Lew Wygotski - der ko-konstruktive Ansatz

Martin R. Textor 

 

Erst in den beiden letzten Jahrzehnten wurde in den USA die Bedeutung der Theorien von Lew Wygotski und seiner Schüler/innen für Psychologie, Schulpädagogik, Sonderpädagogik und (ganz zuletzt) Frühpädagogik entdeckt - obwohl diese Theorien in den ersten Jahrzehnten der Sowjetunion weit verbreitet waren und nach einer Phase der Unterdrückung während des Stalinismus dort und in anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks ab etwa 1956 eine große Renaissance erlebten. Nun zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung wie in den USA auch in der Bundesrepublik Deutschland ab, wobei meines Wissens in diesem Kapitel erstmalig (zumindest in den alten Bundesländern) die für Kindertageseinrichtungen relevanten Aussagen in deutscher Sprache zusammengefasst werden. Dabei werden Erweiterungen und Ergänzungen durch heutige Vertreter/innen dieses Ansatzes mit berücksichtigt.

Die intensiven Diskussionen, die durch die Rezeption der Theorien Wygotskis in der amerikanischen Frühpädagogik hervorgerufen wurden, lassen sich mit den fundamentalen Unterschieden zur herrschenden Meinung erklären - Divergenzen von einem so großen Ausmaß, dass z.B. File (1995) von einem neuen Paradigma des Lernens und Lehrens (d.h. Erziehens in Kindertagesstätten) spricht. Einige zentrale Gegensätze zu anderen in den USA weit verbreiteten frühpädagogischen Theorien lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Während in den vorherrschenden Theorien das Kind als Individuum im Mittelpunkt der Betrachtung steht, bezieht Wygotski immer den sozialen und kulturellen Kontext in die Analyse ein ("soziokultureller Ansatz").
  • Dementsprechend betont die eine Seite die Selbstentfaltung, die eigenständige und von seinem Inneren her bestimmte Entwicklung des Kindes, während die andere Seite in der ontogenetischen Entwicklung das gemeinsame Werk des jeweiligen Kindes, von Erwachsenen und anderen Kindern sieht, mitgeprägt durch die Kultur.
  • So gehen die vorherrschenden Theorien davon aus, dass das Kind psychische Strukturen und Inhalte wie Konzepte, Wissen, Denkweisen usw. durch Reifung entwickelt, durch Lernen eigenständig erwirbt und/oder selbsttätig kreiert. Wygotski und seine Anhänger vertreten hingegen die Auffassung, dass nahezu alle psychischen Strukturen und kognitiven Fähigkeiten auf soziale Phänomene zurückgehen, ursprünglich in Interaktionen mit anderen (kompetenteren) Personen auftraten und dann von dem jeweiligen Kind internalisiert wurden.
  • Während die eine Seite von Erzieher/innen oder Lehrer/innen erwartet, dass sie die Selbstentfaltung des Kindes, die durch sein Inneres bestimmte "natürliche" Entwicklung und sein selbsttätiges Lernen begleiten und unterstützen, spricht die andere Seite pädagogischen Fachkräften eine aktivere und führende Rolle zu: In der Interaktion mit dem Kind und durch ausgewählte Aktivitäten bzw. Aufgaben werden ihm kulturelle Inhalte, Denkweisen etc. vermittelt und sein Lernen (gezielt) gefördert. Anleitung und Unterricht gehen der Weiterentwicklung von Kindern voraus.

Der zuletzt genannten Auffassung Wygotskis wird heute auch deswegen besondere Aufmerksamkeit gezollt, weil eine immer noch zunehmende Zahl neuerer Untersuchungen über die Qualität von Kindertageseinrichtungen der Intensität der Erzieherin-Kind-Interaktion und deren Informationsgehalt eine große Bedeutung zuspricht (vgl. Textor 1996a, b).

Biographie

Lew Semjonowitsch Wygotski wurde am 05.11.1896 in Orsha geboren und wuchs in Gomel auf. Seine Eltern waren Juden. Sie gehörten der Mittelschicht an und waren sehr gebildet. Ihr Sohn wurde zunächst von einem Privatlehrer erzogen und besuchte anschließend ein Gymnasium. Er zeigte schon früh ein großes Interesse an Theater, Dichtkunst und Philosophie (insbesondere an Spinoza, Hegel und Marx). Dieses spiegelte sich dann auch in seinen Studien wider: Parallel zu seinem Studium der Medizin (auf Wunsch seiner Eltern, jedoch nur kurzzeitig) und der Rechtswissenschaft an der Universität von Moskau belegte er Geschichte, Philosophie, Psychologie und Literatur an der inoffiziellen Shaniavsky Volksuniversität. Im Jahre 1917 schloss er seine Studien an beiden Hochschulen ab und kehrte nach Gomel zurück, wo er als Lehrer an verschiedenen Schulen arbeitete. Er gehörte nach kurzer Zeit zur intellektuellen Avantgarde, wobei er sich besonders intensiv mit schöngeistiger Literatur befasste.

