Vernetzung und Integration - Prinzipien moderner Jugendhilfe
Martin R. Textor
Eltern, Kindern und Jugendlichen steht heute ein differenziertes Angebot an Jugendhilfeleistungen nach dem SGB VIII zur Verfügung. Neben diesen Hilfsangeboten, die vor allem bei Jugendämtern und anderen kommunalen Einrichtungen sowie bei den freien Wohlfahrtsverbänden zu finden sind, erhalten Kinder, Jugendliche, Heranwachsende und ihre Familien auch Beratung, Betreuung und andere Formen der Unterstützung in Sozialämtern und Wohnungsämtern, im medizinischen Sektor (insbesondere durch "Hausärzte", Kinderärzte, Kinder- und Jugendpsychiater, aber auch in Gesundheitsämtern) und in Praxen freipraktizierender Psycholog/innen, im Schulsystem (z.B. durch Beratungslehrer/innen oder Schulpsychologen) und im Jugendstrafvollzug. Nach Filsinger und Bergold (1993) entstand dieses komplexe System durch gesellschaftliche Modernisierungsprozesse, die (1) zu einer Ausdifferenzierung formaler Hilfesysteme verbunden mit Prozessen der Institutionalisierung und Professionalisierung, (2) zu einer Expansion psychosozialer Dienste, oft in Verbindung mit bestimmten "Themen- und Problemkonjunkturen", (3) zu einer Diversifikation dieser Dienste, also der Spezialisierung auf bestimmte Probleme, Adressatengruppen, Lebensphasen, Handlungskonzepte usw., sowie (4) zu einer Pluralisierung der Akteure führten - neben die großen Wohlfahrtsverbände und die öffentlichen Träger sind zunehmend Vereine, Selbsthilfegruppen, kleine (private) Träger und Projekte getreten.
Hilfe suchende Minderjährige, junge Heranwachsende und ihre Eltern stehen also einem für den Laien kaum überschaubaren System psychosozialer, schulischer und medizinischer Dienste gegenüber. Sie erleben es als schwierig, eine dieser Einrichtungen für ein erstes Beratungsgespräch auszuwählen. Auch ist die Wahrscheinlichkeit nicht sehr groß, dass sie mit einem Sozialarbeiter, Psychologen, Arzt oder Beratungslehrer zusammentreffen, der ein Fachmann für ihre ganz spezifischen Problemlagen ist. Verschiedene Folgen sind denkbar:
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Sie werden an andere Fachleute bzw. Einrichtungen verwiesen und gelangen erst auf Umwegen bei der richtigen Stelle. Auf diesem Weg - der nicht nur für sie zeitraubend ist - können sie einen Teil ihrer Motivation verlieren oder sogar die Suche nach Hilfe abbrechen.
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Sie werden nicht angemessen behandelt, d.h. die eingesetzten Maßnahmen sind zu stark, zu schwach oder entsprechen zu wenig den vorliegenden Problemen. So kann die Intervention scheitern, kommt es erst recht spät zu einer Überweisung an andere Einrichtungen. Auch hier verlieren die Klient/innen an Motivation. Zudem können "Jugendhilfekarrieren" entstehen: Die Betroffenen durchlaufen mehrere Stationen und werden immer wieder unangemessen behandelt.
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Es wird nur ein Teilproblem bearbeitet. Die Klient/innen werden mit anderen Fachleuten in Kontakt gebracht, die weitere Aspekte der Gesamtproblematik angehen. Diese Vorgehensweise ist nicht nur ineffektiv und zeitraubend (viele Überschneidungen bei Gesprächen und Interventionen, lange Wegezeiten), sondern kann bei unzureichender Abstimmung der Maßnahmen auch kontraproduktiv sein. Die Gefahr einer mangelnden Kooperation und Koordination ist besonders groß, wenn die Klient/innen von sich aus weitere Einrichtungen aufsuchen. Sie nehmen verschiedenste Hilfen in Anspruch, ohne dass eine Institution von der anderen weiß und eine Koordination bzw. Abstimmung erfolgen kann.
Das derzeitige System sozialer Dienste ist aber auch für Fachleute schwer überschaubar - insbesondere wenn sie aus verschiedenen Bereichen kommen: So sind z.B. Lehrer/innen und Ärzt/innen viele Maßnahmen der Jugendhilfe unbekannt, sind Sozialarbeiter/innen oft nur unzureichend über medizinische oder psychotherapeutische Interventionen informiert. Dementsprechend verweisen sie Hilfsbedürftige häufig nicht an die am ehesten geeignete Einrichtung. Die mangelnden Kenntnisse, in vielen Fällen aber auch geschlossene oder nur wenig durchlässige Kommunikationskanäle, verhindern zudem die Zusammenarbeit mit anderen sozialen Diensten, mit Kindergärten, Schulen und Krankenhäusern, mit frei praktizierenden Ärzten und Psychologen. Ein Mangel an Kooperation kann aber auch aus Abgrenzungsbestrebungen, Vorurteilen, Konkurrenz oder unterschiedlichen Werten, Zielvorstellungen, Erklärungs- und Behandlungsmodellen resultieren. Grunow (1989) verweist noch auf folgendes Problem: "Angesichts dieser Vielfalt und Unübersichtlichkeit der Anbieter sozialer Dienstleistungen ist es für kommunale Ämter kaum mehr möglich, den Planungsauftrag zu erfüllen und die Verpflichtung zur Sicherstellung des notwendigen und wünschenswerten Angebotes an Dienstleistungen zu erreichen" (S. 642).
Vernetzung, Kooperation und Koordination
Eine Antwort auf die Unübersichtlichkeit der Maßnahmen und die Kooperationsprobleme ist die Vernetzung von verschiedenen sozialen Diensten untereinander und mit anderen Einrichtungen (z.B. Schule, Ausbildungsstätte, Kinder- und Jugendpsychiatrie), die häufig mit Dezentralisierung und lokaler Organisation verknüpft ist: "... Verbundsysteme meinen ein abgestimmtes Miteinander - eine Vernetzung - verschiedener Formen von Erziehungshilfe - wie binnendifferenzierte Heimerziehung, Erziehungsberatung, Jugendberatung, Sozialpädagogische Familienhilfe, Erziehungsbeistandschaft, Pflegekindervermittlungsdienste, Tageseinrichtungen für Kinder/Jugendliche und Horte - also ambulante, teilstationäre und stationäre Erziehungshilfen. Dabei sollen diese Formen zur Jugendarbeit hin offen sein und kooperativ mit diesen angeboten werden" (Verband katholischer Einrichtungen der Heim- und Heilpädagogik 1988, S. 10, Hervorhebung durch Autor). Dies ist beispielsweise mit folgenden Vorteilen verknüpft: "Die im Verbundsystem tätigen Fachkräfte haben die Möglichkeit einer wechselseitigen Ergänzung und Entlastung; es werden die spezifischen Stärken der jeweiligen Erziehungshilfeformen leichter erkannt und deren Grenzen überwunden" (a.a.O., S. 10). Fachkräfte aus verschiedenen Berufsgruppen können ihre unterschiedlichen Kompetenzen und Erfahrungen einbringen, im konkreten Einzelfall schnell einen individuellen Hilfeplan entwickeln, Maßnahmen aufeinander abstimmen und alle im Verbundsystem vorhandenen Ressourcen auf flexible Weise nutzen. Es ist offensichtlich, dass die kollegiale Zusammenarbeit von großer Bedeutung ist. Dies setzt gegenseitiges Vertrauen, fortwährenden fachlichen Austausch und verlässliche Strukturen der Kooperation voraus.
