimuliert wurde, mit denen die Eltern mehr spielten, die mehr enge Beziehungen zu Verwandten und Bekannten hatten und deren Eltern viele Freunde hatten und somit Vorbilder für interpersonale Kompetenzen waren (Clarke-Stewart 1989; Howes/Stewart 1987). So erklärten bei einer Untersuchung Familiencharakteristika besser die Sprach-, kognitive und soziale Entwicklung als Variablen der Tagespflegesituation (Kontos 1994). Bedenkt man die große Bedeutung der Familie, so überrascht nicht, dass sich die Kinder positiver entwickelten bzw. die Qualität der Tagespflege höher war, wenn die Pflegeperson und die Eltern häufig miteinander sprachen und ihre Erziehungsvorstellungen ähnlich waren (Arbeitsgemeinschaft Tagesmütter 1980; Pence/Goelman 1991).
Ausblick
Mangels deutscher Forschungsergebnisse über Familientagespflege habe ich in meinem Vortrag auf ausländische zurückgegriffen. Abgesehen von dem Problem der Übertragbarkeit auf hiesige Verhältnisse - beispielsweise spielen in anderen Ländern Ausbildung, Lizensierung oder Supervision von Tagespflegepersonen eine größere Rolle als in Deutschland - muss berücksichtigt werden, dass die meisten Untersuchungen an kleinen, nicht repräsentativen und eher willkürlich ausgewählten Stichproben durchgeführt wurden. Hinzu kommt, dass verschiedene bzw. unterschiedlich definierte Variablen untersucht und immer wieder andere Forschungsinstrumente eingesetzt wurden. So sind die Forschungsergebnisse nur mit Vorbehalten vergleichbar oder zu verallgemeinern. Allerdings gibt es auch viele Übereinstimmungen zwischen den Untersuchungen.
Literatur
Andersson, B.-E./Kihlblom, U./Sandqvist, K.: Rising birth rate in Sweden: a consequence of the welfare state and family policy? Childhood 1993, 1, S. 11-25
Arbeitsgruppe Tagesmütter: Das Modellprojekt "Tagesmütter" - Abschlußbericht der wissenschaftlichen Begleitung. Schriftenreihe des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit, Bd. 85. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz: Kohlhammer 1980
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