Während seiner Tätigkeit als Lehrer nahm Wygotskis Interesse an der Psychologie immer mehr zu. Dies führte dazu, dass er schließlich ein psychologisches Laboratorium am Pädagogischen Institut in Gomel gründete und dort mehrere Untersuchungen mit Klein- und Schulkindern durchführte. Im Jahre 1924 hielt Wygotski eine hervorragende Rede beim Zweiten Psychoneurologischen Kongress in Leningrad. Er wurde daraufhin von Kornilov, Direktor des Instituts für Psychologie in Moskau, als wissenschaftlicher Mitarbeiter eingestellt. In den folgenden Jahren übte er - zumeist gleichzeitig - verschiedene Tätigkeiten aus: Direktor eines psychologischen Laboratoriums, Dozent, Professor bzw. Dekan an der Universität Moskau, der Krupskaya Akademie für kommunistische Erziehung, des Psychoneurologischen Instituts der Ukraine in Kharkov, am Herzen Pädagogischen Institut in Leningrad usw. Er starb am 11.06.1934 in Moskau, kurz nachdem er Direktor der Psychologischen Sektion des Nationalen Instituts für Experimentelle Medizin geworden war.

Obwohl er keine formalen Qualifikationen auf dem Gebiet der Psychologie erworben hatte, wurde Wygotski zu einem der einflussreichsten Psychologen seiner Zeit. Bei seinen Studien berücksichtigte er die Werke bekannter Kollegen aus dem Ausland - da er acht Sprachen beherrschte, konnte er sie im Original lesen; viele Publikationen übersetzte er auch ins Russische. Unter Bezugnahme auf diese Werke, in Orientierung an der marxistisch-leninistischen Philosophie und aufgrund vieler eigener Untersuchungen (und solcher seiner Schüler/innen und Mitarbeiter/innen) wurde Wygotski Mitbegründer einer marxistischen Psychologie. Gleichzeitig suchte er nach Lösungen für soziale Probleme, welche die Anfangsjahre der Sowjetunion und die Zeit um den Ersten Weltkrieg herum kennzeichneten - die hohe Quote der Analphabeten, die vielen vernachlässigten (und verwaisten) Kinder, die unzureichende Förderung blinder, tauber und geistig behinderter Kinder usw. So wurde er zum "Vater der Psychopathologie und Sonderpädagogik" in der Sowjetunion (Berk/ Winsler 1995). Obwohl Wygotski noch nicht einmal 40 Jahre alt wurde, veröffentlichte er mehr als 180 Bücher und Artikel sowie beeinflusste aufgrund seiner intensiven Kontakte zu Kolleg/innen viele andere Publikationen. Zusammen mit Leontiev und Luria wurde er zum Begründer einer neuen "Schule" der Psychologie, der "Soziokulturellen Theorie". Trotz seiner Orientierung am Marxismus-Leninismus wurden seine Lehren unter Stalin verboten. Erst Mitte der 50er Jahre wurden sie wieder zugelassen; viele seiner Werke wurden nachgedruckt und in andere Sprachen übersetzt.

Entwicklung von Denken und Sprechen

Laut Wygotski (1987) umfasst die Entwicklung des Kindes zum einen relativ stabile Perioden, in denen Veränderungen allmählich und eher unauffällig erfolgen. Zum anderen gibt es voraussagbare Entwicklungskrisen, die durch das Zusammenkommen vieler Neubildungen gegen Ende einer Phase hervorgerufen werden und etwa ein Jahr lang dauern. Diese Krisen führen "auf revolutionärem Wege" zu einschneidenden und enormen Wandlungen in der Persönlichkeit und dem Bewusstsein des Kindes. Sie lassen es in Konflikt mit seiner sozialen Umwelt geraten; in dieser Zeit gilt es oft als schwer erziehbar. Die Entwicklungskrisen lassen sich auch als Übergänge von einer Entwicklungsphase zur nächsten verstehen: Beispielsweise markiert die Krise des Dreijährigen den Übergang vom Kleinkind zum Vorschulkind und die Krise des Siebenjährigen die Transition vom Vorschul- zum Schulalter. Wygotski (a.a.O.) fasst zusammen: "Wie wir sehen, führen die im Ergebnis der altersspezifischen Entwicklung gegen Ende der jeweiligen Altersstufe entstandenen Neubildungen zu einer Umgestaltung der gesamten Bewusstseinsstruktur des Kindes und verändern damit das gesamte System seiner Beziehungen zur äußeren Realität und zu sich selbst. Das Kind wird gegen Ende der jeweiligen Altersperiode ein ganz anderes Wesen..." (S. 77).

Besonders interessierte sich Wygotski (1971) für die Entwicklung des Sprechens und Denkens bei Kindern. Seiner Auffassung nach eignet sich das (Klein-)Kind in der Interaktion mit Erwachsenen und anderen (älteren) Kindern die Kultur seiner Gesellschaft an - die Sprache, Zahlen und Zählweisen, Schriftzeichen, Symbole, Wissensbestände, Werte, Denkweisen, Problemlösungsstrategien usw. Durch die in sozialen Beziehungen erfolgende "Interiorisation" solcher Inhalte bzw. durch deren "Internalisierung" in das kindliche Bewusstsein wird die psychische Aktivität angeregt, werden kognitive Strukturen und Prozesse ausgebildet. Das Kind kann also letztlich nur dadurch zu einem denkenden Wesen werden, indem es sich in der Interaktion mit kompetenteren Personen die "Werkzeuge" des Denkens (insbesondere Sprache, Gedächtnisinhalte und Denkweisen) aneignet und sie dann solange selbst ausprobiert, bis es sie schließlich selbständig und effektiv anwenden kann. Dies ist jedoch kein einseitiger Prozess, bei dem das Kind nur aufnimmt. Vielmehr ist seine kognitive Entwicklung eine "gemeinsame Konstruktion" des Kindes und seiner sozialen Welt, werden kulturelle Wissensbestände rekonstruiert sowie auf aktive und kreative Weise transformiert (ko-konstruktivistische Perspektive).