Laut dem Verband katholischer Einrichtungen der Heim- und Heilpädagogik (1988) lassen sich drei Grundformen von Verbundsystemen unterscheiden:
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Beim "Erziehungshilfezentrum" (Überregionalen Beratungszentrum) werden an einem Ort durch einen Träger verschiedene stationäre und/oder teilstationäre und/oder ambulante Erziehungshilfen gebündelt. Das örtlichen Bedingungen angepasste Zentrum bietet umfassende Hilfe, die den Bedürfnissen des Einzelfalles entspricht.
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Als "Verbund von Erziehungshilfen" wird der Zusammenschluss mehrerer Träger von Erziehungshilfen auf örtlicher oder regionaler Ebene bezeichnet. Die Einrichtungen arbeiten eng zusammen und bieten ein aufeinander abgestimmtes Angebot an Hilfsmaßnahmen.
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Beim "Jugendhilfeverbund" kooperieren verschiedene öffentliche und freie Träger von Erziehungshilfen, Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit und Jugendschutz auf örtlicher, regionaler oder überörtlicher Ebene.
Vernetzung als informelle Zusammenarbeit
Jedoch kann eine Vernetzung auch auf weniger formale Weise als in einem Verbundsystem erfolgen: Als Prinzip moderner Jugendhilfe und Sozialarbeit meint sie die enge Zusammenarbeit verschiedener sozialer Dienste. Überragendes Ziel bei der Vernetzung sollte das Wohl des Kindes und seiner Familie sein. Letztendlich muss es immer (auch) darum gehen, wie (verhaltensauffällige, entwicklungsverzögerte, sprachgestörte, behinderte, von Behinderung bedrohte ...) Kinder, ihre Eltern bzw. Familien mit besonderen Belastungen die "passende" Hilfe erhalten. Dies sollte zu einem möglichst frühen Zeitpunkt geschehen, da dann eine Behandlung bzw. Beratung in der Regel kürzer, effektiver und effizienter ist. Fachkräfte in der Jugendhilfe, aber z.B. auch Erzieher/innen, Lehrer/innen und Ärzte, sollten also wissen, für welche Problemlagen welche psychosozialen Dienste die richtigen Ansprechpartner sind und wie sie Kinder bzw. Familien an diese Einrichtungen weitervermitteln können. In einem engen Zusammenhang mit diesem zentralen Ziel stehen weitere:
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Informations- und Erfahrungsaustausch: Die Fachkräfte aus psychosozialen Diensten, Bildungseinrichtungen, medizinischen Diensten usw. sollen die Lebens- und Arbeitswelt der jeweils anderen Seite kennen lernen (mehr Transparenz). Sind sie über die Arbeitsweise, Probleme, Bedürfnisse und Wünsche der anderen informiert, können sie diese bei einer Zusammenarbeit berücksichtigen (z.B. Anpassung von Verfahren).
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Persönliches Kennenlernen: Kennen sich die Mitarbeiter/innen verschiedener Dienste, ist in der Regel mehr Vertrauen gegeben, fällt es leichter, bei Problemen Kontakt aufzunehmen oder Hilfsbedürftige zu überweisen.
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Verbesserung der Kooperation im Einzelfall: Angestrebt werden eine bessere Früherkennung, die Verminderung von Entscheidungsunsicherheiten hinsichtlich einer Weitervermittlung (Vermeidung von Fehlvermittlungen und Mehrfachbetreuungen), die gemeinsame Planung und Durchführung von Maßnahmen und damit eine größere Effektivität der Hilfsangebote.
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Verwirklichung gemeinsamer Ziele: In der Kooperation zwischen Mitarbeiter/innen verschiedener Einrichtungen können Ziele wie Lebensweltorientierung, Hilfe zur Selbsthilfe, (Sucht-, Gewalt-) Prävention, Medienerziehung, Familienbildung u.Ä. realisiert werden.
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Gegenseitige Unterstützung: Durch den fachlichen Austausch, die gegenseitige Hilfe beim Umgang mit Einzelfällen, die (kollegiale) Beratung bei Problemen u.Ä. soll es zu einem Kompetenzgewinn und einer höheren Qualität der geleisteten Arbeit kommen.
Schließlich kann mehr Verständnis für die Arbeit und die Probleme der jeweils anderen Seite dazu führen, dass sich Mitarbeiter/innen verschiedener Jugendhilfeeinrichtungen und anderer psychosozialer Dienste solidarisieren, um gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen - oder für bessere Lebensverhältnisse für Kinder und Familien.
Ein weiteres Ziel der Vernetzung ist die Erweiterung der Kenntnisse von Eltern über Hilfsangebote für Kinder und Familien - durch die Weitergabe entsprechender Informationen durch die Fachkräfte. Auch wird erwartet, dass Schwellenängste bei Eltern und Jugendlichen reduziert werden, wenn Sozialpädagog/innen, Erzieher/innen, Lehrer/innen, Psycholog/innen, Ärzte usw. besser über andere psychosoziale Dienste aufklären und ihnen persönlich bekannte Ansprechpartner benennen können. Hilfsangebote dieser Einrichtungen sollen immer mehr als alltägliche Dienstleistungen wahrgenommen werden.
Öffentliche und freie Träger der Wohlfahrtspflege, Politik und Verwaltung verbinden mit der Vernetzung auch die Erwartung, dass die vorhandenen (knappen) Ressourcen gezielter, effektiver und effizienter genutzt sowie verschiedene Hilfsangebote miteinander verzahnt und abgestimmt werden. Eher abgeschottet arbeitende Einrichtungen sollen besser in das Netzwerk der Dienste eingebunden werden. All dies soll zu einer Optimierung der Versorgung mit medizinischen, therapeutischen und sozialen Dienstleistungen führen.
Formen der Vernetzung
Eine Vernetzung kann sich auf zwei Einrichtungen beschränken und dann
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unidirektional (z.B. "überweist" eine Kindertagesstätte Familien an eine Erziehungsberatungsstelle, diese hat aber keinen Kontakt zu den Erzieher/innen) bzw.