Eine zentrale Aussage der Soziokulturellen Theorie ist somit, dass höhere geistige Funktionen wohl auf angeborenen und sich entwickelnden Anlagen (Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit usw.) im Kind aufbauen, aber zuerst auf interpersonaler Ebene auftreten und anschließend durch Internalisation auf die intrapersonale Ebene überführt werden. Dadurch werden zugleich "niedrigere" kognitive Prozesse radikal verändert oder ersetzt, kommt es zu einem qualitativen "Sprung" in der Entwicklung des Kindes. Das heißt also, dass die soziale Dimension des Bewusstseins und Denkens primär, die individuelle Dimension hingegen sekundär (bzw. abgeleitet) ist. Oder wie Wygotski schreibt: "Jede höhere geistige Funktion durchläuft notwendigerweise eine externe Phase in ihrer Entwicklung, weil sie ursprünglich eine soziale Funktion ist" (zitiert nach Blanck 1990, S. 47). Zugleich werden Aspekte des kulturellen Erbes der jeweiligen Gesellschaft internalisiert und zu Bestandteilen der geistigen Aktivität gemacht. Das heißt aber auch, dass die Gedächtnisinhalte, Gedanken, Emotionen, Verhaltensweisen usw. des Kindes durch den kulturellen und historischen Kontext geprägt sind.

Deutlich wird hier die große Bedeutung, die Wygotski der Sprache zuweist. Zum einen ermöglicht diese die Kommunikation zwischen kompetenteren Personen und dem Kind - und damit dessen Enkulturation. Zum anderen setzen höhere Formen des Denkens die Sprachbeherrschung voraus. Für Wygotski "entspringen Sprache und Denken phylogenetisch und ontogenetisch verschiedenen Wurzeln und entwickeln sich zunächst unabhängig voneinander. Bis etwa zum Alter von zwei Jahren durchläuft das Kind ein vorsprachliches Stadium in der Entwicklung des Denkens und ein vorintellektuelles Stadium in der Entwicklung der Sprache. Dann erfolgt eine Verbindung der beiden Entwicklungslinien (Konvergenzhypothese). Die Folge ist: Die Sprache wird intellektuell, das Denken wird versprachlicht. Sprache und Denken beeinflussen sich nun wechselseitig" (Trautner 1991, S. 299). Mit Entdecken der Symbolfunktion der Sprache wird das Denken zum "inneren Sprechen" - wobei viele Kinder noch ein Zwischenstadium durchlaufen, in dem sie zu sich selbst sprechen, also ihr Denken "öffentlich" verbalisieren.

Das heißt, dass sich Kinder zuerst Wörter als Bezeichnungen für bestimmte Objekte und Tätigkeiten aneignen. Im Kleinkindalter, wenn laut Wygotski (1987) das Gedächtnis zum Zentrum des Bewusstseins wird (bei jüngeren Kindern ist dies die Wahrnehmung), beginnen Kinder aufgrund ihrer unmittelbaren Erfahrungen und äußerer Anstöße, diese Worte auf Vergleichbares zu generalisieren. Sie fangen an, in allgemeinen Vorstellungen zu denken, wobei ihre Konzepte aber noch "spontan" und unsystematisch sind - manchmal auch schlichtweg falsch. Erst später erkennen sie die symbolische Funktion von Begriffen, deren verschiedene Bedeutungen und Sinngehalte. Dies geschieht vor allem in der Interaktion mit kompetenteren Menschen während gemeinsamer Aktivitäten, in der das Kind sein Verständnis von einem Begriff immer mehr an die Bedeutungen anpasst, die demselben von den anderen Personen zugeschrieben werden. Insbesondere in der Schule werden dann die "spontanen" Konzepte immer mehr durch wissenschaftlich definierte Begriffe für Klassen von Phänomenen ersetzt, die von Lehrer/innen vermittelt und zumeist bewusst erlernt werden.

Mit zunehmender Sprachbeherrschung bzw. Versprachlichung des Denkens kann sich das Kind auch immer besser selbst steuern. Im Kleinstkindalter wurde sein Verhalten durch von innen oder außen kommende Stimuli unmittelbar bedingt und insbesondere von Erwachsenen kontrolliert. Mit dem Spracherwerb werden ihm dann in der Interaktion andere Verhaltensregeln vermittelt, die normalerweise der in der jeweiligen Gesellschaft vorherrschenden Moral entsprechen. Das Kind lernt später im Gespräch und aus eigener Erfahrung, diese Regeln auf andere Situationen zu verallgemeinern. Es erkennt immer besser deren unterschiedliche Bedeutungen, die zunehmend denjenigen der Erwachsenen entsprechen. Dank des "inneren Sprechens" bzw. Denkens kann das Kind aber schließlich selbst sein Handeln steuern und regulieren. Beispielsweise kann es planen, was es als Nächstes machen will, welche Aktivitäten es mit anderen unternehmen möchte, wie ein Problem gelöst werden könnte, wie es sich in bisher unbekannten Situationen verhalten soll usw. "Das Kind erlangt die Fähigkeit, eine Idee darzustellen, vom Gedanken zur Situation und nicht wie bisher von der Situation zum Gedanken zu gelangen" (Wygotski 1987, S. 264). Es kann nun selbst Richtlinien und Prinzipien für sein Verhalten aufstellen und seine eigene Moral entwickeln, wobei es aber auf den von Erwachsenen oder älteren Kindern übernommenen Regeln und Normen aufbaut.

Die Bedeutung des Spiels

Im Vorschulalter ist das Spiel die vorherrschende Aktivität bei Kindern - und die für ihre Entwicklung wichtigste. So werden im Spiel höhere psychische Funktionen wie Denken, Abstrahieren, Erinnern und Kreativität ausgebildet. Wygotski analysierte in dieser Hinsicht vor allem das Rollenspiel: Hier gelingt es dem Kind zuerst, sein Denken vom unmittelbaren externen Kontext zu lösen und auf eine neue Ebene zu heben. Es zertrennt die ursprünglich sehr enge Verbindung zwischen Wahrnehmung und Wort, zwischen Objekt bzw. Handlung und Bedeutung, wenn es im Rollenspiel z.B. aus einem Holzstück eine Puppe oder aus einem Stock ein Pferd macht. Auf diese Weise entwickelt das Kind eine Vorstellungswelt, die von Bedeutungen dominiert ist. Seine Handlungen und Aktivitäten werden nicht mehr von äußeren Stimuli bestimmt, sondern zunehmend von seinen Ideen, Vorstellungen und Gedanken. Dadurch wird der Weg zum abstrakten Denken bereitet, das auf der Verwendung von Symbolen beruht. Zugleich wird die Fantasie des Kindes gefördert - zum einen in Richtung von Fantasien als Form des "inneren Sprechens", zum anderen in Richtung auf Kreativität.

Das Rollenspiel ist aber auch noch aus einem anderen Grund sehr wichtig: Während der Säugling bzw. das Kleinstkind nach sofortiger und unmittelbarer Befriedigung seiner Bedürfnisse strebt, ist dieser Weg dem Kleinkind häufig versperrt - insbesondere in der Kindergartengruppe mit vielen anderen Kindern. Im Rollenspiel kann es aber viele seiner Wünsche und Bestrebungen mit Hilfe der Fantasie ausleben: Es kann so groß wie ein Erwachsener oder so stark wie ein Riese sein, es kann ein Auto fahren oder einen Revolver besitzen. Das Kleinkind kann aber im Rollenspiel seine Impulse nicht einfach ausleben - deren Befriedigung hängt von der Mitwirkung anderer Kinder ab. So muss es zum einen Selbstkontrolle lernen sowie zum anderen bestimmte Regeln akzeptieren und diese freiwillig befolgen. Das Kind erfährt dabei, dass die eigene Befriedigung durch die "Zusammenarbeit" mit anderen bei von Verhaltensregeln geprägten Aktivitäten vergrößert werden kann. Durch das Erlernen dieser Normen, ihre Generalisierung auf verschiedene Situationen, das Erkennen ihres Zusammenhangs und der von ihnen belassenen Spielräume wird zugleich seine kognitive Entwicklung gefördert. Außerdem eignet es sich Verhaltensweisen an, die nicht seinem Alter und seiner Position in der Gesellschaft entsprechen: Im Rollenspiel ist das Kind zumeist erwachsen, zeigt ein für ältere Menschen typisches Verhalten - es ist seiner Entwicklung voraus.

Die im Rollenspiel erlernten Regeln beziehen sich nur zum Teil auf das Zusammenwirken der Kinder. Viel wichtiger ist, dass wohl die meisten die Ausgestaltung von Rollen (der "Mutter", des "Autofahrers", des "Cowboys") betreffen. Das bedeutet, dass sich Kinder im Rollenspiel bewusst werden, welche Erwartungen, Normen, Funktionen usw. die jeweilige Rolle prägen: "Was unbeachtet vom Kind im wirklichen Leben passiert, wird zu einer Verhaltensregel im Spiel" (Wygotski, zitiert nach Nicolopoulou 1991, S. 136). Das Kind internalisiert somit soziale Rollen, Normen und Leitbilder. Hier wird deutlich, dass das Rollenspiel eine durch den soziokulturellen Kontext geprägte Aktivität ist - diesem Kontext entnehmen die Kinder die Themen, Rollen, Regeln und Spielinhalte (übrigens auch, wenn sie alleine für sich spielen). So wird im Rollenspiel deutlich, wie groß schon das Verständnis der Kinder von der sie umgebenden Welt ist, wie gut sie soziale Rollen und deren Leitbilder kennen, wie weit ihre Enkulturation bereits fortgeschritten ist.

Die Zone der nächsten Entwicklung

Sprache, Denkweisen, Problemlösungsstrategien, (Rollen-)Spiele usw. werden vom Kind nicht von selbst gelernt, sondern in der Interaktion mit Erwachsenen oder kompetenteren Kindern - also unter Anleitung. Diese Personen übernehmen beispielsweise beim Rollenspiel abwechselnd alle Rollen und machen diese dem Kleinkind vor. Erst allmählich wird dieses zum aktiven Teilnehmer am Spiel und eignet sich über einen längeren Zeitraum nach und nach mehr Aspekte einer Rolle anhand des Vorbilds der anderen und unter deren Einfluss an, bis es schließlich ein guter "Rollenspieler" ist. Wygotski (1987) fasst zusammen: "Wie wir also sehen, vermag das Kind durch Nachahmung auf geistigem Gebiet stets mehr zu erreichen als das, wozu es selbständig handelnd in der Lage ist. Gleichzeitig sehen wir jedoch auch, dass seine Möglichkeiten zur geistigen Nachahmung nicht unbegrenzt sind, sondern sich streng gesetzmäßig, dem Verlauf seiner geistigen Entwicklung entsprechend, ändern. Somit gibt es beim Kind auf jeder Altersstufe eine bestimmte Zone der geistigen Nachahmung, die mit seinem realen Entwicklungsniveau zusammenhängt" (S. 82).