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bidirektional sein (im vorgenannten Fall führen die Berater/innen ein Gespräch über die jeweilige Familie mit den Erzieher/innen oder halten auf andere Weise die Beziehung aufrecht - z.B. durch Referate bei Elternabenden)
oder sie kann mehrere Einrichtungen (z.B. mehrere Ämter, Schulen und psychosoziale Dienste) umfassen und multidirektional sein. Die Vernetzung kann horizontal (d.h. zwischen Einrichtungen auf der lokalen Ebene) und/oder vertikal (zwischen örtlichen und überregionalen Institutionen) erfolgen. Die Partner können gleichberechtigt sein, oder eine Institution mag die Führung übernehmen. Die Beteiligung an Vernetzungsbestrebungen kann auf Personen von der Leitungsebene beschränkt sein; es können aber auch (nahezu) alle Mitarbeiter/innen oder (nur) interessierte Einzelpersonen einbezogen werden. Eine Vernetzung kann informell und locker (z.B. in der Form unverbindlicher Gesprächsrunden, oft ohne Moderator oder Protokolle) oder formell und institutionalisiert sein (z.B. mit Vereinssatzung, Geschäfts- bzw. Tagesordnung). Sie kann kurzfristig (z.B. für die Dauer der Behandlung eines Kindergartenkindes) oder langfristig bzw. auf Dauer sein. Schließlich kann sie auf ein bestimmtes Thema bzw. Projekt begrenzt oder die ganze mögliche Themenvielfalt berücksichtigend sein (vgl. Altena 1997; Langnickel 1997).
Vernetzungsaktivitäten
Es gibt eine kaum noch überschaubare Anzahl von Vernetzungsaktivitäten, die hier - nur grob systematisiert - aufgelistet werden sollen:
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Allgemeine schriftliche Informationen
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Beratungsführer
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Faltblätter, Programme, Rundbriefe, Handzettel, Broschüren, Jahresberichte usw.
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Informationsveranstaltungen
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Informationsveranstaltungen über die Aufgaben und Arbeitsweise des psychosozialen Dienstes/von mehreren Diensten, auch als Info-Börse mit Parallelveranstaltungen
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Tag der offenen Tür, Kontaktnachmittag
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Allgemeine persönliche Kontakte
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allgemeine, informative Gespräche/Telefonate
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allgemeine Besprechungen, Gesprächsrunden, Dienstbesprechungen
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(wechselseitige) Besuche
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(wechselseitige) Hospitationen (nicht fallbezogen)
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Einladungen zu besonderen Anlässen (z.B. Feste, Jubiläen)
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Teilnahme von Mitarbeiter/innen des psychosozialen Dienstes an Teambesprechungen
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gemeinsame Teilnahme an Arbeitsgemeinschaften/-kreisen
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gemeinsame Teilnahme an Fortbildungen, Klausurtagungen u.Ä.
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Mitwirkung/nicht fallbezogene Kooperation
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Einbeziehung in die Jugendhilfeplanung und Bedarfserhebung
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gemeinsam geplante und durchgeführte Veranstaltungen
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gemeinsame Aktionen und Projekte (z.B. zur Prävention sexuellen Missbrauchs, Medienerziehung)
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Mitarbeit in Jugendhilfeausschuss und andere Gremien (z.B. Psychosoziale Arbeitsgemeinschaft, Stadtteilkonferenz)
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gegenseitige Unterstützung (fallbezogene Besprechungen nur mit Einwilligung der jeweils betroffenen Personen oder nur in anonymisierter Form)
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Einzelfallsupervision
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allgemeine, themenzentrierte oder projektbezogene Beratung
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Einzel-/Gruppensupervision
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Angebote zur Selbsterfahrung
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Teamsupervision/Beratung bei Teamkonflikten
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Sprechstunden für Fachkräfte aus anderen Einrichtungen (z.B. Kindertageseinrichtungen, Schulen)
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Fortbildung durch Mitarbeiter/innen eines bestimmten psychosozialen Dienstes
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Fachtagungen
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Gesprächskreise, themenzentrierte Arbeitsgemeinschaften
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Projektbegleitung und -beratung
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Fallbezogene Zusammenarbeit (nur mit Einwilligung der Klient/innen)
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Vermittlung eines Kindes/einer Familie durch Empfehlung, Telefonat oder Begleitung, eventuell Übernahmeabsprachen
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Fallbesprechungen, Austausch von Informationen über das Kind/den Jugendlichen/die Familie
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Beobachtung eines Kindes in anderen Einrichtungen (z.B. Kindertagesstätte, Schule)
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Einbeziehung anderer Fachkräfte in die Diagnoseerstellung und Hilfeplanung bei einem Kind/Jugendlichen
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Mitteilung von Behandlungsverlauf/-ergebnissen
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Einladung anderer Personen (z.B. Lehrer, Erzieherin, Jugendleiter) zu einem Behandlungstermin im psychosozialen Dienst
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Behandlung eines Kindes in der Kindertageseinrichtung oder Schule
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Einbeziehung anderer Fachleute (z.B. Erzieherin, Lehrer) in die Behandlung eines Kindes
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Teilnahme von Mitarbeiter/innen psychosozialer Dienste an Elterngesprächen in Kindertageseinrichtung oder Schule
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Vermittlung finanzieller Leistungen
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gemeinsame Hausbesuche
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Erstgespräche/Einzelberatung von Eltern in der Kindertageseinrichtung oder Schule
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Allgemeine Angebote für Eltern
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Auslegen/Aushängen von Informationsmaterial psychosozialer Dienste in Kindertageseinrichtungen, Schulen, Arztpraxen, Ämtern usw.
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Teilnahme von Mitarbeiter/innen psychosozialer Dienste an Elternabenden/ Gesprächsabenden/ Familienbildungsveranstaltungen (Referententätigkeit)
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Offene Sprechstunde für Eltern in der Kindertageseinrichtung, Schule, Familienbildungsstätte usw.
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Kontaktnachmittage
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Eltern-/Mütter-/Alleinerziehendengesprächskreis unter Leitung von Mitarbeiter/innen psychosozialer Dienste in der Kindertageseinrichtung oder Schule
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Diese Formen der Zusammenarbeit setzen voraus, dass schon in der Ausbildung von Lehrer/innen, Erzieher/innen, Sozialpädagog/innen und Ärzten relevante Informationen über Jugendhilfemaßnahmen, psychosoziale Dienste, das Bildungssystem und medizinische Einrichtungen vermittelt werden sollten. Zudem sollten Kontakte zwischen beiden Seiten bereits vor Auftreten eines konkreten Falles aufgenommen werden, sodass eine Vertrauensbasis entstehen kann und Kommunikationskanäle geöffnet werden. Eine Zusammenarbeit im Einzelfall wird oft mit Hinweis auf den Datenschutz erschwert oder gar verhindert. Hier ist zu fragen, inwieweit das Wohl des Kindes oder Jugendlichen zurückgestellt oder sogar gegen dasselbe verstoßen wird.
Vernetzungsbestrebungen können von einzelnen Einrichtungen ausgehen, aber auch von Verbänden und Arbeitskreisen (einschließlich von Psychosozialen Arbeitsgemeinschaften, Stadtteilkonferenzen u.a.). Eine besondere Rolle kommt den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe, insbesondere den Landkreisen und den kreisfreien Städten zu, da sie laut § 79 SGB VIII die Gesamtverantwortung für die (örtliche) Jugendhilfe haben, im Rahmen der Jugendhilfeplanung nach § 80 Abs. 2 Nr. 2 SGB VIII u.a. "ein möglichst wirksames, vielfältiges und aufeinander abgestimmtes Angebot von Jugendhilfeleistungen" schaffen sollen, dazu laut § 78 SGB VIII auch Arbeitsgemeinschaften gründen können sowie generell eng mit freien Trägern der Jugendhilfe, mit Bildungseinrichtungen, dem öffentlichen Gesundheitsdienst u.a. zusammenarbeiten sollen (z.B. §§ 73 ff., 80 Abs. 3, 81 SGB VIII). Die Jugendämter - Jugendhilfeausschuss und Verwaltung - sind gefordert, die Vernetzung zu initiieren und zu koordinieren.
Der Jugendhilfeausschuss (§ 71 SGB VIII) umfasst Mitglieder der Vertretungskörperschaft bzw. von ihr gewählte Personen und Repräsentanten der Träger der freien Jugendhilfe. Er ist für alle die Jugend betreffenden Fragen und für die gesamte Jugendhilfe zuständig. In ihm "fließen verschiedene Interessen zusammen: Interesse am Erkenntnis- und Informationsaustausch; Interessen hinsichtlich materieller Mittelverteilung und der Zuständigkeit von Einrichtungen; Planungsinteressen. Von besonderer Bedeutung ist die Wahrnehmung einer umfassenden jugend- und gesellschaftspolitischen Interessenvertretung der Jugend" (Münder 1987, S. 33). In unserem Zusammenhang ist besonders wichtig, dass im Jugendhilfeausschuss öffentliche und freie Träger der Jugendhilfe zusammenarbeiten, ihre Interessen, Ziele und Tätigkeiten miteinander abstimmen, gemeinsame Aktivitäten vorbereiten und miteinander die Jugendhilfeplanung übernehmen. Auf Landesebene kooperieren Vertreter der öffentlichen und freien Jugendhilfe im Landesjugendhilfeausschuss (§ 71 SGB VIII). Eine planerische und koordinierende Funktion können auch die zuständigen Landesministerien übernehmen. Die partnerschaftliche Zusammenarbeit von öffentlicher und freier Jugendhilfe wird schließlich auch auf Bundesebene gefordert und gefördert (§ 4 SGB VIII).
Exkurs: Zur Kooperation von Jugendhilfe und Schule
Die meisten Bestrebungen in Richtung auf eine Vernetzung sozialer Dienste beschränken sich allerdings auf den Bereich der Jugendhilfe. Besonders schwierig - aber sehr notwendig - ist jedoch das Überschreiten der Grenzen zu anderen Systemen, also die Zusammenarbeit der Jugendhilfe mit dem Bildungswesen, dem medizinischen Sektor, dem Jugendstrafvollzug und der Wirtschaft (z.B. im Rahmen der Jugendsozialarbeit und bei der Platzierung behinderter Erwachsener in die Arbeitswelt). "Da es bei auffälligen Kindern besonders wahrscheinlich ist, dass sie in der Schule versagen, mit dem Justizsystem in Berührung kommen und eine Vielzahl medizinischer Symptome aufweisen, sind diese Systeme oft die ersten, die Kinder mit Problemen identifizieren" (Tuma 1989, S. 194, 195).
Viele verhaltensauffällige Kinder werden von Lehrer/innen und Erzieher/innen identifiziert, die ihnen dann mit ihren (beschränkten) Mitteln zu helfen versuchen. Sie wissen aber nur wenig über psychosoziale und medizinische Dienste und können somit häufig geeignetere, intensivere oder umfassendere Hilfsmaßnahmen nicht vermitteln. Es fehlt an eingespielten Wegen der Kontaktaufnahme und Kooperation. Zudem stehen Schule und Jugendhilfe einander in der Regel fremd bis ablehnend gegenüber: "Die Schule sieht noch immer in der Jugendhilfe weniger den Partner als das gering geschätzte 'Amt', dem Problemschüler überstellt werden mit der Erwartung, durch Disziplinierung und Anpassung einen reibungslosen Schulbetrieb zu gewährleisten. Umgekehrt betrachtet Jugendhilfe Schule weniger als Hilfe bei der Persönlichkeitsentwicklung sondern vorrangig als Lernfabrik oder Paukanstalt, in der Schüler nach Maßstäben der Gesellschaft 'zugerichtet' werden, ..." (Mühlum 1988, S. 14). Beide Systeme sind jedoch - nach der Familie - die wichtigsten Sozialisationsinstanzen und sollten deshalb in gemeinsamer Verantwortung für das Kindeswohl zusammenarbeiten. Da die weitaus meisten Kinder Kindertageseinrichtungen und alle Kinder Schulen besuchen, könnten hier frühzeitig individuelle und familiale Probleme identifiziert und Hilfsmaßnahmen in die Wege geleitet werden - könnte das Bildungswesen auch zum Vermittler psychosozialer und medizinischer Dienstleistungen werden.
Die Zusammenarbeit zwischen Lehrer/innen, Sozialarbeiter/innen, Psycholog/innen und anderen Fachkräften kann aber noch andere Formen annehmen: Identifiziert die Schule ein Kind als hilfsbedürftig, erfährt die Kindertageseinrichtung von Familienproblemen, behandelt ein Erziehungsberater ein verhaltensauffälliges Kind, hört ein Familiengerichtshelfer von den Schulschwierigkeiten eines von der Trennung seiner Eltern betroffenen Kindes (usw.), so können die Fachkräfte miteinander ein fallbezogenes Telefonat führen, einen Gesprächstermin vereinbaren oder zu einer Fallbesprechung in ihrer Institution einladen. Sie können Informationen über das Kind und seine Familienverhältnisse austauschen, den Einsatz bestimmter Bobachtungsverfahren vereinbaren, mögliche Ursachen der Probleme diskutieren und gemeinsam einen Handlungsplan entwickeln. Fachkräfte der Jugendhilfe können auch als Beobachter in die Kindertageseinrichtung oder die Schule eingeladen werden sowie Erzieher/innen und Lehrer/innen bei der Verbesserung ihres erzieherischen Verhaltens helfen (Haberkorn, Hagemann und Seehausen 1988; Textor 1989, 1996). Eine weitere Möglichkeit sind gemeinsame Sitzungen von Eltern, Lehrer/innen und Fachkräften der Jugendhilfe, bei denen unterschiedliche Perspektiven und Erfahrungen mit dem Kind deutlich werden, Missverständnisse und Vorurteile abgebaut, Problemursachen geklärt und Interventionen abgestimmt werden können.
Eine institutionalisierte Form der Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe ist die Schulsozialarbeit. Sie leistet Prävention, Beratung, Intervention, Koordination und Netzwerkarbeit, wirkt auf Schüler, Lehrer und Eltern ein. Sie hilft bei der Überwindung sozialer Benachteiligungen und individueller Probleme, vermittelt zwischen verschiedenen Erfahrungsbereichen und kann Freizeitangebote, Schülertreffs, Übungsgruppen, klassenbezogene Aktivitäten, Verhaltenstraining, Hausbesuche, Elternarbeit, Familienberatung u.Ä. umfassen. Hier werden die Chancen und Möglichkeiten der Kooperation von Schule und Jugendhilfe deutlich, zugleich aber auch die Gefahren: Beispielsweise kann Schulsozialarbeit zum "Krisenmanager" und "Konservator" eines Schulsystems werden, "dessen Struktur sie selbst für reformbedürftig hält. Die Schule aber projiziert nicht nur ihre Legitimationsprobleme auf die Sozialarbeit, sondern entlastet sich selbst von der Verpflichtung, Probleme als Folge ihres eigenen Systems zu begreifen und womöglich selbst lösen zu müssen - und zwar umso wirkungsvoller, je nachdrücklicher Schulsozialarbeit als Nothelfer auftritt und schulische wie gesellschaftliche Defizite aufarbeitet" (Mühlum 1988, S. 29).