Egal ob beim Rollenspiel, beim Spracherwerb, beim Lösen von Problemen oder Erlernen neuer Fertigkeiten - das Kind profitiert am meisten von der Anleitung und Unterstützung durch kompetentere Personen, wenn diese in die "Zone der nächsten Entwicklung" intervenieren. Wygotski (1987) kam zu diesem Konzept in der Auseinandersetzung mit der Entwicklungsdiagnostik. Er kritisierte, dass durch Tests nur abgeschlossene Entwicklungen erfasst werden können. Für Pädagog/innen und Psycholog/innen wäre es aber viel wichtiger, die im Reifungsstadium befindlichen Fähigkeiten zu ermitteln, da diese dann gezielt beeinflusst und gefördert werden könnten. Dieser Bereich der noch nicht ausgereiften, jedoch reifenden Prozesse, der nur in der Beschäftigung mit dem Kind zutage tritt, wurde von Wygotski als "Zone der nächsten Entwicklung" bezeichnet - als potentielles Entwicklungsniveau im Gegensatz zum aktuellen Niveau. Er schreibt: "Was das Kind heute in Zusammenarbeit und unter Anleitung vollbringt, wird es morgen selbständig ausführen können. Und das bedeutet: Indem wir die Möglichkeiten eines Kindes in der Zusammenarbeit ermitteln, bestimmen wir das Gebiet der reifenden geistigen Funktionen, die im allernächsten Entwicklungsstadium sicherlich Früchte tragen und folglich zum realen geistigen Entwicklungsniveau des Kindes werden. Wenn wir also untersuchen, wozu das Kind selbständig fähig ist, untersuchen wir den gestrigen Tag. Erkunden wir jedoch, was das Kind in Zusammenarbeit zu leisten vermag, dann ermitteln wir damit seine morgige Entwicklung" (a.a.O., S. 83). Nur wenn man das aktuelle und das potentielle Entwicklungsstadium erfasst, bekommt man einen umfassenden Eindruck von den Fähigkeiten und Kompetenzen des jeweiligen Kindes.

An dieser Stelle wird erneut offensichtlich, wie wichtig die Interaktion zwischen dem Kind und anderen Menschen ist. Wenn Erwachsene oder kompetentere Kinder das Kind in der Zone der nächsten Entwicklung anleiten und fördern, kann dieses durch Nachahmung - als einsichtige, auf Verstehen beruhende Tätigkeit - die im Reifungsprozess befindlichen Fähigkeiten ausbilden und seine bisherigen Grenzen überschreiten. Wygotski (1987) bringt folgendes Beispiel: "Wir zeigen einem Kind, wie die Aufgabe gelöst wird, und stellen fest, ob es imstande ist, sie durch Nachahmen des Gezeigten zu lösen. Oder wir beginnen eine Aufgabe zu lösen und überlassen es dem Kind, das Begonnene zu Ende zu führen. Oder wir fordern das Kind auf, eine Aufgabe, die über die Grenzen seiner geistigen Entwicklung hinausgeht, in Zusammenarbeit mit einem anderen, weiter entwickelten Kind zu lösen. Oder, schließlich, wir erklären dem Kind das Lösungsprinzip einer Aufgabe, stellen hinführende Fragen, gliedern die Aufgabe auf und ähnliches mehr" (S. 84).

Für Eltern, Erzieher/innen und Lehrer/innen bedeutet dies, dass erzieherische und bildende Maßnahmen nur sinnvoll und Erfolg versprechend sind, wenn sie in die Zone der nächsten Entwicklung des jeweiligen Kindes fallen - liegen sie auf dem aktuellen Entwicklungsniveau, lernt das Kind nichts hinzu, liegen sie oberhalb der Zone der nächsten Entwicklung, ist das Kind überfordert und frustriert. Eine gute Erziehung, Anleitung und Bildung sind also immer der kindlichen Entwicklung ein wenig voraus. So wird das Kind herausgefordert, ist es motiviert zu lernen.

Der Erwachsene zeigt dem Kind zunächst, wie eine Aufgabe zu lösen oder eine Tätigkeit auszuüben ist. Dazu muss oft zuerst "Intersubjektivität" hergestellt werden; das heißt, beide Seiten müssen hinsichtlich der Bedeutung von Wörtern und der Definition von Situationen, Zielen, Aufgaben und Problemen übereinstimmen, um überhaupt miteinander sachgerecht kommunizieren zu können. Zumeist muss sich hier das Kind den Auffassungen und Perspektiven der Erwachsenen anpassen (manchmal ändern auch Letztere ihre Definitionen, allerdings in der Regel nur zeitweise, um dem Kind das Verstehen zu erleichtern). Die ersten, auf Nachahmung beruhenden Versuche des Kindes, die jeweilige Aufgabe zu bewältigen, werden zunächst noch unvollkommen sein, sodass es eine zusätzliche Anleitung und Ermutigung benötigt. Seine Fragen haben hier eine gewisse Signalfunktion, da sie verdeutlichen, wie viel Hilfe noch notwendig ist und von welcher Art sie sein sollte (z.B. vormachen, Strategiehinweise geben, nachfragen, ermutigen, Aufmerksamkeit schenken). Mit der Zeit beherrscht das Kind aber mehr und mehr Aspekte der jeweiligen Aktivität, da es höhere geistige Funktionen ausgebildet hat oder neue Kompetenzen aufgrund der intensiven Stimulierung ausgereift sind. Dann braucht es vielleicht nur noch etwas Unterstützung beim Generalisieren, wenn es mit ähnlichen Aufgaben und Aktivitäten konfrontiert wird. Meadows (1993) fasst zusammen: "Zu Beginn des Lernzyklus ist die Unterstützung ausgedehnt, explizit und häufig, wie wenn das Kind durch eine enge Abfolge kleiner Arbeitsschritte geführt wird. Später wird die Hilfe dann kürzer, weniger ausdrücklich und seltener sein ... Die optimale Anleitung passt sich den Erfolgen und Misserfolgen des Lernenden an" (S. 249).