Die Entwicklung eines ganzheitlichen, integrativen Ansatzes
"Fachlichkeit in der Jugendhilfe erfordert umfangreiches Orientierungswissen und nicht allein spezialisiertes Wissen für spezialisierte Arbeit" (Achter Jugendbericht, S. 202). Nur wer das Arbeitsfeld von Sozialarbeiter/innen, Psycholog/innen, Heilpädagog/innen, Ärzt/innen und anderen Fachkräften überblickt, wer Kenntnisse der relevanten Gesetze, Verwaltungs- und Förderrichtlinien besitzt, wer sich in den Organisationsstrukturen psychosozialer und medizinischer Dienste auskennt, kann formelle und informelle Hilfsangebote für seine Klienten auftun, mit den Einrichtungen der Jugendhilfe und den Institutionen anderer Systeme zusammenarbeiten und verschiedene Maßnahmen koordinieren. Dieses setzt m.E. voraus, dass er von einem ganzheitlichen umfassenden Arbeitsansatz ausgehen muss, bei dem die ganze komplexe Realität berücksichtigt und Interventionen erst nach einer Analyse der Gesamtsituation geplant werden. Die Fachkraft muss den Menschen als Körper-Seele-Geist-Wesen begreifen, das in einer vielschichtigen Umwelt lebt, von dieser geprägt wird, sie aber auch beeinflusst. Sucht sie nach den Ursachen von psychischen Problemen und Verhaltensauffälligkeiten, muss sie immer somatische, psychische, geistige, soziale und soziokulturelle Strukturen und Prozesse berücksichtigen - also von deren Multikausalität ausgehen.
In der Praxis herrschen jedoch begrenztere Erklärungsmodelle für psychische Probleme und Verhaltensauffälligkeiten von Minderjährigen und jungen Heranwachsenden vor, die an anderer Stelle (Textor 1988b, S. 130-131) zusammengefasst wurden. Jedes von ihnen betont nur einige der vielen möglichen Ursachen von psychischen Problemen und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und Heranwachsenden. Alle Erklärungsmodelle sind also einseitig, unvollständig und stark vereinfachend. Sie berücksichtigen nicht die Ganzheitlichkeit des Menschen, die Vielschichtigkeit des sozialen Kontextes und die Multikausalität der meisten Phänomene. Da sie die Grundlage für die Handlungsmodelle bilden, gilt für diese dieselbe Kritik: Die vielen verschiedenen pädagogischen, sozialarbeiterischen, psychotherapeutischen, sonderpädagogischen, gruppentherapeutischen, medizinischen, heilpädagogischen, familientherapeutischen und psychiatrischen Ansätze konzentrieren sich auf die Behandlung einzelner Ursachenkomplexe. Allein im psychotherapeutischen Bereich listete Herink bereits 1980 über 250 bekannte Therapieansätze auf.
Wirken die Systeme psychosozialer und medizinischer Dienste schon auf Laien und Fachleute unübersichtlich, so werden sie bei Berücksichtigung der vielen Erklärungs- und Handlungsmodelle gänzlich unüberschaubar: Besucht beispielsweise ein Elternteil mit seinem Kind eine Erziehungsberatungsstelle, so kann er dort auf einen Psychoanalytiker, Spiel-, Verhaltens-, klientenzentrierten oder Familientherapeuten treffen, variiert dementsprechend die Behandlung. In vielen anderen Bereichen der Jugendhilfe sind diese - durch therapeutische Zusatzausbildungen verstärkte - Unterschiede weniger stark. Anzumerken ist noch, dass die Erklärungs- und Handlungsmodelle oft auch bestimmen, welche Jugendhilfemaßnahme ein Kind bzw. seine Familie erfährt: Heimeinweisung, Platzierung in eine Pflegefamilie, Sozialpädagogische Familienhilfe, Erziehungsbeistandschaft usw. Deutlich wird, dass der "äußeren" Vielfalt an Einrichtungen und Maßnahmen die "innere" Vielfalt der Erklärungs- und Handlungsmodelle entspricht.
Die skizzierte Situation wirkt sehr unbefriedigend: "Es stellt sich deshalb die Frage, ob angesichts der Vielfalt von Ansätzen und des offensichtlich vorherrschenden Methodensynkretismus eine sozialarbeiterische/sozialpädagogische Arbeitsfeld- und Zielanalyse sowie Methodenreflexion hier nicht die erforderliche Klammer herzustellen hätte" (Hohmeier und Mair 1989, S. 8). Die Entwicklung ganzheitlicher, "integrativer Theorien" ist m.E. eine der wichtigsten Aufgaben, die vor uns liegen (vgl. Textor 1985, 1988a, b). In diesem Zusammenhang müsste eine solche Theorie relevante Wissensbestände, Konzepte, Maßnahmen und Techniken aus möglichst vielen Erklärungs- und Handlungsmodellen umfassen. Kinder, Jugendliche und Heranwachsende müssten einerseits als einzigartige Individuen in ihrer ganzen Komplexität und andererseits als Teil der Familie, der Gleichaltrigengruppe und anderer sozialer Systeme betrachtet werden. Ihre Schwierigkeiten und Probleme sollten im Kontext ihrer Biographie, von individuellen Erfahrungen, Deutungsmustern und Bewältigungsversuchen, der Lebenslage, der sozialen, schulischen und beruflichen Verhältnisse, der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gesehen werden. Erst nach einer mehrdimensionalen Problemdefinition unter Einbeziehung aller relevanten Informationen kann ein Handlungsplan entwickelt werden: "Im Unterschied zu den klassischen Methoden werden Interventionsebenen, -systeme und -verfahren nicht vorher festgelegt, sondern problembezogen ausgewählt" (Achter Jugendbericht, S. 171). Dabei sollte möglichst von der Gesamtheit aller sozialpädagogischen, psychologischen, medizinischen u.a. Maßnahmen ausgegangen werden.
Wird die integrative Theorie an den Zielen einer allseitigen Förderung von Minderjährigen und Heranwachsenden sowie einer generellen Verbesserung ihrer familialen, schulischen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen ausgerichtet, so kann die bei den bisherigen Erklärungs- und Handlungsmodellen vorherrschende Orientierung am Pathologischen überwunden werden. Dann lassen sich ebenfalls präventive und sozialisatorische Maßnahmen - z.B. im Rahmen der Jugendarbeit oder Schulsozialarbeit - von ihr aus begründen. Dies bedeutet aber auch, dass die integrative Theorie relevante Konzepte, Wissensbestände und Techniken aus (sozial-) pädagogischen Ansätzen umfassen muss. Hier sollte ebenfalls die Einseitigkeit bisheriger Modelle zu überwinden versucht werden. Eine derartige integrative Theorie kann als Grundlage für die Auswahl der im SGB VIII genannten Angebote der Jugendhilfe dienen. Sie ermöglicht den Einsatz aller geeigneten Methoden, also von Informationsvermittlung (Erschließung von materiellen, sozialen und anderen Ressourcen, "Empowerment"), Erziehung, Anleitung zur Selbsthilfe, Förderung lebenspraktischer Fertigkeiten, Unterstützung, Beratung, Therapie, Integration, Netzwerkarbeit, soziale Gruppenarbeit, Gemeinwesenarbeit, Interessenvertretung usw.
Prinzipien moderner Jugendhilfe
Der Einsatz der im SGB VIII genannten Maßnahmen und die Entwicklung von ganzheitlichen, umfassenden, integrativen Theorien der Jugendhilfe sollte vor allem an folgenden Prinzipien ausgerichtet werden:
(1) Das Wohl des Kindes, Jugendlichen und Heranwachsenden sollte immer Orientierungsmaßstab sein. Nach § 1 SGB VIII müssen hierbei drei Ebenen unterschieden werden: Auf der individuellen Ebene soll der junge Mensch in allen Entwicklungsbereichen gefördert, zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit herangebildet und vor Benachteiligungen geschützt werden. Auf der familialen Ebene sollen z.B. durch die Beratung der Erziehungsberechtigten oder durch intensivere Maßnahmen wie die Sozialpädagogische Familienhilfe positive Entwicklungsbedingungen gewährleistet werden. Und auf der gesellschaftlichen Ebene sollen eine kinder- und familienfreundliche Umwelt erhalten bzw. geschaffen und Minderjährige vor Gefahren für ihr Wohl geschützt werden. Hier wird die Jugendhilfe zur Interessenvertretung für alle Heranwachsenden und ihre Familien: "Sie muss die Bedürfnisse junger Menschen in die gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse und politischen Entscheidungen einbringen und auf die Berücksichtigung und Umsetzung dieser Interessen hinwirken" (Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe 1988, S. 9). Als "offensive Jugendhilfe" sollte sie sich laut dem Achten Jugendbericht z.B. in die Familien-, Städtebau-, Wohnungs- und Arbeitspolitik, das Bildungs- und Sozialwesen, den Justizbereich und die Psychiatrie "einmischen", um problematische Strukturen und Prozesse in Nachbarschaft, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft abzubauen und positive Lebensbedingungen für Minderjährige und Familien zu schaffen.
(2) Jugendhilfe ist - neben Familie, Schule, Gleichaltrigengruppe und Arbeitswelt - ein eigenständiges Sozialisations- und Erziehungsfeld, das prinzipiell der ganzen jungen Generation offen steht. "Zur Lebensqualität gehören über die materielle Existenzsicherung hinaus Fähigkeiten zu Solidarität, Kooperation und Toleranz, die durch vielfältige Formen des sozialen Lernens vermittelt werden. Weder die bestehende Kleinfamilie, noch die Schule oder das berufliche Ausbildungssystem sind für diese Lernaufgabe befriedigend qualifiziert, sodass in der Entwicklung von Selbstvertrauen und Sozialverhalten die eigenständige Funktion der Sozialpädagogik liegt" (Hottelet 1988, S. 435). Vor allem im Sozialpädagogischen liegt also die erzieherische Wirkung der Jugendhilfe, der allerdings im SGB VIII kein eigenständiger Erziehungsauftrag neben Familie und Schule zugeschrieben wurde. Ferner sollten im Rahmen einer ganzheitlichen Erziehung Persönlichkeitsentfaltung, Individuation, Selbstverwirklichung, Eigenständigkeit, Leistungsorientierung und kreative Fähigkeiten gefördert werden. Die Heranwachsenden müssen zur kritischen Auseinandersetzung mit Wirtschaft, Staat und Gesellschaft geführt und befähigt werden, an deren Gestaltung mitzuwirken. In der heutigen Zeit muss die Jugendhilfe auch bei dem Umgang mit neuen Medien und bei der Suche nach identitätsfördernden Lebensentwürfen helfen.
(3) Das Konzept der Einheit von Jugendhilfe "ist begründet im besonderen Status von Kindheit und Jugend, im dezidiert nicht stigmatisierenden, normalisierenden Zusammenhang von Jugendpflege und Jugendfürsorge, im pädagogischen Handlungskonzept und in besonderen Ausbildungsgängen" (Achter Jugendbericht, S. 16). Jugendarbeit, Maßnahmen der Kinderbetreuung, Bildungsangebote u.Ä., die sich an alle Minderjährigen und Heranwachsenden richten und für welche die vorgenannten Zielsetzungen besonders prägend sind, dürfen nicht von Hilfsmaßnahmen für entwicklungsverzögerte, verhaltensauffällige oder psychisch gestörte Kinder und Jugendliche abgetrennt werden. Beim Kampf um knapper werdende Finanzmittel "besteht die Gefahr, dass Jugendhilfe zunehmend auf defizitausgleichende Arbeit und Ausfallbürge für gesellschaftliche Fehlentwicklungen reduziert und die allgemeine Förderung von Kindern und Jugendlichen durch Angebote der Kinder- und Jugendarbeit an Gewicht verliert" (Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe 1988, S. 1). So muss die gleichrangige Bedeutung beider Bereiche der Jugendhilfe herausgestellt werden.
(4) Bei allen ihren Angeboten muss die Jugendhilfe beachten, dass laut Grundgesetz (Art. 6 Abs. 2 GG, vgl. § 1 Abs. 2 SGB VIII) die Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und deren Pflicht sind. Ihre Rechte, die von ihnen bestimmte Grundrichtung der Erziehung und ihre Vorstellungen hinsichtlich der religiösen Erziehung sind zu beachten (§ 9 Nr. 1 SGB VIII). Die im SGB VIII genannten Hilfen zur Erziehung stehen Kindern und Jugendlichen also nicht als eigene Rechtsansprüche zu, sondern werden über die Personensorgeberechtigten vermittelt. Das Gesetz "verändert das seit Bestehen der Jugendhilfe existente Spannungsverhältnis zwischen dem Recht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder und der Eigenständigkeit des Erziehungsauftrags der Jugendhilfe zugunsten des Elternrechts und reduziert damit die Subjektstellung von Kindern und Jugendlichen im Jugendhilferecht" (Rupa 1990, S. 9). Die Eltern haben das Recht zu entscheiden, ob und welche Hilfen zur Erziehung sie in Anspruch nehmen bzw. ihren Kindern zukommen lassen wollen. Nur bei Kindeswohlgefährdung (§ 8a SGB VIII) kann der Staat gegen den Willen der Eltern eingreifen, um Gefahren für das körperliche, geistige oder seelische Wohl des jeweiligen Kindes oder Jugendlichen abzuwenden. Somit lassen sich Angebote der Jugendhilfe auch als "Hilfen für Familien" (Textor 1990, 1998) verstehen; in erster Linie soll die Erziehungsinstanz "Eltern" unterstützt werden. Die Jugendhilfe wird zum "Partner der Eltern"; Kinder und Jugendliche profitieren von ihren Angeboten zum Teil eher mittelbar. Allerdings haben Minderjährige auch das Recht, "sich in allen Angelegenheiten der Erziehung und Entwicklung an das Jugendamt zu wenden", und "Anspruch auf Beratung ohne Kenntnis des Personensorgeberechtigten, wenn die Beratung auf Grund einer Not- und Konfliktlage erforderlich ist" (§ 8 Abs. 2 und 3 SGB VIII). Zudem können sie das Jugendamt um Inobhutnahme bitten (§ 42 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII). Hierdurch und durch die unter (6) erwähnten Mitwirkungsrechte wird die mangelnde Verbesserung der faktischen Rechtsstellung von Kindern und Jugendlichen zum Teil wieder ausgeglichen.