Durch pädagogische Maßnahmen in der Zone der nächsten Entwicklung wird also das Kind am besten gefördert, lernt es am ehesten, sein Verhalten zunehmend selbst zu steuern und zu verantworten. Dies gilt auch für die Sozialentwicklung des Kindes. So kann eine Erzieherin diese z.B. dadurch fördern, dass sie fehlende soziale Fertigkeiten vormacht, Beispiele für strategische Verhaltensweisen gibt ("du könntest Peter sagen, dass jetzt du an der Reihe bist"), auf Kommunikationsstörungen hinweist ("Annette hat dich nicht gehört") usw. Ferner kann die Erzieherin die Gruppenzusammensetzung nutzen, um die Entwicklung einzelner Kinder zu fördern. So ermöglicht die Altersmischung, dass kompetentere (ältere) Kinder - wie bereits mehrfach erwähnt - das jeweilige Kind in seiner Zone der nächsten Entwicklung anleiten und unterstützen. Da Kleinkinder jedoch noch nicht besonders fähig in dieser Hinsicht sind, muss die Erzieherin hier immer wieder eingreifen und die Interaktionen in die richtige Richtung lenken.

Rolle der pädagogischen Fachkraft

Für Wygotski spielen Erzieher/innen und Lehrer/innen eine weitaus größere Rolle hinsichtlich der Erziehung und Bildung von (Klein-)Kindern als in anderen frühpädagogischen Ansätzen. Sie haben einen sehr großen Einfluss auf die Entwicklung von Kindern, wenn sie alle Chancen nutzen, deren Lernen zu stimulieren und zu fördern.

Da der pädagogischen Arbeit in der Zone der nächsten Entwicklung eine so große Bedeutung beigemessen wird, müssen die Fachkräfte zum einen die einzelnen Kinder sehr gut kennen - deren Kenntnisse, Fähigkeiten, Einstellungen, Werte, Interessen usw. Sie sollen sich durch Beobachtung ein umfassendes Bild von jedem Individuum erarbeiten, von seinem Entwicklungsstand und -fortschritt. Zum anderen müssen sie sich intensiv mit den einzelnen Kindern oder Kleingruppen beschäftigen. Da Kinder nur mit Hilfe von Anleitung und Unterweisung in der jeweiligen Zone der nächsten Entwicklung vorankommen, spielen Interaktionen zwischen ihnen und den Fachkräften, gezielte Beschäftigungen und Aktivitäten sowie (in der Schule) der Unterricht eine große Rolle. Nur auf solche Weise kann die Enkulturation gelingen, können sich Kinder am besten die "Werkzeuge" des Denkens ihrer Kultur aneignen, werden sie sich zügig geistig weiterentwickeln. Für Wygotski heißt die Reihenfolge nicht "kindliche Entwicklung - selbsttätiges Lernen - Unterstützung durch Erzieher/innen", sondern vielmehr "Erziehung und Bildung durch Fachkräfte in der Zone der nächsten Entwicklung - neues Lernen - Weiterentwicklung des Kindes".

Erzieher/innen und Lehrer/innen übernehmen somit verschiedene Rollen:

  • Beobachter und Bewerter: Die Fachkräfte beurteilen anhand regelmäßiger Beobachtungen die Entwicklung der Kinder und machen die Zonen der nächsten Entwicklung in den verschiedenen Entwicklungsbereichen ausfindig. Beobachtung und Bewertung stehen in einer dynamischen Wechselbeziehung zu Erziehung und Bildung.
  • Aktivitäten- und Umweltgestalter: Entsprechend der ermittelten Zonen der nächsten Entwicklung wählen die Fachkräfte für einzelne Kinder, für Kleingruppen oder für die Gesamtgruppe geeignete (entwicklungsfördernde) Aktivitäten aus, reichern Gruppen- und Nebenräume mit weiteren Materialien an und passen ihre Interaktionen mit den Kindern den Erfordernissen an. Diese werden immer wieder herausgefordert und motiviert, über ihre bisherigen Fähigkeiten hinauszugehen.
  • Dialogpartner: In der Interaktion mit Kindern versuchen die Fachkräfte, zu gemeinsamen Definitionen von Begriffen zu kommen und neue Bedeutungen zu vermitteln, das Denken der Kinder zu stimulieren und höhere Denkprozesse anzuregen. Dabei kommt es darauf an, dass vermittelte Informationen nicht bloß "auswendig gelernt", sondern verarbeitet (Einsicht) und zur eigenen kognitiven Weiterentwicklung genutzt werden.
  • Aktive Teilnehmer an Lernprozessen: Die Fachkräfte beteiligen sich an Aktivitäten sowie am Lösen von Aufgaben und Problemen, wobei sie die Kinder nur so weit wie nötig anleiten und unterstützen. Beispielsweise helfen sie den Kindern, ihre Ideen zu ordnen, selbst Antworten auf ihre Fragen zu finden, entsprechende Beobachtungsverfahren oder Experimente auszuwählen, verschiedene Problemlösungsstrategien auszuprobieren, notwendige Fertigkeiten zu entwickeln und sich neue Kenntnisse anzueignen. Sie bauen Brücken zwischen dem Bekannten und dem Unbekannten.
  • Spielpartner: Im Gegensatz zu Lehrer/innen nehmen Erzieher/innen auch aktiv am Spiel der Kinder teil, da dies die "führende Aktivität" von Kleinkindern ist. In der Interaktion mit ihnen kann während des Spiels deren Entwicklung gezielt beeinflusst werden. Die meisten angestrebten Lernprozesse müssen aber sinnvoll in das Spiel eingebettet werden und sollten für die Kinder als interessante und nützliche Beiträge zu demselben verständlich sein.
  • Lehrmeister und Verhaltensmodelle: Die Fachkräfte repräsentieren Wissenschaft und Kultur ihrer Gesellschaft und beherrschen die von ihr entwickelten "Werkzeuge" des Denkens. Sie vermitteln ihre Kenntnisse und Fertigkeiten an die ihnen anvertrauten Kinder weiter, die als "Lehrlinge" ihnen nacheifern und sie nachahmen. Dabei führen sie sie immer mehr zu Selbstkontrolle und Selbstregulierung.

All dies bedeutet aber nicht, dass die Kinder passiv sind. Wie bereits mehrfach betont, sind sie aktive Lernende, die das, was sie aufnehmen, geistig verarbeiten und umbilden. Die Kinder müssen selbst handeln und für sich lernen, die Erzieher/innen sollen ihre Aktivitäten anleiten und fördern. Lernen und Lehren hängen so eng zusammen, dass Stremmel und Fu (1993) daraus ein Bindestrich-Wort machen: "Lehren-Lernen ist ein kooperativer Prozess, zu dem jeder Teilnehmer einen unverzichtbaren Beitrag leistet" (S. 341). Erzieher/innen sollen also nicht die kindliche Aktivität bestimmen und ständig kontrollieren, sondern diese eher durch Fragen und Hinweise in die Zone der nächsten Entwicklung hineinsteuern und unterstützend tätig sein. Es soll zu einer echten Zusammenarbeit zwischen Fachkräften und Kindern kommen.

Auch können Kinder sehr viel voneinander lernen, wenn sie in verschiedenen Entwicklungsbereichen unterschiedlich weit fortgeschritten sind und dann in die Zonen der nächsten Entwicklung ihrer Spielkameraden stimulierend hineinwirken. Erzieher/innen sollten dies bei der Bildung von Kleingruppen für bestimmte Aktivitäten beachten und dementsprechend deren Zusammensetzung steuernd beeinflussen. Dann können die Kinder z.B. bei Diskussionen (über ein Bilderbuch, Wetterbeobachtungen, die Planung eines Experimentes usw.) abwechselnd die Gesprächsleitung übernehmen und durch Fragen, die Klärung schwer verständlich formulierter Gedanken, Vorschläge, Voraussagen, Vergleiche usw. das Verständnis der anderen Kinder von dem jeweiligen Gesprächsgegenstand verbessern.

Wygotski (1987) schreibt, dass Erzieher/innen bei Kleinkindern eine allgemeine Vorstellung von der Natur und der Gesellschaft ausbilden und ihnen die "Welt der Wortkunst" (Literatur), der Wissenschaft und der Musik aufschließen sollen. Sie müssen ihnen Kenntnisse, Konzepte und Vorstellungen vermitteln, die diese benötigen, um später dem Fachunterricht in der Schule folgen zu können. Die Fachkräfte sollten vor allem solche Eigenschaften und Funktionen fördern, die während des Kleinkindalters im Reifen begriffen sind (sich also in der Zone der nächsten Entwicklung befinden). Entsprechend des Alters von Kindern unterscheidet Wygotski (a.a.O.) drei Stufen des "Unterrichts":

  • Kinder bis zu drei Jahren lernen "spontan", nach ihrem eigenen Programm. Sie entnehmen den "Lernstoff" (z.B. Sprache) ihrer Umwelt.
  • Schulkinder lernen "reaktiv", also anhand des von Lehrer/innen angebotenen Programms.
  • Kinder zwischen drei und sechs Jahren lernen "spontan-reaktiv", also in Abhängigkeit davon, in welchem Maße das Programm der Erzieher/innen zu ihrem eigenen wird. Sie bewegen sich in dieser Zeit vom spontanen zum reaktiven Lernen; dementsprechend muss sich auch der "Unterricht" ändern.

"Während wir sagen, dass das Kleinkind im Prozess des Unterrichtens nur das tun kann, was mit seinen Interessen übereinstimmt, kann das Schulkind das tun, was der Lehrer will. Beim Vorschulkind sieht es so aus, dass es das tut, was es will, dass es aber auch das will, was derjenige will, der es anleitet" (a.a.O., S. 257; mit "Kleinkind" meint Wygotski Kinder bis drei Jahre, mit "Vorschulkind" Kinder zwischen drei und sechs Jahren). Dies bedeutet, dass im Kindergartenalter angezielte Aktivitäten immer auch die Interessen der Kinder berücksichtigen und für diese sinnvoll sein sollten. Auch sind deren Spontaneität, Neugier und Entdeckungsfreude in Betracht zu ziehen.