(5) Minderjährige und Heranwachsende sollten als einzigartige Individuen betrachtet werden. Die Jugendhilfe muss sich an ihren Interessen und Bedürfnissen orientieren (Subjektorientierung). Es wird von ihr verlangt, "die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes oder des Jugendlichen zu selbständigem, verantwortungsbewusstem Handeln sowie die jeweiligen besonderen sozialen und kulturellen Bedürfnisse und Eigenarten junger Menschen und ihrer Familien zu berücksichtigen" (§ 9 Nr. 2 SGB VIII). Dies bedeutet beispielsweise auch, dass sich Fachkräfte aufgrund der zunehmenden Zahl ausländischer Minderjähriger und Heranwachsender Kenntnisse über deren soziale und materielle Situation, deren Sitten, Bräuche, Religionen, Regeln, Geschlechtsrollenleitbilder, Einstellungen usw. aneignen müssen.
(6) Aus den beiden vorgenannten Punkten folgt, dass Kinder, Jugendliche und ihre Familien an den sie betreffenden Maßnahmen der Jugendhilfe mitwirken dürfen; der Zusammenarbeit mit den Klienten kommt ein hoher Stellenwert zu (Partizipation; Demokratisierung statt Bevormundung). So haben Leistungsberechtigte beispielsweise "das Recht, zwischen Einrichtungen und Diensten verschiedener Träger zu wählen und Wünsche hinsichtlich der Gestaltung der Hilfe zu äußern" (§ 5 Satz 1 SGB VIII). Auch sollen Kinder und Jugendliche an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe entsprechend ihres Entwicklungsstandes beteiligt werden (§ 8 Abs. 1 SGB VIII) und an der Aufstellung eines Hilfeplans mitwirken (§ 36 Abs. 2 SGB VIII). Durch die Mitwirkungsrechte "wird den Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Jugendhilfe ein Status zugesprochen, der sie quasi in die Rolle von Partnern der Erwachsenen bringt" (Späth 1990, S. 25). Zugleich erlaubt dies eine an den Interessen der Minderjährigen orientierte Jugendhilfepraxis.
(7) Die Jugendhilfe sollte die Interessen und Bedürfnisse von Mädchen besonders berücksichtigen. So unterscheiden sich die Lebenslagen von männlichen und weiblichen Minderjährigen in vielerlei Hinsicht. So sind "die unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen und Jungen zu berücksichtigen, Benachteiligungen abzubauen und die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen zu fördern" (§ 9 Nr. 3 SGB VIII). Beider Geschlechter benötigen gemeinsame und geschlechtsdifferenzierte Angebote. So heißt es im Sechsten Jugendbericht (1984) z.B. bezüglich weiblicher Jugendlicher: "Mädchen brauchen Lebensräume, in denen sie Eigenständigkeit und Durchsetzungsvermögen entwickeln können. Sie brauchen Treffpunkte und Aktivitätsfelder in einer Umgebung und Atmosphäre, in der sie auch ohne Freund als vollwertig gelten" (S. 55).
(8) Eine besondere Bedeutung kommt der Prävention zu. Dies bedeutet zum einen die Schaffung entwicklungsfördernder Lebensbedingungen. Zum anderen sind Wege zu suchen, wie Entwicklungsverzögerungen, Verhaltensauffälligkeiten, psychische Probleme und Behinderungen frühestmöglich erkannt werden können, sodass "schwächere" Interventionen ausreichen. Im Rahmen eines Modellversuchs, der sich über zwei Landkreise des amerikanischen Bundesstaates Rhode Island erstreckt, wurde beispielsweise in den Krankenhäusern schon zum Zeitpunkt der Geburt eines Kindes eine Analyse der Lebenssituation der jeweiligen Familie vorgenommen. "Mit Hilfe von vorgegebenen Fragen und Skalen wird ermittelt, ob die Entwicklung des Säuglings durch endogene oder exogene (familiale) Faktoren gefährdet ist. Wird ein bestimmter Risikoindex erreicht, so wird die jeweilige Familie ein halbes Jahr später in ihrer Wohnung aufgesucht. Dann wird überprüft, wie sich das Kind entwickelt hat und ob negative Einflüsse von seiner Umwelt ausgehen. Auch hier werden wieder vorgegebene Fragen und Skalen eingesetzt. Ferner haben sich alle in diesen beiden Landkreisen frei praktizierenden oder an Krankenhäusern beschäftigten Kinderärzte verpflichtet, zusätzlich die allgemeine Entwicklung und die Familiensituation von Kleinkindern mit Hilfe bestimmter Skalen zu untersuchen, wenn diese ihnen aufgrund einer Erkrankung oder aus einem anderen Grunde vorgestellt werden. Auf solche Weise soll erreicht werden, dass Behinderungen, Entwicklungsverzögerungen und Verhaltensauffälligkeiten von Kleinst- und Kleinkindern, aber auch Kindesmisshandlung, sexueller Missbrauch, Vernachlässigung sowie Familienprobleme und -belastungen, frühzeitig erkannt" (Becker-Textor und Textor 1990, S. 16) und notwendige Hilfen angeboten werden können.
(9) Maßnahmen der Jugendhilfe sollten verhindern, dass verhaltensauffällige, psychisch gestörte, arbeitslose oder kriminelle Minderjährige und Heranwachsende ausgegrenzt und ausgesondert werden. Sie sollen zur Vermeidung von Stigmatisierungseffekten und Jugendhilfekarrieren beitragen. Eine besondere Bedeutung kommt der Integration von ausländischen und behinderten Kindern und Jugendlichen zu.
(10) Jugendhilfe muss sich am Alltag und an der Lebenswelt von Minderjährigen und Erwachsenen orientieren. Sie sollte ihre Vorstellungs-, Deutungs- und Bewältigungsmuster, die sozialen, räumlichen und zeitlichen Bezüge berücksichtigen. "Alltagsorientierung zielt auf die Zugänglichkeit von Hilfen, die Berücksichtigung der gegebenen sozialen Systeme und den Respekt vor der Ganzheitlichkeit des schwer überschaubaren In- und Nebeneinanders unterschiedlicher Lebenserfahrungen und -strategien" (Achter Jugendbericht, S. 17). Sie wird vor allem in der Gemeinwesenarbeit, der Straßensozialarbeit, der Sozialpädagogischen Familienhilfe und der mobilen Jugendarbeit deutlich. Lebensweltorientierung bedeutet also auch, dass Maßnahmen der Jugendhilfe in örtlicher Nähe zur Alltagswelt junger Menschen angeboten werden müssen: Dezentralisierung und Regionalisierung, die Verortung der Angebote in gewachsenen lokalen Strukturen, die Entwicklung regionaler Verbundsysteme sind nötig. So können auch leichter Zugangsbarrieren abgebaut werden. In diesem Zusammenhang muss auch auf die Notwendigkeit hingewiesen werden, die Jugendhilfe-Infrastruktur in ländlichen Gebieten auszuweiten.
(11) Die vielen Ziele der Jugendhilfe können nur durch ein differenziertes Leistungsangebot erreicht werden. Die große Zahl der im SGB VIII genannten und in Systemen außerhalb des Jugendhilfebereichs vorzufindenden Hilfsangebote lässt sich als Kontinuum darstellen. Dabei sind offene, ambulante, teilstationäre und stationäre Maßnahmen prinzipiell als gleichrangig anzusehen. Dieses gegliederte System von Angeboten ermöglicht eine bedarfsgerechte, flexible und auf den Einzelfall zugeschnittene Erziehungs- und Sozialisationshilfe. Dies setzt aber voraus, dass die Fachkräfte das Gesamtsystem überblicken und alle geeigneten Maßnahmen vermitteln können (s.o.). Auch müssen die teilweise noch recht großen Unterschiede zwischen den einzelnen Jugendämtern im Leistungsangebot, in der Leistungskraft und in der Qualität der Arbeit (Kreft 1991) abgebaut werden, sodass Klienten in verschiedenen Institutionen gleichartig behandelt werden. Zudem ist das differenzierte Hilfsangebot durch Öffentlichkeitsarbeit besser bekannt zu machen. Vor allem Kinder und Jugendliche, die sich ja in allen Angelegenheiten der Erziehung und Entwicklung von sich aus an das Jugendamt wenden können (§ 8 Abs. 2 SGB VIII), benötigen Informationen über ihre Rechte sowie über die Einrichtungen, Aufgaben und Leistungen der Jugendhilfe, da sie sonst von dieser Möglichkeit nicht genug Gebrauch machen werden.
(12) Der Jugendhilfebereich ist durch die Vielzahl von öffentlichen und freien Trägern, von Selbsthilfegruppen und Initiativen gekennzeichnet, die unterschiedlichen Wertorientierungen und Zielsetzungen folgen (§ 3 Abs. 1 SGB VIII). Diese Pluralität entspricht der freiheitlich demokratischen Grundordnung und sichert das Wahlrecht der Hilfesuchenden. Sie verhindert Verkrustungen und fördert Kreativität und Innovation. Deshalb ist sie im Sinne des Subsidiaritätsprinzips zu fördern (§ 4 Abs. 3 SGB VIII). Den bereits erwähnten Gefahren ist durch Förderung der partnerschaftlichen Zusammenarbeit der Träger und ihrer Einrichtungen, durch Vernetzung und die Schaffung von Verbundsystemen zu begegnen.
(13) "Ehrenamtliches Engagement ist nach wie vor ein wichtiges Element der Jugendhilfe. Die Strukturen ehrenamtlicher Arbeit verändern sich jedoch: Ehrenamtliche verstehen sich als Experten, die eigenverantwortlich Aufgaben übernehmen" (Achter Jugendbericht, S. 23). Im Jugendhilfebereich ist mehr als bisher danach zu fragen, welche Aufgaben im Rahmen der im SGB VIII genannten Maßnahmen von Ehrenamtlichen übernommen werden können. Auch ist die Anwerbung dieser Mitarbeiter/innen zu intensivieren - was freien Trägern, Initiativen und Selbsthilfegruppen leichter fallen dürfte als kommunalen Einrichtungen. Die auf diese Weise zu erreichende größere Kostengünstigkeit von Maßnahmen freier Träger kann deren Vorrang beim Erbringen von Leistungen (§ 4 Abs. 2 SGB VIII) begründen.
(14) Im Bereich der Jugendhilfe wurde in den letzten Jahrzehnten ein hohes Maß an Verfachlichung und Professionalität erreicht. Es dürfte jedoch immer noch nicht für die Vielfalt der Aufgaben ausreichend sein - insbesondere wenn man z.B. bedenkt, dass 1988 noch mehr als die Hälfte der Jugendamtsleiter ausschließlich eine Verwaltungsausbildung besaßen (Kreft 1991). So wären z.B. die Erweiterung des Orientierungswissens sowie die Entwicklung und Verbreitung integrativer Theorien zu forcieren. Die Fachkräfte sollten Basiskompetenzen mit speziellen beruflichen und persönlichen Kompetenzen kombinieren und zur multiprofessionellen Zusammenarbeit bereit sein. Auch ist generell die wissenschaftliche Grundlegung der Jugendhilfe voranzutreiben. Da es an Universitäten kaum Lehrstühle für Sozialpädagogik gibt und Professoren an Fachhochschulen durch ihre sehr hohen Lehrverpflichtungen ausgelastet sind, mangelt es an Forschungsergebnissen über die verschiedenen Bereiche und Maßnahmen der Jugendhilfe. Auch fehlt es an wissenschaftlich begründeten Theorieansätzen und Handlungsmodellen.
Die Zukunft der Jugendhilfe - und damit auch des SGB VIII - hängt also m.E. entscheidend davon ab, wie der "äußeren" Vielfalt an Einrichtungen und Maßnahmen sowie der "inneren" Vielfalt an Erklärungs- und Handlungsmustern begegnet wird. Nur wenn Abgrenzungstendenzen, das Beharren auf Zuständigkeitsbereichen und das Streben nach Bestandswahrung überwunden, also Kooperation, Koordination und Vernetzung realisiert werden, kann das Wohl von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden bestmöglich geschützt und gefördert werden. Nur wenn umfassende, den individuellen Menschen in seiner Komplexität und die Umwelt in ihrer Vielschichtigkeit umgreifende integrative Theorien entwickelt werden, sind eine allseitige sozialpädagogische Förderung von Minderjährigen und jungen Erwachsenen, die Erfassung aller Ursachen ihrer Probleme und die Auswahl der im Einzelfall geeigneten Erziehungshilfe, therapeutischen Maßnahme, ärztlichen Behandlungsmethode usw. möglich. Die erwähnten Prinzipien der Jugendhilfe sollten immer beachtet werden.
Quelle
Bei diesem Artikel handelt es sich um eine überarbeitete Fassung des Kapitels "Koordination und Integration. Prinzipien moderner Jugendhilfe" in dem Sammelband "Praxis der Kinder- und Jugendhilfe. Handbuch für die sozialpädagogische Anwendung des KJHG" (1995, S. 227-246), herausgegeben von Martin R. Textor. Mit freundl. Genehmigung durch den Beltz Verlag, Weinheim. Einbezogen wurden auch Abschnitte aus dem Kapitel "Konzeption für die Vernetzung von Kindertageseinrichtungen und psychosozialen Diensten" in dem Abschlussbericht "Vernetzung von Kindertageseinrichtungen mit psychosozialen Diensten" (2000, S. 6-15; Redaktion Martin R. Textor), erschienen als Bericht 9/2000 im Staatsinstitut für Frühpädagogik, München.
Literatur
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