Schlusswort

Wygotskis Soziokultureller Ansatz betont die große Bedeutung der Interaktion mit kompetenteren anderen Personen bei der Enkulturation des Kindes und der Entwicklung des Sprechens und Denkens. Die kognitive Entwicklung wird als gemeinsame "Konstruktion" des Kindes und anderer Menschen verstanden. Wygotski zeigt auf, dass die Sprache für höhere Formen des Denkens und die Selbstkontrolle bzw. Selbstregulierung unverzichtbar ist. Er betont die Bedeutung des Spiels für die kindliche Entwicklung. Im Zusammenhang mit dem von ihm geprägten Begriff "Zone der nächsten Entwicklung" zeigt sich erneut, wie wichtig für Kinder die Anleitung durch Erwachsene und kompetentere Kinder ist. Dadurch bekommen Erzieher/innen einen höheren Stellenwert für die kindliche Entwicklung als bei anderen frühpädagogischen Ansätzen. Zugleich wird ihnen von der Gesellschaft mehr abverlangt.

Quelle

Aus: Wassilios E. Fthenakis, Martin R. Textor (Hg.): Pädagogische Ansätze im Kindergarten. Weinheim, Basel: Beltz 2000, S. 71-83

Literatur

Berk, L.E.: Vygotsky's theory: The importance of make-believe play. Young Children 1994, 50 (1), S. 30-39

Berk, L.E./ Winsler, A.: Scaffolding children's learning: Vygotsky and early childhood education. Washington: National Association for the Education of Young Children 1995

Blanck, G.: Vygotsky: The man and his cause. In: Moll, L.C. (Hrsg.): Vygotsky and education: Instructional implications and applications of sociohistorical psychology. Cambridge: Cambridge University Press 1990, S. 31-58

Buzzelli, C.A.: Morality in context: A sociocultural approach to enhancing young children's moral development. Child and Youth Care Forum 1993, 25, S. 375-386

Buzzelli, C.A.: Teacher-child discourse in the early childhood classroom: A dialogic model of self-regulation and moral development. Advances in Early Education and Day Care 1995, 7, S. 271-294

File, N.: The teacher as a guide of children's competence with peers. Child and Youth Care Forum 1993, 22, S. 351-360

File, N.: Applications of Vygotskian theory to early childhood education: Moving toward a new teaching-learning paradigm. Advances in Early Education and Day Care 1995, 7, S. 295-317

Karpov, Y.V./ Bransford, J.D.: L.S. Vygotsky and the doctrine of empirical and theoretical learning. Educational Psychologist 1995, 30 (2), S. 61-66

Meadows, S.: The child as thinker. The development and acquisition of cognition in childhood. London: Routledge 1993

Nicolopoulou, A.: Play, cognitive development, and the social world. The research perspective. In: Scales, B./ Almy, M./ Nicolopoulou, A./ Ervin-Tripp, S. (Hrsg.): Play and the social context of development in early care and education. New York: Teachers College Press 1991, S. 129-142

Nicolopoulou, A.: Play, cognitive development, and the social world: Piaget, Vygotsky, and beyond. Human Development 1993, 36, S. 1-23

Oers, B. van: Semiotic activity of young children in play: The construction and use of schematic representations. European Early Childhood Education Research Journal 1994, 2 (1), S. 19-33

Smith, A.B.: Early childhood educare: Seeking a theoretical framework in Vygotsky's work. International Journal of Early Years Education 1993, 1 (1), S. 47-61

Smith, A.B.: The early childhood curriculum from a sociocultural perspective. Early Child Development and Care 1996, 115, S. 51-64

Stremmel, A.J./ Fu, V.R.: Teaching in the zone of proximal development: Implications for responsive teaching practice. Child and Youth Care Forum 1993, 22, S. 337-350

Textor, M.R.: Qualität von Kindertageseinrichtungen - internationale Forschungsergebnisse. In: Schüttler-Janikulla, K. (Hrsg.): Handbuch für ErzieherInnen in Krippe, Kindergarten, Vorschule und Hort. München: mvg-verlag, 18. Lieferung 1996a

Textor, M.R.: Gute Betreuung? Kinderzeit 1996b, 47 (2), S. 16-18

Textor, M.R.: Lew Wygotski - für die Kindergartenpädagogik entdeckt. Klein & groß 1999, Heft 11/12, S. 36-40

Trautner, H.M.: Lehrbuch der Entwicklungspsychologie. Band 2: Theorien und Befunde. Göttingen: Hogrefe 1991

Tudge, J.: Vygotsky, the zone of proximal development, and peer collaboration: Implications for classroom practice. In: Moll, L.C. (Hrsg.): Vygotsky and education: Instructional implications and applications of sociohistorical psychology. Cambridge: Cambridge University Press 1990, S. 155-172

Wygotski, L.S.: Denken und Sprechen. Frankfurt: S. Fischer Verlag, 3. Aufl. 1971

Wygotski, L.: Ausgewählte Schriften. Band 2: Arbeiten zur psychischen Entwicklung der Persönlichkeit. Köln: Pahl-Rugenstein 1987